Zweiunddreissigster Jahrgang.

Dienstag, 1. November 1887

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Frankfurt, 31. October.

Der Präsident der französischen Republik, Herr G r e V y , scheint sich noch nicht definitiv entschlossen zu haben, welche Stellung er gegenüber dem Anträge Cuneo d'Ornano's einnehmen wird; wenigstens deuten die wider­spruchsvollen Nachrichten, die seit zwei Tagen aus dem Clysoe in die Oeffentlichkeit gelangen, auf eine gewisse Un­schlüssigkeit hin. Nach den Einen soll Herr Grcvy dem Ministerpräsidenten seinen bestimmten Willen kundgegeben haben, im Falle der Annahme des Antrags durch die Kammer seine Demission zu geben; nach den Andern soll er der Sache einstweilen ihren Lauf lassen wollen und nur verlangen, daß die Enquetekanalisiri", d. h. außer­halb der Justizsphäre auf bestimmte Fragen der behaup­teten Verwaltungsmißbräuche beschränkt werde. Es wird auch dementirt, daß das Ministerium die Kabinetsfrage stellen wolle, sowie daß die Herren Floquet und Leroyer im Glisse gewesen seien und dem Präsidenten der Re­publik Vorstellungen gemacht hätten. Es wird sogar denientirt, daß Herr Wilson aus dem Elysse ausziehen werde; er lasse nur seine 22,000 Aktenbündel und 200,000 Briefe aus dem Elysse schaffen. Thatsache bleibt immerhin die Aufhebung der Wilson'schen Agentur im Elysee und die Rückerstattung von 40,000 Frs. an den Finanzminister. Die Kammer hat sich wegen des Allerheiligen- und Allerseelenfestes bis Donnerstag Ferien gegeben und wird sich während dieser Frist den Beschluß, den sie zu fassen hat, gründlich überlegen können.

Herr Grevy hat das Amt eines Präsidenten der Republik bisher zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet. Er regierte streng verfaffungsmäßig, und wenn er, wie zuweilen geschah, seine persönlichen Anschauungen zur Gel­tung brachte, hat er immer Minister gefunden, die ihn vor dem Parlamente deckten. Es scheint, daß er mehr wie einmal und mehr als in die Öffentlichkeit gedrungen ist, seinen persönlichen Willen durchsetzte. Er hitie frei­lich auch Gelegenheit genug, seine ruhige Uebe ckegung, Erfahrung, Sachlichkeit und nordfranzösische Kühle dem übersprudelnden und mitunter sehr unvorsichtigen Tempe­rament seiner Landsleute entgegenzustellen und um den Sieg zu ringen. Wir wollen hier nur daran erinnern, wie er beim Tode Gambetta's sich benahm. Als der erste Ministerrath nach diesem Ereignisse gehalten wurde, wuß­ten die Minister vor Schmerz und Betrübniß sich kaum zu fassen und jammerten dem Präsidenten vor, was jetzt aus Frankreich würde. Herr Grevy aber setzte sich ruhig auf seinen Präsidentenseffel und sagte trocken:In einer Republik ist das Wohl des Landes an keines einzelnen Menschen Leben geknüpft, so große Verdienste er sich auch erworben hat. An die Geschäfte, meine Herren!" Und die Minister stellten ihre Klagen ein und der Ministerrath begann. Das war von Seiten des Herrn Grevy keine Theilnahmlosigkeit und auch keine Freude über den Tod dessen, der immer als sein Rivale dargestellt wurde, sondern ächt republikanische Ueberzeugung und sachliche Auffassung. Diese Sachlichkeit zeichnete den Präsidenten auch sonst ans, indem sie ihn davor bewahrte, deni Persönlichen allzu­großes Gewicht beizulegen und sich durch Zufälligkeiten oder durch die Uebertreibungen des Klatsches beeinflussen zu lassen. Er war deswegen auch ein Verächter der Sen­sationspresse, die es für ihren Beruf hält, alle Woche oder wo möglich alle Tage irgend einen Skandal zu ent­hüllen, eine Zeit lang von ihm zu zehren und dann dem lüsternen Publikum etwas Neues vorzusetzen.

