II. TEIL. DER JUEDISCHE NATIONALISMUS.
301
und milder werden. Soweit sich die Verhältnisse unter der jetzigen neueingewanderten jüdischen Bevölkerung Palästinas beurteilen lassen, fehlt es zwar nicht an Parteiungen und Reibungen, aber das Nationalitätsgefühl ist doch stark genug, um all diese Gegensätze zu überbrücken. Sogar der religiöse Gegensatz zwischen den „Frommen" und „Unfrommen", der in Osteuropa so scharf ist, hat in Palästina an Schärfe verloren und ist einer ziemlich weitgehenden Toleranz gewichen. Die Frommen sehen ein, daß auch die Unfrommen für das Judentum arbeiten und Juden bleiben wollen; das nimmt der Unfrömmigkeit den herben Beigeschmack, den sie in Europa hat, wo sie nur die Vorstufe zur völligen Abkehr vom Juden turne ist. Und die Unfrommen wiederum ehren in Palästina die jüdische Religion und ihre Symbole als ein Produkt des jüdischen Volksgeistes, und wenn sie die religiösen Gebräuche als überholt und veraltet nicht mehr selbst befolgen, so halten sie sich doch von jener verächtlichen Geringschätzung fern, mit welcher die aufgeklärten Juden in Europa ihre Aufklärung dokumentieren zu müssen glauben.
g) Die Aussichten des Zionismus.
Man mag die Schwierigkeiten, die sich einer Konzentration von Juden in Palästina entgegenstellen, geringer oder größer einschätzen, unüberwindlich erscheinen sie nicht. Die vielen Juden, die das zionistische Ziel für unausführbar, für utopisch halten, sind mit diesem Urteil noch leichtfertiger als jene Zionisten, die die Verwirklichung bereits als nahe bevorstehend ansehen, wenn irgendwo in Palästina eine neue Kolonie gegründet wird. Die Wahrheit ist: das Ziel des Zionismus, die Bildung einer kohärenten jüdischen Bevölkerung in Palästina mit der Landwirtschaft als ökonomischer Grundlage und dem Hebräischen als nationaler Sprache ist zwar sehr schwierig,