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Nr. 26

ROMANBEILAGE ZUKOLONIE UND HEIMAT

Jonny,der kühne Seefahrer. Von Eberhard v. Schkopp.

Sin Kameruner Erlebnis.

W er von den alten Kamerunern kennt Jonny nicht. Jonny, den gutmütigen Kumpan, der, nach seinem Gesichtsausdruck zu schliessen, an Gott und dem Gouverneur zu verzweifeln schien. Die Resignation war aufrichtig und tief, hatte er doch schon manches Jahr in Kamerun gelebt. Und wer in Kamerun lebt, lebt doppelt. Jonny war im allgemeinen wortkarg und insichgekehrt, doch konnte der festgeschlossene Mund auch beredte Worte finden. Aus seinen stahlgrauen Augen blitzte dann ein Feuer und eine Leidenschaft, die man dem vertrockneten Kerlchen gar nicht zugetraut hätte. Von den Erlebnissen seines entsagungs­reichen Daseins sprach er selten, besonders zu keinemGreenhorn, wie er die neu ange­kommenen Weissen drüben verächtlich nannte.

Es war im März zurZeit des Tornados. Drin­gende Geschäfte riefen mich nach Viktoria. Da kein Dampfer fuhr, für die nächsten Wochen auch keiner zu erwarten war, so liess ich das Boot zu der etwa 150 km langen Küstenfahrt kiar machen. Nach einigen Fährlichkeiten langte ich in Viktoria an, erledigte meine Angelegen­heiten und sass nun mit Jonny plaudernd beim Bier in dem primitiven Hotel Viktorias zu­sammen.

In dieser Zeit ist es gefährlich, im Boote über See zu fahren, meinte mein Gegenüber tadelnd.Gefährlich oder nicht, entgegnete ich,die Sache eilte, ich durfte keine Zeit ver­lieren.Keine Zeit verlieren, echote Jonny, Zeit! Auch so eine verrückte Neuerung. Hier hat jeder Mensch Zeit, und das genügend. Zeit hat der Neger, Zeit hat der Weisse und ver­dammt viel Zeit hat das Gouvernement. Denn hätte es keine Zeit, würde , nicht soviel von dem kostbaren Stoffe mit allen möglichen und unmöglichen Erlassen und Verordnungen ver­schwendet werden. Warum sollten Sie eine Ausnahme bilden und keine Zeit haben? Lassen Sie sich also raten: nehmen Sie sich Zeit, warten Sie, bis dc r ^i ;'fer kommt und fahren Sie mit ihm zurück. -T geht nicht, Jonny, ich muss morgen früh zurück.Hm, wie Sie wollen, man soll niemand zu seinem Glück zwingen. Wenn Sie aber der Satan in seinen Klauen hat, dann jammern Sie nicht! Glauben Sie mir, es wäre besser, Sie würden warten, bis der Dampfer kommt. Schütteln Sie nicht den Kopf, Sie könnten Ihre Ungeduld noch be­reuen, wie ich seinerzeit. Damals hatte ich auch nie Zeit, und wäre dabei um Haaresbreite auf die jämmerlichste Weise umgekommen. Aber wegen dieses bischen Haut und Knochen, damit wies Jonny auf seine ausgemergelte Ge­stalt,wollte der Teufel nicht cinspannen. Spielte die Geschichte gelegentlich der famosen ßootfahrt, von der sich die ganze Küste lachend erzählte?Ja, zum Lachen war es, aber mir war damals nicht lächerlich zu Mute. Erzählt, Jonny, forderte ich mein Gegenüber auf. In Gedanken versunken blickte der alte Küster ins Weite, als suche er in der Ver­gangenheit sich das Geschehene zu vergegen­wärtigen. Nach einer kleinen Weile begann er:

Vor einer Reihe von Jahren war ich in Duala. Meine Ansichten von Gott und der Welt, Gouvernement und Schwarzen waren die eines veritablen Greenhorns. Mit dem ganzen ungebrochenen Mute einer hoffnungsvollen Jugend schaffte ich hier draussen Und wenn in meiner Schaffensfreudigkeit auch eine Portion Egoismus lag, wenn ich danach strebte, Er­folge zu erringen, so trug ich doch mit meiner Arbeit einen bescheidenen Teil zum allgemeinen Nutzen bei. Von welch geringem Erfolge unsere Tätigkeit hier gekrönt wird, ist ja bekannt. Was nutzt es dem einzelnen, dass er in harter Arbeit und Entbehrungen mancherlei Art die besten Jahre seines Erdendaseins hier ver­bringt, dass er Leben und Gesundheit aufs Spiel setzt, was nutzt dies alles, wenn nicht das ganze Volk an den Kolonien Anteil nimmt! Doch ich will nicht politisieren und keine von den hundert hochmoralischen Geschichten er­zählen.