In einem Punkte hat sich freilich Herr Grevy schwer geirrt: in der Beurtheilung seines Schwiegersohnes oder wenigstens in der Beurtheilung des Verhaltens desselben. Nach derFrance", die sich auf die Autorität des Abge­ordneten Bourgeois, eines intimen Freundes des Herrn Grevy, beruft, habe der letztere von Wilson Folgendes ge­sagt:Er hat weder mein Teniperament, noch meinen Charakter, er hat Unklugheiten begehen können, ist aber eines Unterschleifes unfähig. Mein Schwiegersohn ist durch und durch ehrlich, ich bürge dafür. Wenn ich das Gcaentheil glaubte, io te ich nickt aezöqert, alle Be-

ziehungen mit ihm abzubrechen." Das mag Alles richtig sein, aber es genügt nicht. Es hat einmal ein geistreicher Mann gesagt, man sei sehr wenig, wenn man nicht mehr sei als ein ehrlicher Mensch. Herr Grevy selbst muß zugebcn, sein Schwiegersohn habe Unklugheiten be­gehen können; aber es gibt eben Posittonen, in denen man keine einzige Unktugheit begehen darf, sonst ist man verloren. Auch außerhalb der Unterschleife und sonstiger Vergehen, die vor den Strafrichter gehören, gibt es Dinge genug, die einen Mann unmög­lich machen können; er muß seinen Posten verlassen, auch wenn kein Gericht ihn verurtheilt hat. Mancher einst mächtige Politiker kann darüber aus eigner Erfahrung berichten. Es war ungehörig, daß Wilson im Elyfie seine Geschäfts-Agentur errichtet hat, und es war, wenn nicht förmlich strafbar, so doch im höchsten Grade unge­hörig, daß er für seine Geschäftsbriefe den Stempel des Präsidenten der Republik benutzte, um das Porto zu er­sparen. Wenn auch alle anderen Beschuldigungen grund­los wären, diese beiden Punkte stehen fest und sind Ver­anlassung genug, die öffentliche Meinung gegen Wilson aufzubringen. Und es war ungehörig, daß der Präsident der Republik Beides duldete. Vor zwei Jahren schon war die öffentliche Meinung empört über die Rolle, die Wilson im Elyse'e und durch das Elysie spielte; sie wurde da­durch beruhigt, daß gemeldet wurde, Wilson werde das Elysce verlassen. Aber er ging nicht, trieb sein Geschäft vielmehr offener und ausgebreiteter als zuvor. Herr Grevy mochte den neuesten Ausbruch des Unwillens der öffentlichen Meinung als eine abermalige Blüthe der Preß-Skandalsucht betrachten, aber er that Unrecht daran, denn er mußte jetzt gezwungen thun, was er längst frei­willig hätte thun sollen: der Geschäfts-Agentur Wilson's unter seinem Dache und dem Mißbrauch des Ansehens und der Freiheiten des Staatsoberhauptes ein Ende machen. Wenn unter diesem vorläufigen Ausgange der Affaire das Ansehen des Herrn Grevy gelitten hat, so ist Niemand daran schuld, als er selbst.

