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Deutsche Rolonialzektnng.
Nr. 13
aus langjähriger Erfahrung kennen. Das beweist, daß in der Tat schwere Mißstände bestehen, die der schleunigen Abhilfe dringend bedürfen. Mehr aber beweisen vielleicht noch die Namen, die man unter dem Aufrufe vermißt. Denn keineswegs hat die Gesellschaft den Stein der Weifen gefunden, nach dem dre Kolonialverwaltungen seit Jahren suchen. Nicht vergeblich. Wir sind auf dem besten Wege. Die Arbeiterschutz- gesetzgebungech die in Ostafrika und Kamerun feit 1909 (in Südwestafrlka -seit 1911) in Wirksamkeit sind, gewähren den farbigen Arbeitern unter erheblicher Belastung der Arbeitgeber weitgehende Fürsorge. Eigene Beamte, die Eingeborenen-, Arbeiter- oder Distriktskommissare sind überall betraut worden mit der Aussicht und der Wahrung der Interessen der Farbigen. Selbst der „Vorwärts" erkennt deren segensreiche Wirkung an. Die notwendigen Grundlagen sind demzufolge überall vorhanden. Was fehlt, sind die Mittel zum A u s b a u des Schutzapparates. Die Anerkenntnis dieser Bestrebungen der Regierung und des bei den Pflanzungen fast überall vorhandenen Verständnisses dafür hätte die Voraussetzung der Aktion bilden müssen, wenn sie nicht bei der Herrschaft von Zentrum und Sozialdemokratie im Reichstage wie Oel aufs Feuer wirken sollte. So haben wir blinde Zornausbrüche erlebt, die die Pflanzungen als Ausbeutungsinstitute schlimm- ster Art erscheinen lassen, Herabsetzungen unserer kolonialen Tätigkeit, deren man sich vor dem Auslände schämen muß und die überhastete Annahme von Zahllosen Resolutionen, von denen eine immer wohlmeinender — aber auch zweckwidersprechender ist, als die andere. Wahrlich, kein würdiges Bild im 30. Jahre kolonialer Betätigung!
„Aus den Veröffentlichungen klingt ein erschütternder Notschrei über die Behandlung der Eingeborenen aus denPlan- tagen." — „Die Plantagen sind ein Fluch für die deutsche Kolonialpolitik. Das ganze System des Betruges der Eingeborenen in unseren Schutzgebieten muß sofort beseitigt werden." Man kann wohl annehmen, daß der größte Teil der Herren, die dem Ausschuß der Gesellschaft für Eingeborenenschutz beigetreten sind, mit uns empört ist über diese zweifellos unbeabsichtigten Wirkungen ihres Aufrufs und ihrer Eingaben an den Reichstag. Möge ihr Gerechtigkeitssinn und ihre Liebe zu den Kolonien sie das Mittel finden Lassen, die Geister wieder los zu werden, die sie riesen!
Die Erregung im Reichstage ist zurückzusühren auf Briete aus den Kolonien, die der christlich-soziale Abgeordnete Liz. Mumm in der Sitzung der Budgetkommission vom 18. Februar zur Verlesung brachte. Sie'stammen aus dem vorigen Jahre. Da trifft es sehr günstig, daß ein Hauptförderer der Gesellschaft für Eingeborenenschutz, der Bremer Großkaufmann und bekannte Negerfreund I. K. Vietor, der 1913 unsere afrikanischen Kolonien wieder bereist hat, gerade bei Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) ein Büchlein über die „Entwicklung unserer Schutzgebiete" hat erscheinen lassen, in dem wir die Grundgedanken der Gesellschaft bereits allesamt vorsinden. Das ist eine sehr interessante und lesenswerte Zusammenstellung von Erfahrungen, die Herr Vietor als junger Kaufmann 1884 in Togo, dann 1894, 1904 und 1913 auf Reisen, die ihn das letzte- mal auch über die Grenzen unseres kleinsten Schutzgebietes hinausführten, gemacht hat. Der Verfasser ist ein den Philanthropen gewiß unverdächtiger Zeuge: und er kann sich gar nicht genüg tun in Anerkennung des Segens, den wir den Eingeborenen'gebracht haben!
