BTr. 188. Abendblatt.
Vierunddreissigster Jahrgang.
Dienstag, 1. Aull 1890
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Politische Uebersicht.
Die letzten beiden Sitzungen des Reichstages haben tk flimulirende Wirkung der Reisezeit auf die Arbeitskraft dargethan. Mit der Hast des Kofferpackens geht es vorwärts, Dinge, auf die sonst eine ganze Sitzung kommen würde, sind im Handumdrehen erledigt. Aus den Resten, die vor der Vertagung aufgcarbeitet sein müssen, wird auf Grund vorheriger Verständigung Alles ausgeschieden, was Streit Hervorrufen könnte, und mit dem Vermerk repro- di^atur nach 4% Monaten wandert es in denMtenbestand des Hauses. Gestern erging es einer ganzen Vorlage der Regierung so, die das Projekt des Nationaldenkmals für den Kaiser Wilhelm I. mit der längst vorhergesehenen Variante „Schloßfreihett" behandelt. Es ist kein Geheimniß, daß hinter dieser Variante der Wille des Kaisers steht; ob aber der Reichstag sich hier so gefügig zeigen wird, wie es der Bundesrath gethan hat, ist eine Frage, die zu beantworten vorerst Niemand Lust hatte. Man behalf sich daniit, die heikle Materie an eine Kommission zu verweisen und da wird sie trotz des Wunsches, den Herr von Bötticher aussprach, bis zum Winter ruhen. Morgen schon hofft der Reichstag fertig werden zu können, wir meinen aber, er solle es nicht aus einen oder zwei Tage ankommen lassen und diejenigen Berichte der Wahlprüfungskommission erledigen, die üiit Anträgen auf Beanstandung der Wahl und auf amtliche Erhebungen über die den Protesten zu Grunde liegenden Angaben schließen. Nur wenn dies geschieht, kann das Haus schon im November die Entscheidung über die angefochtenen Wahlen treffen, im anderen Falle würde es erst im Winter 1891/92 dazu kommen. Der Wahlprüfungskommission, die mit einem musterhaften Fleiß gearbeitet hat, schuldet das
Bulgariens verstimmt. Als Fürst Alexander den Verschwörern, welche ihn gefangen fottgesührt hatten, die gebührende Strafe znkommen lassen wollte, wurde er von solchem Beginnen durch di« Vertreter Oesterreich-Ungarns, Deutschlands und Englands abgehalten. Gegenüber dem Fürsten Ferdinand scheint Niemand Einwendungen wegen der Ausführung des über Panitza verhängten Todesurtheils erhoben zu haben. Es ist nicht das erste Mal, daß rin treuer Anhänger des früheren Fürsten von Bulgarien durch Erschießen aus der Welt geschafft wird, während andere nicht minder Schuldige mit dem Leben davon kommen oder gar, wie bet Russe Kalubkow, durch Auslieferung an Rußland jeder Strafe entgehen. Der Wiener „Times"-Korrespondent, ein ausgesprochener Freund Bulgariens, macht darauf aufmerksam, daß der bulgarische Ministerrath, durch dessen Ablehnung der vom Kriegsgerichte empfohlenen Umänderung der Todesstrafe in Gefängniß, Fürst Ferdinand sich zur Bestätigung des Todesuttheils bewegen haben lassen soll — gegenwärtig nur aus vier Personen besteht, nämlich aus Stambulow selbst, dessen Schwager Mutkurow und zwei Kreaturen Stambulow's. Zwei frühere Justizminister, Swilow und Grekow, haben vor einiger Zeit erklärt, daß der Fürst, wenn er konstitutionell verfahren wolle, nicht gut die Empfehlung des Kriegsgerichtes unbeachtet lassen könne, allein Herr Stambulow hat es nicht für nöthig gehalten, vorher die beiden Vakanzen auszufüllen, ehe er im Namen des KabinetS dem Fürsten Ferdinand rieth, von seinem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch zu machen. Fürst Ferdinand hat einen Fehler begangen, welcher sich auch bei etwaigen Unterhandlungen über seine Anerkennung sehr bemerkbar machen dürfte.____
Plenun einen Dank, den es nicht besser abstatten kann, als dadurch, daß es gleichfalls diligentiam prästiret. Die beanstandeten Mandate sind die der Abg. Holtz (Kreis Schwetz in Westprenßen) und Picken bach (Kreis Gießen).
