Samstag, 6. Januar L88»
Siebenundzwanzigster Jahrgang.
. <». Morgenvlatt.
KravksurterZeiümF
(Serie Frankfurter Zeitung.)
und Hnndelsbintt
(Frankfurter Handelszeitung.)
mehr von einem von der Verwaltungsbehörde unabhängigen Gerichtshöfe entschieden werden, sondern zusaninien mit den reinen Verwaltungssachen von einer Behörde erledigt werden sollen, welche unter dem unmittelbaren Einfluß der Verwaltungsbehörde selbst, der Regierung, steht.
sollte." Aber leider vermögen wir den Läuterungsprozeß, den Herr von Puttkamer mit den Verwaltungsgesetzen
müßen, wenn diese Unterscheidung in Zukunft populär werden soll.
Um die ganze Einrichtung zu verstehen, ist vor allen Dingen ein Zurückgehen auf die Gründe erforderlich, welche im Jahre 1875 zu ihr geführt haben. Die Motive zu dem Entwurf eines Gesetzes „betreffend die Ver- faffung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren", welcher dem preußischen Landtage unter'm 26. Januar 1875 vorgelegt wurde, enthalten darüber Folgendes:
„Die Nothwendigkeit einer Reform des zur Zeit in streitigen Verwaltungssachen zur Anwendung kommenden Verfahrens darf als allgemein anerkannt betrachtet werden. Streitsachen über die aus den Verwaltungsgesetzen entspringenden Rechte und Pflichten der Privatpersonen und Korporationen bedürfen einer anderen Behandlung als solche Angelegenheiten , in denen lediglich administrative Zweckmäßigkeits - Fragen zur Erörterung stehen." Während die Behandlungsweise der letzteren, der Natur der Dinge nach, mehr oder weniger stets einem arbiträren Ermessen wird überlafleu bleiben muffen , ist — im Gegensatz hierzu — das Verlangen berechtigt, daß der Entscheidung über Rechte und Pflichten ein Verfahren vorausgehe , das in vorgeschriebenen sesten Formen sich
aussichtlich gleichzeitig mit dem Wiederzusamnicntritt des Landtags zu erwarten. Daß der Entwurf während der Landtagsferien füglich nicht vorgelegt werden konnte, wird kaum einer näheren Begründung bedürfen." — Die „Kreuz- zeitung" bestreitet, daß von der sächsischen Regierung Abänderungsvorschläge zum Antrag auf Erhöhung der Holzzölle im Bundesrathe eingebracht sind. — Der Bundesrath hat entsprechend den Vorschlägen des Reichskanzlers beschlossen, für gekochtes, in mit Papier beklebten ober sonst verzierten Blechbüchsen als innerer Umschließung eingegangenes Fleisch — corned beef —, welches vor dem Inkrafttreten der vom Bundesrath unterm 16. Mai getroffenen Bestimmungen über die Tara nach Nr. 26 gr 1 des Tarifs mit 12 X für 100 kg zur Verzollung gezogen wird, von einer Zollnachforderung nach dem Zollsätze von 24 X pro 100 kg Abstand zu nehmen. Jngleichen find die für die bezeichnete Waare über den Zollsatz von 12 X für 100 kg erhobenen Eingangsabgaben, sofern dieselben innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist zurückgefordert werben, zu erstatten. — Dem Landtage wird ein Gesetz betr. die Bestrafung von Schulverfäum- nissen eingebracht werden, — „Golos" findet es vollständig erklärlich, daß Oesterreich einen Bund mit Rußland demjenigen mit Deutschland vorziehe, da Oesterreich im Grunde genommen doch nur Hand in Hand mit Rußland seine Absichten auf der Balkanhalbinsel realisiren könne.
