vorhanden war, und zu der sie jetzt sich auch aus politischen Gründen getrieben sehen, begegnet merkwürdiger Weise schon seit einem Decennium bei unseren Stammesgenossen westlich der russischen Grenze nur sehr geringen Sympathien, ja sagen wir es offen einem hartnäckigen, Widerstande. Die Erklärungsgründe für diese so auffällige Erscheinung haben wir imVoraufgegangenen bereits gestreift, dort, wo wir davon sprachen, wie in Rußland selbst mit der Kenntniß der hebräischen Sprache und des jüdischen Schristthums auch die Liebe zu dem Lande Israels tief eingewurzelt und weit verbreitet ist. Der Jude in Polen und in Ru­mänien, überhaupt der osteuropäische Jude lebt viele hundert Meilen von Palästina entfernt, aber ein geistiges Band hält ihn in stetem engen Zusammenhang mit diesem Lande seiner Väter. Seine Gedanken, seine Wiinsche, seine Phantasie, sie alle finden ihren Mittelpunkt in dem Berge Zion und in der Tempelburg. Anders verhält es sich, wie wir oben anzudeuten nicht minder schon Gelegenheit gefunden, mit den Israeliten ini Westen Europas. Die Kenntniß der Sprache und Litteratur unseres Volkes ist dort beschränkt auf Berufskreise, denen Amt und Stellung eine Beschäftigung mit ihnen nahe legen. Sonst besteht in dieser Hinsicht ein Laienstand, der die Sprache seiner Väter nicht mehr kennt, und den darum auch die Werthschätzung für das verloren gegangen ist, was für Jene den Hauptinhalt ihres geistigen Lebens musmacht. Der west­europäische Jude versteht nicht mehr hebräisch und denkt nicht mehr jüdisch. Er sieht in Palästina nur ein Land der Verödung und der Verwüstung, durchzogen von Horden räuberischer Beduinen, bedrückt von türkischer Mißherrschaft, er sieht um es mit einem Worte zu sagen das heutige, sein östlicher Glaubensgenosse sieht das frühere Palästina. Und noch eins! Im Westen hat sich unverkennbar in reli­giösen Anschauungen eine freisinnige Richtung Bahn gebrochen, welche das jüdische Ritualgesetz nur mehr als eine culturhistorische Reminiscenz zu schätzen vermag. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint der Berg Zion dem Juden nicht heiliger, nicht ehrwürdiger, als etwa die Akropolis von Athen, beide sind ihm Stätten, an denen dereinst eine hohe Crlltur geblüht hat, sie sind ihm aber beide auch nichts weiter. In dem Cultus, den der orthoxe Jude mit den Stätten der Erinnerung im heiligen Lande treibt, sieht der aufgeklärte Jude des Westens nichts weiter, als eine Rückkehr zu Zeiten kindlich naiven Glaubens, dessen er längst nicht mehr fähig ist. Der Wiederaufbau des Tempels, der sehnsüchtigste Wunsch des orthodoxen Juden ist ihm ein Rückschritt zu längst überholten Zu­ständen, und die Folge davon ist eben die, daß ihm nicht nur jede Sympathie für das heilige Land fehlt, sondern daß er sogar volle Anti­pathie gegen Alles empfindet, was mit Palästina zusammenhängt. Mit solchen Gefühlen läßt sich nicht rechten, gegen sie läßt sich nicht ankämpsen mit Gründen der Vernunft. Der Slave haßt den Germanen, und' ein braver Deutscher mag keinen Franzmann leiden. Der Antisemit haßt den Juden, warum soll der freisinnige Jude seinerseits nun nicht auch ein Object seines Hasses haben? Seine Abneigung richtet sich gegen Palästina. Er spricht von einer Mißwirthschaft, welche die Türken­herrschaft dort hervorgerufen. Gewiß, wir wollen das Vorhandensein