Es kommt etwas Anderes hinzu: Wilson hat nirgends Freunde und hat sich solche trotz seiner bevorzugten Stellung und des Verbrauchs von Millionen auch nicht zu ver­schaffen vermocht. Man hat ihn oft mit dem Herzog Morny verglichen, aber er ist diesem nur in zwei Aeußer- lichkeiten ähnlich: in der hohen Stellung und in der Ver­schwendung. Der Herzog von Morny war ein feiner liebenswürdiger Gesellschafter, er verstand es , eine Rolle in der gebildeten Welt zu spielen, er interessirte sich für Kunst, Wiffenschaft und Literatur, er that viel ftir Paris, kurz, er sorgte dafür, daß seinen Schwächen eine ent­sprechende Anzahl Vorzüge gegenüber stand. Paris ver­zeiht gern kleine und sogar große Schwächen, aber der­jenige, dessen Schwächen es vergessen soll, darf nicht ohne Verdienste'sein. Herr Wilson kennt keine Verdienste als seine eigenen; er ist nur Geschäftsmann, nichts weiter. Die Pariser sind gewohnt, von ihrem Staatsoberhaupt einen gewissen Luxus, die Förderung des gesellschaftlichen Lebens und der öffentlichen Unterhaltung, die Unterstützung der Kunst, der Wissenschaft und der Literatur zu erwarten. Freilich ist Herr Grevy zu alt, um für sich ein Haus zu machen, und auch zu sparsam; aber er versäumt nie, bei allen sich darbietenden Gelegenheiten sein Interesse für Alles zu zeigen, was die Oeffentlichkeit interessirt. So z. B. besucht er jedes Jahr in feierlicher Weise mit Frau und Tochter den Salon; nur Wilson ist bei diesem Besuche nie an seiner Seite gesehen worden. Seine Geschäfte erlauben ihm derlei Allotria nicht. Er hat es ferner versäumt, die Lücke, die durch das Alter und die Gewohnheiten des Präsidenten im Pariser Leben gelassen wird, auszufüllen, indem, wenn nicht der Präsident, so doch der Schwiegersohn des Präsi­denten ein großes Haus zu machen und einen Mittelpunkt aller öffentlichen Interessen abzugeben hätte. Dazu haben ihm seine Privatangelegenheiten keine Zeit gelassen. Albert Wolff widmet dieser Seite der Affaire heute imFigaro" einen sehr bezeichnenden Artikel, in dem er u. A. sagt: Herr Wilson hat nicht begriffen, daß, wenn Paris für

einen König eine Messe werth ist, es für den Schwieger­sohn des ersten Beamten der Republik wohl werth ist, daß er wenigstens den Schein wahre, als kümmere er sich um dasselbe. Man hörte von Wilson nie anders als in Verbindung mit Geschäften reden; man sah ihn selten und er blieb Allem fremd, was Paris interessirte; man verdankt ihm nichts von Allem, was einen Mann auch nach seinem Sturze sympathisch macht. Außer seinen Ge- schüstsbüchern interessirte er sich für nichts; er hat in den sechs Jahren seines Aufenthalts im Elysce nichts für Paris gethan. Die Künstler ließen ihn kalt, um Dichter und Schriftsteller kümmerte er sich keinen Deut. Außerhalb der Welt, in der man nur Geschäfte macht, hat er keine Freundschaft erweckt unter denen, die denken und arbeiten. Er lebte fern von Allem, was den Reiz und den Ruhm von Paris ausmacht; er hat keinen künstlerischen Versuch unterstützt, keine Kundgebung der Intelligenz geför­dert. Für ihn war Paris nicht die große Haupt­stadt mit zwei Millionen Einwohnern, die bereit sind, dem Schwiegersohn zu applaudiren, wenn er im Elysee einen würdigen Platz auszufüllen gewußt hätte. Für ihn bestand die Welt nur aus seinem Audienzzimmer und 20,000 Aktenbündeln." Schließlich konstatirt Albert Wolff, daß der Sturz Wilson's keinem Menschen nahe gehe und nichts zurücklaffe als den Schmerz eines alten Mannes und einen Flecken der Mißachtung für das Land.