# Darmstadt, 5. Jan. Den Ständen ist eine Vorlage wegen Gewährung der Zinsgarantie für eine Aktien- Unternehmung zugegangen, welche eine Dampf-Ketten- Sch-leppschifffahrt auf dem Main von Mainz nach Aschaffenburg herzustellen beabfichtigt.
gängigen Läuterungsprozeß unterworfen zu werden, zum, gemeinen Rechte der Gesammtmonarchie erhoben werden ' bewegt und mittelst solcher Formen der Partei die
Frankfurt, 5. Januar.
' Wie int Kleinen der Gesetzentwurf „betreffend den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen" die Ausdehnung dieses Rechts auf den Bezirk des Oberlandesgerichts zu Köln dazu benützt, die auszudehnende Einrichtung einer gründlichen Revision zu unterziehen, so thun dies im Großen die unter’m 18. December 1882 dem Abgeordneten Hause zugegangenen Gesetzentwürfe betreffend die Ausdehmuig der bisher nur in Ost- und Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Schlesien und Sachsen bestehenden Organisation der allgemeinen Landesver- valtung auf die übrigen Provinzen. Wir stimmen mit den Motiven dieser neuen Puttkamer'schen Vorlagen vollkommen überein, wenn sie sagen: „Kundgebungen der Mannigfaltigsten Art lasten es als notorisch erscheinen, „daß viele Kreise der Bevölkerung in den westlichen und den neu erworbenen Provinzen der Aussicht auf die üebertragung des gegenwärtigen Verwaltungssystems der Kreisordnungsprovinzen kühl, wenn nicht gar voller Miß- Ssluen, gegenüber stehen, und daß es dort allgemein als «in Mangel an der gebührenden Rücksicht empfunden werden würde, wenn dieses System, ohne einem vor-
s vorgenommen hat, nicht als eine Verbesserung anzuer» üennen, leider macht sich auch hier wieder die herrschende reaktionäre Strömung, gerade so wie bei der Revision beä Gesetzes betreffend den Erlaß polizeilicher Strafver- stgungen, vorwiegend dahin geltend, daß sie uns dem Rechtsstaat weg- und zum Polizeistaat hm zu treiben versucht.
Die Einrichtungen, um deren Ausdehnung auf die Gesammtheit der Monarchie es sich jetzt handelt, bestehen in den genannten alten Provinzen erst sieben Jahre und die Staatsregierung erkennt er nach den Motiven der neuen Gesetzentwürfe selbst an, daß man ein geklärtes, übereinstimmendes Urtheil über die Güte des Bestehenden noch nicht erzielt habe, daß dies aber auch nicht befremden könne, wenn man erwäge, „daß es sich um Institutionen handelt, deren Bedeutung erst seit Kurzem erkannt ist, deren praktische Einführung in unser Staatsund Volksleben eine nahezu fundamentale Umgestaltung : der gesummten öffentlichen Zustände mit sich geführt hat, x und über welche nicht allein in Preußen, sondern auch - in anderen deutschen Staaten erst Versuche angestellt und ■ Erfahrungen gesammelt werden müssen." Gerade diese Erkenntniß der Staatsregierung müßte eigentlich dahin führen, in hohem Grade vorsichtig bei dem vorzunehmenden Läuterungsprozeß zu Werke zu gehen, und die bekannte „Eile", mit welcher man gegenwärtig vielfach den Gesetzgebungsapparat arbeiten lasten möchte, zu mäßigen.
Wir wollen in Nachstehendem über die Organisationsgesetze der Siebenzigerjahre und ihre durch Herrn von Puttkamer jetzt vorgeschlagene Läuterung einige kurze Bemerkungen machen. Es muß auf eine erschöpfende Behandlung selbst der Hauptfrage hier natürlich verzichtet werden; nur einzelne, zu besonderen Bedenken veran- lastende Punkte können wir herausgreifen; alles Uebrige bleibe der voraussichtlich noch wiederholt nothwendig werdenden Besprechung der neuen Gesetzentwürfe Vorbehalten.
Unter den wesentlichen Abänderungen , welche Herr von Puttkamer. für nothwendig hält, um die Organisationsgesetze den westlichen bezw. neuen Provinzen annehmbar zu machen, nennen die Motive an erster Stelle die „Beseitigung der Scheidung zwischen streitigen und nicht streitigen Verwaltungssachen."
