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Bureaux Gr-tze Esmenheimeraaffe 37.
Politische Uebersicht.
Trotz der Sorge Windthorst's, daß eine Ueberan- ttrcngung apoplektische Zsolgen haben könne, wird der Keich st a g heute zwei Sitzungen halten; morgen, als am preußischen Bußtage, kann er sich von den Strapazen erholen. Der Etat drängt, es bleiben, da er spätestens am 30. April Abends im Reichsanzeiger publizirt sein muß, zu seiner Berathung nur noch wenige Srtzungstage übrig, von denen einer, wenn ilüht gar zwei, von der dritten Lesung allein beansprucht werden dürften. Soll wirklich bis zum 5. Mai der Schluß herbeigeführt werden, so müssen viele Vorlagen und Anträge unter den Tisch fallen, andere wird man in beliebter Art — „billig und schlecht " pflegt auch von den per Dampf ausgeführten parlamentarischen Leistungen zu gelten — noch zum Abschluß zu bringen suchen. Zu den ersteren werden die auf Reform der Gewerbeordnung abzielenden Anträge gehören und so mag es, wie die „Köln. Ztg." sagt, dem Liberalismus gleichgültig sein, ob der Kopf der betreffenden Kommission, eines todtgeborenen Kindes, das Antlitz der Herren von Helldorf und von Galen oder irgend eines beliebigen Dritten trägt, aber es wurmt doch, „daß jetzt zum ersten Male die freikonservative Fraktion mit den Ultramontanen hinterrücks handelseinig geworden ist" Das Köln. Blatt will die Sache zwar nicht tragisch nehmen, möchte aber doch den Herren die Bedenken wieder ins Gedächtniß rufen, „welche von verschiedenen Seiten in wohlmeinender Absicht laut geworden sind, als die deutschkonservativen Rattenfänger sich im Anfang der Session dem freikonservativen Hameln zu nähern versuchten." Hameln — der Vergleich ist zeitgemäß, denn eben hat die Wahlprüfungs-Kommission das Hgmeler Mandat des freikonservativen Spangenberg einstimmig für ungültig erklärt und es steht also eine Neuwahl bevor, bei der die Nationalliberalen nur die Hände in den Schooß zu legen brauchen, um den Freikonservativen den „hinterrücks" abgeschlossenen Handel heimzuzahlen.
Die Macht der Thatsachen scheint sich in Wien, wenn auch in etwas überraschender Weise, geltend zu machen. Die Anhänger der Occupationsidee zeigen sich sehr zuversichtlich, und selbst diejenigen Organe, welche bisher als Türkenfreunde oder Slavenhasser von einer Occupation durchaus nichts wissen wollten, suchen sich jetzt mit derselben zu befreunden. Den Magyaren wird die Sache dadurch mundgerecht gemacht, daß man nicht mehr von einer „Parallel- Aktion", sondern von einer „Contre-Aktion" spricht, wobei es denn • den Magyaren gestattet ist, an eine Aktion gegen Rußland zu denken. Sonst ist freilich gerade nach dieser Seite hin in Oesterreich nichts zu bemerken, und selbst die „R. Fr. Presse." glaubt, daß die Aufstellung eines Armeekorps in Siebenbürgen in dem Marschallsrathe „vielleicht nur akademisch behandelt" worden sei. Dennoch genügt dem bisher sehr türkisch gesinnten Blatte diese Vermuthung, um ihm die Occupation als annehmbar erscheinen zu lasten. Es heißt dort nämlich:
»Auch der Plan, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen, erschreckt uns heute nicht. So lange wir -befürchten mußte», Oesterreich könnte in Ausführung geheimer, in Berlin getroffener Verabredungen als Verbündeter Rußlands über di- Save gehen, haben wir gegen eine solche, auf abenteuerliche und un- Zerechte Grundlagen gebaute Politik angekämpft. WiedieDinee heute liegen, dürfen wir wohl nicht mehr besorgen, daß Oesterreich den Einmarsch in Bosnien im Dienste Rußlands vollziehen toürbe, sondern wir hegen die Ueberzeugung, daß er im eigenen Interesse Oesterreichs erfolgte. Wir möchten sogar vermuthen, baß die Pforte den Einmarsch, falls es dazu käme, keineswegs mit feindlichen oder besorgten Blicken betrachtete, denn er würde kaum stattfinden, ohne daß sich die Wiener Regierung vorher mit der Türkei verständigt hätte. Obwohl ein solcher Schritt dem Reiche schwere Opfer auferlegte und wir von ganzem Kerzen wünschen, daß die Ereignisse uns nicht dazu zwingen, kann doch die Nothwendigkeit eintreten, die Wacht an der Donau durch vorgeschobene Posten an der Bosna und Neretva zu verstärken. Nicht die Sorge um die Erhaltung der Türkei wird Oesterreich zum Einmärsche treiben, sondern jener gesunde und berechtigte Egoismus, ohne den kein Staat gedeihen kann."
