— 43 — verklärten Lichte funkelt und leuchtet in den schlichten Worten: „Moritz Gottlieb, selig sein Andenken!" Moritz Gottlieb hat aber noch ein anderes Denkmal, das er sich freilich bei Lebzeiten selber errichtet hat, aber jenes zweite steht nicht so verlassen, wird nicht von den Menschen so gemieden, wie das ans dem Krakauer jüdischen Friedhöfe, sondern wird vielmehr von ihnen umringt, laut bewundert und angestaunt. Jenes zweite Denkmal ist in der Warschauer Bilder- galleric zu sehen in der Gestalt eines großen goldamrahmten Bildes, das sich „die Juden am Versöhnnngstage" nennt, O, >vas für wunderbarer, Herz und Geist bezwingender Zauber, ist über die Leinwand ausgcgossen? Da stehen sie Kopf an Kops in der Synagoge gedrängt, die betenden, weinenden und fastenden Juden, angckleidct mit dem weißen Linnenkittcl, mit jenem Schlafgewandc, mit welchem sic sich einst zur letzten Ruhe hin begeben, denn heute ist heiliger Bersöhnungstag und sie söhnen sich nicht blos mit Gott, sondern auch mit ihren Ncbenmenschen aus, mit ihren Peinigern und Quälern, mit ihrem schrecklichen Geschicke, ja, mit ihrem tausendjährigen Martyrerium. Diese reumllthigcn Gestalten mit den lhränendurch- weichtcn Gesichtern, wir sehen sie nicht blos aus diesem Bilde lebendig vor uns, sondern wir glauben auch ihre Stimmen zu hören, ihren welterschürternden Wehcruf, der bis zum Throne Gottes cmpordringt. Wie ist alles hier lebenssatt, greifbar, seclenvvll, jede Figur der Typus einer ganzen Menschcnklasse. Dort ein Greis mit schneeig herabwallendem Barte, der sein fnrchenreiches Antlitz zum Himmel emporhält und die Augen — ach, welche Andacht, welche Versöhnung, welche ewige Liebe leuchtet aus diesen große», verklärten Augen!.,, Dorr wieder hockt über ein vergilbtes, uraltes Gebet¬ buch, dem man cs ausieht, daß es schon die Thränen von Jahrhunderten in sich eingesozen hat — ein bleicher Mann mit welkem Barte und verwitterten Zügen, ein ausgebrannter Vulkan, welchen die unendlichen Leiben verknöchert und ver¬ steinert haben, der nicht mehr lieben, nicht mehr hassen, nicht mehr beten und nicht mehr lüstern kann — sondern mit seinen leblosen Augen theilnahmslos vor sich in das vergilbte Gebetbuch hinstarrt. Ein anderer wieder, ein taubengrauer, edler Greis, sitzt ebenfalls das Haupt auf die flache Hand gestützt, über ein aufgeschlagciies Buch, doch schweifen seine große», offenen Augen tuest über dasselbe hinweg und scheinen in einer ganz anderen Welt zu weilen, in holden Jugenderinnerungen, die ihm wieder lebendig werden, in süßen Träumen von einstiger Liebe und Glückseligkeit, Tiefer in dem Hintergrund sitzt ein Mann in den mittleren Jahren, mit kalten, ruhigen, ganz leidenschaftslosen Gesichtszügen — die reine verkörperte Praxis, Er — man siehts ihm an — beschäftigt sich nicht mehr mit der Ver¬ gangenheit, in der ja ein für alle mal nichts mehr zu suchen ist, sondern mit Gegenwart und Zukunft, für die er bei Gott alles Gute erflehen will, und das ohne sich sonderlich dabei auszuregen, sondern ruhig, gelassen und geschäftsmäßig, Jndeß vergißt er auch nicht daran, daß er der Thüre gegen¬ über sitzt, wo er sich leicht eine Erkältung zuziehen könnte und hat daher sorglich über den weißen Kittel die warme „Raswulki*)" an. Aber als ehrsamer Vater vergißt er auch nicht daran seinen Sohn, einen lebhaften Jungen, fest neben sich zu halten und ihn mit dem Finger in das Gebetbuch zu deuten, damit er Wort um Wort alles klar und deutlich hersage und ja kein einziges Wörtchen überschluppe — nur ehrlich und cvulant sein „was zu Gott ist zu Gott," Mitten unter allen diesen Leuten prunkt ein kleiner, pausbackiger Junge in seinem neuen, schillernden Festgewande, in dem er sich gar sehr zu gefallen scheint und in seinem neuen, spitzen Sammtküppchen, das