Man wird zugeben müssen, daß diese Unterscheidung trotz der siebenjährigen Praxis der Bevölkerung der sog. Areisordnungsprovinzen noch nicht recht in Fleisch und Blut übergegangen ist, und wir glauben, daß die Gesetzgebung hier klärend und vereinfachend wird eingreifen
Deutsches Keich.
M Berlin, 5. Jan., 9 Uhr Abd. <T c l e g r a m m.) Der Artikel der „Provinzial-Korrespondcuz" über G am - betta lautet u. A. : „Von den festen Punkten am politischen Firmamente, die während des letzten Jahrzehnts Freund und Feind zur Orientirung dienten, ist abermals einer erloschen. Im Vollbesitz seiner Kräfte, auf der Höhe des Lebens ist der hervorragende Mann dahingerafft worden, den sein Vaterland als den patriotischsten seiner Söhne, die gesammte gebildete Welt als den Träger einer bewundernswürdigen Energie kannte." Vierundvierzig Jahre alt ist Leon Gambetta, der populärste Franzose seiner Zeit, nach niehr- wöchentlicher Krankheit verstorben. In die Blätter der Geschichte, welche von unserm Geschlechte handeln, ist der Name Gambetta mit so markigen Zügen eingetragen worden, daß sich schon jetzt sagen läßt, derselbe werde einen dauernden Platz im Gedächtniß der Menschen bewahren. Zn der deutschen Geschichte steht dieser Name in so enger Beziehung, daß es uns näher liegt, als den übrigen Frankreich benachbarten Völkern, Zeugniß abzulegen von der außerordentlichen Bedeutung des Zeitgenoffen, der am 31. Dezember 1882 abgerufen worden ist. Hat es doch nicht erst der versöhnen- dm Wirkungen der Zeü und der bewältigenden Sprache des Todes bedurft, damit wir Deutsche rühmend anerkannten, daß der unerschrockene Patriot, der im Jahre 1870—71 die Vertheidigung Frankreichs leitete, ein Mann im vollsten Sinne des Wortes gewesen ist, und daß er eine große und edle Pflicht erfüllte, als er uns die Erfüllung der unsrigen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu erschweren suchte. Wenn in dem verwirrenden Kampfe der Meinungen die Stimme des Einen unbekünimert um seine Gefolgschaft aus dem eingeschlagenen Wege beharrenden Mannes immer wieder zur Geltung kam, so hatte das vornehmlich seinen Grund, daß hinter der Meinung Gambetta’s ein mächtig gebietender, fest auf einen Punkt gerichteter Wille stand. Einheit des Wesens und Folgerichtigkeit des Denkens aber haben zu allen Zeiten den Stoff abgegeben, aus welchem die Geschichte ihre Gestatten formt." Die „Germania" bemerkt dazu: „Wir finden es unbegreiflich und wenig ehrenvoll, daß in unserm halbamtlichen Organe eine solche überspannte Lobhudelei eines ungeregelten, revolutionären, atheistischen, friedensstörerischen Geistes Platz finden kann. Nächst der „Times", welche den Tod Garnbetta’s als eine Gefahr für das europäische Gleichgewicht betrachtete, dürfte von der außerfranzösischen Presse die „Prov. Korr." in der Ver- ehmng dieses „Staatsmannes" wohl das Unglaublichste geleistet haben. Hoffentlich beabsichtigt die „Prov. Korr." nicht, die politischen und sittlichen Grundsätze und Praktiken dieses Mannes für unser öffentliches Leben als Muster auf- zustelleu." — Die „Norddeutsche" schreibt zur Angelegenheit der Ueberschwemmnngen: „DieStaatsregierung hat dem Oberpräfidrnten der Rheinprovinz sofort nach dem Eintritte der ersten Ueberschwemmnngen zur Beseitigung und Linderung der unmittelbaren Noth mit Ermächtigung des Kaisers 500,000 X aus dem Haupt-Extraordinarium der Generalstaatskasse überwiesen. Durch Privatsammlungeu sind ferner gegen 