Mikrofilmarchiv rier deutschsprachigen Presse e.V.
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Hismarck's Abschied von Kerlin.
^ Fürst Bismarck, der erste Kanzler deS neuen deutschen Reiches, hat am Samstag Nachmittag Berlin verlassen, um seinen morgigen Geburtstab — den sünfundsicbenzigücn eines thatenreichen Lebens — tn der Stille des Sachlen- waldeS zu begehen. Das deutsche Volk wird deS großen Staatsmannes auch morgen mit aufrichtigem Glückwuniche gedenken und dem aus seinen Aemtern Geschiedenen die- elben Gefühle herzlicher Verehrung bewahren, welche es rem «erkthätigen Mitarbeiter an der Wiederausrichtung deS Reiches in der Fülle seiner Macht entgegen brachte. Daß Fürst Bismarck für alle Zeiten dem Empfinden unseres Volksthumes nahe stehen wird, dafür bürgt die geradezu überwältigende Kundgebung, mit welcher die Ber linrr Bevölkerung, ohne Unterschied der Parteien, das Scheiden des ehemaligen Kanzlers aus ihrer Mitte begleitete. Die Abreise des Fürsten ist unter einer Theilnahme des Publikums erfolgt, die seinem Scheiden auch äußerlich den Charakter eines unvergeßlichen historischen Moments gab. Wir können hier nicht alle Einzelheiten wiedergeben, welche die Berliner Blätter verzeichnet haben; wir wählen aus den uns vorliegenden Berichten den der freifinnigcn „Bosfischen Zeitung" aus, eines Blattes, dessen politische Stellung unseren Lesern dafür bürgt, daß in der Schilderung von der Großartigkeit dieses Abschieds nichts übertrieben ist. Lange ehe die Stunde der Abfahrt gekommen war, hatten fich vor dem Kanzlerpalaste Hunderte von (Menschen gesammelt. Vom frühe» Morgen an lag den ^Schutzleuten schwere Arbeit ob. Immer und immer wieder mußten sie erzählen, daß Fürst Bismarck erst um S Uhr 40 Minuten reise, das Warten also ganz zwecklos fei. Nicht wenige Personen glaubten dennoch, viele Stunden ausharren zu sollen. Die Einen trugen Kränze, die Anderen Blumen — Alle aber wollten den Fürsten Bismarck wenigstens noch ein letztes Mal sehen, ihm einen letzten Scheidegruß zuwinken. Nachmittags wurde der Andrang ein gewaltiger; alle Bürgersteige waren besetzt, alle Rampen, alle Fenster der benachbarten Paläste und Amtsgebäude. Vom Zietenplatze bis zu den Linden stauten fich die Massen, deren Physiognomie weit mehr von ernster Theilnahme als von äußerlicher Neugierde zeigte. Der Wagenverkehr war unterbrochen; nur einzelne Equipagen, welche mit Passirsckeinen versehen waren, wurden durchgelaffen. Schweigend warteten die Massen des Augenblicks, in welchem Fürst Bismarck sein Heim verlasse. Viele Fenster des Palastes waren weit geöffnet, und man sah bald die eine, bald die andere Person aus der Unigebung des früheren Kanzlers. Endlich trat Fürst Bismarck an den Wagen — ein brausendes, sich immer wieder erneuerndes Hoch erschütterte die Luft. Der greise Staatsmann, war sichtlich ergriffen. Er wurde nicht müde, für die Kundgebungen nach allen Seiten zu danken, und auch nach einzelnen Fenstern, in deren ^ einem man den Herzog von Ratibor erblickte, Abschredsgrüße hinaufzuscnden. Nur mit Mühe vermochte sich der Wagenzug vorwärts zu bewegen, und vergebens bemühte sich die Schutzmannschaft, den Fahrdamm frei zu halten. Damen wie Herren trugen dem Fürsten
Uniforni. sein Sobn im schwarzen Grhrock. Im zweite»
Wagen folgte die Frau Fürstin, Graf Wilhelm Bisniarck mit seiner jungen Gattin. Alsdann schloß sich eine Reihe von Wagen mit Dienerschaft und Gepäck an. Die Kundgebungen der Bevölkerung waren warm und begeistert, und noch geraume Zeit nachdem Fürst Bismarck den Augen der Zuschauer entschwunden war, wollten sich die
Massen nicht löftn. Man hatte die Empfindung, einer »>»»«>» mutiere uuvcu hvii»e geschichtlichen Scene beigcwohnt zu haben, welche dem Directions - Präsident Krahn, Gedächtnisse der Augenzeugen nie entschwinden wird.