.Noch viel deutlicher spricht sich die „Deutsche Zeitung" aus, indem sie schreibt: „Täuschen wir uns nicht: der Krieg wird losbrechen, Bosnien wird vccupirt werden. Aus der Annexion erwächst der Besitz — aus diesem entwickelt sich die Trias. Ob dieselbe dem Deutschthum in Oesterreich günstiger oder nachtheiliger werde als die ungarische Hegemonie — ob sie das mühselig aufgeschichtete staatsrechtliche Gebäude festige oder untergrabe, läßt sich nicht ab- fehen. Wir haben den Eindruck gewonnen, als gebe General Mollinary einen braven Vorposten der österreichischen Sache im Südosten ab, welcher sich der Unvernunft entgegenstemmt, ob sie vom Norden oder vom Süden herüberzüngelt."
Man weiß in der That nicht, was an einer solchen Politik seltsamer ist: ihre Inkonsequenz oder die Leichtigkeit, mit welcher sie sich vollendeten, aber längst vorhergesehencn Thatsachen anschließt.
Deutsches Reich.
G Berlin, 23. April. Dem Reichstage ist beut das Gesetz, betreffend die Erwerbung des in der Wilhelmsstraße gelegenen Teckerftchen G run dstückes sammt der darauf befindlichen Druckerei im Betrage don 6,780,000 dl. und das an der Voßstraße No. 7 und 5 gelegenen Grundstückes im Betrage von 784,380 Jf,. zugegangen. Den Motiven entnehmen wir unter Anderem Folgendes:
„Sie wachsende Ausdehnung der Reichsverwaltung bedingt naturgemäß eine entsprechende Vermehrung der Geschäftsräume. Der Bedarf an solchen hat bisher schon auf den in Berlin vorhandenen Reichsgrundstücken nicht ausreichend befriedigt werden Kimen. Insbesondere haben die erforderlichen Lokalitäten für Has Gesundheitsamt und das Reichs - Justizamt miethweise be- toafft werden mimen Auch die Kommission zur Ausarbeitung »es bürgerlichen Gesetzbuches ist auf diese Weise untergebracht. Noch werterer Bedarf wird nicht ausbleiben. Das Reichskanzbr- Nmt für Elsaß-Lothringen, gegenwärtig im Dienstgebäude des Relchskanzteramts, dürft- Bei dem steigenden und bisher nur unzulänglich gedeckten Raumerfordernisse des letzteren schwerlich »och lange in seinen Amtslokalitäten verbleiben können. Es erwächst auch die Nothwendigkeit, das im Patentgesetze vorgesehene Patentamt mit angemessenen Geschäftsräumen auszustatten. Die Weitete Entwickelung der Reichsverwaltung wird sich voraussichtlich in der Richtung auf Bildung neuer Centralorgane bewegen. Bei der Erwerbung eigener Grundstücke für das Reich JF vor Allem darauf zu sehen, daß sie den bereits vorhandenen Amtsgebäuden nahe liegen. Beide zum Kaufe vorgeschlagencn
Grundstücke haben nicht nur an sich eine sehr günstige Lage, sondern schließen sich auch dem übrigen Reichs-Jmmobilienbesitze Hierselbst auf das Glücklichste au. Die Kauffmnme für das Decker'fche Grundstück beträgt 6,780,600 wonach 5 Millionen °uf die Immobilien, 1,780,000 Jt. auf die Mobilien entfallen. Das Reich erwirbt dabei nicht blos das Grundstück, sondern äußerten noch die darauf betriebene Buchdruckerei und Schriftgießerei mit den für diesen Betrieb bestimmten Hülfswerkstätten und den zur Zeit des Eigenthumsüberganges norhandeoen Material- und Vorrathsbeständen, mit alleiniger Ausnahme der für den Druckereibetrieb angeschafften Papiervorräthe, die sämmtlichen Inventarien und Utensilien. Ausgeschlossen von dem Verkaufe würden dagegen bleiben die Geschäftssinns, das gesummte Vertagsgeschäst, die Geschäftöbibliothek, der Verlag und Vertrieb des „Fremdenblattes" und einzelne speziell vereinbarte Jnvcntarienstücke, Kunstgegenstände