er gar kecklich aufzusetzen *) Eine Art Ueberjietjcv. verstand. Nichts hat er mit allen diesen Leuten gemein, nichts von ihren Wünschen und Hoffen, _ sie sind für ihn auch nicht vorhanden, er ist glücklich, er sieht und will auch nichts anderes neben sich sehen, als nur seine schillernden, prunkenden Festgewätidcr, Aber neben diesem Bilde holder Naivctät und glücklicher Selbstbegaffung drängt sich uns schon ein anderes Bild vor Augen: ein junger Mann mit abgegrämtem Gesichte, der ganz zerknirscht in dcmuthsvollem Gebete sich krümmt und windet und die Hände zn Gott emporstreckt gleichsam wie ein Er¬ trinkender, der um Rettung flehet. Von der Fraucngallerie lauschen durch seidene Gardinen die schönen, weiblichen Gesichter hervor mit ihren großen feuchten Rehaugen, manche unter ihnen noch zarte Knospen, umflossen von dem erste« Hauche des Jugendlenzes, andere wieder reizende, üppige, vollentwickelte Gestalten, das Haupt mit juwelenbcsctzten Stirnbändern geziert, die bei aller An¬ dacht einen Zug von Koketterie und Eitelkeit nicht verleugnen können. Im Hintergründe, mehr nur in nebligen Umrissen siebt man manches alte runzlige Mütterchen das die be¬ brillten Augen tief ins breite Gebetbuch versenkt. Durch das obere kreisförmige Fensterchen mit den bunten Scheiben stiehlt sich die feierliche Abendsonne herein und senkt sich mit ihrem verklärenden Golde auf eine Männer¬ gruppe nieder, die mittcu auf dem Almemor zu sehen ist, den Bet-Talar geschultert und das Haupt mit dem „Streimel" bedeckt hält einer — ein ehrwürdiger Greis — eine zusammen¬ gerollte Thora, die in 'ein seidenes Mäntelchen gehüllt ist, hoch in seiner zitternden Hand empor, gleichsam wie ein Siegespanicr, das er durch Ströme von Blut und Thränen mit sich fvrtgetragen hat. Neben ihm, ja, fest an ihn ge¬ lehnt, steht ein schlanker bleicher Jüngling, in welchem der Maler sich selber portraitirt, gehüllt in orientalische Gewan¬ dung, mit der rechten Hand sein Gesicht umschattend, aus welchem zwei große mildverklärte träumerische Augen her¬ vorleuchten , senkt sich seine Linke hart neben der Thora nieder, und da fällt unser Blick auf eine merkwürdige in das Seidenmäntelchen der Thora eingcstickte, hebräische In¬ schrift, welche lautet: „Gespendet für das Seclenhei l des dahi ngeschied enen Moritz Gottlieb, selig s ein Andenken! Das ist das Denkmal, welches jener Moritz Gottlieb sich selber bei Lebzeiten errichtet hat, (Lchluß folgt.t Allerlei siir den Familientisch. Weihnacht nnd Uenjahr. Das Januarheft der Monatsschrift „Vom Fels zum Meer" enthält in einem Aufsatz von Moritz Lilie unter der Ueberschrift: „Bedeutungsvolle Nächte" folgenden Passus, den wir im Anschluß an die in diesem Blatte gebrachten Be¬ merkungen über das Verhültniß von Weihnachten zu Neu¬ jahr hier abdrucken: „Es war ein Gebot der Klugheit, das die christliche Kirche bewog, den Geburtstag des Heilandes, dessen wirk¬ liches Datum nie ermittelt worden ist, auf die Weihnacht des heidnischen Jubelfestes zu verlegen. Die religiösen Gebräuche waren so innig mit dem Volke ver¬ wachsen, daß die neue Lehre sie nicht auszurotten vermochte, vielmehr viele derselben in sich aufnahm und in ihrem Sinne deutete. Daher finden sich bei fast allen Festen der Christen¬ heit Anklänge an das Heidenthum; die reine, unverfälschte Lehre Jesu war duldsam genug, um ihren neuen Bekennern schonendes Betrachten der mit ihrem bisherigen Glauben verbunden gewesenen äußeren Formen entgegen zn tragen und ihnen dadurch den Religionswechsel zu erleichtern. Der 25. Dccembcr findet sich als Geburtstag Christi zuerst in einem römischen Fest-Kalender vom Jahre 354, aber erst durch ein Gesetz des Kaisers Justinian ward dieser Tag jtit der gesammlen Christenheit als solcher allgemein eingeführt und anerkannt," |