Also ich war in Duala und wollte nach Bibundi. Der kleine Kutter lag bereit. Gegen 5 Uhr abends begab ich mich an Bord und fuhr mit/der Ebbe den Fluss hinunter. Die Nacht hindurch sollte gesegelt werden,dann konnte ich am nächsten Morgen in Viktoria

sein. Einschiffung und Abfahrt verliefen glatt. Langsam unter eintönigem Gesang meiner Schwarzen zog der Kutter von dannen, Suel- Iaba zu.

Hallen Sie sich so, dass Sie stets auf Steuerbord Land haben, war der gute Rat meiner Freunde in Duala gewesen. In den hellen Nächten wir hatten Mondschein stets unter Land zu bleiben, und zwar so, dass es mir zur Rechten blieb, war weiter kein Kunststück. Zwar hatten einige erfahrene Leute mir geraten, die Fahrt in dieser Jahreszeit nicht bei Nacht zu unternehmen; denn es war die Zeit der Tornados. Allein ich lachte, wie Sie jetzt, über die wohlgemeinten Worte. Gegen zehn Uhr abends erreichte ich Suellaba und damit die offene See. Der Kutter nahm nörd­lichen Kurs, und von sanfter Brise getrieben, tänzelte er leicht und anmutig wie eine Ballerina über die Dünung dahin.

Es war eine wundervolle Nacht. Tiefer Friede überall. Die Erde schlief, nur ein leises Plätschern an den Schiffsplanken. Ueber mir wölbte sich das sternbesäte Himmelszelt, in dessen dunklen Tiefen sich das Auge verlor. Auf den Wassern glitzerten in tausend Re­flexen die kleinen Lichter der Nacht. Hinter dem Kutter im wallenden Kielwasser, wie ein zarter Schleier, leuchtete in geheimnisvollem Schimmer das Meer.

In schmalen dunklen Streifen hob sich in der Ferne auf Steuerbordseite das Land deut­lich ab; ich befand mich also in richtigem Kurs. Die sanft schaukelnden Bewegungen des Kutters und das monotone Plätschern des Wassers an den Planken übten eine ein­schläfernde Wirkung aus. Fest in die Lenden­tücher gehüllt, lagen die Schwarzen in male­rischer Unordnung und ihre tiefen Atemzüge zeigten, dass sie schliefen. Nur der Steuer­mann hockte wachend auf seinem Posten und wackelte stumpfsinnig wie ein Pagode mit dem Kopfe, ab und zu schläfrige Blicke nach rechts und links werfend

Was nutzten alle Ermahnungen, wach zu bleiben und aufzupassen, Morpheus umfing auch ihn bald. Und so schlief er ein, um von den schwarzen Schönen seiner Heimat zu träumen, von vollen Kochtöpfen, schmatzenden Lippen, wenig Arbeit, und wie er seinen Massa am tiefsten ärgern könnte.

Es blieb mir also nichts übrig, als das Steuer selbst zu führen und die Wache zu übernehmen.

Gegen Mitternacht flaute die Brise ab. Schlaff hing das Segel herunter, der Kutter lag still. Stunde auf Stunde verrann, ohne dass ich vorwärts kam. Es war bereits fünf Uhr morgens und noch immer kein Lufthauch. Missmutig weckte ich den Steuermann, dass er meinen Posten einnehme. So gut oder so schlecht es ging, leigte ich mich zum Schlafen nieder.

Wie lange ich geruht, weiss ich nicht, mir schien es nur wie ein Augenblick.Massa! Massa! Ich fuhr empor,Tornado live, da­mit wies der Steuermann mit ausgestrecktem Arm nach Osten, wo eine dunkle Wand dräuend am Morgenhimmel stand.

Das Ruder herum 1 Zögernd gehorchte der Schwarze. Und von dem Morgenwinde getrieben, segelte der Kutter direkt nach Westen. Schneller aber eilte der Tornado, Zu­sehens kam das Unwetter näher. Von Minute zu Minute schwoll der Donner an. Ein dumpfes Grollen, das mit jedem Augenblick drohender wurde. Grelle Blitze zuckten aus der schwarzen Wetterwand hernieder. Immer rascher folgten die einzelnen Strahlen einander. Sekunden­lang schien der ganze Himmel in riesiger Feuersbrunst aufzuflammen. Plötzlich, wie ab­geschnitten, setzte die leichte Brise aus. Schlaff hing die soeben noch geschwellte Leinwand herunter, kein Blitz leuchtete, kein Donner war vernehmbar. Die Ruhe vor dem Sturme.

Ruder hart Steuerbord, Segel herunter! Im Augenblick war der Befehl ausgeführt. Wussten doch die Schwarzen selbst nur zu gut, in welcher Gefahr wir uns befanden.