Hochrufe, stürmisch und enthusiastisch, wie. die. welche den Fürsten empfangen hatten, als er vor dem Reichskanzlerpalais erschienen war, begleiteten ihn auf dem
ganzen Wege zum Lehrter Bahnhof. Die Fahrt gestaltete sich zu einem Triumphzugc, wie ihn Berlin lauge nicht gesehen hat. Die Fenster aller Häuser, an denen dre Bismarck scheu Wagen, denen berittene Schutzleute voran- fprengten, vorübcrfuhren, waren mit Damen und Herren besetzt, dte unter Hochrufen dem scheidenden Staatsmanne dre letzten Abschiedsgrüße zuwinkten, auf den Bürgcr- stngen der Straßen standen Kopf an Kopf Männer aus dem Volke, elegant gekleidete Damen und Herren aus den besten Gescllschaftsschichten, darunter sehr viele Offi- zrere; es schien, als ob sie alle in der Herzlichkeit der Huldrgungcn wetteiferten, welche sie dem Fürsten Bismarck darzubringen bemüht waren. Die Großartigkeit dttserunvorbernteten Huldigung verfehlte auf den Fürsten ehre Wirkung nicht. Ter Schmerz aufrichtiger Rührung verklärte die Z üge des eisernen Mannes und die zuckenden Winkel seines lächelnden Mundes verriethcn tiefe Bewegung. Als der Fürst vor dem Lehrter Bahnhofe anlangte, wo auf dem Bahnsteige bereits die Schwadron des Lcichga,rdc-Kürassier-Regiments mit der Stan- °arte, der rReglmentSmusik und sämmtlichen Offizieren des Regirnents Aufstellung genommen hatte und viele dem Fürsten durch persönliche und amtliche Beziehungen nahestehende Personen versammelt waren, als Vertreter des Kaisers Offiziere seines mllitanslhen Hofstaates, der neue Reichskanzler General von Caprivi in voller Uniform, die preußischen Mmrster und die Mitglieder des diplomatischen Corps in burgerli'cher Kleidung mit ihren Damen, und als der Wage» dann vor dem Eingang zu den Fürstenzimmern ttelt» d a stürzte sich von allen Seiten die Menge unter HoLk'ufen auf den Wagen. Die Schutzleute, welche zur »ospl 'rrung des Bahnhofes aufgeboten waren» konnten cher wollten diesen Sturmlauf nicht hemmen; halb stieg er f sürst aus dem Wagen, halb wurde er hinausgehoben» nd hinter ihm her stürzte die Menge auf den Bahnsteig, "it so überwältigender Gewalt vollzog sich diese Kund- :bu: ag» daß gar nicht an einen Versuch gedacht werden uui :e, ihr Einhalt zu gebieten. Der Kanzler empfing da> an aus de» Händen deS Offiziers» der die Ehren- rch e befehligte, unter den Klängen deS PräsentirmarscheS a Rapport und schritt die Front ab. Darauf vcrab- ie dete er sich von Denen, dir es möglich machten, sich s ,eine Nähe zu drängen, während aus der unabsehbaren k mge rin brausendes Hoch nach dem anderen ertönte, ir kurze Unterredung mit seinem Nachfolger im Amte, lche in wiederholten herzlichen Händedrücken ihren Ab- luß fand, blieb nicht unbeobachtet. Don dem Grafen huwaloff, dem russischen Botschafter, verabschiedete er 1 in russischer Sprache mit einem freundlichen „Pro- haite“ (geben Sie wohl), das ein warmer Handschlag itfehete; mit den Damen des diplomatischen Corps »ach er französisch und daS freundliche Lächeln schwand icht von seinen Lippen. Endlich stieg er m seinen -»nderwagen, vor dessen Thüren Kürassiere mit ge- ogenen Pallaschen Wacht standen und dessen innere
