Nr. 44. Israelitische Wochenschrift. Seite 613. Teil der Bevölkerung vergessen, daß es eine Zeit gab, in der sie nicht Hammer, sondern Ambos war? Haben die Protestanten vergessen, daß ihre Glaubensgenossen in mehreren Ländern Europas zurückgesetzt werden? Muß es nicht jeden anständigen deutschen Staatsbürger mit Scham erfüllen, daß auf die christ¬ liche Taufe eine Prämie gesetzt wird? Der Redner wies weiter darauf hin, daß die Juden in der Armee zurückgesetzt und von der Reserveoffizier-Laufbahn vollständig ausgeschlossen werden, obwohl auf den Schlachtfeldern von 1813 der erste, der mit dem Eisernen Kreuz geschmückt wurde, ein Jude namens Günsburg war. Die Juden dürfen nicht aufhören zu kämpfen, bis ihnen ihr verfafiungsmäßiges Recht werde. Wenn die Juden sich weder ihr Deutschtum noch ihren Glauben ver¬ kümmern lassen wollen, dann werde dies dem Vaterlande und dem Judentum zum Segen gereichen. (Lebhafter Beifall.) Nachdem noch Justizrat Dr. Auerbach-Frankfurt a. M. und Dr. Kohn-Dresden gesprochen, werden folgende Reso¬ lutionen einstimmig angenommen: I. Die Hauptversammlung des Verbandes der Deutschen Juden sieht in dem Verbanoe die auf autonomer Grundlage geschaffene Vertretung der deutschen Juden. Zweck des Ver¬ bandes ist es, die geistigen Kräfte der deutschen Juden zu ge¬ meinsamer planmäßiger Arbeit zusammenzuschließen, um das Judentum selbst zu kräftigen und die Gleichberechtigung zur Wahrheit zu machen. Aufgabe des Verbandes ist es insbesondere: 1. Alle Deutschen jüdischen Glaubens im Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit zur Abwehr unbegrün¬ deter Angriffe und zur gemeinsamen Verteidigung der ihren staatsbürgerlichen Pflichten entsprechenden staatsbürgerlichen Rechte zu vereinen, 2. als berufenes Organ an zuständiger Stelle die be¬ rechtigten Wünsche und Beschwerden der Deutschen jüdischen Glaubens vorzutragen und zur Anerkennung zu bringen;' 3. alle Angriffe gegen die religiöse Ehre des Juden¬ tums und gegen die Freiheit der Religionsübung abzuwenden, insbesondere der Agitation gegen das rituelle Schlachtverfahren entgegenzutreten und auf die Beseitigung der durch staatliche oder kommunale Anordnungen erlassenen Verbote hinzuarbeiten; 4. Allen, welche die Bestrebungen des Verbandes zu fördern bereit sind, mit Nachweisungen dienstlich zu sein. II. Die Hauptversammlung des Verbandes der Deutschen Juden weist aus tiefer Ueberzeugung die gegen die Lauterkeit der jüdischen Religion gerichteten Angriffe zurück und wieder¬ holt die längst bekannte Wahrheit, daß das Judentum, die Mutter der monotheistischen Religionen, auf der Grundlage eines reinen Gottesglaubens die alle Menschen umfassende Nächstenliebe lehrt, volle Hingebung an das Vaterland gebietet und die Betätigung sozialer Pflichten als religiöses Ideal aufstellt. III. Verfassung und Gesetz gewährleisten die Gleichberechtigung aller Deutschen ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses. Gleichwohl findet bei der Besetzung öffentlicher Aemter fast überall eine Zurücksetzung oder Ausschließung von Personen jüdischen Glaubens statt. Die Zurücksetzung entfällt in der Regel, sobald der Uebertritt zum Christentum vollzogen ist. Dieses Verfahren enthält eine Verletzung des bestehenden Rechts. Es verstößt gegen die Gerechtigkeit, denn es schafft Ungleichheit der Rechte bei gleichen Pflichten. Es bedeutet eine sittliche Gefahr, weil von Staats wegen der aus äußer¬ lichen Gründen vorgenommene Religionswechsel gefördert wird. Es widerstreitet dem Staatsintereffe, weil Kräfte ausgeschaltet werden, die dem Staate Ersprießliches