I. Ein Freidenker unter den Antisemiten.

Der erste Angriff, um den es sich handelt, ist in dem Buche enthalten, welches im Jahre 1887 unter dem Titel erschien: Estlzeh. Die semitische Unmoral im Kampf wider Staat und Kirche, von C. Radenhausen." (Leipzig, Verlag von E. Thiele.)

Als der Zweck, den der Verfasser dieses Buches im Auge hat, wird in dem Vorwort desselben angegeben,die Licht- und Schattenseiten der zugelassenen Fremdlinge (womit in höchst frei­denkerischer Weise die Juden gemeint sind!) soweit nötig hervorzu­heben, um zur Aussöhnung und Rechtsgleichheit mitzuwirken".

Danach hatte sich der Verfasser eine Aufgabe gestellt, die zuversichtlich der Billigung und vollen Zustimmung eines jeden rechtlich denkenden Menschen sicher und gewiß wäre, und für die er auch auf die unsrige rechnen könnte. Denn wir haben niemals uns in der Weise ausgesprochen, als ob wir nur ein Auge für die Licht- und nicht auch für die Schattenseiten dieserzugelassenen Fremdlinge" hatten; wir haben im Gegenteil wiederholt und ohne jede Bemäntelung die letzteren zugestanden. Wir haben das aber gethan, ohne darüber die ersteren zu vergessen oder in den Hinter­grund zu stellen, und haben es gethan. ohne die Gesamtheit, ohne den Stamm oder die Rasse der Juden für diese Schatten­seiten eines Teiles ihrer Allgehörigen verantwortlich zu machen. Wir haben, und das ist das bei dieser ganzen Frage Entscheidende, wir haben stets darauf gedrungen, zu unterscheiden, was Einzelnen, und seien es möglicherweise noch so viele, mit vollem Recht zur Last gelegt werden darf und muß, und zwischen der Gesamtheit, d. h. zwischen dem Judentum als solchem, sei es als dieser besonderen, eigenartigen religiösen Genossenschaft, oder als dieser besonderen, eigenartigen Rasse. Wir haben aber ebenso auch darauf gedrungen und das ist das vielleicht noch mehr Entscheidende!, daß selbst die nicht zu leugnenden und nicht zu vertuschenden Schattenseiten vom Standpunkt der geschichtlichen Gerechtigkeit eine ganz andere, eine viel mildere Beurteilung verdienen, als die so landläusig ober­flächliche, die ihnen zuteil wird.

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