Räume durch die Spenden von Freunden in einen Blumen garten verwandelt waren. Unter den Blumenstücken, welche den Wagen zierten, befanden sich auck Abschieds gaben des Kaiserpaares: vom Kaiser ein Riesenstrauß aus Beilcben, dessen Ecken mit fckönen Theerofen ge- schnlückt waren, «ährend auf der Mitte deS Kiffens ein Lorbeerkranz ruhte, um den sich fchwarzweißrothe Bänder schlangen; die Gabe der Kaiserin bestand aus einem Korb voll weißer Fliederblütben, zu dessen Ausschmuck herrliche Rosen benutzt worden waren. Der Fürst er schien, sobald er den Wagen betreten hatte, an der Seite seiner Gattin im Fenster und unterhielt sich die zehn Minuten, welche noch bis zum Abgänge des ZugeS vergingen, mit den Damen und Herren, die sich au den Wagen herandrängtcn, während die, welche nickt an ihn gelangen konnten, nickt müde wurden, ibm ein Hoch nach dem andern auszubringen. Sich verbeugend mit freund lichem Lächeln mußte der scheidende Staatsmann immer auf's Neue für die ihm dargcbrackten Huldigungen danken Da ertönte plötzlich der Ruf „Wiederkommen", und ir hundertfachem Echo pflanzte sich dieser Ruf fort, bis die
S anze Bahnhalle von ihm wiederhalltc. Den Fürsten bien dieser Ruf nicht angenehm zu berühren; er legte den Zeigefinger an den Mund und zog sich für einen Augenblick ein wenig vom Fenster zurück, aber gleich darauf erschien wieder sein massiver Kopf in dem Rahmen des Fensters und verschwand auch nicht mehr» als der Ruf „Wiederkommen" einmal über das andere Mal wiederholt wurde. Tann wurde von schöner kräftiger Baritonstimme „Die Wacht am Rhein" angestimmt» alles fiel ein und in tausendstimmigem Chor ertönte die mächtige Melodie- Die Bewegung des Fürsten steigerte sich ersichtlich und es zuckte wieder gewaltig um seinen ausdrucksvollen Mund. Nach der „Wacht am Rhein" ertönte auch das „Heil Dir im Siegerkranz" und dann, cnau um 5 Uhr 40 Minuten wurde das Zeichen zur lbfahrt gegeben. Commandorufe ertönten, daS Musik Corps der Kürassiere intonirte einen Marsch, es wurde präsentirt und unter nickt endenwollenden Hochrufen de wegte sich aus der Bahnhalle, der Zug der de« scheiden den Staatsmann und feine Familie mit Ausnahme des Grafen Herbert, der in Berlin geblieben ist, seinem Heim im Sachsenwalde zuführte. ^
Auf der Strecke bis Spandau hatten sich an per sckiedcnen Stellen Menschengruppen aufgestellt, welche mit Tüchern dem scheidenden Kanzler ein Lebewohl zu winkten. In Spandau hielt der Zug, und ihm entstiegen die Berliner, welche dem Fürsten das Geleit gegeben hatten. Tie Frau Fürstin begrüßte mehrere Bekannte, während der Fürst zunächst unsichtbar blieb. Indessen mehrten sich die Hochrufe und der Gefeierte» der von dem Abschied von Berlin sehr bewegt war, erschien im Fenster. Hier wiederholten sich die Sccncn von Berlin im Kleinen. Als ein zur Gewehrfabrik in Spandau commandirter Offizier des 2. Jäger-Bataillons dem Salonwagen sich näherte, äußerte der Fürst, indem er demselben die Hand reichte, lebhaft seine Freude, die Uniform» die er in früherer Zeit selbst getragen, noch einmal z« sehen. Das Publikum brachte auck hrer in nicht endenwollenden Hochrufen seine Liebe und Verehrung zum Ausdruck, und Thronen der Rührung rollten dem Fürsten Bismarck über die Wangen.
