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XVII. Jaeger
Mein Leben war bis heute kein derartiges, wie es sogenannten Glückskindern zu teil zu werden pflegt, auch nicht entfernt annähernd. Von „Erfolgen“, wie sie jeder normale und rechtliche Mensch erstrebt und mit ordentlichen Mitteln gewöhnlich auch erreicht, kann ich leider blutwenig berichten. Wenn nun nach dem bekannten Satz: „Der Erfolg rechtfertigt die Tat“ mein bisheriges Leben als ein verfehltes bezeichnet werden muß, so wird man auch schnell bei der Hand sein, die Schuld dafür mir kurzweg allein aufzubürden. Dagegen aber verwahre ich mich ganz energisch. Obiger Satz ist grundfalsch. Sonst müßten diejenigen, die die Verurteilung Christi und dessen Tötung herbeiführten, hier also einen eklatanten „Erfolg“ hatten, auch „im Recht“ gewesen sein. Nicht der „Erfolg“ beweist die Rechtlichkeit des gesellschaftlichen Seins eines Menschen, und also umgekehrt: nicht die gesellschaftlichen Mißerfolge einer Persönlichkeit sind maßgebend für die Beurteilung des ureigenen individuellen Wertes. Jenen traurigen „Erfolg“ hätten die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht gehabt, wäre ihre „Umgebung“ ihrem Wollen nicht günstig gewesen. Und wiederum: manches wirklich gute Wollen scheitert am Charakter, am prinzipiellen "Widerstand seiner Umgebung. Also, haben wir im Dasein ein fatum, so heißt es „milieu“. Das zur Einleitung.
Einen „Lebenslauf“ habe ich schon einmal geschrieben. Das war in „Simonshof“, der unterfränkischen freiwilligen Arbeiterkolonie, woselbst ich Aufnahme suchte und fand. Jeder Kolonist muß seinen Lebenslauf schriftlich niederlegen, und so schrieb ich also: Dreißig Jahre bin ich alt, arm geboren. Schlichte Leute waren meine Eltern; schlicht, doch eben nicht verständig, nicht verständig in bezug auf Kinderzucht. So wuchs ich auf als ältestes von fünf Geschwistern. Die Schulzeit kam, die Zeit, wo heißest wogte der Kampf des Staates mit der Kirche. Kulturkampf wogen schlugen auch in unsere Schule; die Lehrer dachten freier als die Kirche; sie dachten nicht nur so, sie lehrten so. So herrschte also Zwietracht an der Stätte, wo alle Triebe junger Menschenseelen zum schönen Ganzen sich vereinen sollen. Bedauernswertes Kind, dessen Intellekt genug entwickelt, um hier die Gegensätze zu erkennen! Was dir hier werden mußte, war nimmermehr ein Ankergrund fürs Leben; es war Zweifelsucht, der Anfang der Verneinung. Usw.
Sie haben in diesen wenigen Sätzen bereits ein vollständiges Bild meiner ersten Jugend. Es ist da wenig nachzutragen.
„Arm geboren“ heist es oben. Nun vereinigen sich arm und ehrlich zwar ganz gut miteinander — theoretisch, — aber in der Praxis hat die Sache doch im Grunde ihre recht bedenkliche Seite.