wesen were, und hette solche Lolpell und knebel gesehen den Christenglauben regiren und leren, so were ich ehe ein saw worden denn eyn Christen". Er fügt dann in ruhigerem Tone hinzu: „Und wenn wyr gleych uns rhumen, so sind wir dennoch Heyden, und die Inden von dem geblutt Christi; wyr sind schweger und frembdling, sie sind blutfreund, Vetter und Bruder unsers Hern. Darumb wenn man sich des Blutes und fleysches rhumen soll, so gehören die Juden Christi neher zu denn wyr".
Wer hätte gedacht, daß in unfern Tagen, im neunzehnten Jahrhundert, — Hund er t Jahre nach dem Todestage eines Lessing! — es noch nötig wäre, an diese Schrift Luthers zu erinnern! Und wie sehr ist es nötig!
Vor einigen Jahren noch, als jenes erste Wort des deutschen Kronprinzen die Runde machte, wollte es scheinen, daß es mit der „antisemitischen" Agitation zu Ende gehe; es war eine Täuschung. Wir mußten es erleben, daß im Gegenteil im Laufe der Jahre sie an Stärke und Ausdehnung zunahm, daß die von Marr und Stöcker und Treitschke gesäte Giftsaat, anstatt zu ersticken, in wilde Halme aufschoß, und daß sie als eine ihrer letzten, reifsten Früchte jene Petition zu Tage förderte, welche unter unfern Augen wie ein Gespenst am hellen Tage umgieng, und nicht Geringeres bezweckte, als unfern jüdischen Mitbürgern die Rechte wieder 511 nehmen, die ihnen als „ewige Menschenrechte" in den Verfassungen aller zivilisierten Staaten garantiert find.
Das ist der alte Haß, der alte, echte, leibhaftige, mittelalterliche, psäffisch-christliche Judenhaß, den die Besseren von uns längst todt geglaubt, der aber, wie es jetzt sich zeigt, nur schein- todt war, und den die gegenwärtige soziale Not im Bunde mit der politischen und kirchlichen Reaktion, als ihren oft erprobten Helfershelfern, wieder ins Leben zurückgernfen hat. Die Wortführer dieser Agitation verwahren sich zwar gegen diesen Vorwurf, sie weisen es wenigstens aufs Entschiedenste von sich, daß ihrem Vorgehen irgend welche religiöse oder konfessionelle Gehässigkeit zu Grunde läge, daß Religionshaß mit im Spiele sei; aber es gibt noch einen andern Haß, einen noch viel verwerflicheren, das ist der Rassenhaß und daß dieser zum
66