300,000JK aufgebracht worden,welche ebenfalls dem Oberpräfidentcn zur Verfügung gestellt worden sind. MU dieser Summe von zusammen gegen 800,000 X sonnten die augenblicklichen Bedürfnisse befriedigt werden, womit keineswegs ausgeschlossen ist, daß zur Behebung der abermals eingetre- tenenNoth, welche übrigens die dieffeitigen Provinzen weniger betroffen hat als die Nachbarstaaten, im Falle des Bedürfnisses noch weitere außerordentliche Mittel flüssig gemacht werden. Wenn der Minister v. Puttkamer in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 1. December einen Gesetzentwurf wegen Gewährung einer Staatshülfe an die nothleidenden Gemeinden in Aussicht stellte, so liegt es auf der Hand, daß diese letztere Staatshülfe, wie Hr. v. Puttkamer auch selbst aussührte, vornehmlich nur die dauernde Beseitigung der eingetretenen Nothstände, insbesondere die wirthschastliche Erhaltung der von den elementaren Ereignissen Heimgejuchten ins Auge fassen kann, und daß zu diesem Zwecke zunächst Ermittelungen anzustellen waren, welche der Natur der Sache nach eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen mußten. Mit den Vorarbeiten zu diesem Gesetzentwurf ist auch nicht einen Augen- blick gezögert worden, und ist die Einbringung desselben vor-
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; Möglichkeit selbstständiger Vertheidigung ihrer Rechte gewährleistet. Solcher Gewährleistung ermangelt das bisherige Verfahren, indem es statt dessen in allem Wesentlichen die Behandlung streitiger Verwaltungssachen dem Ermessen der entscheidenden Behörde ebenso anheimgibt, ' wie die Behandlung der administrativen Zweckmäßigkeitsfragen."
Kein Mensch wird leugnen können, daß diese Gründe heute noch auf dieselbe Anerkennung Anspruch machen dürfen, wie vor 7 Jahren, selbst wenn man zugibt — s und das war 1875 ja auch bereits bekannt — daß „in vielen, ja in den meisten Verwaltungsangelegenheiten nicht lediglich Fragen der einen oder der anderen Art zu beurtheilen sind, vielmehr Rechtsfragen und Zweckmäßig» keitsftagen nebeneinander hergehen, in enger Verbindung stehen und theilweise ineinander fließen". Wenn Überhaupt ein Bürger, eine Corporation u. s. w. durch eine * Verwaltungsm aßreoei in seinen Rechten verletzt zu sein i behauptet, dann liegt es eben so im Interesse der angeblich verletzenden Behörde wie in dem des angeblich Verletzten, daß in einem bestimmt vorgeschriebenen, mündlichen , sog. contradictorischen Verfahren die Rechtsfrage — selbst, wenn damit eine Zweckmäßigkeitsfrage : verbunden ist — entschieden wird, und daß nicht die verletzende Verwaltungsbehörde selbst oder ihre Vorgesetzten auf einfachen Bericht hin verfügen. Und die Nothwendigkeit dieses besonderen „Streitverfahrens" auch in Verwaltungssachen ist so unzweifelhaft feststehend, daß auch die Puttkamer'schen Vorschläge daran nicht zu rütteln wagen.
Der § 52 des Gesetzentwurfs betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Organisation der allgemeinen LandeSverfaffung bestimmt deshalb Folgendes: „Die Behörden soffen ihre Beschlüsse auf Grund der verhandelten Akten, sofern nicht die Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist oder von der Behörde oder dem Vorsitzenden derselben für zweckdienlich erachtet oder von einem Betheiligten vor der ersten Beschlußfassung der Behörde beantragt wird. In Streitsachen unter Armenverbänden erfolgt die Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren."