u. bergt. Was den Mitankauf der Druckerei cmlangt, so kommt derselbe nur einem in der Rcichsv-rwaltuug schon längere Zeit empfundenen Bedürfniß entgegen, indem bereits jetzt die amtlichen Drucksachen der obersten Reichsbehörden^zum nicht geringen Theile von dem Decker'- fchen Institute geliefert werden. Es liegt in der Absicht, die Druckerei und Schriftgießerei für Rechnung des Reichs fortzuführen, und es ist apsbedungen, daß die Reichsvettoaltung vom 1 Juli 1877 ab in alle Lieferungs- und sonstige Verträge der Druckerei einschließlich der Verträge über Lieferung vou Truck- förmularen eintritt. Die endgültige Gestaltung des Instituts bedarf noch weiterer Erwägung, wcßhalb die Vorlegung eines bezüglichen Planes erst für die Etatsperiode 1878—79 in Aussicht genommen werden kann. Die Mittel zur Deckung der Kaufsumme für beide Grundstücke sind im Wege des Kredits flüssig zu machen."
M Berti», 23. April. Der Reichstag setzte heute seine Berathung über die Zollfrage fort. Herr v. Wedell- Malchow trat vom konservativen" Standpunkt aus dem Anträge Löwe, der sich offen zum Schutzzölle bekannt, wie der nur verschämt schutzzöllncrischen Regierungsvorlage entgegen. Namentlich glaubte er den Protektionismus im landwirthschaftlichen Interesse bekämpfen zu müssen. Der 216 g. Windthorst begann zwar heute mit den Worten, es sei über die Angelegenheit schon so viel gesprochen, daß nichts mehr zu sagen übrig bleibe, hielt dann aber doch eine halbstündige Rede für den Antrag Löwe und gegen die Regierungsvorlage. Er klagte besonders über die Unsicherheit, in welche die Industrie dadurch versetzt würde, daß sie nicht wisse, wie sie daran sei. Vom Fürsten Bismarck sage man, er gehe mit großen Reformen um, wogegen Minister Camphausen wieder erkläre, die Regierung würde von ihrer seitherigen .Handelspolitik nicht abweichen. Man möge doch darüber die industriellen Kreisen nicht im Unklaren lassen. Auf derselben Seite, die Windhorst vertrat, sahen wir weiter noch den Lothringer Jaunez und den Socialisten Bracke. Herr Jaunez verlas seine Rede, in der das aus der Eroberung seiner Heimalh entsprungene Unheil für die dortige Industrie in lebhaften Farben geschildert war. Es fei hohe Zeit, daß die Regierung durch Schutzmaßregeln Abhilfe schaffe. Gegen den Antrag Löwe sowohl, als gegen die Regierungsvorlage sprachen außer dem schon erwähnten konservativen Redner noch Bamberger und v. Unruh. Die Rede des Ersteren war schon lange signalisirt und entsprach durchaus den Erwartungen. Herr Bamberger erkennt den Abstand zwischen dem Anträge Löwe und der Retorfionsbill gern an, will aber zunächst nicht zugeben, daß eine national-politische Frage hier im Spiel sei und daß man von verletztem Ehrgefühl sprechen dürfe. Er fordere die Regierung auf, die diplomatischen Aktenstücke vorzulegen, auf welche der Abg. Löwe sich stütze, indem er von einem Hohn spreche, den die französische Regierung den deutschen Forderungen entgegengesetzt habe. Er könne sich von dem Fürsten Bismarck nicht denken, daß dieser erst den Antrag Löwe abgewartet habe, um den „Hohn" einer anderen Regierung zu strafen. Preußen kenne Export - Prämien so gut wie Frankreich, und Niemand fühle sich dadurch verletzt. Von diesem Gesichtspunkte dann abgesehen, wies Bamberger die Jnconsequenz der Vorlage nach, die die Maschinen frei gebe und die Werkzeuge verzolle. Es führe zur Absurdität, wenn man gegen ein einzelnes Land Repressalien ergreife