Um 10 Uhr Abends traf Fürst Bismarck in Fried- r i ch s r u h ein. Aus dem Perron des Bahnhofes war eine Conipagnie des 76. Reginients mit der Rcgiments- musik als Ehrencompagnie ausgestellt. Zum Empfange des Fürsten waren der General der Infanterie v. Lesinski, mehrere andere höhere Offiziere» der Eisenbahn- die Gutsbeamten von Friedrichsruh rc. anwesend; außerdem hatte sich eine große Menschenmenge aus Hamburg und der Umgebung auf dem Bahnhose eingefunden, der festlich geschmückt war. Fürst Bismarck entstieg, als der Zug anhielt, dem Wagen, begrüßte lebhaft den General von Leszinsky und schritt sodann die Front der Ehrencompagnie ab. Auf die Ehrencompagnie des Hamburger ersten Bataillons deutend, sagte er: „Ich bin überrascht durch die Ehre» die mir der Kaiser angethan hat, denn ich habe ja alle Ehrenämter niedergclegt, bin ja nur ein General außer Diensten." Die Ehrcncompagnie war mit der Fahne erschienen. Bismarck trug nur das Eiserne Kreu^ Während die Fürstin den Wagen benutzte, begab sich der Fürst in lebhafter Unterhaltung mit dem General von Leszinsky, begleitet von dem Grafen Wilhelm Bismarck, unter brausenden Hochrufen der Menge langsam zu Fuß nach dem Schlosse, fortwährend für die Ovationen freundlich dankend. Der Weg zum Schlosse war durch Lampions und Fackeln beleuchtet und mit Kränken und Fahnen geschmückt. Die Feuerwehren von Friedrichsruh, Trittau und Rcinbeck geleiteten den Fürsten bis zum Schloß. Im Schlosse folgte die Vorstellung der zum Empfange erschienenen ^Persönlichkeiten.
Fürst Bismarck hat sich bei allen königlichen Prinzen in Berlin verabschiedet und am Freitag Nachmittag auch an der Gruft Kaiser Wilhelm's l. «inen Scheidegrnß dargebracht. Ueber diesen Besuch im Mauso leum berichtet die „Post": Rührenden Abschied nahm der scheidende Kanzler Fürst Bismarck von der Ruhestätte des großen Kaisers, unter dessen Aegide er wehr als ein Vierteljahrhundert am Ausbau und an der ersten Einrichtung des neuen Reiches unermüdlich und mit beispiellosem Erfolg gearbeitet hat. Schon ging der Tag zur Neige, da hielt am Seitenportal deS Charlottenburger Schlosses dicht neben der Schloßwache ein leichtes Cabriolet, und bevor die zahlreichen Spaziergänger» die in der Umgebung weilten» noch ihrem Erstaunen darüber Ausdruck geben konnten, wer denn wohl zu so vorgerückter Stunde noch dem Schloß einen Besuch abstatten möchte, entstieg Fürst Bismarck in der Uniform der Seydlitz-Kürassiere dem Wagen und dankte lebhaft für die ehrerbietigen Grüße, die ihm alsbald von allen Seiten dargebracht wurden. Dom Hofgärlner erbat er sich drei Rosen. Diese in der Hand haltend, schritt er langsam durch die einsamen Gänge des Parkes dem Mausoleum zu. Leutselig grüßte er die Aufseher, aber ein tiefer Ernst bemächtigte sich seiner, als er die Stufen zu der geweihten Stätte emporstieg, um die Vorhalle zu durchschretten und zunächst einige Augenblicke an den Grabdenkmälern König Friedrich Wilhelm's M. und der Königin Luise zu verweilen. Dann stieg der große Kanzler hinab gur Gruft des großen Kaisers Wilhelm I. und der Kaiserin Augusta. Mehr als 10 Minute» lang verweilte er dort und legte die Rosen an den Särgen der hohen Tobten nieder. Tiefe Ergriffenheit sprach aus seinen Zügen, als er die Gruft verließ; kaum vermochte der Mann, de» seine Zeitgenoffen den Eisernen nennen, seiner inneren Bewegung Herr zu werden. Langsam wandelte er zum Schloßportale zurück. Hier hatte sich unterdessen eine große Menschenmenge an