Verschiedene Blätter, die wie z. B. derTemps" recht ernsthaft über die schweren Verwaltungsmißbräuche geklagt haben, beschwören wiederholt die Kammer, sie möge auch die von der Kommission bereitskanalisirte" Enquete verwerfen. Sie fürchten nämlich, Herr Grevy könnte ent­weder gleich oder im Laufe der zu erwartenden Enhüll- ungen doch zu seiner Demission veranlaßt und dadurch eine Präsidentschaftskrisis eröffnet werden, die sie gerade jetzt unter allen Umständen vermieden sehen wollen. Denn wer soll der Nachfolger sein: Freycinet oder Ferry? Die Art und Weise, wie diese Frage von den verschiedenen Blättem beantwortet wird, zeigt allerdings, daß eine Prä- sidentschastskrisis unter allen Umständen eine mißliche Sache wäre. Die Radikalen wünschen selbstverständlich nicht, daß Jules Ferry Präsident wird, und die Rechte sagt sich bereits, daß sie bei einem Präsidentenwechsel nichts ge­winnt. Die Kammer wird daher wahrscheinlich die Enquete verwerfen. Aber das Motiv der Ablehnung würde, wie die Dinge liegen, für Herrn Grevy nicht viel schmeichelhafter sein als die Annahme des Antrags: Er müßte nur bleiben, weil man ihm im Augenblick keinen Nachfolger geben kann. Daraus ersieht man deutlich, daß Herr Grevy durch die Duldung der Wirthschaft seines Schwiegersohns in eine Sackgasse gerathen ist, aus der er nicht herauskann, ohne daß seine Würde Einbuße erleib;:.

Deutsches Seich.

N »erlitt, 30. Oct.Haß gegen die deutsche Laudwirthfchast" wirft uns dieK r e u z z t g." vor. In der Hitze des Wahlkampfes läßt man eine so thörichte Phrase mit Achselzucken passiren' sich schriftlich zu ihr zu be­kennen, zeugt von beneidenswetthern Muth oder hervorragender Böswilligkeit. Das konservative Blatt glaubt doch im Emst selber nicht, daß es einen Menschen mit gesunden Sinnen gibt, der dieLandwitthschast" oder diejenigen, welche die Land- witthschast betteiben, hasse und nicht vielmehr ihnen alles Gute wünsche. Wir hassen nicht, sondem wir bekämpfm das haupt­sächlich von den Großgrundbesitzern getragene Agrarierthum, welches zu Gunsten eines Theiles der gegenwättigm Besitzer der Güter die Preise der landwirthschaftlichen Produkte und damit der nothwendigsten Lebensmittel durch Schutzzölle in die Höhe treiben will, und wir verfechten damit nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, der großen Masse der Konsumenten, sondem auch das wohlverstandene Interesse der Landwitthe selbst, die ja insgesammt bis vor 9 Jahren die entschiedensten Gegner des Schutzzollsystems waren, und allerdings nur zum Theil, auch heute noch sind. DieKreuzztg." sucht zu bestreiten, daß für die bevorstehende Erhöhung der landwirthschaftlichen Zölle schon nicht mehr allein der Glaube an ihre Nützlichkeit sondem auch die politische Erwägung maßgebend sein werde, daß das in meiner Ablehnung der Zollerhöhung liegende Eingeständniß