Klar und deutlich geht hieraus hervor, daß die Verschiedenheit des Verfahrens nach wie vor bestehen bleiben soll und in gewissem Sinne wird deshalb auch der Unterschied zwischen Verwaltungsstreitsachen und nichtstrettigen Verwaltungssachen fortdauern. In der Beseitigung dieses Unterschiedes können wir daher eine wesentliche Veränderung oder Vereinfachung gegen das bestehende Recht in den Puttkamer'schen Vorschlägen nicht finden. Die wesentliche Veränderung liegt vielmehr darin, daß in Zukunft die Verwaltungsstreitsachen in der Bezirksinstanz nicht
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Italien.
/ 7 Rom, 30. Dec. Nachdem die hiesig« Zeitung „Rassegna" seit einigen Monaten den Minister des Auswärtigen, Hrn. Ma ncini, fast täglich heftig angegriffen und ihn insbesondere als ungeeignet zur Befestigung der Allianz Italiens mit den deutschen Mächten bezeichnet hatte, kamen vor wenigen Tagen gleichzeitige und identische Erklärungen der Wiener und der Berliner Offiziösen zu Gunsten Man- cini's zum Vorschein, deren Spitze sich mit aller Deutlichkeit gegen jenes journalistische Hauptorgan des italienisch-deutschen Allianzprojektes kehrte. Schwerlich kann angenommen werden, daß man in Berlin und Wien erst in den letzten Tagen über die Angriffe jener Zeitung gegen Mancini unterrichtet worden wäre oder erst jetzt erfahren hätte, daß man dieselben hier von jeher auf die nordländischen Beziehungen der, „Rassegna" zurückgesührt hat. Die vollständige Desavoni^ rung des befreundeten Organs wird auch kaum in einer neuerdings veränderten Anschauung über die Persönlichkeit Mancini's ihren Grund haben; denn der juristische Professor dürste den Fachdiplomaten mit agrarischem Hintergründe wohl nach wie vor als ein wenig homogener Kollege erscheinen. Vielleicht, daß die hier ab und zu zum Ausdrucke gelangende Annahme der Wahrheit sehr nahe kommt, nach der das plötzlich Eintreten für Mancini die Gefahr abwcnden sollte, daß dieser anderweitigen Allianzanträgen des Auslandes Gehör gäbe und in diesen die Stütze fände, den gegen ihn gerichteten Angriffen zu widerstehen. Die Richtigkeit dieser Auffassung wirklich zu verbürgen wird natürlich nicht leicht Jemand im Stande sein. Dieselbe beruht auf der Voraussetzung, daß der in Italien verweilende russische Minister des Auswärtigen Herr v. Giers sich hier nicht damit begnügt habe, durch Verhandlungen mit dem Vatikan Rußland (fjir die Dauer eines etwaigen Feldzuges) gegen den Katholicismus der Polen ficherzustellen, sondern auch durch Verhandlungen mit dem Quirinal für die nämliche Zeitdauer einen positiven Alliirten zu gewinnen bestrebt gewesen sei. Daß Hr. Mancini an sich eine starke Neigung für eine russische Allianz besitze, ist wohl nicht beobachtet worden. Eher dürste sich vielleicht der Ministerpräsident Hr. Dcpretis nach dieser Seite hinneigen, dessen bevorzugter Hilfsarbeiter während seines Ministeriums des Aeußern der jetzige Gesandte in Bukarest, Zorelli, gewesen ist. Der letztgenannte Diplomat, welcher durch feine Sympathien mit den panslavistischen Bewegungen auf der Balkanhalbinsel bekannt und, wie es heißt, zum Botschafter in Petersburg ober Konstantinopel bestimmt ist, war währenb bes Aufenthalts des Herrn von Giers in Rom gleichfalls hier, was fteilich auf einem Spiele des Zufalls beruhen kann. Daß sich übrigens infolge der ans Wien und Berlin eingegangenen momentanen Parole die Partei der deutschen Allianz definitiv mit dem Verbleiben Mancinis im Amte ausgeföhnt habe, ist nicht anzunehmen. Wenigstens berichtet die „Capitale", daß nach den Weihnachtsferien „von den Anhängern der Parteifufion" ein großer Angriff gegen die Stellung Mancini's geplant loerde;
Ieuilleton.