gesammelt. Mit enthusiastischen Kundgebungen empfing sie den Scheidenden, der tief gerührt wiederholt seinen Dank zu erkennen gab und noch vom Wagen aus den Abschiedsgruß erwiderte. ^
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung schreibt: Aus Anlaß seines Scheidens auS dem Dienste sind dem Fürsten v. Bismarck so zablreicke tbeilnehmende Kundgebungen zugegangen, daß es ibm im Drange des Unizuges ohne amtlichen Beistand nicht möglich ist, dieselben einzeln zu beantworten. Er bittet daher, seinen Dank für alle ihm zu Theil gewordenen wohlwollenden Telegramme und Zuschriften auf diesem Wege entgegen zunehmen
Der Schluß der Arbeiterschutzeonferenz
Zu der am Samstag um 2 Uhr Nachmittags anbe räumten Schlußsitzung der Internationalen Arbeiterschutz' Conferenz in Berlin hatten sich die Delegirten vollzählig im großen Congreßsaal des Reichskanzler-Palais eingefunden. Nach Verlesung des Schlußprotocolls und dcflen Vollziehung durch die Vertreter der einzelnen an der Conferenz betheiligten Staaten hielt der Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Berlepsch» in französischer Sprache nachstehende Ansprache:
Meine Herren ! Unsere Arbeit ist beendet, beute noch trennen sich die Mitglieder „der internationalen Conferenz zur Regelung der Arbeit in den industriellen Etablifscmcms und in den Bergwerken", und da liegt wob! für jeden Einzelnen von uns die Frage nabe, ob die angestrengte, gewissenhafte Arbeit, der wir uns 14 Tage lang hingegcben haben, ob der Austausch der Meinungen, die freundschaftlichen Beziehungen, die wir zu einander gewonnen haben, verloren sein oder ob sie dauernde Früchte tragen werden. Wir sind nicht tn der Lage, eine bestimmte «mwort auf diese Frage zu geben, denn wir waren nicht berufen, internationale Vereinbarungen über das uns vorgelcgte Programm zu treffen, sondern nur Gutachten und Wünsche zu sormultren, die der Erwägung der hohen Regierungen, welche ihre Delegirten hierher sandten, unterliegen werden. Wohl aber sind wir in der Lage, die Frage zu beantworten, ob wir glauben, eine Grundlage gesunden zu baden, auf welcher der Gedanke, der arbeitenden Klasse in den industriellen Staaten Europas einen rrhbhten Schutz, eine gröbere Sicherung ibrcr oiateriellen, physischen, moralischen und intelleclurllen Kräfte zu gewähren, forrlcben und weiter ausgestaltet 'werden kann. Ich scheue mich nicht, meine Herren, diese Frage in ihrem Ramcn zu bejahen. So groß uns Allen zunächst die Schwierigkeiten erschienen, dte Frage deS Schutzes der Arbeit durch ihre Beschränkung nach Art, Zeit und Dauer auch nur von einem einheitlich eit Gesichtspunkt aus zu betrachten, so sicher sind wir zu dem Resultat gelangt, daß eS einheitliche internationale Gesichtspunkte gicbt, nach denen die Lösung dieser Frage von den Regierungen der einzelnen Länder ins Auge gefotzt werden kann, welche die eigentbümiichen Verhältnisse ihres Landes zu berücksichtigen haben werden. Diese gewonnenen Gesichtspunkte lasten sich meines Erachtens dahin zusammenfaffe«, datz cS für dasjenige, was die Gesetzgebung oder die