Einleitung

IX

Seite der Lorscher Litanei ein Schatz- und Bücherverzeichnis der Kirche zu Frankfurt ein. Dieser Titulus thesauri qcclesiq ad Frankovuort, ein sechzehn- zeiliger Eintrag von ziemlich grober karolingischer Hand, ist in dreifacher Hinsicht bedeutsam: wir besitzen in ihm eines der ältesten Frankfurter Schrift­zeugnisse; er ist der älteste Frankfurter Bibliothekskatalog und zugleich das einzige Bücherverzeichnis des Salvatorstifts; und er erweist schließlich den Text­träger, eben den Lorscher Rotulus, als das älteste erhaltene Buchdenkmal, das wir mit Sicherheit der Stiftsbibliothek zurechnen können.

Der Katalog selbst 5 gewährt allem Anschein nach keinen Blick auf den ge­samten Buchbesitz des Stifts im 11. Jahrhundert. Er ist Bestandteil des Schatz­verzeichnisses und deshalb wohl kein vollständiges Bibliotheksinventar, sondern eine Auswahlliste, die nur die als besonders kostbar geltenden Bücher und Hilfs­mittel für den gottesdienstlichen Gebrauch aufführt. Genannt werden insgesamt 19 Bände: zwei Plenarien, zwei Meßbücher, eine Evangelienhandschrift, ein Lektionar, zwei Graduale-Handschriften, zwei Antiphonare, ein Homiliar, ein Psalter. Diesen liturgischen Büchern schließen sich fünf Handschriften mit Teilen des Bibeltextes sowie zwei Passionale-Handschriften an Werke, die als Quel­len des Lesegutes für die gottesdienstliche Praxis unentbehrlich waren. Von den Büchern, die der Titulus thesauri nennt, ist heute keines mehr mit hinreichender Sicherheit im Frankfurter Bestand nachweisbar 6 .

Handschriften des 11. und 12. Jahrhunderts sind in vergleichsweise größerer Zahl erhalten. Sie könnten das Bild des Buchbesitzes, so wie es sich nach dem Verzeichnis des 11. Jahrhunderts darstellt, ergänzen, ließen sie sich als zeitge­nössische Erwerbungen erweisen. Dieser Nachweis ist jedoch kaum zu führen. Noch viel weniger ist es statthaft, aus der Tatsache ihrer (späteren) Aufbewahrung in Frankfurt zu schließen, sie seien das Werk Frankfurter Schreiber und Buch­maler. Die ortsgeschichtliche Forschung ist dieser Versuchung leider mehrfach erlegen. Bei aller gebotenen Vorsicht darf man indessen als wahrscheinlich be­trachten, daß wenigstens der Faszikel mit der Predigt Bernhards von Clairvaux in Ms. Barth. 137 (habitus in capitulo nostro) in Frankfurt beheimatet ist. Da­gegen läßt sich das Guda-Homiliar (Ms. Barth. 42) nicht für Frankfurt in An­spruch nehmen; der Ruhm, die erste namentlich bekannte Buchschreiberin und Buchmalerin Frankfurts zu sein, muß der Nonne, die sich im Selbstbildnis dar­gestellt hat, vorenthalten bleiben. Vielmehr gehört dieses Homiliar gemeinsam mit anderen Homiliaren, dem Missale Ms. Barth. 118, vielleicht auch mit dem Arator-Prosper-Kodex (Ms. Barth. 139) und dem Dekret des Burchard von Worms (Ms. Barth. 50) zu einer Gruppe spätromanischer Handschriften, für die sich nicht unmittelbar Frankfurter, wohl aber mittelrheinische oder westdeutsche Provenienz sicherstellen läßt. Einzelne süddeutsche Importe treten zu diesen Er-

5 Textabdruck: Archiv f. Frankfurts Geschichte u. Kunst 53 (1973) 24.

8 Am ehesten ist noch an das Missale Ms. Barth. 118 zu denken. Der Fuldaer Psalter fand erst später nach Frankfurt.