Die von der ,,Post" unter dem Titel „Eine Emissionssteuer" veröffentlichte Zuschrift, von welcher im Morgenblatt die Rede war, verlangt die Einführung einer hohen Kotirungsgebühr. Zwar meint der Artikel selbst, daß unmittelbar die Eröffnung neuer Einnahmequellen nicht erforderlich sei; sie werden aber gebraucht werden für die Alters- und Invalidenversicherung wie für andere kulturelle Aufgaben des Staates, insbesondere auch für land- wirthschaftliche Meliorationen. Nothwendig erscheine daher die Einführung einer Kotirungsgebühr, und zwar für sämmtliche ausländische Wetthe wie für die Aktien von Industrie- papieren und Banken. Der Satz von einem Prozent sei für die ausländischen Werthe „keinesfalls zu hoch gegriffen", für neue Jndustriewerthe und Banken könne man sogar noch höher greifen. Auf dieser Basis berechnet der Artikel, daß die ausländischen Emissionen des laufenden Jahres Mk. 11 Millionen und die von 1889 sogar Mk. 373/i Mill. Steuer gebracht hätten; eine hohe Kotirungsgebühr auf Jndustrie- und Bankaktien hätte im vergangenen Jahre „riesige Summen" ergeben. Schließlich wird bemerkt, daß ein Antrag auf Einführung einer derartigenKotirungsgebühr im Reichstage in Aussicht stehe. Da der Attikel davon ausgeht, daß Geld für landwirthschaftliche Meliorationen zu beschaffen sei, so kommt der für den Reichstag angekündigte Antrag vermuthlich aus agrarischen Kreisen; in jedem Falle scheint sein Urheber mit Fachkenntniß wenig belastet zu sein. Man wird den Inhalt des Anttages abzuwarten haben. Einstweilen sei darauf hingewiesen, daß die vorgeschlagene Kotirungsgebühr korrekter als Erhöhung der schon bestehenden Steuer- belastung bezeichnet werden müßte. Gegenwärtig sind in- und ausländische Aktien bereits mit 5 vom Tausend belastet; wäre diese Steuer auf 1 vom Hundert verdoppelt worden, so hätte dies die Ueberspekulation des vorigen Jahres schwerlich abgekühlt und folglich damals dem Reiche in der That eine höhere Einnahme gebracht. Diese Periode ist aber vorüber und für normale Zeiten wurde der bisherige Satz schon als hoch genug empfunden. Die ausländischen Fonds zahlen gegenwärtig 2 vom Tausend, eine Kotirungsgebühr von einem Prozent würde also den bisherigen Satz verfünffachen. Die großen Summen, welche der Artikel hieraus erwartet, ' kann er aber nur dadurch in Aussicht stellen, daß er auch die Konversionen der gleichen Steuer unterwerfen will, so daß also seines Erachtens schon die bloße Zinsreduktion mit hoher Steuer belastet werden soll! Von den 1100 Millionen, die er als diesjährige Emissionen fremder Fonds anführt, fallen nicht weniger als 906 Millionen auf Konvertirungen, von den 1889er Ji. 3771 Millionen neuer Fonds auf Konvertirungen allein 2412 Millionen. Namentlich muß aber betont werden, daß die Behauptung des Artikels, eine derartige Kotirungsgebühr bestehe „beispielsweise an der Pariser Börse", durchaus falsch ist. Wahr ist daran nur, daß man vor Jahren in Frankreich den Versuch gemacht hatte, die Steuer auf ausländische, in Frankreich zugelaffene Staatspapiere auf ein Prozent zu erhöhen. Aber dieses Experiment hatte die Wirkung, daß der französische Markt von dem internationalen Verkehr in Werthpapieren so gut wie ausgeschlossen wurde, so daß nicht nur die Pariser Börse darunter empfindlich litt, sondern auch die Steuer sehr bald nur wenig noch eintrug. Man beeilte sich daher nach ganz kurzer Zeit, den Stempel wieder auf V/2 vom Tausend herabzusetzcn, so daß er gegenwärtig in Paris noch niedriger ist als in Deutschland! Gerade der Hinweis auf Frankreich spricht also auf das Schlagendste gegen den von der „Post" vertretenen Vorschlag.