zu leisten gewillt und befähigt sind. Der Verband der Deutschen Juden legt gegen diese fort¬ gesetzte Rechtsverkümmerung Verwahrung ein und beauftragt den Ausschuß, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Beseitigung dieses Zustandes geeignet sein können. Die deutschen Juden hegen zu ihren rechtlich denkenden Mitbürgern das Vertrauen, daß sie ihnen im Kampf für ihr Recht die Unterstützung nicht versagen werden. Bei Beginn der Nachmittagssitzung erbat sich Landtagsabg. Justizrat Gajsel-Berlin das Wort, um hervorzuheben, daß in den Parlamenten die Vertreter der freisinnigen Parteien für die Gleichberechtigung der Juden eingetreten seien, und zwar sei das seitens einer ganzen Reihe christlicher Abgeordneter ge¬ schehen. Er nenne nur die Abgeordneten Eugen Richter, Dr. Wiemer, Dr. Barth, Eickhoff, Müller-Sagan, Kaempf. Sie hätten aber die Hoffnung, auch aus den Reihen anderer Parteien christliche Bundesgenossen zu erhalten. (Lebh. Beifall.) Auf Vorschlag des Vorstandes wird der Ausschuß wiedergewählt und Landtagsabg. Kommerzienrat Aronsohn- Bromberg hinzugewählt. Erbesteht nunmehr aus folgenden Herren: Rechtsanwalt Dr. Horwitz, Justizrat Dr. Fuchs, Professor Dr. Philippson, Justizrat Friedemann-Berlin, Rechtsanwalt Blau- Frankfurt a.M., Rechtsanwalt Cohn-Breslau, Geh. Regierungsrat Dr. Aron-Berlin, Rechtsanwalt Dr. Samson-Hamburg, Kaufmann Benjamin Hirsch-Halberstadt, Lehrer Dr. Fiegel-Berlin, Stadtrat Fritz Homburger-Karlsruhe, Bankier Ignatz Goldschmidt-Posen, Kaufmann Philipp Simson-Danzig, Dr. med. Apfel-Köln, Justizrat Dr. Geiger, Frankfurt a. M., Geh. Regierungsrat Professor Dr. Pinner, Justizrat Cassel - Berlin und Landtags- Abgeordneter Kommerzienrat Aronson-Bromberg. Hierauf wird die Debatte über die drei Vormittags-Vor¬ träge eröffnet. Wlumenthat-Cassel: Eine Pflicht der Gerechtigkeit, Dank¬ barkeit und Wahrhaftigkeit gebiete es, dem Ausspruch von Dr. Fuchs zu widersprechen, daß den Juden die Emanzipation mühelos in den Schoß gefallen sei. Im Gegenteil habe es schwere Mühen und Anstrengungen der damaligen Generation gekostet. Redner nennt vor allem Gabriel Rießer. (Zurufe und Beifall.) Justizrat Dr. Tuchs: Er sei mißverstanden worden. Die Tätigkeit einzelner erkenne er wohl an; unbeschadet dessen sei die Emanzipation ohne Zutun der Gesamtheit der Juden er¬ reicht worden. (Widerspruch.) Rabbiner Dr. Wogelsteiu-Stettin wünscht, daß ganz be¬ sonders dem von Harnack und anderen liberalen Theologen, deren Schriften gerade von tausenden Juden und jüdischen Jünglingen gelesen werden, verbreitetem Blendwerk entgegen¬ gewirkt werde. Auch in den jüdischen Reihen habe schon die von jener Seite ausgehende Anschauung über eine Minder¬ wertigkeit der jüdischen Religion Eingang gefunden. Hier müsse systematisch entgegengearbeitet werden. (Beifall.) Dr. Klee-Berlin, erklärt, daß er in der heutigen Tagung einen Jungbrunnen jüdischer Kraft erblicke, da hier ein Boden zum Zusammenarbeiten der verschiedenen Richtungen im Juden¬ tum geschaffen sei. Rabbiner Dr. Jacob - Göttingen: Jedes Jahr gehen hunderte jüdische Studenten auf die Universitäten. Dort sind sie mannigfachen geistigen Einflüssen unterworfen, die nicht jüdisch und oft widerjüdcsch sind. Es sei eine Vorarbeit nötig, um die gebildeten Juden befähigt zu machen, Angriffen auf das Judentum entgegenzutreten. (Beifall.) Rabbiner Dr. SrauK-Köln: Eine Frage muß noch auf¬ geworfen werden: Wie stellen wir uns zu den Verrätern, Ab¬ trünnigen? Früher war es üblich, Trauer anzulegen, wie um einen Toten. Heute witzelt man über einen Getauften. Diese |