und durch die Bestimmung über die meistbegünstigte Nation genöthigt sei, die Repressalien gegen alle Vertragsstaaten in Anwendung zu Bringen. Delbrück hätte eine solche. Vorlage nicht eingebracht! Diese Worte zündeten. Vom Regierungstische sprachen die Minister Camphausen und Hofmann. Letzterer stimmte dem Abg. Windthorst darin bei, daß man die Sache an sich zu prüfen habe und die Personenfrage bei Seite lassen muffe. Tas war gegen den Herrn v. Treitschke gemünzt, der am Samstag die Frage des Verbleibens Camphau- sens im Amte in die Diskussion hineingemengt hatte. Herr Camphausen sprach heute, als er die Anspielung Bambergers auf Delbrück als einen Abwesenden und Ausgeschiedenen etwas sehr gereizt zurückwies, die bemerkens- werthcn Worte: Herr Delbrück sei in der beneidenswerthen Lage, die jetzige Entwickelung der Dinge nicht mehr mit- zumachen. Es mag bei dieser Gelegenheit erwähnt werden, daß das Gerücht von der Verknüpfung des Verbleibens Camphausens im Amte mit dem Schicksale der Retorsionsbill immer von Neuem auftaucht. Herr Hofmann erklärte auf die Frage Windthorst's, wie es mit den Reformen des Reichskanzlers sich verhielte, davon könne erst nach der Rückkehr des Kanzlers die Rede sein. Löwe zog zum Schluß der heute vollendeten ersten Berathung seinen Antrag zurück, um ihn als Amendement zur Regierungsvorlage wieder einzubringen. — Da die prononcirtcn Schutzzollner beabsichtigen, gegen die Regierungsvorlage zu stimmen, auf dem Grundsätze: Alles ober nichts, so möchte die Regierungsvorlage doch wohl zu Falle kommen, natürlich auch der Antrag Löwe. — Die Petitionskommission beschäftigte sich heute mit den massenhaften Petitionen, die einen Sturm gegen dm Impfzwang versuchen. Der Abg. Thilenius ist in dieser Frage zum Referenten, der Abg. Holthof zum Korreferenten ernannt. Herr Thilenius bemerkte in seinem einleitendem Vortrage u. 2t., daß in letzterer Zeit die gegen den Impfzwang ankämpfenden Broschüren sehr zahlreich geworden find und eine leidenschaftliche, zum Theil brutale, die Anhänger des Impfzwanges, insbesondere auch den Reichstag, beschimpfende Sprache führten. Das gestimmte Material soll dem Gesundheitsamte überwiesen werden, und wird der Res. Thilenius einen schriftlichen Bericht abfassen.
♦ Berlin , 23. April. Die offiziös bediente Wiener „Montags-Revue" läßt sich von hier als Beitrag zur Geschichte der letzten Kanzlerkrisis folgende Anekdote schreiben:
„Vor ungefähr zwei Monaten machte Fürst Bismarck der Kaiserin Augusta aus irgend welchem conventionellcn Grunde die Aufwartung. Als er von der Kaiserin kommend die Treppe hinabstieg, begegnete ihm der Kammerherr Ihrer Majestät, Graf X., welcher an dem Kanzler vorüberging, ohne ihn zu grüßen. Fürst Bismarck ließ sich stehenden Fußes beim Kaiser melden, der ihn huldvoll und gütig wie immer empfing, besorgt nach dem Grunde des außergewöhnlichen Kommens des Kanzlers fragend. „Majestät, erwiderte dieser, ich bin es gewöhnt, in denjenigen Häusern, in welchen ich verkehre, von der Dienerschaft gegrüßt zu werden. Die Dieners chaft Ihrer Majestät d er Kaiserin scheint andere Weisungen zu haben, wenigstens hält der Kammerherr Graf $., welcher mir soeben auf der Treppe zu Ihrer Majestät begegnete, es mit feiner Pflicht vereinbar, dem ersten Minister seines Königs die schul
dige Achtung zu versagen". Wie verlautet, erließ der Kaiser höchlichst inoignirt sofort die entsprechenden Weisungen an den Hofstaat".