Die Pforte scheint beschlossen zu haben, Sie letzte Note der bulgarischen Regierung in Betreff der Anerkennung des Fürsten Ferdinand nicht zu beantworten. Von einer „sehr hohen Autorität" soll der Tüikei nahegelegt worden sein, daß sie als eine der Signatarmächte des Berliner Vertrages und trotz ihrer Suzeränetätsrechte nicht berechtigt sei, in Betteff Bulgariens einen entscheidenden Schritt zu thun, ohne vorher die Zustimmung der übrigen Mächte erlangt zu haben. Man erwartet daher, daß die Pforte dem- nächst ein Rundschreiben an die Möchte richten werde, in welchem sie denselben die Forderung Bulgariens mittheilt und ihre Bereitwilligkeit ausspricht, sich jedem von den übrigen Mächten gemeinsam gefaßten Beschlusse zu fügen. Daß dieser Schritt gleichbedeutend ist mit einer Ablehnung der bulgarischen Forderung, muß Jedem klar sein. Die Hinrich- .tung Panitza's hat nicht blos in Rußland böses Blut ge- macht, sondern auch in anderen Ländem manche Freunde
Deutsches Reich.
st Boni Rhein, 1. Juli. In Aachen ist am Samstag der Landgenchtspräfident a. D. Dr. Jacob Scherer gestor- kt n. Es lohm sich wohl, den längst vergessenen Nannn dieses Mannes in das Gedächtniß zurückzurufen, der vor einem Menschenalter eine nicht gerade erfreuliche polittsche Rolle gespielt hat. Scherer war 1848 Advokat in Düsseldorf, er gelangte 1849 in die Zweite Kammer, wo er sich den Liberalen anschloß. Als er nach Auflösung der Kammer abermals ein Mandat erhielt, ging er ohne Weiteres zur Rechten über, und der Lohn ließ nicht lange auf sich warten; schon nach einigen Monaten war Scherer vor« wagender Rath im Ministerium des Innern und in dieser Stellung wurde er der Schöpfer des offiziösen Preß- dureaus, das an die Stelle der 1848 beseitigten Censur die Beeinflussung setzte, die bezahlte wie die unbezahlte. Das Ministerium Manteuffel fand darin eine um so wirksamere Stütze, als das Preßgesetz von 1851 den Behörden durch die berüchtigten drei C — Concession, Caution, Confiskation — die Mittel an die Hand gab, die unabhängig« Presse zu schikaniren und zu knebeln. Herr Scherer berief, als er das Preßbureau eingerichtet hatte, den ehemaligen Liberalen R y n 0 Q u e h l, der gleich ihm der Manteuffelei sich verschrieben hatte, zum Letter der Stelle, bis alsbald jenes Treiben begann, das später die Braß, Pindter, Hahn und Genossen zu üppigster Entfaltung gebracht haben. Im Landtag erhoben sich fast in jeder Session die Liberalen dagegen, aber es half ihnen nichts; Georg v. Vincke mochte seiner Entrüstung über die „S ch e r e r e i e n und Q u e h l e r e i e n" noch so gewalttgen Ausdruck geben, der Unfug, der mit dieser Spitzmar'e gekennzeichnet war, wuchs von Jahr zu Jahr. Als Manteuffel fiel, war es auch mit Scherer's Herrlichkeit vorbei; er sand Aufnahme in den Justizdienst und brachte es darin bis zum Landgerichtspräsidenten.