Sitten eines jeden Landes der arbeitenden Klasse gewähren sollten, nur ein? Grenze gibt, nänilicb die Sicherheit der Existenz und das Gedeihen der Industrie, von dem auch das Gedeihen der arbeitenden Klaffe abhängig ist. Ich meine, datz, wenn wir unS in der Ueberzeugung trennen können, datz dieser Satz immer mehr Wahrheit werden wird, wir mit Befriedigung auf unsere gemeinsame Arbeit -irltckb licken können. Wir werden sic «it gutem Gewiffen den >hohen Regierungen, die uns dele- girteu, vorlegen, deren Erwägungen es Vorbehalten bleibt, welche Folgen sie derselben geben wollen. Zu meiner hohen Freude aber darf ich es Ihnen, meine Herren, schon heute aussprechen, datz Sc. Majestät der Kaiser, mein Allcrgnädtgster Herr, dessen Einladung zur Conferenz Ihre hohen Regierungen in so entgegenkommender Weise gefolgt sind, mich beauftragt hat. Ihnen seinen wärmsten Dank auszusprechen für die sachkundige, eingehende und erfolgreiche Arbeit, mit welcher Jeder von Ihnen an den Verhandlungen der Conferenz sich betheiligt hat. Möge Gottes Segen dazu Helsen, datz die Saat, die wir mit unseren schwachen Kräften in unseren Verhandlungen gesäet haben, hundert- und tausendsältige Frucht trage. Die Ansprache fand den lautesten Beifall der Delegirten. ierauf erhob sich der englische Vertreter Sir John Forst zu einer längeren Erwiderung in englischer Sprache, deren Inhalt etwa folgender war: Es sei ihm von besonderer Bedeutung» im Namen seiner College» dem Kaiser zu danken dafür, daß derselbe die Conferenz in Berlin zusanimcnberufen, deren Ergebnisse außerordentlich erfreultche seien. Diese Conferenz werde hoffentlich nicht die letzte sein, und wenn Millionen von Kindern dem Elend endogen und ebensoviel Frauen dem häuslichen Leben wledergegeden sein würden, so werde nian sich mit Dankbarkeit der Initiative Sr. Majestät erinnern. 'Nachdem darauf noch der belgische Minister Jacobs feine Befriedigung über den Verlauf der Verhandlungen kundgegeben und insbesondere dem Vorsitzenden» Minister Freiherr» von Berlepsch den Dank der Delegirten für die Leitung ausgesprochen hatte, sowie die Vertreter Italiens und Spaniens, Boccardo und Decastro, sich diesem Danke angeschloffcn hatten, wurde die Conferenz um 3 Uhr 25 Mlnuten im Namen des Kaisers geschloffen. — Wie es heißt, sind Berhandluttgen mit den Mächten, welche die Arbeiterschutzeonferenz beschickt haben, über die Frage internationaler Vereinbarungen auf Grund der Conferenzbeschlüsse bereits eingcleitet worden; man ist der Frage näher getreten, ob sich nun der Plan verwirklichen läßt» wonach sich der Conferenz der Sachverständigen eine Conferenz diplomatischer Vertreter der Mächte zur Vereinbarung über gemeinsames Vorgehen auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung anreihen soll. ^
Uebet den Eindruck der Conferrenz im Auslande erhalten wir vom heutigen Tage folgende Trahtmeldung;
London, 31. März. Die meisten Morgenblätter besprechen das Ergedniß der Arbeiterschutzeonferenz in sehr sympathischer Weise und Versprechen sich davon heilsame Folgen. Die „Morningpost", „Times" und „Daily Telegraph" beglückwünschen den deutschen Kaiser in wärmster Weise, die Initiative zu d em Humanitären Werke ergriffen zu haben.
Politische ßlebersicht.
- * Fr ankfurt a. M>. 31. März.
