Die Juden der Provinz Posen

und ihre Schicksale waren schon oft und gerade wieder in neuster Zeit Gegenstand der Untersuchung. Es erschien daher geboten, auf Grund eingehender Ermittlung diese Untersuchungen nuchzuprüfen und die wahren Gründe festzustellen, aus denen sich die Zahl der Juden in der Provinz ganz erheblich vermindert hat.

Aus dem Westen Deutschlands stammend, wo sie Jahrhunderte hindurch an­gesessen waren, Grund und Boden erworben hatten und vollständig deutsch geworden waren, sind sie infolge von religiösen Verfolgungen nach dem Osten ausgewandert. Hier haben sie unter slavischen Völkern ihre deutsche Sprache sich dauernd erhalten. Wenn auch diese Sprache mit einzelnen hebräischen, polnischen und russischen Worten und Lauten untermischt ist, so ist doch der Grundcharakter ihrer Sprache deutsch geblieben; ja die Juden haben sich das Idiom der früheren deutschen Heimat ihrer Vorfahren so erhalten, daß man an der Art ihrer Ausdrucksweise das deutsche Land und die deutsche Landschaft erkennen kann, aus der ihre Voreltern nach Polen und Rußland gewandert waren.

Als im Jahre 1793 x ) Preußen die Provinz Südpreußen einrichtete, bildeten die Juden dieses Landesteiles, zu dem die Provinz Posen gehörte, einen großen Teil der Bevölkerung und jedenfalls den größten Teil der Einwohner, die der deutschen Sprache mächtig waren und die sie dauernd auch für sich selbst im täglichen Leben zur Anwendung brachten. Die preußische Regierung hatte daher ein dringendes Interesse daran, die Verhältnisse der Juden näher kennen zu lernen und sie beauftragte den Kannnerkalkulator Zimmermann mit der Untersuchung der Ver­hältnisse. Zimmermanns Bericht ergab, daß zwar die meisten Juden in den Städten wohnten und der größte Teil bürgerliche Nahrung trieb, daß aber die Juden Hand­werker undin manchen Orten oft die einzigen" waren. Er sagt ferner:Einige treiben auch Ackerwirtschast und Viehzucht. Dieses Gewerbe ist in Siradien und Rawa, besonders aber in der Ukraine und Volhinien sehr gewöhnlich, so daß in ganzen Dörfern- und Distrikten 'ich jüdische Bauern befinden"; endlich berichtete er, daß die Juden zu Tagelöhnern, Handarbeitern und Fuhrleuten gebraucht werden. Dieser Zimmerinannsche Bericht bildete die Richtschnur, nach der später das Juden­wesen in Südpreußen gesetzlich geregelt wurde. Unter den Bedingungen aber, welche unterm 4. Juli 1793 für die Eheschließung der Juden des Bezirks aufgestellt wurden, lautete Punkt 5:

daß der auf dem platten Lande wohnende Jude.sich verbindlich

mache, sich in einer Stadt zu etablieren, worin bereits eine Judenschaft befindlich ist. Wohnt der heyrathende Jude hingegen in einer Stadt, so muß er sich reversieren, nie auf das platte Land zu ziehen."

Seitdem ist die Geschichte der Juden der Provinz Posen ein unausgesetzter, zäher Kampf um Erwerbung der Gleichberechtigung. Der Minister v. Voß, der auch sonst den Juden gegenüber Gerechtigkeit walten ließ und ihnen Wohlwollen zeigte, erkannte in seiner Verfügung vom 24. Januar. 1794 an, daßim ganzen genominen der Jude in Südpreußen ein kultivierterer Mensch als der Bürger in kleinen Städten

*). Der Netze-Distrikt kam schon 1772 an Preußen. Zn Anfang des 19. Jahrhunderts wurde sein südlicher Teil mit der Provinz Siidpreußen, 1815 der ganze Distrikt mit der Provinz (Grosz- Herzogtum) Posen vereinigt.