* Köln, 30. Juni. Nach dem von dem Eeneralsettetär der i Deutschen Kolonialgcsellschast erstatteten Jahresberichte i für 1889 zählte die Gesellschaft Ende Mai v. 1.17,500 Mitgli«- i der. Im Laufe des verflossenen Jahres find im Ganzen 18 neue i Abtheilungen ins Leben getreten, während in den ersten 5 Monaten des laufenden Jahres bereits 23 neue Abtheilungen gebildet wurden, so daß Ende Mai 171 Abtheilungen am Orte mit Vertrauensmännern bestanden. An Bewilligungen der Ausschusses zur Unterstützung kolonialer Unternehmungen find 500 zum Besten der Hinterbliebenen der auf Samoa Gefallenen, 3000 JL der Pondo» landgesellschaft, 5000 JL für die Siedelungsgesellscha3 „Herman", 1000 JL für Begründung einer Art kolonialen Museums und noch andere bedeutende Beträge für koloniale Zwecke ausgeworfen worden. Zur Förderung des kolonialen Wissens und der Agitation dient vor Allem die „Deutsche Kolonialzeitung", dann eine reichhaltige Bibliothek, Kartenskizzen, Photographien, Wandkarten, Wanderversammlungen kolonialer Erzeugnifle und Vorträge, welche von der Centralleitung für die Abtheilungen vermittelt oder zur Bildung von neuen Abtheilungen veranstaltet worden find. Der Nuskunftsertheilung auf Anfragen, betreffend di« Handels- und WirthschaftSverhältniffe in überseeischen Ländern und die Auswanderung, ist volle Aufmerksamkeit gewidmet worden. Um die Slug- kunftsertheilung an Auswanderer wirksamer zu machen, ist erwogen worden, ob sich dieselbe nicht dergestalt einrichten lasse, daß über Deutschland unter der Aufsicht der Kolonialgesellschaft eine Anzahl AuskunftSbüreaux verbreitet würde, welchen die Aufgabe zufallen soll, das Agenturwesen zu überwachen und Fühlung und Beziehung zu den Auswanderern selbst zu gewinnen. Die Sache sei jedoch sehr schwierig. ES find im vorigen Jahre vereinnahmt Mark 104,694.26 und ausgegeben 92,694.26 (einschließlich M. 1935 für unvorhergeseheneAusfälle), so daß fich ein Uekerschuß vonM. 12,000 ergibt. Durch denselben sind die im Berichtsjahre geschehenen außerordentlichen Bewilligungen und Unterstützungen kolonialer Unternehmungen geleistet; die Unterstützung an die Emin Pascha-Expedition im Betrage von M. 5000 vom Vorjahre hat noch aus den nachträglichen Einnahmen von 1888 bestritten werden können.
* Bom Main, Ende Juni. Unter dem Titel „Vier Wochen Vizewachtmeister" veröffentlicht Curt AbeldieBeobachtungen, di« er als Bizewachtmeister der Reserve und Offizieraspirant beim Trainbataillon Nr. 15 in Straßburg im vorigen Herbst bei einer achtwöchentlichen Uebung in Bezug aus Soldatenmißhand- lu n g gemacht hat. Herr Abel führt« von der 5. Woche seiner Dienstzeit ab ein regelmäßiges Tagebuch, aus dem er Auszüge in der Broschüre veröffentlicht. Im einzelnen wird geschildert, wie der Rittmeister M. von der ersten Kompagnie, der Herr Abel angehört«, die Soldaten schimpfte und schlug nach Brust, Bauch. Rücken, Schenkel, mit der Klinge auf die Schultern, an den Kopf oder ans Gesicht. Wenn fich die Leute vor Schmerzen krümmen, werden fie noch außerdem mit Strafdienst geplagt. Die gerühmte „Ferienkolonie" findet eine iutereffante Beleuchtung in der Broschüre durch die Schilderung des mangelnden Essens, des ungenügenden Schlafes und des in der Kasern« wimmelnd«« Ungeziefers. Um 11 Uhr Nachts hätten die Leute noch putzen müssen und dann wieder Morgens um '/-4 aufstehen. Die Unteroffiziere der Kompagnie seien im Durchschnitt gute Vorgesetzte und hätten fich hauptsächlich durch da» böse Beispiel zu Ausschreitungen verleiten lassen. Ein eben erst von der