des Fiaskos des agrarischen Systems den Abfall ländlicher Wähler zur Folge haben werde. Sie sagt, die Agrarier hätten den Bauern nichts versprochen, sondern ihnen nurzugesagt, wofiir sie wirken und stimmen werden." Als ob das nicht auf dasselbe hinausliefe? Wenn dieses Wirken und Stimmen sich als nutzlos erweist, werden aber den Bauem die Augen aufgehen. DieKreuz.-Ztg. gesteht das in späteren Sätzen auch selbst zu, sie meint nur, ein Theil der ländlichen Wähler werde dann zu Hause bleiben, ein Theil werde für den Fottschritt, ein größerer werde sozialdemottattsch stinimen, und die Sozialdemottaten hätten daher das größte Interesse an deni Scheitern der Getteidezolleinführung. Der Witz ist nicht übel: Vettheuerung der Lebensmittel als ein Mittel zur Bekämpfung der Sozialdemottatie! Alle verständigen Leute, auch die Sozialdemokraten selbst, waren bisher der festen Ueber« zeuguug, daß jede künstliche Vettheuerang der Lebenshaltung der sozialdemokratischen Propaganda zu Gute komme. Genug, das Eingeständniß liegt vor, daß mit dem Erkenntniß von der Nutzlosigkeit der agrarischen Bestrebungen ein Theil der ländlichen Bevölkerung nicht mehr konservativ wählen wird. Das hatten wir behauptet, und die daran geknüpfte Hoffnung beucht auf der Thatsache, daß der entschiedene Liberalismus nur seine festeste Stütze lange Zeit in den Distriften gehabt hat, wo ein gesunder und {rüstiger Bauernstand vorherrscht, und daß ihnen ein Theil dieser Sitze nur durch die agrarischen Verführungskünste abwendig gemacht wordm ist. Diese Sitze werden ihm wieder zufallen. DieKreuz.-Ztg." be­hauptet zwar, der Bauer sei imobjekiven Sinne" konser­vativ, denn er sei kein Gegner des Königthums, der Obrigkeit und des Heeres. Die hierin für andere Parteien liegende Jnsinuatton bedarf keiner Widerlegung. Wenn- nigthnm, Obrigkeit und Heer nur auf die Konservativen an- getoiefen wären, stände es schlimm um sie. Der Bauer soll aber auch nach derKreuz-Ztg." konservativ sein, weil er eine ausgesprochene Neigung zum Erhalten und Bewahren zeige." Eine Pattei, die wie die jetzigen Konservattven so sehr auf den Umsturz des Bestehenden ausgeht, daß sie sich, selbst auf verschiedenen Gebieten eineReformpattei" nennt, kann sich doch unmöglich mehr, gestützt auf die Bedeutung von conservare, eine erhaltende nennen.Ausgesprochene Neigung zum Erhalten" ist allerdings auch für die konserva­ttven Agrarier charakteristisch; diesesErhalten" heißt aber nicht conservare, sondern accipere.

Arankreich.

ng Paris, 30. Oct. Wer hätte wohl, als vor drei Wochen imXIX.-Siecle" die erste Nachttcht von der Ent­deckung der unlauteren Geschäfte erschien, die der General Caffarel betrieb, wer hätte wohl damals geglaubt, daß diese zwar höchst bedauerliche aber nur persönliche An­gelegenheit zu so erschüttemden Konsequenzen führen würde? Ein General, der sich vor Schulden nicht mehr zu retten weiß,' treibt mit Hülfe einiger vordorbenen Frauenzimmer einen uw lauteren Handel mit Orden und Ehrenzeichen; als man den Spuren seiner Thätigkeit folgt, entdeckt man einen zweiten General, der gleiche Geschäfte bettieben hat. Derselbe ergreift' die. Flucht. Die Presse widmet dieser Angelegenheit eine un­geheuer große Aufmerksamkeit. Die radikalen Zeitungen, bic immer auf das Sensattonsbedürfniß der Stenge spekuliren, bauschen die der Benttheilnng der Gerichte unterbreiteten That­sachen auf und lassen durch ihre Reporter mit einem wahren Fanatismus Jagd auf neue Schuldmomente machen. Sie nutzen die betrübende Entdeckung im Patteiinteresse aus und behaupten, das regierende MinisKrium trage einen großen Theil der Schuld an der Korruption. Ein ehemaliger Kriegsminister und Kommandeur eines Armeecorps läßt sich dazu verleiten, seinen Nachfolger und Vorgesetzten der gemeinen Handlung zu zeihen, daß derselbe nur zur Untergrabung seines Rufes die Untersuchung eingeleitet habe. Er wird dafür mit 30 Tagen Arrest bestraft. DerStteit zwischen den beiden Generälen veranlaßt in der Presse eine heftige Kontroverse über eine grundlegende Veränderung der Heeresorganisatton, die auch die Regierung in Erwägung zieht. Unter den vom Gericht beschlagnahmten Papieren der Angeschuldigten wurden Bttefe des Schwieger­sohnes des ersten Bürgers der Repubttk gefunden. Mit einer wahren Wollust bemächtigte sich die skandalsüchtige Presse dieser Thatsache. Und ein Blatt macht es sich zur Aufgabe, den Spuren der Beschuldigungen zu folgen, welche an das Auf- finden dieser Bttefe geknüpft werden. Es füllt tagtäglich feine Spalten mit neuen Anklagen gegen dm Schwiegersohn des Präsidenten der Repubttk und gestattet ftdem ihn beschuldigen­den Briefe, jeder Verleumdung, die ihm ^getragen wird, be­reitwillig Ausnahme. Andere Zeitungen drucken diese Anklagen nach, das ganze Volk beschäfttgt sich mit ihnen. Die Wähler des so energisch Angegriffenen ziehen ihren Abgeordneten *<-

Feuilleton.