In Sachen des zu erlassenden Dersicherungsge- setzes liegt folgendes an die Oberpräfidrnten ergangene Rundschreiben des Ministers des Innern vor:
„Der Verband deutscher Privat - Feuerverficherungs - Gesellschaften hat in der Petition, welche den Gegenstand des Com- missionsberichteS des Hanfes der Abgeordneten bildet und in der Plenarsitzung vom 2. März d. I. zur Verhandlung gekommen, ist auf Beseitigung der auf dem Gesetze vom 8. Mai 1837 beruhenden Präventivcontrole angetragen. Dieser Beseitigung steht zunächst das prinzipielle Bedenken entgegen, daß, da es sich um Aufhebung eines im größten Theile von Deutschland eingesühr- ten wichtigen Verwaltungsgrundsatzes handelt, ein einseitiges Vorgehen der preußischen Landesgesetzgebung gegenüber dem Artikel 4 der Reichsverfassung vom 16. April 1871 ein möglicher Weife für die bevorstehende reichsgesetzliche Regelung der Sache unerwünschtes Präjudiz schaffen würde : Hiervon abgesehen würde, auch namentlich im Hinblick auf die nach der jedesmaligen Versicherungssumme sich richtende Erwerbsprovision der Agenten zu befürchten fein, daß bei einer Aufhebung der jetzigen Präventivcontrole die Gefahr doloser Brandstiftungen zunehmen möchte, zumal die Agenten jetzt nicht mehr wie früher einer staotsfeitigen Concesfionirung bedürfen. Endlich läßt sich nicht wohl bezweifeln, daß es legislativ richtiger ist und für die praktische Handhabung sich als das einfachere empfiehlt, das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages, welcher eine Heber- versicherung involvirt und den Verdacht einer Brandstiftungsabsicht erregt, durch Verweigerung des polizeilichen Unschädlich- keits-Attestes zu verhindern, als das Perfectwerden eines solchen Vertrages zu dulden und erst hinterher auf Grund eines entsprechenden Polizei - Attestes die Auflösung desselben herbeizuführen. Hiernach scheint mir, obschon zugegeben werden mag, daß in den größeren Städten die polizeiliche Controls häufig ziemlich oberflächlich vorgenommen wird und das Perfectwerdeu des Versicherungs-Vertrages in einer für die Betheiligten unangenehmen Weise etwas verzögern kann, die Beseitigung der jetzigen Präventiv-Controle erheblichen Bedenken zu unterliegen. Nachdem das Haus der Abgeordneten die Eingangs erwähnte Petition der königl. Staatsregierung zur Berücksichtigung empfohlen hat, ersuche ich Ew. . ., sich über die Angelegenheit gegen mich zu äußern, insbesondere würde mir eine ziffermäßige Angabe darüber erwünscht fein, in wie viel Fällen pro 1875 und 1876 das polizeiliche Unschädlichkeits-Attest nachgesucht und vor dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages resp, vor der Auszahlung der Brandentschädigungssumme verweigert worden ist".
As Ans der Provinz Starkenburg, 23. April. Geschäftliche Krisen ergreifen allerdings zunächst die unmittelbar beteiligten Kreise, aber ihre nachtheilige Einwirkungen auf das ganze wirthschaftliche Leben bleiben nicht aus. Die verheerenden Wirkungen des „großen Krachs" traten ursprünglich vornehmlich in merkantilen und industriellen Kreisen zu Tage, nachgerade werden auch die ländlichen Kreise von den Nachwehen der wirth- schaftlichen Krisis betroffen. Das Hofgericht zu Darmstadt hat kürzlich in einer Sitzung nicht weniger als siebenzehn formelle Konkurse hauptsächlichst über Landbewohner erkannt, tagtäglich laufen dahin bezügliche Anträge bei dieser Behörde ein. Dabei find die ungleich zahlreicheren Debitverfahren, welche durch „Accord" ihre Erledigung finden, noch nicht einmal mitgerechnet.
♦ Worms, 23. April. Wie die W. Ztg." meldet, er- s ch 0 b sich am Donnerstag in der Domdechanei-Kaserne ein Sergeant der 5. Komp, des dort garnisonirenden Bataillons des 118. Regiments.