Festungsstrafe wegen Mißhandlung zurückgekehrter Unteroffizier schlug in Gegenwart des Verfassers einen Mann ins Gesicht, daß er blutete. Abel hat in der ersten Zeit seiner Uebung oft Leute gesehen, die in Folg« der vom Rittmeister erlittenen Mißhandlungen weinten. Die Pferde hätten es viel besser gehabt, als die Trainsoldaten, nnd nach den herab- würdigendsten Schimpfworten appellirte der Rittmeister noch an dar Ehrgefühl der Soldaten. Ein Unteroffizier hatte einem Train- soldaten befohlen, fich in einiger Entfernung vor seine Abtheilung hinzustillen und fortwährend zu schreien: „Ich bin ein dummes Luder!" D«r Unteroffizier erklärte zu seiner Entschuldigung, daß er den Mann an dem Ehrgefühl habe packen wollen. Aus dem Jnstruktivnsunt«rricht erzählt Abel: Als wir über Beschwerden und Gesuch« sprechen wollten, suchte der Offizier da« betreffende
Kapitel in einem Buche. Er fand es aber nicht sogleich und sagte: „Darüber scheint nichts drin zu stehen. Der Verfasser scheint von der sehr vernünftigen Idee auszugehen, daß der Soldat Beschwerden und Gesuche nicht zu kennen braucht." Zu Abel gewandt, wiederholte er: „Es ist viel besser, wen» der Soldat Beschwerden und Gesuche nicht kennt." Abel schildert, daß die Leute kaum Zeit zum Waschen gehabt hätten — von Baden sei keine Rede gewesen — obwohl die Leute den ganzen Tag körperlich beschäftigt find und theil- ipeise direkt mit Schmutz bedeckt waren. Die Schilderungen der Schimpfwort« und d«r Mißhandlungen im einzelnen nach dem Tagebuch des Vize-Wachtmeisters machen einen geradezu empörenden Eindruck. Ebenso erzählte er auch noch, daß ein Lieutenant der Bataillons, dessen Name ihm genannt worden sei, einen Mann wegen eines gewöhnlichen Vergehens, weil derselbe schwer von Verständniß war, in der Reitbahn ans einen; Düngerwagen umherfahren ließ, ihm eine Pferdetrense umlegen ließ nnd ihm besahl, tote ein Hund zu bellen. Ter Mann, der angeblich andauernd ähnliche Behandlung erfuhr, sei später als geisteskrank entlassen worden. Abel versichert schließlich, daß er persönlich nicht mißhandelt worden sei und eine Beschwerde für einen anderen es im militärischen Sinne nicht gebe. Da ihm perfönlich keinerlei Unrecht vom Rittmeister zugefügt worden sei, könne er auch keinerlei persönlichen Groll gegen denselben haben. Er sei auch während seiner ganzen militärischen Karriere nicht ein einziges Mal bestraft worden. Er will durch diese Veröffentlichung eint energische Untersuchung der geschilderten Verhältnisse erzwingen im Interesse der Beseitigung derselben überall da, wo ähnliche« vorkomme. Man werde, wenn man ihn wegen Verleumdung verfolg«, s«h«n, daß jeder Wort wahr sei. Ein« Untersuchung w«rd« wohl noch andere Dinge zu Tag« fördern, als «r in der kurzen Zeit von acht Wochen sehen und hören konnte.
* Aus Baden, 28. Juni, schreibt uns ein Katholik: Trr „Bad. Beobachter" brachte in Nr. 144 folgende Mütheilung: „In parlamentarischen Kreisen nannte man al» Nachfolger des Herrn von Maltzahn im Reichsschatzamt Herrn von Hu ene." Das würden wir sehr erklärlich finden, denn v. H. be- sitzt für gewisse Kreise vortreffliche Eigenschaften. Er ist erstens Coulissenschieber, zweitens Mineur des Centrum», drittens Alles- bewilliger. Daher gebührt dem Verdienste seine Krone! Leider müssen wir im Gefühle der höchsten Entrüstung bekennen, daß wir verlassen und verkauft sind; darum fort mit jenen Volksver- ttetern, die bei der Militärvorlage das Volk im Stiche gelassen haben! Das ist die Ansicht eines „gewesenen" Centrumswählers. Punktum.