Wie waren nach Herrn Vietor die Zustände vor der Besitzergreifung?
' „Die Eingeborenen führten ein kümmerliches Dasein fast ohne Verkehr, da sie gewöhnlich mit den Nachbardörfern in uralter F e h d e lagen, in beständiger A n g st vor ihren Häuptlingen und Fetischpriestern. Da es keinen Verkehr gab. waren sie nicht g e w o h nt, ni e h r zu produzieren, als sie selbst g e - b r a uchten, und es trat sofort eine Hungersnot ein, wenn die Ernte einmal versagte. T a u f e n d e kamen i n s o l ch e n Zeile n i m I n n e r n u m. Sie litten an vielfachen K ra n k h e i t e n , besonders den Pocken, und oft genug habe ich auf meinen Reisen ganze Dörfer getroffen, die vollständig a u s g e st o r b e n oder verlassen waren. Die damalige Furchtsamkeit der Neger ist wohl zu verstehen. Das heutige Togogebiet ist früher von einem gewaltigen Urwalde bedeckt gewesen. Millionen fleißiger Hände haben ihn ab geholzt und an seine Stelle blühende Farmen gesetzt. Aber alle d iese Millionen Menschen sind v o m Erdbode n v c r - s ch wunden, getötet und in die Sklaverei geschlepp t."
Wie aber steht es jetzt in unseren Schutzgebieten?
„Wir dürfen heute wohl sagen, daß unsere deutsche Herrschaft unseren Eingeborenen großen Vorteil und Segen bringt" . 1« „Die Eingeborenen befinden sich in besserer Lebenslage, und von seiten der deutschen Regierung geschieht alles, was nur möglich ist, um die ansteckenden Krankheiten zu bekämpfen", ist das abschließende Urteil. Ja,
ein so warmherziger Missionssreund wie Herr Vietor trägt kein Bedenken, anzuerkennen: „Die Regierung mit ihrem großen Verwaltungsapparat und den gewaltigen Geldmitteln stellt alle äußeren Kulturleistungen der Mission heute in den Schatten."
Herr Vietor ist auch nicht einmal blind gegen alle Minderwertigkeiten der Negerrasse. „Die Neger sind im allgemeinen noch nicht imstande, selbständig Geschäfte zu leiten, und so oft der Versuch gemacht wurde, sind wir selbst immer dabei schlecht gefahren. Dagegen leisten die Neger heute schon ganz Ausgezeichnetes, wenn sie nur unter europäischer Kontrolle stehen."
Danach müßte Herr Vietor doch in gerader Linie zur Befürwortung des Plantagensystems kommen! Weit gefehlt. Mit größter Energie tritt er für das System der Eingeborenenkulturen ein. Auch hier, wie immer, wird uns die britische Goldküste als Ideal einer derartigen Kolonie hingestellt. „Man bekommt dort so recht einen Begriff davon," schreibt Herr Vietor, „warum die Kakaokultur, wo sie den klimatischen Verhältnissen entspricht, die Lieblingskultur der Neger geworden ist. Nur in den ersten drei bis vier Jahren erfordert die Pflanzung wirkliche Arbeit, indem das Land zwei- bis viermal, gereinigt werden muß (schon sehr wenig „wirkliche Arbeit"! Z.). Nachher bleibt eigentlich nur noch die wenig beschwerliche Arbeit des Erntens." Aehnlich ist es mit der Oel- palme. Ganze 10 Prozent der vorhandenen Bestände werden in Kamerun ausgenutzt, in Togo etwa 30; nicht weil diese Arbeit die Kraft der Bevölkerung erschöpft, sondern Lediglich, weil das Arbeitsbedürfnis des Negers mit wenigen halben Tagen in der Woche gedeckt ist. Dabei ist auch die „Palmenhalbkultur" des Negers nicht viel mehr als Spielerei. Würde dagegen der Boden rings um die Palme jährlich einigemal gründlich gejätet, so lieferte sie vier- bis fünffachen Ertrag. Eine Last Kerne oder eine halbe Last Oel wertet 6 Mark, das heißt ein Marktgang genügt für die Entrichtung der Steuer in Togo! Dabei könnte ein Neger, der nur einen mit Palmen bestandenen Hektar pflegte, jährlich eine Tonne Kerne und ebensoviel Oel, das heißt Ausfuhrwerte von 650 M liefern.
