Nr. 52. Israelitische Wochenschrift. Seite 739. solytensöhpe waren. Das gesamte Königshaus von Adiabene trat zum Judentum über und bewährt seine Glaubenstreue 200 Jahre lang. Diejenigen, die im Heidentum beharrten, aber doch die allgemeinen religiösen und sittlichen Gesetze der Synagoge anerkannten, nannte man „Gottesverehrer". Mancher¬ lei Versuche wurden gemacht, um die Sittengebote den Heiden nahe zu bringen; sie wurden als Sprüche alter Philosophen, als sibyllinische Orakel u. dergl. ausgegeben, und Spuren da¬ von finden sich deutlich bei Vergil und Ovid, ganz offenbar bei Seneca. Die heidnischen Religionen, z. B. die parsische, zeigen sich gleichfalls beeinflußt. Gleich dem Säemann hat Israel durch seine Zerstreuung den Samen überall hin aus¬ gestreut, und er ist hundertfältig aufgegangen. Diese Aus¬ breitung hat im 2. nachchr. Jahrhundert ein Ende genommen, einmal durch die Unterdrückung des Aufstandes des Bar Kochba, die ein Verbot der jüdischen Religion zur Folge hatte, dann durch die Erstarkung des Christentums, das den Heiden näher stand. Mehr und mehr drang das heidnische Element in das Christentum ein und drängle ihm seine eigene Gottesvor¬ stellungen auf, und lange hat es gedauert, bis das ursprünglich jüdische Element, der Glaube an den einzigen Gott, wieder die Oberhand gewann. Eine derartige Anpassungsfähigkeit war nicht dem Judentum eigen. Es zog sich auf sich selbst zurück. Aber dennoch ist aus seinen Lehren die zweite Welt¬ religion, der Islam, entstanden. Frankfurt am Main, 20. Dezember. (Gemeinde¬ wahlen.) Mit Ende des Jahres vollziehen sich verschiedene Änderungen in der Zusammensetzung unserer Gemeindebehörden. Aus dem Vorstand treten die Herren Philipp Schiff und Sigmund Una aus, gestorben ist Sanitätsrat Marcus. An deren Stelle kommen die Herren R. M. Kirchheim, Wilhelm Stern und Sanitätsrat R. Jaffe. Aus dem Ausschuß treten Emil Heidenheimer, Heinrich Wisloch, Raph. M. Kirchheim (jetzt Vorstand), Wilh. Stern und Direktor Carl Herzberg (jetzt Vorstand). Am Mittwoch fanden die allgemeinen Wahlen statt (der Vorstand ergänzt sich selbst unter Bestätigung des Polizeipräsidenten); es sind Präsentationswahlen. Im ganzen wurden bei sehr reger Beteiligung 1391 Stimmen abgegeben. Die von den Freisinnigen und dem Zentralverein gemeinsam aufgestellten Herren Konsul Ad. Baer-Goldschmidt (gemäßigt), Leopold Jgerheimer (orthodox) und Dr. med. R. Stern (liberal) erhielten fast sämtliche Stimmen. Die auf der Liste des Centralvereins allein stehenden Herren Jos. Wisloch (719) und Raph. Ettlinger (693) blieben gegenüber den Kandidaten des Freisinnigen Vereins: Leo Ellinger (orthodox) mit 681 Stimmen und Ludwig Kauffmann (liberal) mit 670 Stimmen im Vorteil. Der Polizeipräsident hat fünf Herren auszuwählen. Köln, 21. Dezember. (Gemeindewahlen.) Die in der vorigen Woche stattgehabten Wahlen zum Repräsentanten- Kollegium ergaben gegen die letzte Wahl eine Zunahme der konservativen, eine erhebliche Abnahme der liberalen Stimmen. Es wurden im ganzen abgegeben: 715 konservative, 440 liberale Stimmen, dagegen im Jahre 1900 610 konservative, 615 liberale Stimmen. Trotz der großen Majorität der konser¬ vativen Wähler wird die Verwaltung der Gemeinde nach wie vor in Händen der liberalen Partei verbleiben, da die konser¬ vativen Wähler infolge der hier noch geltenden Dreiklassen¬ wahl ihre Kandidaten nur in der dritten Klasse durchbringen konnten. Marienöad, 14. Dezember. (Vereinsgründung.) Am 13. d. Mts. fand hier die Gründung des Zweigvereins des „Hilfsvereins für die notleidende jüdische Bevölkerung in Galizien" statt. Der Zweigverein führt den Namen „Orts¬ gruppe Marienbad und Umgebung" und hat die Aufgabe, die Zwecke des Hilfsvereins sowohl den Einheimischen als auch den zahlreichen im Sommer hier anwesenden Fremden näher zu bringen, die Teilnahme für seine Ziele zu wecken und also dieser nützlichen Vereinigung neue Kräfte zuzusühren. Bekannt¬ lich will der genannte Verein, dessen Zentrale sich in Wien befindet, die materielle Lage der Juden in Galizien verbessern und ihr Kultur-Niveau nach Möglichkeit heben. Dieses Ziel soll durch Schaffung von Arbeitgelegenheit, Errichtung von Hausindustrien und gewerblichen Fachschulen, Beschaffung billigen Kredites, Zuführung zur Landwirtschaft rc. erreicht werden. Der Proponent I. U. Dr. Josef Steiner, Advokat Hierselbst, begrüßte die Erschienenen und beleuchtete in klarer Weise den Zweck und die Ziele des Hilfsvereins im allgemeinen, sowie der Ortsgruppe im besonderen. Nach erfolgter An¬ meldung neuer Mitglieder fand die Wahl in den Vorstand der Ortsgruppe statt; sie geschah durch Zuruf. Es wurden berufen: Zum Obmann: I. U. Dr. Josef Steiner, Advokat; zum Obmann-Stellvertreter Emil Baruch, Hotelier, Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde; zum Schriftführer Phil. Dr. Philipp Goldberger, Rabbiner; zum Schriftführer-Stellvertreter Karl Kohn, Kaufmann; zum Kassierer Sigmund Schneider, Kaufmann und Hausbesitzer; zum Kassierer-Stellvertreter Siegfried Fischl, Hausbesitzer. Die Ortsgruppe zählt derzeit 38 Mitglieder, dürfte aber binnen kurzem sich stattlich mehren, da ihr Wirkungs¬ kreis sämtliche israelitischen Gemeinden der weiteren Umgebung einschließt. Waris, 20. Dezember. (Baron Arthur de Roth¬ schild.) Der nach langem Leiden in voriger Woche in seiner Villa in Monte Carlo verstorbene Baron Arthur de Rothschild ist nur 52 Jahre alt geworden; er war der Sohn des Barons Nathaniel von Rothschild. Baron Arthur hatte als Offizier in der französischen Armee gedient, aber schon vor Jahren seine militärische Karriere aufgegeben. Er war ein Freund des Wassersports, war Ehrenpräsident des französischen Pachtvereins und hat jährlich viele Monate an Bord seiner Pacht zugebracht. Er beschäftigte sich mit Vorliebe mit dem Studium von Post¬ einrichtungen und Postangelegenheiten und hat als Ergebnis dieser Studien zwei Schriften veröffentlicht: „Ueber den Ein¬ heitspreis des Briefportos und die Einführung von Postmarken in England" und „Geschichte der Briefpost von ihren ältesten Anfängen bis auf unsere Tage." Da Baron Arthur Ritter der Ehrenlegion gewesen, hat sein Leichenbegängnis hier in Paris mit militärischen Ehren stattgefunden. Auf Wunsch des Verstorbenen sollte keine Grabrede gehalten werden, die Hinter¬ bliebenen hatten alle Blumenspenden abgelehnt, so daß die Beerdigung in aller Einfachheit stattfand und nur durch die große Zahl und die persönliche Bedeutung der Leidtragenden sich auszeichnete. Das französische Zentralkonsistorium, das Konsistorium von Paris und die Vorstände der Pariser Synagogen waren vollzählig erschienen, um der ersten jüdischen Familie der Stadt ihr Beileid zu beweisen: zahlreiche hohe Beamte und Deputationen von Vereinen, in deren Vorstand Baron Arthur gewesen, wohnten dem Leichenbegängnis bei. Auf dem Fried¬ hof Pöre Lachaise wurde der Sarg in der Familiengruft der Rothschild beigesetzt; die Trauergebete sprachen die Großrabbiner von Frankreich und von Paris und Rabbiner Raphael Levy, Kaplan am jüdischen Krankenhaus. Waris, 20. Dezember. (Pathologischer Zionismus.) Ein pathologischer Zionist hat auf einem Ballfest seiner nicht¬ pathologischen Genossen zwei Schüsse gegen Dr. Nordau abge¬ geben. Ein Unbeteiligter wurde unbedeutend verletzt. |