Heinrich von Treitschke's Geschichte
n.*)
Das Eigenthümlich« dieser Geschichtsdarstellung ist, daß pe nicht sowohl als eine geschriebene, als vielmehr als «ine gesprochene und obenein als eine unmittelbar unter der Herrschaft der augenblicklichen Erregtheit geschriebene erscheint. Herr Trettschke befindet sich aber immerwährend in dem Zustande einer derartigen Erregtheit. Nicht eine Seite, feine Zeile, in dem ganzen über sechshundert Seiten starken Bande, welche nicht auf den leidenschaftlichen Redner hinwiese. Muß solch' ein hochgeschwelltes Pathos nicht aus die Dauer den Leser abstumpfen? In dem dicken Buche gewahren wir nicht ein einziges Mal einen Wechsel in der Seelenftimmnng des Vortrages. Das geht vielmehr unausgesetzt affectuoso fort, ohne Senkung feiner inneren Stimme. Zuerst fühlt man sich von der Neuheit der Klangfarbe wohl ongtjogen ; aber allmälig schmerzen uns unsere Gehörnerven. Es ist, wie wenn man gezwungen wäre, stundenlang in einen herniederstürzenden Wasserfall zu blicken. Unsere Sinne werden geradezu wirbelig gemacht. Alles dreht sich im Kreise mit uns, jede Einzelunterscheidung von den Dingen wird unmöglich.
Der vorliegende Band hebt mit einem sehr umfangreichen, literargefchichtlichen Effay „Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre" an und bildet ganz unbedingt den weitaus besten Theil des Buches. Hier kommen die glänzenden Eigenschaften des berühmten Publizisten von ehedem, da er sich noch nicht in den Dienst einer wirklich riickwätts gewendeten Ieitströmung eingestellt hatte, zu voller Geltung. Seine vielseitige Belesenheit, sein gebildeter literarischer Geschmack, seine Kunst, große literarische Persönlichkeiten in lebenswahrer Deutlichkeit und in wirksamer Beleuchtung hervortreten zu lasten. Alles dies vereinigt sich, um dem empfänglichen Leser «in schönes, wohlkomponirtes und farbenprächtig ausgeführtks Gesammtbild von dem geistigen Zustande jener Zett darzn- bieten. Es ist keine kulturgeschichtliche Darstellung jener Epoche, etwa wie sie Macoulay in feinem berühmten dritten Kapitel des ersten Buches der englischen Geschichte
*) Vgl. Jahrg. 1882. Morgenbl. der Nr. 254.