(Schluß folgt.) Regierungsrat Zache, Hamburg.
Oie Kolonialetats im Rausbaltungsausfcbufle des Reichstages. (Schluß.)
Die Budgetkommission des Reichstages nahm am 17. März dm
Etat f ü r K i a u t s ch o u in Beratung.
Zu Beginn der Debatte führte Staatssekretär Großadmiral v. Tirpitz aus, es sei von jeher unser hauptsächliches Bemühen gewesen, Kiautschou wirtschaftlich zu heben und unseren kuliurellen Verpflichtungen nachzukommen; im ganzen sei die Entwicklung schneller vorangegangen, als ursprünglich angenommen. Der Staatssekretär erläuterte im einzelnen die Fortschritte unseres Eisenbahnbaues in China, insbesondere die endliche Realisierung der beiden neuen Schän- tung-Bahnbauten und ihren Einfluß auf die Entwicklung des Schutzgebiets: er wies daraus hin, daß durch die verschiedenen Bahnanschlüsse Tsingtau so intensiv mit dem Innern Chinas verbunden werde, daß es ein nützliches Glied des chinesischen Wirtschaftslebens zu werden verspreche. Er machte dann eingehende Angaben über die beschlossene Errichtung eines Eisenwerkes tm Schutzgebiet; die Vorbedingungen dafür, Kohlen und Erze, seien quantitativ und qualitativ vorhanden. Die Kohle komme der Qualität nach der besten westfälischen Kohle
e itrib werde aus allen deutschen Kriegsschiffen in Ostasten gebrannt.
i sei die Qualität der tiefsten Schichten noch' nicht bekannt und voraussichtlich noch besser. Das Erzvorkommen in der Nähe des Kohlengebiets sei eine selten günstige Konstellation. Der Staatssekretär erörterte die Aussichten eines Hüttenwerks in Tsingtau und die Vorzüge der Schaffung einer solchen Anlage im Schutzgebiet selbst gegenüber einer Anlage im chinesischen Gebiet. Er nahm Bezug auf den in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" erschienenen Jahresüberblick und erläuterte einige Zahlen dieses Ueberblicks. Das Interesse für China sei auch' in deutschen Jndustriekreisen im Wachsen begriffen. Die Marineverwaltung sei dauernd bemüht, durch Aufklärungsarbeit das Interesse weiter anzuregen. Es gelte für die deutsche Industrie, die Zeit beim Schopfe zu fassen und es nicht dahin kommen zu lassen, daß die Zeit über uns hinweggehe. Schiffsverkehr und Einwohnerzahl hätten sehr erfreulich Zugenommen. Im allgemeinen scheine, wie gesagt, die Entwicklung des Schutzgebietes wirtschaftlich und kulturell schneller vor sich zu gehen, als ursprünglich vorauszusehen war. Schließlich betonte der Staatssekretär den. großen Wert der Hochschule in Tsingtau und der ganzen Schularbeit in China für das deutsche Ansehen und damit auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessen.
Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts Zimmerma n n sprach sich dahin aus, daß einer Verminderung oder Zurückziehung der in China stationierten 500 Mann deutscher Truppen nicht das Wort geredet werden könne. Es seien in der letzten Zeit zwar keine fremdenfeindlichen Ausschreitungen vorgekommen. Auch sei volles Vertrauen zu dem gegenwärtigen Präsidenten berechtigt. Doch beruhe das Vertrauen in die Haltbarkeit der Zustände wesentlich in seiner Person. Es sei bekannt, daß stark gegen ihn gearbeitet werde. Die Kuomintangpartei, die er medergeworfen habe, sei in zahlreichen