Aus einem Glossar Kiichmanu'sGeMelle WsrK", neu aufgelegt.

Zum fünfzehnten Mal ist das interessante Buch erschienen.*) Am einfachsten und bündigsten wird das Buch angezeigt und empfohlen mit einem nachdrücklichen Hinweis auf das hier mit vollem Recht stereotyp gewordenevermehtt und verbessert" auf dem Titelblatte und höchstens noch mit dem Bemerken, das; ein neues Kapitel hinzugekommen:Citate ans Mythen nnd Volks­märchen"; letzteres ist ein besonderes Verdienst des jetzigen Herausgebers, Herm Walter Robert-tornow.

DerBüchmann" gehütt zu den seltenen Bücherm. welche dem Rezensenten die Gelegenhett bieten, den Autor mit Berich­tigungen und Ergänzungen nicht zu verletzen, sondern zu erfreuen. Er darf geben und in der Hoffnung, daß es gern genommen werde. Es ist das kein Verdienst; denn der Ursprung und die richtige Form und oft der rechte Sinn der geflügelten Worte wird meistens durch Zufall entdeckt.

Eiserne Sttrn" statteherne ©tim" sagte schon Luther in der 1522 erschienenen SchriftWider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe." EinHeide" ist Goethe wohl zuerst von der Bettine genannt worden; in bem Briefe vom 24. Juli 1808 schreibt das Kind":Aber Du mußt ein Christ werden, Heide!" Das Motto des Beaumarchais,Ma vie est un combat (Mein Leben ist ein Kampf) tarnt nicht als ein geflügeltes Wort in Deutschland angesehen werden. Als ein Kampf wird das Leben nach 2. Timoth. 4, 7 bezeichnet, wo es heißt:Ich habe einen guten Jtampf gefämpfet." Dieser Gedanke wurde zu einem geflügelten Worte durch dos feit der Mitte des 17. Jahrhunderts beliebte Begräbnißtted von Heinrich Albett: »Einen guten Kampf hab' jch aus der Welt ge- kämpfet." 1 bene, ibi patria* erscheint

in dieser, festen iform nicht zuerst in dem Liede von Fr. Hücksiädt:Froh bin ich und überall zu Hause" (1806). SchonRouyeau fuhrt es imEmil" als den Wahl­spruch der Reichen an. Georg Forster schrieb am 21. No­vember 1792 an den Buchhändler Voß in Berlin:Ubi bene,

*) Berkin, Hande und Spener'sche Buchhandlung (F. Weidling).

