III.
Die Reform
Was die heutige Reform anstrebt, ist schwer zu sagen: im allgemeinen ist jede Reform das Bestreben, jene Gebote, welche mit dem Zeitbewußtsein nicht in Einklang stehen, außer Cours zu setzen, und die Berechtigung der Reform liegt darin, daß die Befolgung einer Vorschrift, deren Entstehungsmotive wegfielen, deren Zweck ferner nicht ersichtlich ist, nur mechanische Werkheiligkeit bedeutet, und daß ein solches Gebot als ein Zwang auf das Gewissen angesehen werden muß. So weiß die Reform recht bald, was sie nicht will; sie muß aber auch darüber schlüssig werden, was sic behalten will, und das ist ihr Ruin.
Unter Reform können wir nun zweierlei verstehen: entweder die Umänderung eines bestehenden Zustandes mit der Absicht, denselben auf einen vorhergegangenen zurückznführen, oder die Umänderung eines bestehenden Zustandes mit der Absicht, ihn modernen Anschauungen gemäß umzugestalten. Das erstere war der Fall bei den Sadducäern, die nichts weiter als den Pentateuch gelten lassen wollten, die da leugneten, daß die Erweiterung der Anschau- ungen im religiösen Fühlen einen Platz haben müsse. Saddneäcr und Pharisäer stritten herum, ob am Lanbhüttenfeste auch ein Wasseropfer darzubriugen sei. Die Frage an und für sich ist ja recht kleinlich und hätte schwerlich zur Revolte gegen den König Alexander Janäus Anlaß gegeben,*) wenn sie nicht ein Ausfluß eines principiellen, bis heute noch nicht gelösten Streites wäre, ob die Erweiterung der Anschauungen die religiöse Praxis und die religiösen Principien von Grund aus verändern dürfe. Nein! sagt der Reformer der ersten Art. Wir berufen uns auf die Bibel. Was dort steht ist Gesetz. Im Pentateuch finden wir nichts von Wasseropfern, ebenso finden wir dort nichts von der Auferstehung der Todten, verschont uns mit eurem Wust von neuen Regeln, neuen Geboten, neuen Vorschrifteil, ihr verfälschet die Thorah!
*) Josephus Alterthümer, XIII, 13,5 und Sukofch 48b.