gegeben. Nein, Trettschke hat es fast ausschließlich mit einer Gclehrtengefchichte zu thun; diese entrollt er vor unsern Blicken Aber die Mannigsaltigkeit und die Größe der Einzelerscheinungen entschädigt uns vollauf für die absichtliche Einseitigkeit. Die Entwicklungsgeschichte der romantischen Auf- sassung in der grundlegenden neuen Rechtslehre, die Ueberwindung der aus dem vorigen Jahrhundert stammenden rechtsphilosophischm Ideen durch die Einsührnng des Gedankens von dem deutlichen Wirken des Volksgeistes, als einer lebendigen rechtsbildenden Kraft, die hiermit in engsten Zusammenhänge stehende Wiedergeburt des deutschen Alterthums in feinen geschichtlichen, literarischen und allgemein volksthümlichen Erscheinungen, ferner die Wiederbelebung der mittelalterlichen Kunst, Alles dies zeigt uns Treitschke in großen, charakteristischen Zügen. Manches Wort könnte als auf gewisse neueste Strömungen bezogen gelten; so, wenn er den treffenden Satz niederschreibt: „Die lärmende Jugend brüstete sich mit ihrer germanischen Sittenstrenge; die reifen Männer zeigten in ihrem Urtheile eine vornehme freisinnige Milde, die in Wahrheit wett deutscher war." Uns aber will es bebünten, als hielte es Herr Trettschke mehr mit jener Jugend. Gleichwohl ist diese gelungenste Partie des Buches nicht frei von Phrasen und unhaltbaren Behauptungen, wie sie von Julian Schmidt nicht schiefer hätten hervorgebracht werden können. Glaubt man nicht wirklich diesen vermeintlichen Literarhistoriker vor sich zu sehen, wenn man einen Satz wie den folgenden liest: „Schillers zarter Körper hatte sich vor der Zeit aufgerieben im harten Dienste der Kantischen Pflichtenlehre" ? Die einfältige Welt war bisher in dem Wahn befangen gewesen, unser großer Dichter wäre an einem unheilbaren Lungenleiden vor der Zeit zu Grunde gegangen, sein leidcr nur allzufrühes Ende wäre überdies durch mancherlei Widerwärtigkeiten herbeigesührt worden — allein Herr Trettschke glaubt die Ursache in dem Dienst der Kantischen Pfiichtenlehre gesunden zu haben. Fürwahr eine neue und bis dahin ungekannte Krankheits- und Todesursache! Es ist so recht eigentlich eine schlechte, sentimentale Schülerphrase, welche schon in dem deutschen Aussätze eines Primaners eine scharfe Rüge zur Folge haben sollte. Ganz desselben Geistes ist es, wenn er von Beethoven ausfagt: „Nie schuf er Größeres, als wenn er den uralten Lieblingsgebauken der freien Germanen, ben Sieg des Hellen Geistes über das dumpse Verhängniß schilderte, wie in der C-moll-Symphonie." Wo soll man einen derartig grotesken Wortschwall denn eigentlich ansaffen, um die ganze Unendlichkeit dieses in wenig«
Laut« zusammmgepreßten Unsinns nachzuweifen ? Vielleicht ist es aber nicht überflüssig, an dieser Stelle einmal zu zeigen, wie Herr Treitschke derartige subjektive Urtheile Anderer noch zu übertreiben, mit eigenen, wenig geschmackvollen Zuthaten zu spicken liebt. In dem zweiten Bande der „Allgemeinen Deutschen Biographie" (von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben) befindet sich nämlich in dem von Danner verfaßten Aussätze „Beethoven" folgender Satz über die c-moil- Symphonie: „Der Kampf mit dem Schicksal und der endliche Sieg des Geistes über das Verhängniß ist hier mit einer Größe und erschütternden Kunstwahrheit dargestellt" u. f. w. Bei Danner fehlt „der Liebling-gedanke der freien Germanen", der „Helle" Geist und bas „dumpfe" Ber- hängniß. Aber die schlagenden Worte, auf welche cs bei Beiden ankommt, zeigen eine mindestens sehr auffallende Uebereinstimmung. Herr v. Danner sann jedoch, da sein Aufsatz bereits 1875 in ben Druck toanberte, auf bie Priorität dieser sublimen Idee Anspruch erheben. Nicht immer ist man iu der Lage, Herrn Treitschke auf seinem Wege zu ben „Müttern" zu folgen; inbeffen ab uno disce omnia. Eben deshalb haben wir hier einmal solch einen kleinen Abstecher machen zu müssen geglaubt. Und noch ein dritter derartiger Ausspruch, der durch seinen vermeintlichen Tiessinn die Einfältigen im Geiste recht zu verblüffen gemacht scheint, bei näherer Betrachtung sich aber in eitel Dunst auflöst, sei uns hier anzureihen verstattet. Derselbe gilt dem großen Göttinger Mathematiker G anß. „Er wußte, die Mathematik fei die Königin der Wissenschaften und feine Zahlentheorie fei die Königin der Mathematik." Punttum! Ob Herr Treitschke diesen großartigen Einblick in die Seele des stolzen Denkers — er nennt ihn so nebenher einen „zeitlosen" — wohl aus der Kenntniß der disquisitiones geschöpft haben mag?
