IV.

Der Mystirismus.

Der Mystieismus ist die Sehnsucht nach steter, höherer Offenbarung.

In jedem Menschen ist ein metaphysisches Bedürfnis rege, denn jeder will über das Vorzeitliche und Nachzeitliche möglichst viel erfahren. Diesem metaphysischen Bedürfnis entspringen die Philosophie und die Religion. Beide sollen alle jene Fragen beantworten, die der menschliche Geist in drei Probleme untergebracht hat: Gott, Seele, Welt. Wären diese Fragen minder wichtig als sic es sind, so hätten sie die Menschen als schätzbares Material für eine zukünftige Zeit der Forschung bei Seite geschoben, in der alle dringenden Fragen schon gelöst sein werden, wie die Frage nach der Bewohnbarkeit des Mondes bis jetzt noch kein Kopf­zerbrechen gemacht hat. Es ist aber vom scheinbar höchsten Interesse für den Menschen zu wissen, was mit ihm nach seinem Tode geschehen wird; ganz anders würde er, wie er meint, sein Leben cinrichten, wenn es mit dem Tode gänzlich anfhörte, ganz anders, wenn diese Welt nur eine Vorhalle zu jener ist; daher die Kraft des metaphysischen Bedürfnisses, das nach Stillung sucht. Man muss eine Antwort auf diese Frage erhalten, sei sie theoretisch noch so unhaltbar, das practischc Bedürfnis ist taub den theoretischen Bedenken gegenüber. Weil das metaphysische Bedürfniss das größte ist, wird es auch am leichtesten gestillt, denn wenn der Durst sehr- groß ist, so trinkt man jedes Wasser.*) Fast jedes philosophische System, fast jede Religion ist eine Zeit lang geeignet genug, das metaphysische Bedürfnis zu stillen. Dann zeigt sich ein philo­sophisches System in Folge neuer Anschauungen unhaltbar, gleich darauf entsteht ein anderes. Kant beweist die Unzulänglichkeit der

*) Damit ist die Fratze Schopenhauers erledigt, der sich darüber wundert, dass das metaphysische Bedürfniss am leichtesten gestillt werden kann.