ibi patria, muß der Wahlspruch des Gelehrten bleiben; er bleibt es auch des freien Mannes, der in Ländern, die keine Verfassung haben, einstweilen isolitt leben muß." Auch das Wort einesheruntergekommenen Schriftstellers":Gnädiger Herr, ich muß leben!" und die Autmott eines Mi­nisters :Jch sehe nicht ein, daß das nöthig ist" (Je nen vois pas la necessite) ist durch Ronsseau's Emil" (im dritten Buche) verbreitet worden. Das ver­rufene WottLEtat cest moi läßt sich aus Lud­wig XIV. nicht zurückführen. Ist es nicht am Ende eine deutsche Erfindung, die ein geschickter Geschichtsfälscher nur in's Französische übersetzt hat, um ihren Ursprung zu verdecken? Denn es ist gewiß, daß ein deutscher Fürst, der Herzog Karl von Württemberg im Jahre 1764 den Abgeordneten aus Tü­bingen entgegenschrie:Was Vaterland! Jch bin das Vaterland!" Daraus wurden die Abgeordneten, die gegen eine neue Erpressung Vorstellungen gemacht, in den Kerker auf Hohenafperg ge­worfen. Vielleicht findet sich das französische Diftum in den Werken Friedrich des Großen; wenigstens hat er sich während seiner ganzen Regierungszeit streng nach diesem Grundsätze gehalten und 1781 in einem Briefe an Hertzberg geschrieben: Der Regent stellt den Staat vor." Derpassive Widerstand" ist schon von dem viel verfolgten Dr. I. G. A. Witth (wohl nach englischen Mustern) empfohlen wor­den. In dem Anklageakt gegen Dr. Wirth, Dr. Siebenpfetf- fer 2c. vom 15. Juni 1834 hieß es mit Bezug auf eine Schrift des erstem:Der § 9 wendet sich an das Inland und die Deuffchen, und fordett sie auf, sich ohne jene Ga­rantien nicht mit Frankeich zu verbinden, dagegen dem deut­schen Bunde durch Steueroertoeigerang einen passiven Widerstand entgegen zu setzen."Das junge Deutschland" als Widmungs-Adresse für Wienbargs Aesthettsche Feldzüge" war nur ein glücklicher Griff des ge­schäftskundigen Buchhändlers Campe. Nach einer 1836 ver- öffentttchten aftenmäßigen Darstellung wurde am 15. dlpttl 1834 zu Bern eine Verbrüderung desjungen Europa" ge­stiftet. In diesem Aftenstück heißt es:Wir legen mit diesem Aste die Grundsteine zu einem jungen Deutschland, einem jungen Polen und einem jungen Italien"; unterzeichnet ist es für das junge Deutschland" von Dr. E. Breidensteiu, F. Breideustein, Strohmeyer, Barth, Peters. Von diesen und eini­gen anderen FlüchtttngensollendieStatutendesneueuDeuffchlaud" im Anfänge des Jahres 1834 verfaßt worden fein. In einem unmittelbar darauf verbreiteten Ausrufe wird dasjung" er­klärt; esist mehr als ein Wort", heißt es da,es umfaßt

einen großen Gedanken, es ist ein Programm, es bezeichnet alles, was wir bisher ausgestellt haben." Campe war jeden­falls einer der ersten in Deutschland, welche von diesen Vor­gängen Kunde erhielten. Der Ursprung des Wottes Dunkelmänner (fürobscuri viri) geht bis in den Anfang unseres Jahrhunderts zurück. In der Zeitschrift Jason", herausgegeben von dem Verfasser des goldenen Kalbes (Graf Bentzel-Sternau), Jahrgang 1809, III. Band, S. 9 stehtEin Dunkelmannsbrief." S. 271 wird gesagt:Be­kannt ist es, welch heilsame Wirkung die Briefe der Dunkelmänner auf den Lesenden hervorbrachten." (Eras­mus, der so lachen mußte, daß ihm ein Geschwür im Halse aufging.) Im ersten Bande des Jahrganges 1810, S. 362, heißt es in einem ArtikelEinige Literaturlücken" (höchst wahr­scheinlich von Bentzel-Sternau):Neue Dunkelmanns- Bttefe möchten Hand in Hand mit solch löblicher Unternehm­ung über die Steppen wandern, die uns titerattfche Kalmücken für Paradiese ausgeben .... Man könnte auch das Phönix- werk des alten und unvergeßlichen Ulrichs von Hutten durch Briefwechsel einiger Nachtgenies in der deutschen Muttersprache geben.Göttliche Grobheit" hat in der That E. T. Ä. Hoffmann nicht zuerst gebraucht. In dem zweiten Theil des WerkesFttedttch Arnold Brockhaus" (1873) wird ein am 24. September 1818 geschriebener Brief von Brockhaus an A. Schopenhauer mitgetheiü, in welchem von den Briefen des letzteren gefugt wird, daß siein ihrer gött­lichen Grobheit eher auf einen Vettuttno als aus einen Philo­sophen schließen lassen möchten." Grabbe ließ sogar sehen (in Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung", 1822) einen unnachahmlichen Zug von göttlicher Grobhttt, welcher Über das ganze Antlitz ausgegossen ist." Lange vor dem Pedro inPrettosa" (1821) hat Don Eusebio in L. Uhland's Posse Die Bärenritter" (1809) erzählt, daß er in feiner Jugend bei der großen Retirade gedient habe" und einer ber ersten gewesen fei. Diegeschmacklose Travestie" des Choral- VersesMein erst Gefühl fei Preis und Dank" dürste ein alles Berliner Gewächs fein; denn als der Elementarfchüler Karl Gutzkow das Lied herbetete, belehtte ihn spottend fein schon klügerer Bruder:Prenß'fch Courant!" fang ein ge­taufter Jude beim ersten Kirchenbesuch." Die Bemerkung über Johann Balhorn, Buchdrucker in Lübeck, mit Bezug aus das BuchLübeckische Statuta" ist nicht richtig. Nach einer 1878 veröffentlichten Mittheilung des Bibliothekars Dr. Grautoff in Lübeck ist es durchaus erdichtet, daß baS bei Joh. Balhorn 1586 aebrutfte Stadtreckt mit bem Zusatzevermehrt

