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Auslegung neben der anderen, wörtlichen, zugelassen werde, so haben wir hier darüber nicht zu rechten, es mag jedem freistehen, in den verschiedenen Krankheitsformeil ebenso viele Arten von Lastern zu sehen, aber diese Deutung für die allein zulässige auszugeben, widerspricht so sehr dem klaren Wortlaut, daß man darüber nicht viel Worte zu machen braucht. Der Fall liegt hier ähnlich wie mit dem Hohenliede. Dieses hat man seit den frühesten Zeiten als ein Wechselgespräch zwischen der Gemeinde und Gott aufgefaßt und es infolgedessen in den Bibelkanon aufgenommen. Diese Auffassung von Synagoge und Kirche kann aber nicht hindern, daß der Archäologe sich für verpflichtet hält, zunächst die Bilder, d. h. den Wechselgesang des Hirtenliebespaares zu verstehen.
II.
Es handelt sich bei der 9 araath um eine Erkrankung, deren Unterscheidungsmerkmale von anderen, harmlosen Zuständen auf der äußeren Haut sich bemerkbar machen und die man für die Umgebung für so gefährlich hielt, daß man den damit Behafteten vollkommen aus der Gesellschaft der Gesunden verwies. Der Kranke ist dabei nicht bettlägerig — sonst würde man den Priester wohl zu ihm geschickt haben, so gut wie in das verseuchte Haus —, es giebt veraltete Formen des Leidens, die Krankheit verläuft also chronisch. Von chronisch verlaufenden Hautleiden, die man so sehr zu fürchten wohl gute Gründe hatte, kommen eigentlich nur zwei in Betracht: die Lepra und die Syphilis. Gegen die Annahme der letzteren spricht ein Symptom, das mehrfach hervorgehoben wird: das Weißwerden der Haare in der befallenen Hautstelle. Auch sonst paßt die ganze Beschreibung wenig zu dem Bilde eines syphilitischen Ausschlags, ganz abgesehen davon, daß von den zahlreichen anderen Erscheinungen der Syphilis, besonders den Primäraffecten, kein Wort erwähnt wird. Somit stimmen wir der Meinung, die bis vor einigen Jahrzehnten fast alle Forscher vertraten, zu, daß unter (jaraath der Aussatz zu verstehen sei.
Daß dieser Beweis alles andere als zwingend ist, gebe ich ohne Weiteres zu; denn es ist nicht zu beweisen, daß nicht auch Träger von irgend welchen Hautkrankheiten, die nach unserer Auffassung harmloser Natur sind, isolirt wurden. Denn aus welchen Erwägungen die Verweisung aus dem Lager erfolgte, sagt die Bibel ja gar nicht; wir nehmen nur an, daß es die Furcht vor Uebertragung war, weil wir heute keinen anderen Grund zur Abschließung eines körperlich Kranken mehr anerkennen, aber daß das „unrein“ der Bibel wirklich = „ansteckend“ ist und nicht die Bedeutung des ethisch- resp. ästhetisch-Widerwärtigen oder sonst einen Sinn hat, ist und bleibt doch nur eine Vermutung. Will man also mit Kazenelson-Sack 3 ) in der 9 araath eine
8 ) Virchow’s Archiv, 1896, S. 201.