Kaum lagen wir bereit, das Uuabänderliche, wenn auch nicht bedingungslos, über uns er­gehen zu lassen, da, ein greller Feuerschein,

ein Bündel zuckender Blitze, vom Himmel zur Erde, von der Erde bis zum Himmel, begleitet von ohrenbetäubendem Donner, der die Sinne zu verwirren drohte. Das zischte und knatterte, das prasselte und krachte. Jetzt war er heran. Eine riesige Wassermasse stürzte auf uns her­nieder.

Ein furchtbarer Doppelschrei übertönte den Donner. Mir von der Seite gerissen ver­schwand ein Schwarzer in der Flut, mit ihm war auch der Steuermann durch die Wucht des Ansturmes über Bord gegangen. Gedanken­schnell stürzte ich auf das Ruder, doch der Kutter war bereits durch die Gewalt des Tornados herumgeworfen ohne zu kentern. Ein tiefer, befreiender Atemzug.

Ein gütiges Geschick hatte mich vor dem Schlimmsten bewahrt. Wohl raste der Sturm um uns in unverminderter Wut. Die nieder­gehenden Wassermassen schienen uns be­graben zu wollen, doch das Schwerste war überstanden So glaubte ich wenigstens; denn hatte der Kutter den ersten Anprall über­standen, so konnte ich hoffen.

Wir rasten mit dem Sturme dahin. Alles war grau in grau. Kaum eine Bootslänge weit reichte der Blick. Hätte ich wenigstens ge­wusst, welchen Kurs wir nahmen. Zum Glück lassen die niederstürzenden Wassermassen, eine Begleiterscheinung des Tornados, keine hohen Wellen aufkommen.

Einen Versuch zur Rettung der beiden über Bord Gespülten zu machen, wäre Wahnsinn gewesen, ich hätte nur das Leben der übrigen Schwarzen aufs Spiel gesetzt.

Mit vollem Körpergewicht lag ich auf dem Steuer, denn wäre es durch die Gewalt der Wellen herausgehoben worden, dann Gnade uns Gott. Es war eine Fahrt auf Leben und Tod. Wie lange sie gedauert, kann ich nicht sagen, alle meine Gedanken waren auf Rettung gerichtet.

Die Gewalt des Unwetters war gebrochen. Noch hielt ich das Steuer umklammert, aber auch meine Kräfte Wessen nach. Die un­geheure Anspannung, wie sie durch die Ereig­nisse hervorgerufen war, löste allgemein phy­sische Ermattung aus. Die Reaktion trat ein. Mit heiserer Stimme rief ich einen Schwarzen, das Steuer zu führen. Keines Gedankens mehr fähig, sank ich ermattet nieder.

So plötzlich wie der Tornado gekommen, so schnell verzog er sich auch. Wir waren gerettet, denn dort vor uns mit einem Strich nach Steuerbord tauchte Land auf.

Und jetzt kommt die grösste Dummheit meines Lebens, eine Dummheit, die mir später den ironischen Beinamender kühne See­fahrer eingetragen hat .Auf Ihrer Fahrt brau­chen Sie bloss darauf zu achten, dass Sie Land auf Steuerbordseite haben, ward mir vor meiner Abfahrt in Duala gesagt. Eingedenk des Ratschlages gab ich dem Kutter veränderte Richtung, liess das Segel setzen, und Land zur Rechten fuhren wir dahin.

Jetzt konnte ich mit einiger Sicherheit den versäumten Schlaf nachholen und von den über- slandenen Anstrengungen ausruhen.

Die Schwarzen erhielten ausführliche Ver- haltungsmassregeln, wenige Augenblicke später war ich entschlafen, die Natur forderte ihre Rechte.

Doch es war kein tiefer Schlaf der Erholung. Die Nervenanspannung der letzten Stunden wirkte nach. Noch einmal durchlebte ich im Traume die überstandenen Ereignisse.

Endlich erwachte ich in Schweiss gebadet.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Ihre versengenden Strahlen fielen erbarmungs­los auf uns herab. Nach den Aussagen der Schwarzen hatten wir Viktoria noch nicht passiert. Der Ort mit seiner weiten Bucht und den davor liegenden Inseln war meinen Leuten genau bekannt, und es war unmöglich, ihn übersehen zu haben. Wenn man den Aufent­halt in betracht zog, den wir auf der Fahrt erlitten hatten, so mussten wir uns dem Ziele der Reise nähern. Etwa zwei Seemeilen von Land entfernt, segelten wir dahin, noch zeigte sich Bibundi nicht.Wo befinden wir uns? Me, I no saby, massa, erklärte der neue Steuermann achselzuckend. Obwohl ich die