Dem in London erscheinenden „Newyork Herold" wird Folgendes über die Vorgeschichte der Abdankung des Fürste« Bismarck gemeldet: ,,Ja Wahrheit hegte ber Kaiser seit langeein Borurthnl gegen seinen alten. Die
ohne Kanzler regieren könne. Der Kaiser begann den len bald nach der Rückkehr des Letzteren »ach Berlin ühl zu behandeln. Diese Kühlheit nahm so zu» daß der Fürst bald die Sacke zur Sprache brachte. Nachdem er dm Kaiser sondirt hatte, richtete er endlich mit feiner bekannten Geradheit die Frage: „Bin ich Ihnen im Wege?" Zum Erstaunen des Fürsten gab Sk. Majestät nicht sofort eine positive negirende Erwiderung, sondern suchte zu temporisiren. Dann deutete der Fürst an, daß er bereit sei, alle seine Aemter abzutrrten, ausgenommen
die Leitung des auswärtigen Amtes. Se. Majestät willigte ein. der greise Kanzler aber überzeugte sich bald, daß eine Theilung der Funktionen äußerst gefährlich wäre und riech dem Kaiser daher, eine Enrscheidnng erst nach dem Zusammentritt deS Reichstages oder Mitte Sommer zu treffen, damit er, der Reichskanzler, die Debatten über die sociale Frage, die Mebrforderungen für die Armee und die Erhöhung der Äeamtengehälter leiten könne. Bis vor zebn Tagen war der Kaiser damit einverstanden. Dann schickte er dem Fürsten gewisse Befehle,obgleich er wußte, daß Bismarck eber abdauken, als sie aus- führen würde. Als der Fürst vorstellig wurde, wurden die Befehle wiederholt in dem Bewußtscm, daß der Rücktritt des Reichskanzlers die Folge sein würde. Fürst Bismarck wurde erregt, blieb aber kühl und demissionirte nickt sofort. Der Kaiser wurde ungeduldig und der Fürst wurde mehrere Male gefragt, weshalb er seine Demission nicht einreiche. Der Entschluß Sr. Majestät war aber nicht zum Wanken zu bringen. Sobald er zu der Ueberzeugung gelangt war, daß er besser ohne Reichskanzler fertig werden könne, zog er sich von ihm zurück. Er äußerte sich mit der größten Freimüthigkeit und ließ die Dinge eine solche Wendung nehmen, daß der Bruch von Seiten deS Reichskanzlers zu erwarten stand. Der Letztere erkannte zu spät die Lage und suchte eineu Com- vromiß Herbeizuführen, indem er um einen sechsmonatlichen Urlaub bat. Vergeblich. Ter Kaiser war entschlossen, sich des Kanzlers zu begeben." — Wir geben vorstehende Darstellung als Beitrag zur Kanzlerkrise wieder, ohne irgend welche Gewähr für die Zuverlässigkeit der in dieser Form sehr unwahrscheinlich klingenden Meldung zu übernehmen. Immerhin ist dieselbe charakteristisch für die mannigfach verbreitete Auffassung der Krise und ihrer Ursachen. ^
Im rheinisch - westfälische» Kohlengebiet scheint man sich auf eine weitere Ausdehnung des Ausstandes gefaßt zu machen; dock lauten die Nachrichten bisher unbestimmt, und auf einer Anzahl von Zecken, die nach Meldungen rheinischer Blätter scbon im Ausstand begriffen sein sollten, wird noch gearbeitet. Die Ruhe ist bisher nicht gestört worden: die Wirtbschaften in Gelsenkirchen und Umgebung sind geschlossen. Nach Meldungen aus Münster soll dort Militär bereit stehen, in das ausständijche Gebiet einzumarschiren; dock dürfte sich eine solche Maßregel nicht als nothwendig erweisen. Die Gründe der neuen Ausstandsbewegung sind nicht allein in der Maßregelung von Deputirten, sondern auch in der Forderung von Lohnerhöhungen zu suchen. Die Grubenverwaltungen sind zu entschiedenem Widerstand entschloffen; der Borstand des bergbaulichen Vereins beschloß, den Zecken zu empfehlen, Bergarbeiter, welche die Arbeit auf anderen Zecken unter Kontraktbruch niedergclegt haben, nicht anzunehmen. — In Herne wurde gestern eine von etwa 800 Bergleuten besuchte Versammlung aufgelöst und die Kaffe polizeilich beschlagnahmt.