# Bruchsal, 23. April. In einer der letzten Nächte entsprang aus dem hiesigen polizeilichen Arbeitshaus ein Sträfling. Er wußte das Gitter an feiner Dachzelle zu entferne», stieg in die Kleiderkammer, wo er seinen Züchtlingsanzug mit den seiner Zeit von ihm selbst in die Anstalt mitgebrachten Klettern vertauschte, rutschte dann auf dem Dach bis an die Straße und ließ sich mittelst dünner Stricke, die er ebenfalls aus einer Dachkammer geholt hatte, herab. Der Name des Flüchtigen ist nicht bekannt, da er über seine persönlichen Verhältniße jede Auskunft verweigerte. Ter hiesige Korrespondent der Karlsruher „Landeszeitung" fügt dieser Mittheilung die Bemerkung an: „Unsere allzu milde Gesetzgebung hat bekanntlich den Zwangstuhl, mittelst dessen solche Bursche zur Namensnennung mit Leichtigkeit zu bringen waren und mancher schlaue Verbrecher den Gerichten in die Hände geliefert wurde, abgeschafft." Uns wundert, bemerkt hiezu die „N. B. L'", daß der liberale Korrespondent und die liberale „Landeszeitung" nicht auch Sehnsucht nach Wiedereinführung der Tortur empfinden und äußern.
@ München, 23.April. Die Nationallib eraleit haben dieser Tage schon wieder in einem der Ihrigen einen Aufsehen erregenden Unfall erfahren: Langwaarenhändler fielb, zugleich Häusererbauer und Spekulant in großartigem Maßstabe, ist in dsv Stille fortgereist, unter Hinterlassung einer gewaltigen Schuldenmasse; schon ist die Gant ausgeschrieben. Es ist dies der dritte Fall dieser Art (Magistratsrath Knorr und Rathhauspächter Steidel) und das fünfte unangenehme Vorkommnis;, von dem die nationalliberalen Freunde während der letzten vier Monate hier betroffen wurden (nämlich noch die Geschichte d r Mathaus we.,en Kindermißhandlung und des Pächters des Kaffee Lorenz wegen Verleitung zu falschem Zeugniß). Da in hem Held'schen Falle ebenso wie bei Knorr und Steidel, Hun- berttausende verloren werden und viele Leute ihre ganze Ersparnis; einbüßen, so greift der Vorfall sehr tief in die Verhältnisse mancher Kreise ein.
♦ München, 23. April. Man schreibt uns: „Bezüglich der Mittheilung, welche die „Franks. Zeitung" aus München brachte— daß die Verwaltung unserer Staatseisenbahnen für das letzte Jahr um 2 Millionen weniger an die Centralstaatskasse abgelifeert habe, als im vorangegangenen Jahre — waltet ein großer Irrthum ob, denn gerade das Gegentheil ist richtig; es werden, wie wir aus verlässigster Quelle erfahren, für 1876 nicht um 2 Millionen Mark weniger, sondern um 2 Millionen mehr, als es 1875 der Fall war, an die Central- Staatskaffe zur Ablieferung gelangen." Die betreffende Mittheilung war uns von sonst vorzüglich orientirter Seite zugegangen.
♦ Würzburg, 23. April. Das hiesige „Journal" schreibt: „Der Kassier (?) Manz oder Schanz aus Plauen, Welcher vor einiger Zeit im Wittelsbacher Hof dahier unter der Anschuldigung verhaftet wurde, den großen Diebstahl im Bankhause Sontheimer zu Stuttgart verübt zu haben, hat sich als vollkommen unschuldig erwiesen und ist wieder in Freiheit gesetzt Worden. Die 500 Mark Belohnung, um welche sich Polizei und Oberkellner stritten, sind demnach noch zu verdienen. Wer aber entschädigt den unschuldig Verhafteten?"
Frankreich.
