Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer in Israel. Nr. 46-47. May 1980 (Fortsetzung) ZUM GEDENKEN an THEODOR HERZL ZUM 75. GEDENKTAG „Der König der Juden" Die Geschichte ist oftmals unfassbar. In ihrem unaufhaltsamen Rad werden verschlungen Dinge und Menschen, löscht nicht selten selbst das Andenken aus. Uber die kurze Zeitspanne unseres Erdenwallens senkt sich bald das grosse Schweigen und der Abgrund des Vergessens reisst alles das hinab, was einst Lebensfreude, Wollen, Leiden¬ schaft war. 75 Jahre bedeuten, so sagt man, Augenblicke in der Geschichte eines Volkes, für Menschen hin¬ gegen sind sie fast Unendlichkeit. Und wenn sich das Vergessen über die Vielen, die Namenlosen senkt, so verankert die Geschichte die Wenigen, die Begnadeten, die in ihren Werken fortleben, in den Werken der Tat, dar Schrift, geformt in der toten Masse oder im lebendigen Stoff der Geschichte der Menschheit. Wenn die furchtbare Kraft der Zeit dem Antlitz geschlichtlicher Persönlichkeit die Züge des Alltags aufprägt, wenn sie sie ihrer Vorzüge ent¬ kleidet und ihre Schwäche blosslegt, welche sie menschlich machen, so hebt sie auch gleichzeitig ihre entscheidenden Merkmale hervor, ihre positi¬ ven Eigenschaften und Taten, die in die Ge¬ schichte eingehen. Und dennoch, was wäre mensch¬ liche Grösse ohne jene persönlichen Eigenschaften, die das Leben atmen und die uns die Menschen über die Jahrhunderte hinweg verständlich ma¬ chen? Noch hören wir die Schreie des rasenden Ajax, noch vernehmen wir das Stöhnen Prome¬ theus’ und die Klagen-Hiobs; wir begreifen den Zorn Moses’, die Verzweiflung Sauls, der einem sicheren Tode entgegengeht. Denn wir ziehen den fühllosen Göttern oder den kalten Marmorgötzen den Menschen aus Fleisch und Blut vor, den Menschen mit seinen Vorzügen und mit seinen Schwächen. Aber wenn es sich um die grossen Männer unserer eigenen Geschichte handelt, dann bedarf es vielleicht des Hintergrundes menschlicher Alltäglichkeit, um den ganzen Umfang ihres Genies ermessen zu können. Theodor Herzl wurde vor hundertneunzehn Jahren geboren. Wie ein Märchenprinz ist er von weither zu uns gekommen. Sein abwechslungsrei¬ ches Leben ist schon oft beschrieben worden; das verwöhnte Kind, aufgewachsen in allen Vorurtei¬ len und Idealen seines Milieus; der junge Mann, dem die Erfolge in der Gesellschaft zuflogen; der Journalist, der Schriftsteller einer raffinierten, aber oberflächlichen Schicht; der amüsierte Beobachter des Jahrmarkts der Eitelkeiten, den wir die politi¬ sche Welt nennen. Aber jäh bricht sein Leben entzwei. Ein Schrei, tausendfach gehört in allen Sprachen der Welt, aber seit Jahrtausenden ausgestossen gegen seine Vorväter, gegen seine Brüder, gegen ihn selbst — ohne dass er ihn bis dahin vernommen hätte, — diesen Schrei, er hört ihn wieder: „Tod den Ju¬ den!. ..“ Und sein Leben bricht entzwei. Dieser Schrei entkleidet ihn der äusseren Hülle. Und er ist nicht mehr der schöne Mann, der in der fei¬ nen Gesellschaft geglänzt hatte, dem in ihren Salons die Herzen zugeflogen waren; er ist nicht mehr der beneidete Journalist, nicht mehr der bewunderte Schriftsteller. Er ist nur noch Theodor Herzl, der Jude; der Jude, der seit Unzähligen Generationen gejagte, verfolgte, verachtete, besu¬ delte Jude, Bruder der schmutzigen Juden im rus- Von SCH. WEINTRAUB sischen Ghetto, der Malach von Marokko, Sohn des Trödlers, der durch Meere und Jahrhunderte, durch Blut und Scheiterhaufen den Hass seiner Mitmenschen mit sich schleppt* Kind eines Volkes, dem man seine Heimat geraubt hat, und das erst dann Frieden finden wird, wenn es in die Zelte seiner Vorfahren zurückkehren kann. Und der Prinz schleudert die Kronen der Freuden von sich und wird Theodor Herzl, der Jude. Doch der Jude Theodor Herzl besinnt sich nicht nur darauf, dass er der Bruder des arm¬ seligen Trödlers ist, der Sohn des misshandelten Vagabunden. Er besinnt sich darauf, dass er der Spross eines alten Volkes von Kriegern und Dich¬ tern ist der Urenkel von Königen und Propheten. Er erinnert sich daran, dass seine Vorväter nie¬ mals das Knie gebeugt, aber auch Gott nicht ge¬ trotzt