Die rnfstsche« Studenten,mruhc,,, von welche», wir bereits berichtet, haben weit größere Dimensionen angenommen, als die ersten knappen Meldungen erwarten ließen. In Moskau sind die Universität sowie die landwirthschaftliche Akademie in Folge der von den Studenten verursachten Ruhestörungen g es ch l o ss e n worden. Etwa 600 Studenten sind verhaftet worden. Die Unordnungen an der landwirthschaftliche» Akademie sind dem willkürlichen Vorgehen des Directors zuzuschreiben, der u. A. die Circulation von Graf Leon Tolstoi's letztem Werke „Die Kreuzersonate" verbot. Die Studenten der Universität machten gemeinschaftliche Sache mit ihren Kameraden an der landwirthschaftliche» Akademie und begannen Kundgebungen zu ihrer Unterstützung. — In Petersburg werden die Eingänge zur Universität durch die Polizei bewacht- In den letzten Tagen haben die Studenten fortwährend Kundgebungen veranstaltet. Schließlich händigten sie dem Proseffor der Chemie, Mendelejeff, welcher sehr beliebt ist und ihnen seine Verwendung bei den Behörden versprach» eine Denkschrift ei», in welcher sie ihre Forderungen darlegten: Herabsetzung der Collegiengeldcr, unbeschränkte Zulassung der Juden zum Studium und Gleichheit der Rechte für Studenten und Studentinnen. In der am Mittwoch abgehaltenen Stndentcnversammlung ging es höchst stürmisch zu. Einige der Redner verlangten Autonomie für die Universität. Aburtheilung von Vergehen durch ein von Studenten und Professoren zu bildendes Gericht, Reform der Universitäts- Jnsvection und Wahl des Rectors durch die bedeutendsten Professoren. Nicht nur die Universität, sonder» auch andere höhere Lehranstalten, wo sich eine Agitation be- merklick macht» werden von Polizetabtheilungen Tag und Nacht bewacht. Die Stadt Petersburg ist völlig ruhig. Die Zeitungen erwähnen die Vorgänge mit keiner Silbe, so daß die Mehrzahl der Einwohner gar keine Kunde davon hat. — Nack einer Meldung von anderer Seite ist aus den Proklamationen, welche auf der Petersburger Universität unter die Studenten vcrtheilt wurden» zu entnehmen, daß die Studenten-Unruhrn auf An fitsten der revolutionären Part ei in Pußland zurückzuführen sind. Außer in Petersburg und Moskau haben auch noch in Charkow und Kasan Unruhen statt- gesunden. ^ *
In der Republik Santo Domingo (auf der Insel a>ti) ist» wie Depeschen 9!ew-Aorker Handelsfirmen aus -t. Thomas besage», ein Aufstand gegen den Präsidenten, General Heureaux, ausgebrochen. In den dominikanischen Städten Santiago und Puerto Plata sollen blutige Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den Regierungstruppen stattgefunden haben. Die Annahme, daß der Aufstand mit den Wirren in der benachbarten Schwester-Republik Haiti zusammen' hängt, scheint nicht, unberechtigt. f
Kundgebung der Pariser Schlächtergehilfen
<Corresp on d enz de S „Genera l' Anzeiger".)
£> Paris, 29. März.
Wie der Minister des Innern gestern in der Kammer angekündigt hatte, waren von der Polizei die umfassendsten Maßregeln getroffen worden, um die Kundgebung der Schlächter« und Weißgerber-Ge- Hilfen zu verhindern. Der Sammelpunkt war der Platz am Boulevard de la Billette, am äußersten Ende der Rue Lafayette und der Rue du Faubourg Saint Martin, und hier war auch die erste Truppe Stadtsergeanten . aufgestellt, indeß andere Abtheilungen auf dem Wege »um Stadthaus« und »um Palais Äombon in Bereitschaft gehalten wurden, o im Ostbahnhofe, in der Mairie deS 10. Arrondissements» in der Nähe des Stadthauses, im Jndustrie- palaste u. s. w. Bis nach zwölf Uhr waren nur sehr wenige Manifestanten erschienen, da viele der Schlächtermeister ihre Gehilfen, denen sie für heute einen Frier-