I. las ist UDter der Judenlrage zu verstehen?
26 Die Judenfrage ist das älteste, das unverwüstlichste und das gebieterischeste aller dagewesenen Probleme.
27 Mit einem Fusse in dem schon seit Jahrtausenden untergegangenen Pharaonenreiche, mit dem andern in dem Gebiete des im Bruderkampfe sich verzehrenden Christentliume stehend, darf die Judenfrage der Koloss unter den ewigen Zeitfragen genannt werden; sie darf desshalb nicht als Tagesfrage, sondern sie muss als Cultuffrage allerersten Banges behandelt werden.
28 Jede andere Auffassung ist ungeschichtlich und kann nur zu
falschen Ergebnissen führen. ^
29 Als einer der ältesten Culturvolksstämine unter den dagewesenen und als ältester unter den vorhandenen schöpfte und schöpft der Stamm Juda vermöge seiner Zerstreuung ohne Unterlass neue Kräfte aus den Cultureinrichtungen der Völker, unter welchen er. lebte und lebt.
30 Die jüdische Cultur würde längst dem Schicksale der semitischen Cultur in Afrika und Asien verfallen sein, wenn der Stamm Juda an der heimischen Scholle haften geblieben wäre, wie andere semitische Stämme.
31 Die Beharrung hat die griechischen und römischen Nationen mit verschlungen, obwohl wir noch heute von den Errungenschaften und Wirkungen ihrer Cultur hohen Nutzen ziehen; die Zerstreuung gab der jüdischen Nation neue Kräfte.
32 Das also, ^vorüber die biblische und laienhafte Poesie und sogar:
orthodoxe Juden unserer Tage weinen, das Elend seiner Zerstreuung, ist dem Judenthume eines der erhaltenden Elemente seiner Stärke, geworden. . .
33 Ein anderes, stützendes Element des Judenthums ist —- mittelbar — die Verfolgung, unter welcher der Volksstamm von jeher gelitten hat. Diese musste eine der beabsichtigten entgegengesetzte Wirkung desshalb ausüben, weil das Judenthum seiner Beli- gion treu blieb d. h durch geistige Sammlung die Nachtheile der örtlichen Zerstreuung aufhob.
34 Völker sind ohne gemeinsame Götter undenkbar, sie mögen himmlische sein oder im Begriffe der Nation, d. h. in der Bethäti- gung des Bewusstseins der gemeinsamen Abstammung und den Zusammengehörigkeit fussen. Der jüdische Nationalbegriff gipfelt, beide Gesichtspunkte vereinigend und den einen durch den andern stützend, in dem Namen Jehovah.