# Paris, 22. April. Der P. Hyacinthe hielt hente (Sonntag) im Wintercirkus vor einem wiederum dicht gefüllten Hafte und einer ebenso aufmerksamen als dankbaren Zuhörerschaft den zweiten seiner Vorträge, welchem „D i e Re - form der Familie" zum Thema diente. Der äußere Verlaus der Vorlesung war ein ebenso befriedigender, wie das letzte Mal. Nur an einer einzigen Stelle, als der Redner erklärte, daß er für heute ein moralisches und patriotisches Apostolat unter se nen Landsleuten erfülle, bald aber auch ein religiöses zu unternehmen hoffe, unterbrachen ihn zwei Individuen von einer höheren Galerie mit Pfeifen; sie wurden von ihrer entrüsteten Umgebung, ohne daß die Polizei sich einmischte, mit Rippenstößen aus dem Circus geschafft. Am wirksamsten erschien (toi sprechen hier natürlich nur vom ästhetischen Standpunkte) die hinreißende Schlußapostrophe, in welcher der Redner den Ehemännern als besten Leitstern die Stimme ihres Gewissens empfahl: der schlimme Glaube sei immer noch besser als gar keiner; der Fetischdiener selbst sei glücklicher als der Ungläubige; die Krone alles Glaubens sei aber das Christenthum. Welches Christenthum? Wiederum dasjenige, welches Jedem sein eigenes Gewissen eingibt. Dieser pythische Spruch erregte in dem
Publikum, welches sichtlich erfreut war, so wohlfeil davonzukommen, einen wahren Enthusiasmus und allgemein schien man sich einen so bequemen Beichtvater zu wünschen. llebrigens waren die Kolonien der englischen, schweizerischen und deutschen Protestanten in. dem Auditorium wieder sehr stark vertreten.
Belgien.
ffl Brüssel, 21. April. Nach der vorige Woche stattgehabten Wahl in Antwerpen und der am 26. statt» findenden Senatorwahl in Soignies werden wir noch einen nicht unbedeutenden Wahlkampf und zwar am 30. April in Brüssel erleben. Es ist hier ein Depu- tirter an Stelle des verstorbenen Funck zu ernennen. Hier wird der Kampf nicht zwischen Liberalen und Klerikalen, sondern zwischen zwei liberalen Kandidaten stattfinden. Der Eine ist Baron Goblet d'Alviella, der Andere der ausgezeichnete Advokat Janson, unser tüchtigster Redner. Janson hat nämlich vor etwa 10 Jahren den berühmten Prozeß Debück, eine Captationssache gegen den Jesuitenorden, auf die brillanteste Weise zehn Jahre geführt und gewonnen und zeichnete sich später bis im Jahre 1871 durch seine progressistischcn Ideen ans. Als Mitglied der Internationale plaidirte er häufig für verfolgte Arbeiter bei Strikeangelegenheiten und trat auch energisch als Sozialist in den öffentlichen Meetings auf. Seitdem haben sich allerdings seine Ideen etwas gemäßigter gestellt. Trotzdem aber hat feine in der Association liberale vorgeschlagene Kandidatur für die vakante Deputirtenstelle einen kaum glaublichen Rumor verursacht. Es droht Gefahr, daß die Wahl eine Zertheilung in de? liberalen Partei hervorruft. Daraus fußend, daß die Wahl Jauson's auf die Liberal- Konservativen der Provinz eine schlimme Wirkung haben würde, hat sich die Brüsseler Deputation gegen Jauson ausgesprochen Die Brüsseler Wähler aber haben sich der Kandidatur mit großem Feuer angenommen, so daß ein Zweifel obliegt, wer von beiden, Goblet d'Alviella oder Janson, den Sieg davon tragen wird, falls die beiden Kandidaten gegen einander auftreten. — Zur selben Zeit, wo in Frankreich die allzu schwache Regierung mit dem Bischof von Nevers zu kämpfen hat, haben die hiesigen Bischöfe eine ähnliche Manifestation veranstaltet und eine Petition an den König gerichtet, worin sie denselben bitten, „die Aufmerksamkeit seiner Regierung und die der hohen Machte auf bit „klägliche Lage des Papstes" richten zu wollen, damit die Rechte der Gläubigen und die Unabhängigkeit des Papstes gesichert werden." Bemerkenswerth ist die Fassung der Petition; sie liefert einen neuen Beweis für die Biegsamkeit der klerikalen Politik in verschiedenen Situationen und Ländern. Der Sinn der Petition ist derselbe, wie derjenige des Briefes, den der Bischof von Nevers an Mac Mahon richtete. Dort spricht der Bischof in seinem eigenen Namen. Hier aber sind die Bischöfe geschickter: die Gesammtheit der Gläubigen reicht die Petition ein, die Prälaten selbst aber bleiben anonym im Hintergründe. „Hommes noirs, d’oü sortez-vous“ sagte Beranger. Das bleibt ewig die Wahrheit. Natürlich wird weder der König, noch die Regierung den Wünschen der Petenten Genüge leisten. Die Regierung kann es nicht, wenn sie es auch wollte.