haben, dass sie Seinen Segen empfangen haben, und da wurde Theodor Herzl König der Juden. Der König der Juden hat einen königlichen Traum, einen Traum vom gewaltigen Ausmass des Unglücks seines Volkes, einen Traum vom Ausmass seines Volkes: das Reich Davids, der JUDEN- STAAT, das ist sein Traum. Und der König schickt sich an, seinen wahnwitzig scheinenden Traum zu verwirklichen. Seine Herrschaft über das Judenvolk hat nur sieben Jahre gedauert, Sie¬ ben kurze Jahre. Er war sich bewusst, dass seine Zeit auf Erden kurz bemessen war, dass er die Verwirklichung seines Traumes, den Judenstaat, also niemals erleben würde. Nur allzugut kannte er die Schlechtigkeit der Menschen, ihre Schwä¬ chen und ihre Undankbarkeit. Aber es blieb ihm keine Wahl. Der furchtbare Schrei, den er ver¬ nommen, und sein Traum, hatten ihn für immer in Fesseln geschlagen. Im Verlaufe von sieben Jahren hat er sich buchstäblich verbraucht! Die einzelnen Abschnitte seines Lebens sind bekannt. Er hat es verstanden, die Grossen zu gewinnen, die Kleinen zu begei¬ stern. die Schwankenden zu überzeugen und der Jugend Mut einzuflössen. Er hat den Rahmen zu einer Volksbewegung geschaffen und für ein Volk ohne jedwede politische Organisation die Form einer neuen Diplomatie gefunden. Er war zugleich der Mann inmitten der Massen, die ihm zujubel¬ ten, inmitten seiner Freunde, die ihn verehrten, wie allein fühlte er sich, gezeichnet mit dem Mal des Fluches und des Glücks seiner Berufung! Denn seine Vision hatte ihn nicht blind ge¬ macht. Im vollen Bewusstsein seiner historischen Sendung hat der König der Juden, Theodor Herzl, diese schwere Bürde auf seine Schultern geladen und seinem Volke alles geopfert. Dieser besonnene und abwägende Mann verschleudert sein Vermö¬ gen, dieser treue und zärtliche Vater zerbricht sein Familienleben, dieser schöne und starke Mann ruiniert seine Gesundheit — sieben Jahre lang kämpft er um sein Ideal, bis zum letzten Augen¬ blick, da sein krankes Herz versagt. Doch als der Tod schon seinen Blick verschleierte und ehe seine Augen sich für immer schlossen, da wusste er be¬ reits, dass sein Ringen nicht vergeblich gewesen ist, dass sein Volk unsterblich sein wird. Auf einem Hügel in Jerusalem befindet sich die letzte Ruhestätte Theodor Herzls, des letzten Königs der Juden. Wenn die Sonne sich über den Bergen von Gilead erhebt, grüssen ihre ersten Strahlen den toten König. Und wenn die Sonne über den Bergen von Juda üire Bahn beendet, umspielt der letzte Glanz das Grab des Prophe¬ ten. Über den Tälern und Höhen der ewigen Stadt schreitet der Jude Theodor Herzl, unser letzter König und Prophet, Staatsmann und Volkstribun, Propagandist und Organisator, Führer und Diener. Und dieser König ohne Reich, dieser Feldherr ohne Heer, dieser Kolonisator ohne Mittel, dieser Diplomat ohne politische Unterstützung, ging von Enttäuschung zu Enttäuschung, von Misserfolg zu Misserfolg, sieben lange Jahre, besessen von sei¬ nem königlichen Traum und von der Gewissheit seines Sieges. Und wie furchtbar einsam war er, umwoben von der nationalen Legende der Heroen der Antike unserer wechselvollen Geschichte. Doch für uns, die Söhne seines Volkes, die Erben seines Werkes, sind Leben und Tod Theodor Herzls weder eine Legende, noch ein Märchen. Sie sind lebendige Wirklichkeit, unvergängliches Wahr¬ zeichen der ewigen Jugend unseres Volkes und dieses grossen Mannes, geschaffen nach dem Eben¬ bild Gottes. (Abdruck aus „Chadashot Israel" V. 10.7.1974) DAS MEER Das Meer, unendlich weit Man blickt darauf vergisst sein Leid Ich lieb das Meer Die Sonne und die Luft Ich mag nicht leben Ohne Meeresduft. Oft will der Mensch allein ans Meer Nicht Menschen sehn Bedrückt ihn sehr. Hier fühlt er frei sich atmet rein Was ausserm Meer Dünkt ihm klein. Badet an des Meeresstrand Wühlt im weissen Meeressand Sorgen verlieren an Gewicht Schauend auf's Meeresangesicht. Saug die Reinheit der Meeresluft ein, und denk, wie glücklich man kann hier sein. Noch schöner wär es Hand ln Hand Mit seiner Liebe Am Meeresstrand. Ich lieb das Meer Die Sonne und die Luft Ich mag nicht leben Ohne Meeresduft. NORA HAUBEN 37 |