ROMAN-BEILAGE DES „JÜDISCHEN ECHOS“ DER LETZTE WALD|UDE VON J. OPATOSCHU Aus dem Jiddischen von Siegfried Schmitz (Copyright 1929 by Dr. Präger, Pressedienst, Wien-Berlin 38. Fortsetzung Der Ökonom band Antek Hände und Füße, wie einem Ochsen, der zur Schlachtbank ge¬ führt wird. Als die Ruten gebracht wurden, zog jemand am Strick und Antek fiel wie ein Sack in den Schnee. Er wurde der Länge nach hingelegt, das* Gesicht nach unten. Zwei Bau¬ ern setzten sich auf ihn, einer auf seine Füße, der andere auf seine Schultern. Der Ökonom prüfte die Ruten, rieb sie tüchtig mit Schnee ein und reichte sie zufrieden dem Peitsch¬ knecht. Die Knechte hielten die Blicke zu Bo¬ den gesenkt und schauten nicht auf den Platz, wo Antek lag. Sie fühlten den Hof immer en¬ ger werden. Die Stimme des Ökonoms er¬ klang: „Fertig?“ „Fertig“, antwortete der Peitschknecht. Der Ökonom zählte eintönig: „Eins... zwei... drei Die Rute sauste auf die gespannten Hosen, durchschlug sie und schnitt ins Fleisch, Bluts¬ tropfen träufelten in den weißen Schnee und erstarrten sofort. Antek schrie mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr an sich hatte; dann wurde er still, begann wieder zu schreien und zwischen Schweigen und Schreien fiel das eintönige Zählen des Ökonomen dumpf auf die betäubten Ohren: „Acht... neun ... zehn ...“ Mordechai betrat den Hof; als er sah, daß ein erwachsener Mensch mit Ruten geschlagen wurde, zitterte er am ganzen Leibe. Er hatte wohl gehört, daß die Gutsherren Bauern und Juden mit Ruten schlagen lassen, aber er hatte es stets als ein Märchen aufgenommen, das alle erzählten und davon noch niemand die Wirklichkeit gesehen hatte. Jetzt stand er ihr Auge in Auge gegenüber. Er drängte sich durch die Menge und trat geradenwegs auf den Peitschknecht zu. „Mensch, schämst du dich nicht, gegen dei¬ nen Bruder die Hand zu erheben?“ Mordechais Freimut, seine Haltung, die In¬ nigkeit seiner Worte, alles übte seine Wir¬ kung und kam überdies so unerwartet, daß der Peitschknecht innehielt; er schaute vom Gutsherrn zu Mordechai und von Mordechai zum Gutsherrn; alle sahen einander an; tiefe Stille herrschte. Ob etwa deshalb, weil die Exekution unter¬ brochen worden war, oder auch weil es ein Fremder gewagt hatte, ihm entgegenzutreten, wuchs der Zorn des Gutsherrn. Finster drein¬ blickend, ritt er auf Mordechai zu und fragte ihn: „Wer seid Ihr?“ „Ein Wanderer“ — antwortete Mordechai. „So geht Eures Weges, wenn es Euch ge¬ fällt, und mengt Euch nicht in fremde Angele¬ genheiten!“ „Wenn doch der hochwohlgeborene Herr so gut wäre,“ ein Knecht begann zu stottern, ver¬ beugte sich mit der Mütze in der Hand und deutete auf Antek — „die übrigen Hiebe gieb mir!“ „Was geht da vor, zu allen Teufeln?“ — wütend sprengte der Gutsherr durch den Hof und schrie den Peitschknecht an — „Weiter¬ schlagen! Das Gesindel wird mir nicht dik¬ tieren, was ich zu tun habe.“ „Er ist ein Christ, er wird seinen Bruder nicht schlagen!“ — rief Mordechai. „Wer ist der Fremde?“ — warf jemand vom Gefolge ein. „Ist er ein Priester?“ „Was weiß ich?“ „Es ist doch ein Jude!“ „Schwatz keinen Unsinn.“ „Frage ihn.“ „Frage du ihn.“ „Es ist ein Jude, ganz bestimmt.“ „Ein Jude?“ — wiederholte der Gutsherr überrascht. „Ja“ — antwortete Mordechai. „So gib dem Juden die übrigen Hiebe!“ — herrschte der Gutsherr den Peitschknecht an und spie aus. „So ein Ungläubiger!“ Ehe Mordechai noch Zeit hatte, sich umzu¬ sehen, lag er schon auf dem Schnee und fühlte, wie ein glühender Keil immer tiefer in seinen Leib drang; er schien ihm die Schultern zu spalten und durchdrang einen Knochen nach dem anderen. Die Schmerzen werden immer stärker und zwischendurch das eintönige Zäh¬ len des Ökonomen: |