und verbessert" erschienen sei. Die Revision wurde allerdings als eine verfehlte Arbeit getadelt, und der ganz unschuldige Balhorn, weil allein sein Name des Druckers auf dem Titelblatte stand, statt der Herausgeber mit dem Spotte belastet. Goeihe'sSprach" über problematische Naturen ist zu ergänzen durch seine Bemerkung, man werde in den kür­zeren oder längeren Notizen von dem Leben gelehrter Männer, ihrem Charafter und Schriften selten finden,daß eine pro­blematische Natur mit Gründlichkeit und Billigkeit dargestellt worden." (Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, über Baco von Veralam).K1 e i n P a r i s" ist Berlin stüher ge­nannt worden als Leipzig und zwar von Trümer Deutsch- Francos 1745. Zu dem Worte:Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert", dessen Ursprung noch nicht entdeckt worden, ist ein aus dem vorigen Jahrhundert stam­mendes Gegenstück bemerkenswerth. In v. Hippel'sLebens­läufe" heißt es:Der Weg zum Himmel ist mit lauter gutem Willen gepflastert." Ist vielleicht jenes aus diesem entstanden? Das WottWelt­schmerz" rührt nicht von H. Heine her, der es 1831 zum erstenmale brauchte. Goethe'sWest-östlicher Divan" wurde bald nach dessen Erscheium (1819) von bem Komponisten Tomaschek in Prag ben Dichtern und Künstlern als ein Schulbuch gegen den Wettschmerz" (ben Byronismus) em­pfohlen. Ausführlich hat denWeltschmerz" als eine charak­teristische Erscheinung der Zeit zuerst wohl Gottftieb Kinkel behandelt in der 1841 geschriebenen AbhandlungWeltschmerz uni) Rococo".Auch Patroklus ist gestorben und war mehr als Du" in SchillersFiesko" scheint bereits auf der Kattsschule flügge geworden zu sein; denn hier soll man ben armen Regiments-Medikus mit ben für Manche noch heute tröstlichen Versen beruhigt haben:Auch Patroklus hatte Schulbeu unb war mehr als Du". Mantel ber Siebe" erscheint noch deutlicher als in dem angefühtten Epigramm von Logau in einem zweiten: Christliche Siebe", das (ebenfalls nach Seffing) lautet: Liebe taufte neulich Tuch, ihren Mantel zu erstrecken:

Weil sie, was durch dreißig Jahr Krieg verübt, soll Alles decken.' In der RomanzeDie Trauer" von F. W. Gotter (1746 1797) heißfts:

Elise, die gern Thränen stillt,

Verirrte gerne leitet, Und über kleine Schwächen mild Der Liebe Mantel breitet.'

Gotter hat auch ein LustspielDas öffentliche Ge-