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solcher Uebelstände nicht bestreiten, aber wie steht es denn mit Chile, mit Argentinien und anderen südamerikanischen „Culturstaaten", die sonst als Zielpunkte der Colonisation ins Auge gefaßt werden? Im klebrigen vergißt man, daß nachweislich die inneren Zustände der Türkei sich stetig bessern, und daß namentlich die Verhältnisse in Palästina sich ganz enorm gehoben haben, seit man dort mit Colonisationsversuchen begonnen hat. Dabei lassen wir ganz außer Betracht, daß das große Czarenreich, dessen Zugehörigkeit zum cwilisirten Europa man ja kaum bestreuen wird, daß diese europäische Großmacht an Beamtenwillkür, an Bedrückung der Unterthanen, an llebelständen aller Art wahrlich der Türkei weit überlegen ist. Und wer das räuberische Beamtenthum Rußlands kennen zu lernen Gelegenheit hatte, wie die russischen Juden, der braucht sich wahrlich vor einer Beduinenhorde nicht zu fiirchten, selbst wenn ihm — was wir übrigens durchaus bestreiten müssen — eine solche dort jemals in den Weg treten würde. All' das also, was in dieser Hinsicht von den Gegnern einer Colonisation Palästinas an Argumenten ins Feld geführt wird, besteht entweder nur in ihrer Phantasie, oder es ist in mindestens gleichem, wenn nicht höherem Maße auch anderweitig vorhanden.
Man stellt aber dem von uns befürworteten Projecre auch andere Einwendungen entgegen, die aus den ökonomischen Verhältnissen abgeleitet werden. Jene alte, von der Bibel so verpönte Frage „was sollen wir essen?" taucht da wieder in ihrer ganzen Schwere auf. Sie gilt nicht allein für das Säbbathjähr, das aller Landwirthschafl ein Hälr zurust, sie trifft auch für die übrige Zeit zu. Das Land ist gegenwärtig öde und verlassen, und seine wirthschaftlichen Mittel sind nur zu gering. Die Bauern in Palästina gehören zu den Aermsten unter den Armen, die städtische Bevölkerung nagt beständig am Hungertuche, und die Juden außerhalb Palästinas sind es schon längst gewöhnt, daß ihre Glaubensgenossen im heiligen Lande ihrer Unterstützung bedürfen, um das Dasein zv fristen. Was kann unter solchen Umständen das Schicksal neuer jüdischer Einwanderer sein, zumal, wenn sie in großen Schaaren nach Palästina ziehen? Die Beantwortung dieser Frage soll uns in Folgendem beschäftigen.
II
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Die Quellen, aus denen der Mensch seinen Lebensunterhalt schöpft, lassen sich, wirthschaftlich betrachtet, auf vier Hauptquellen zuriicksühren. diese sind: der Handel, das Handwerk, die Industrie und die Landwirth- schaft. Es giebt keinen nützlichen Erwerbszweig am viel geästeten Baum des Lebens, der nicht aus einer dieser Hauptwurzeln stammt. Von diesen vier Nahrungsquellen müssen, was das heutige Palästina anlangt, von vornherein zwei ausgeschieden werden. Der Handel in Palästina nämlich ist gegenwärtig, wie ja allbekannt, nur wenig entwickele, bewerthete sich doch Ein- und Ausfuhr im Jahre 1885 im Ganzen auf nur acht Millionen Mark. Was von commerciellen Verkehr in Palästina überhaupt