ßß Präsident: Ich richte an. die Königliche Staatsregierung die Frage, ob und . , wann sie die Interpellation zu beantworten gedenkt? V ^ V; .. : ;O v : Vizepräsident des Staatsministeriums Graf zu Stolberg-Wernigerode: Die? ' Staatsregierung ist bereit, die Interpellation sofort zu beantworten... Präsident: Dann ertheile ich das Wort zur Begründung seiner Interpellation dem Abgeordneten vr. Hänel. ' Abgeordneter vr. Hänel: Meine Herren! Im Jahre 1878 — es waren gerade ' 100 Jahre, nachdem Lessing seinen Nathan den, Weisen geschrieben (Lachen rechts) — - ich betrachte Gotthold Ephraim Lessing und sein Werk Nathan den Weisen allerdings noch Heute als eine der stolzesten Zierden unserer klassischen Literatur — es war also im Jahre 1878, als sich hier in Berlin der europäische Kongreß versammelte, dessen Verhandlungen zu dem Vertrage vom 13. Juli führten. In diesem Vertrage haben vier ‘ Staaten, Bulgarien, Serbien, Montenegro und Rumänien die Aufnahme in die euro¬ päische Völkerrechtsgemeinschaft gefunden, nicht ohne Bedingungen. Unter den Bedingungen, welche ihnen der europäische Kongreß für diese Aufnahme in die europäische Völker-, rechtsgemeinschaft stellte, befand sich übereinstimmend für alle diese Staaten folgende Klausel: v„Es darf der Unterschied des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse Nie¬ mandem gegenüber geltend gemacht werden als ein Grund der Ausschließung oder der Unfähigkeit bezüglich des Genusies der bürgerlichen Rechte, der Zu¬ lassung zu öffentlichen Diensten, Aemtern und Ehren oder der Ausübung der verschiedenen Berufs- und Gewerbszweige, an welchen Orten es auch sei/ Meine Herren, diese Klausel war von höchster Bedeutung selbstverständlich für alle Konfessionen. (Rufe im Centrum: Mit Ausnahme der Katholiken!) Für alle Konfessionen (Unruhe rechts) war diese Klausel des europäischen Vertrages bestimmt! (Rufe rechts und im Centrum: nur für die Juden!) Richtig, Sie sagen: nur für die Juden. Es ist richtig, den nächsten Anlaß aller¬ dings gab, weil man das Prinzip für die verschiedenen christlichen Konfessionen für un¬ antastbar hielt (Aha! im Centrum) die Lage der Juden in diesen verschiedenen Ländern. Daß dies der Fall sei, daß gerade die jüdische Frage es war, die der Kongreß in dieser Klausel lösen wollte, das ergeben die Protokolle, die vor wir liegen. Die Frage der vollen Parität der jüdischen Bevölkerung in jenen Landestheilen, sie ist zur Kontestation auf diesen Kongreß gekommen, zuerst für Serbien. Frankreich machte den entsprechenden Vorschlag für die Formel, die ich Ihnen vorgelesen habe. Im achten Protokoll sind die Verhandlungen verzeichnet. Es ^war der Fürst Gortschakoff, der zwar vollkommen aner¬ kannte, daß die religiöse Freiheit gewahrt sein müffe, der sich aber mit Entschiedenheit dagegen erklärte, die Konsequenz der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Gleichberechtigung zu ziehen, und er exemplifizirte für seinen Standpunkt auf die traurige Lage der Israeliten in jenen Ländern, sowie in einzelnen Landestheilen Rußlands. Meine Herren, es war der Fürst Bismarck, der ihm antwortete und der ihm die Bemerkung entgegen¬ hielt, ob nicht vielleicht der traurige Zustand der Juden in jenen Ländern gerade dadurch herbeigeführt worden sei, daß sie von der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Gleich¬ berechtigung fern gehalten seien. Die Klausel wurde für Serbien angenommen. Die Kontestationen erneuerten sich in Bezug aus Rumänien, wie Sie wiffen, einem Lande, wo die Judenfrage nach dem Prozentverhältniß der dortigen Bevölkerung ganz besonders schwer lag und auch darum schwer lag, weil nach dem bisherigen Stande der Legislation daselbst die Judenschaft einfach als Fremde, als Ausländer behandelt worden war. Das zehnte Protokoll bringt uns die Verhandlung. Es war wiederum der französische Be¬ vollmächtigte, Herr Maddington, der die betreffende Klausel vertheidigte. Er erörterte die Schwierigkeiten, stellte aber fest, daß nur durch volle Emanzipation die Assimilation- der Juden an die einheimi W - Bevölkernng bewirkt könne, daß Rumänien, wenn 52 / hjlx r L Stadtbibliothek IBISIFUBT AM |