I. Kapitel.
Tatsachen und Fragen.
I. Jede Arbeit, die den Anspruch erhebt, wesentlich zu sein, soll das Motto ihres Bedeutungswillens auf der Stirn tragen.
Die Ergebnisse der DIAFE X nehmen in jedem Sinne die eigentliche Schlüsselstellung im Gesamtbau der bisherigen jungen kulturmorphologischen Feldforschung ein. Rein äußerlich betrachtet, tritt dieses schon darin zutage, daß bei Beginn der „Expedition“ die Grundzüge der neuen Einstellung noch zu den Zielsetzungen ihrer Zeit im Widerspruch standen, nach deren Abschluß aber, wenn auch zunächst noch unsichtbar, die ihnen zukommende Spitzenstellung einnahmen. Es will das besagen, daß die in den 90 er Jahren in Erscheinung getretenen Keime in das Alter der Blüte gelangt waren. Dieses aber bedeutet in Anbetracht der gewaltigen im Ablauf dieses Menschenalters zutage getretenen Gegensätze, daß wir damit Geschehnisse erlebt haben, die, wie wohl keine anderen, selbst gleichzeitig ebenso Aktion wie Beweis sind. Gewaltigere Gegensätze sind kaum je der Menschheit zuteil geworden als zur Zeit dieses Wendepunktes. Eine Periode, in der die Sehnsucht der Vergangenheit in Erfüllung ging, mußte einer anderen Platz machen, in der die menschliche Seele eine größere Zukunft erahnte.
Zwei allgemeingültige Grundfragen waren es, die in den 90 er Jahren der jungen Kulturforschung Patendienste leisteten:
a) In Anbetracht der Tatsache, daß das Wirken der Sinne, des Geistes und der Seele jedes menschlichen Individuums, also aller Menschen, aller Nationen und aller Perioden bedingungslos verschiedenartig sein muß und ist, kann es keine größere Gefahr der Kulturbetrachtung geben, als die Selbstverständlichkeit , mit der jeder die eigene Einstellung allen anderen Kulturen und Menschen gegenüber automatisch zugrundelegt. Auslegen und Deuten muß als das eigenste, natürlichste und allgemeingültigste Bedürfnis des Menschen bezeichnet werden. Daher soll die erste Frage für jeden Kulturforscher lauten: Wie befreie ich mich von diesem Egozentrismus? Wie kann ich die Kulturenanderer Völker und Zeiten erlebnismäßig verstehen, ohne mich selbst einzuschalten? (Es wird gebeten, darauf zu achten, daß merkwürdigerweise kein einziger der alten Kulturtheoretiker diese wichtigste aller Fragen an die Spitze gestellt hat).
b) Die Arbeiten der 90er Jahre hatten erwiesen, daß die Kulturgeschichte einen Wandel von Stilformen aufweist, die untereinander in bedingtem Verhältnis stehen. Die Übersicht der durch historische Überlieferungen bekannten Tatsachen erlaubt die Annahme, daß das gesamte Kulturwerden als eine riesenhafte Einheit homogenen Gefüges die Bedingtheiten menschlichen Erlebens durch Räume und Zeiten darstellt. Wenn dem so ist, so muß es ein Postulat okzidentaler Geistigkeit sein, einen Weg zu finden, das gesamte Gefüge vorstellungsgemäß zu erforschen und zwar unter der Voraussetzung, daß es gelingt, die Bedingtheiten der menschlichen Erlebnisse, d. h. also die Geschichte der menschlichen Einstellung und der menschlichen Bewußtseinslage, faßbar zu
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