„arisch" ist vielleicht nur eine Terminologie für die von Spengler so meisterhaft herausgearbeiteten Gegensätze von Stadt und Land. Hier unstillbare Sehnsucht nach dem auf ewig verlorengegangenen Paradies des Volksliedes, Tendenzen nach Wiedererweckung alter Musik, Versuche zur Schaffung einer Hausmusik, bei der die alten Dilettanteninstrumente Laute, Gitarre und Mandoline zu Ehren kommen sollen, kurz Dilettantisierung des Musikbetriebes — dort raffinierteste Vervollkommnung der Technik in Komposition, Orchester und Theater, aber gleichzeitig Shimmy und Foxtrott.
Wollte man schließlich dem jüdischen Einfluß im modernen Musik- be trieb nachspüren, so stünde man vor allem vor der Tatsache, daß in erster Linie die rezeptive Seite der Musik, die Musik als Erlebnis durch den jüdischen Einfluß in neue Bahnen gelenkt wurde. Während im 17. und 18. Jahrhundert die häusliche Musikübung, später die genossenschaftliche Organisierung des Musikbetriebes im Vordergrund steht, Ist es zweifellos, daß der gegenwärtige Konzert- und Theaterbetrieb nach den Prinzipien des auf der raffinierten Geld- und Kreditwirtschaft beruhenden Reklame- und Propagandawesens geregelt ist, ein Umstand, der beträchtlich zu jener Extensität des heutigen Konzertlebens führte, der mit Recht allseits beklagt wird. Die Blüte des Musikvereinswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die neben Edlem und Großem freilich auch Dilettantisches hervorbrachte — man denke an die späteren Niederungen des Liedertafelwesens — machte einem auf kapitalistischer Grundlage ruhenden Unternehmertum Platz; die Einrichtung der Konzertdirektionen und Konzertagentnren ist zweifellos jüdischem Einflüsse zuzurechnen. Und auch hier läßt sich der obenerwähnte Gegensatz jüdisch —arisch, Stadt — Provinz verfolgen, wenn man sieht, wie gelegentlich verzweifelte Anstrengungen gemacht werden, das Unternehmerprinzip durch das Genossenschaftsprinzip zu ersetzen?) Bedenkt man ferner, daß der erschreckende Zudrang zur „Künstlerlaufbahn", der die Überproduktion,
9 Vgl. hierzu die Reforuworschläge des Leipziger Musikkritikers Adolf Aber (Lpz. Neueste Nachrichten, Febr. 1923).
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