Großbritanien.
# London, 21. April. Nach einer Pariser Meldung des „Standard" ist wenig Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluß der englisch-französischen Verhandlungen in Betreff des Handelsvertrages. Schuld daran seien nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch das Vorherrschen schutzzöllnerischer Ideen in den offiziellen Kreisen Frankreichs; wahrscheinlich würden die Verhandlungen für den Augenblick abgebrochen und der Vertrag von 1860 verlängert werden. Ueber die Haltung Englands gegenüber dem bevorstehenden Kriege schreibt die „Weekly Dispatch": Es ist unmöglich, vorauszusehen, bis zu welchem Grade England in den kommenden. Krieg verwickelt werden mag oder nicht. Der aügemeine Eindruck ist, es werde der Regierung gelingen, sich völlig neutral zu verhalten, so lange Rußland nicht den Balkan überschreitet. Wenn erst die Streitkräfte des Zaren diese Gebirgskette passiren, werden ihrem Marsche nach Konstantinopel thatsächlich keine physischen Hindernisse im Wege stehen. Es scheint ein Glaubeusbekemitniß der englischen Aktionspartei zu fein, — nnd die gegenwärtige Regierung sympathifirt mit dieser Partei, — daß Rußland nicht gestattet werden solle, Hand an die türkische Hauptstadt zu legen. Diese Partei hält noch immer an der Theorie fest, daß Konstantinopel der Schlüssel zu Indien und dem Orient ist. Im Hinblick auf Eventualitäten der eben erwähnten Natur hat die Regierung enorme Vorbereitungen in Malta getroffen. Nicht allein ist dieser Platz und Gibraltar in einen starken Vertheidigungszustand versetzt worden, sondern seit vielen Monaten sind in Malta ungeheure Vorräthe angesam- melt worden. Man glaubt, daß dieselben hinre'chen, im die Bedürfnisse von drei Armeekorps zu befriedigen. Gleichzeitig ist ein großer Transportdienst für unverzüglichen Gebrauch vorbereitet und unter dem Kriegsmaterial befinden sich 20 bis 30 große Geschütze im durchschnittlichen Gewicht von je 7 Tonnen. Diese Kanonen und eine große Quantität anderer Arten von Kriegsmaterial können jeden Augenblick von Malta nach Konstantinopel oder irgend wo anders hin transportirt werden." — Aus anderer Quelle wird gemeldet: Das Kriesministerium hat Submissionen für die Lieferung von 100 Ambulanz-Zelten und 52,000 Sandbeuteln ausgeschrieben. Letztere sollen so rasch als möglich geliefert werden. Zelte für die Unterkunft von 50,000 Mann werden für die englische Regierung angefertigt. — Ein merkwürdiges Licht auf die Politik Englands wirft eine Mittheilung des „Temps", welche jedoch noch der Bestätigung bedarf. Das Blatt schreibt nämlich: „Wie wir erfahren, wurde der englische Geschäftsträger in Konstantinopel beauftragt, in Englands Namen bei der Pforte barruf zu bringen, baß sie ben Hafenplatz Odessa möglichst schone. Die Pforte hat die Abficht, ablehnend zu antworten und bemerklich zu machen, daß man während des Krimkrieges nicht auf allen Punkten mit gleichem Nachdrucke habe vorgehen können, und zwar erstens wegen der entscheidenden Streitkräfte, welche dieses Bündniß mit Frankreich und England der Türkei zusicherte, und zweitens weil die französischen, englischen und italienischen Interessen in Odessa cngagirt waren; gegenwärtig aber stehe die Pforte Rußland allein gegenüber, und sie sehe sich daher genöthigt, sich aller möge lichen Mittel des Angriffes und der Vertheidigung zn bedienen." Die Zumuthung Englands wäre in bei That sehr stark..
Türkei.
# Nach einem Konstantinopeler Telegramm bei „Daily Telegraph" hat bei Sultan vorgestern b» schlossen, nach ber Donau zu reisen und das Kommand, über seine Truppen zu übernehmen." — Der „Daily News" zufolge sind von dem Polizeiministerium in Konstantinopel Befehle erlassen worden, daß alle Muselmärp-
