Msdie Sozialpolitik.
Von Rechtsanwalt D r. Georg Baum- Berlin.
Wenn ich über jüdische Sozialpolitik zu Ihnen spreche, muß ich zuerst eine Begriffsbestimmung geben. Sozialpolitik ist ein Teil der Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftspolitik beschäftigt sich mit der Regelung des Verhältnisses der Einzelwirtschaften und ihrer Beziehungen untereinander im Rahmen einer staatlichen Gemeinschaft. Die Sozialpolitik behandelt das Verhältnis des einzelnen Menschen oder bestimmter Gruppen von Menschen innerhalb der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Ihre Hauptforderung ist dabei die Anerkennung des Vorrechtes des lebenden Menschen vor den Sachgütern, die Anerkennung des Satzes, daß der Mensch wichtiger ist als sein Vermögen.
Ist jüdische Sozialpolitik möglich, nötig und erwünscht? Da die Wirtschaftspolitik und mit ihr die Sozialpolitik von einer bestimmten staatlichen Organisation ausgehen, kann ich die Frage nur von unseren deutschen Verhältnissen aus unserer deutschen Wirtschaft heraus beantworten. Es ergibt sich daher die Vorfrage: Sind die Juden in Deutschland eine besondere Schicht und als solche Gegenstand besonderer wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen? Ich möchte es bejahen. Auch wer für die Gegenwart und für Deutschland sich nicht zum Gedanken eines jüdischen Volkes bekennt, muß doch anerkennen, daß das, was Eigenart und Wesen des deutschen Juden ausmacht, sich nicht in der Religion erschöpft. Wie die Dinge nun einmal liegen, sind es für die meisten nur drei Tage im Jahr und vier Marksteine im Leben, an welchem die Religion zu ihrem Rechte kommt. Im übrigen bildet sie besonders für den überwiegenden Teil der Großstadtjuden leider nur das äußere Bindeglied. Aufgebaut aber auf den Grundlagen dieser Religion und mit ihr verknüpft durch Ueberlicferting, Tradition und dje historische