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fortwährendem Anrufen seines Schutzgeistes. Hierauf kaut er der Keihe nach alle Päckchen und speit den roten Betelsaft auf den Boden. Findet sich nun in diesem Speichel ein Fäserchen oder ein Härchen, so ist das das herbeigezauberte „püta". Der gute Geist hat gesiegt, und der Verzauberte kommt wieder in den Besitz seiner Seele.
Der Zauberer bedarf aber keines „püta", wenn er das Inietstein- gebilde (tomelemar) beschwört. Der in dem „tomelemar" wohnende „kaia" ist mächtig genug, den zu Verzaubernden auch ohne „püta" zu töten 1 .
Vermutlich gibt es auch unter den Eingeborenen viele aufgeklärte Köpfe, die das Treiben der Zauberer durchschauen und ihren Beschwörungen keinen Glauben schenken. Aber der Zweifler weiß auch, daß es schwer ist, gegen festeingewurzelte Gebräuche und Anschauungen anzukämpfen; er wird sich hüten, die Rache der Inietmitglieder auf sich zu lenken, denn gegen Gift ist auch er nicht gefeit.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß die todbringenden Zauberer als Vollstrecker der geheimen Beschlüsse des Inietbundes auch sozial wirken, denn ihre Tätigkeit in dieser Eigenschaft richtet sich in der Hauptsache gegen die Übertreter der durch Sitte und Herkommen geheiligten Gebräuche — gegen die Verräter am Volkstum.
Dieselben Anschauungen treffen wir übrigens auch bei anderen melanesischen Völkern wieder. Die Meinung, daß der Besitz des Haares eines anderen, seines Fingernagels oder der Erdkrume, über die sein Fuß geschritten, hinreiche, um ihn zu verzaubern, ist auch auf Neumecklenburg auf der Insel Bougainville und auf Neuguinea verbreitet.
Besonders interessant ist die Vorstellung, daß die Seele aus dem Körper herausgezaubert werden kann und daß dieser trotzdem weiterlebt. Vielleicht glaubt auch der Gazellekästenbewohner, daß der Mensch zwei Seelen hat, eine Hauptseele und eine Schattenseele. Der Glaube an das Vorhandensein zweier Seelen ist jedenfalls auch bei anderen dunkelfarbigen Südseevölkern verbreitet. Die Nasiöi (Bergvolk im Südosten Bougainvilles) pflegen der Schattenseele des Verstorbenen Wohnungen zu bauen und Opfer darzubringen, während die
1 Vgl. das Nähere über Zauberei und Aberglauben: Kl ein titschen, a.a.O. S. 331; ders. in den Monatsheften der Genossenschaft der Missionare vom heiligsten Herzen, 29. Jahrg., Januar—Mai 1912, Hiltrup i. W.; Parkinson, a. a. 0. S. 120ff.