Mit diesen einzelnen, herausgegriffenen Bemerkungen, die wir jedoch beträchtlich vermehren könnten, verlaffen wir das Einleitungskapitel dieses Bandes. Wir haben schon gewiffe, glänzeilde Seiten dieser Gelehrteugefchicht« Deutschlands im Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts hervorgehoben; allein es muß bei aller Anerkennung doch nicht verschwiegen bleiben , daß diese literargeschichtliche Uebersicht zu viel ober zu wenig enthält, je nachdem man zur Sache eben Stellung nehmen will. Also in keinem Falle ist der betreffende Ab- schnttt, so umfangreich er auch immer geworden, inhaltlich erschöpfend. Derlei kann eben nicht so von oben herunter behandelt werden. Mit einer Phrase über Leopold ».Buch,
Ritter, Alexander Humboldt, Schelling, Hegel, Liebig, Meckl isfs nicht gethan.
Die hauptsächliche Bedeutung des Bandes liegt in folgenden Stücken: in der Darstellung der Wiederherstellung des preußischen Staates, den süddeutschen Versassungskämpfen und in der Beurtheilung der Karlsbader Beschlüsse, sowie der ihnen vorausgehenden ursächlichen Ereigniffe. Immer jedoch bilden die preußischen Verhältnisse den, wenn auch nicht immer ausgesprochenen, so doch deutlich durchspürbaren Hintergrund. Diese Gruppirung ist an sich gewiß eine vollkommen richtige und dem weltgeschichtlichen Verlause der deutschen Ding« durchaus entsprechende: allein in der Verknüpfung der Einzelereignisse zeigt sich eine, man möcht« sagen, tendenziöse Willkür. Nicht daß Treitschke in jedem Falle ober auch nur in einem einzigen der geschichtlichen Wahrheit bireft ins Gesicht schlägt. Aber inbem er gewisse, nach einem halben Jahrhunbert in ihrer Wesenheit erkannte Bedingungen so hinstellt, als ob sie schon damals offen vor den Augen aller Derjenigen gelegen hätten, welche zu jener Zeit eine Einwirkung auf die Entwickelung der deutschen Verhältnisse versuchten, darin liegt ba8 Unrecht in bet Treitschke'fchen Auffassung. Er behandelt die psychologisch so überaus bemerkenswerthen süd- und mitteldeutschen Ver- saffungskämpse als Stürme in Wassergläsern. Ma« mag das vom heutigen Betrachtungsstandpuntte aus bis zu einem gewissen Grade zugeben. Aber will denn Herr Trettschke den wahren Grund biefer Erscheinung nicht einsehen? Weshalb richteten sich denn die Augen aller wahren VaterlandSftennde auf jene kleinstaatlichen Vorgänge? Nun, einfach doch nur deshalb, well der größte deutsche Staat es hartnäckig unterließ, das gegebene Versprechen einer einzuführenden Verfassung zu erfüllen. Das preußische Volk glaubte, durch seinen beispiellosen Opfermuth sich ein gutes Recht daraus erworben zu haben, durch eine erwählte Vertretung entscheidend auf die Staatsverwaltung einwirken zu können; hierzu kam noch, baß Hardenberg den König dazu bewogen hatte, eine solch« konstitutionell« Ver- fassung in Aussicht zu stellen. Nun geschah aber von Alledem nichts. Was Wunder, wenn die Folgen dieser Ueberlassnng, welche ja innerhalb der obersten preußischen Staatsleitung zu den vehängnißvollsten „Reibungen" führten, außerhalb der streitenden Kreise sich noch viel unumwundener geltend machten! Herr Treitschke hält auf diese, doch wohl berechtigte Frage «ine wirklich sonderbar klingende Antwort in Bereitschaft. Er sagt, was ahnten jene in französtsch-kon-
