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zündet werden, um den Geruch des verbrannten Opferfteisches zu vertilgen. Gin an einer Leiche Verunreinigter durfte nicht das Heiligthnm betreten, damit er nicht von der Leiche weg Miasmen in die öffentliche Versammlung bringe; ein Aussätziger mutzte nur wegen Gefahr der Ansteckung vor der Stadt wohnen; die Gelübde der Frau konnten vom Gatten gelost werden, weil Frauen sehr leicht ihr ganzes Vermögen zn priesterlichen Zwecken geloben. Die Speisegesetze wurden geboten, weil die Nahrung einen großen Einslutz ans Herz und Geist nimmt.*)
Einen gefährlich Erkrankten wird derName verändert, damiterauch nachher, wenn er gesund wird, immer in Erinnerung behält, das; er einmal dem Tode nahe war und durch die Gnade Gottes gerettet wurde.**)
Wenn es nicht gut gelingt, ein Gebot vernunftgemäß zu erklären, wie z. B. die Vorschriften von der rothen Kuh, wie das Verbot Wolle und Leinen zu einem Kleidungsstücke zu verarbeiten, so trügt nicht das Gebot die Schuld, sondern das mangelnde Verständnis;. Ter Nationalist tritt daher ein für Bildung, Aufklärung und die Wissenschaft als Mittet, die Vernunft zu erweitern, das Verständnis; der Bibel und Tradition zu vergrößern.
Aus diese Weise kämpft der Rationalismus gegen die Reform und gegen den Unglauben. — Was wollt ihr? Ihr haltet das eine oder das andere mit der Vernunft im Widerspruche? Das liegt nur an euerem Mangel an Verständnis;. Ihr glaubt Religion und. Wissenschaft seien einander entgegengesetzt? Das ist nicht wahr! Religion und Wissenschaft sind eins: beide sind höchste Vernunft. Eine vollkommene Wissenschaft müsste zu denjenigen Resultaten führen, die in der Religion offenbart sind.
In der Praxis hält es der Rationalist mit der Orthodoxie. Er giebt keine der biblischen oder traditionellen Vorschriften auf, wenn auch seine Begründung eine andere ist. Die Orthodoxie kümmert sich nicht um die ratio der Vorschriften. Was von Gott vorgeschrieben ist, muß befolgt werden, selbst wenn es dem kurzsichtigen Menschen noch so widersinnig erscheint. Der Mensch kann gar nicht die Ratio der Gebote ergründen, denn „Gottes Gedanken sind nicht euere Gedanken, euere Wege, ein Ziel zu erreichen, sind nicht Gottes Wege". Was in den Gottesbüchern erzählt wird, muß geglaubt werden, wenn es noch so unglaubhaft erscheint, denn bei Gott ist alles möglich, und es giebt keinen bessern Wahrheitsbeweis für die Erzählungen in der Bibel, als datz sie in dte Bibel ausgenommen wurden.
*) Diesen Grund läßt sogar der orthodoxe R- S. Hirsch gelten und geräth eigentlich dadurch mit sich selbst in Widerspruch.
**j So deutet es mein Bruder, der wie gewöhnlich die der Philosophie beflissenen conservativen Theologen sehr zum Rationalismus hinneigt.