efe Straßburg, 29. Juni. In der heutigen Versammlung d»r Deutschen Buchdrucker-Genossenschaft, unter dem Vorsitze des H. Oldenburg-München wurde zunächst der Geschäftsbericht pro 1889 genehmigt. Der Kataster der Genossenschaft am 31. Dezember 1889 umfaßte 4102 Betriebe mit 59,681 versicherten Personen. Die Zahl aller Verletzten für welche 1889 Unfallanzeigen erstattet wurden betrug 502; Entschädigungen wurden fistgestellt für 83 Personen. Es kamen somit auf 1000 Versicherte 8,41 Verletzungen und 1,39 Entschädigungen. Die Ent- schädigungsbetrage beliefen fich insgesammt auf 43,206 Mark. Die Umlage betrug, sammt Strafbeträgen, 134,757 Mark. Auf den Kops der versicherten Personen entfielen M. 2,25, etwas weniger als im Jahre 1888. Die Zahl dec Strafverfügungen war 112. Genehmigt wurde ebenfalls der Rechenschastsbericht sowie der Voranschlag pro 1891. Gerügt wurden von verschiedenen Rednern die großen Schiedsgerichts-Gerichtskvsten und die Verwaltungskosten der Sektionen. Zu ersterem Punkte wurde bemerkt, daß ein Theil des Köstenübermaßes davon herrührt, daß die Sektionen an ihrem Eitze, gleichmäßig mit den Sektionen anderer Berufsgenossenschaften, ekNen proportionalen Bruchtheil der Kosten des für verschiedene Be- russgenossenschaften eingesetzten Schiedsgerichtes zu tragen haben, selbst dann wenn sie selbst gar keinen Fall zur schiedsgerichtlichen Entscheidung bringen. Diesem Systeme gegenüber empfahlen Iäncke e-Hamiover undOsterrieth»Frankfurt den in jeneit Städten eingeführten Modus der Vertheilung der Schiedsgerichtskosten. Bezüglich der Verwaltungskosten der Sektionen, di« sehr ungleich find, eihob sich eine Stimm« die hierüber einen Beschluß der Delegirten - Versammlung herbeisühren wollte; hiergegen wurden vielfache Einwendungen vorgebracht und eg wurde betont, daß die Sektionsversammlungen, welche die lokalen Verhältnisse kennen, am besten in der Lage sind, zweckentsprechend, Beschlüsse zil fassen. Genehmigt wurde auch die Vermögen-übersicht. Ter Betriebsfondr beträgt 48,000 JL; der Rcsevefonds 125,120 JL; das Inventar 2400 In den Vorstand wurden, in Folge Ablauf der Amtsdauer, gewählt, bezw. wiedergewählt, die HH. Geh. Kommerzienrath Jänecke-Hannover, Georgi-Bonn, Oster- r i e t h - Frankfurt, und als Ersatzmänner G r i m p e - Hannover, Bachem-Köln und Poppelbaum-Frankfurt. Zu Aenderungen des Bestandes der Genossenschaft lag ein Bericht über den Antrag des Genossenschafts-Vorstandes auf Zuweisung der Betriebe der Papiervorbereitungs-Genossenschaft an die Buchdrucker- und an die Papiermacher-Genossenschast vor. Das ReichsversicheruiigSamt hat den Buchdruckern nahe gelegt, ihren Antrag zurückzuziehen; mit Rücksicht auf sehr grelle Unzukömmlichkeiten, u. A. bei den Notenstechern, beschloß jedoch die heutige Versammlung auf dem Antrag des Vorstandes zu beharren und wenigstens eine prinzipielle Entscheidung des ReichSverficherungSamtes herbeizuführen. Ein» müthig wurde sodann ein umgekehrter Antrag von der Hand gewiesen, nämlich derjenige der Norddeutschen Edel- und Unedelmetallindustrie-Genossenschaft aus Uebcrweisung an fie selbst der in der Buchdruckerei-Genossenschast befindlichen Schriftgießereien und Messingliuienfabriken. Auf nächstes Jahr wurde ein äußerst interessanter Vorschlag des Herrn Dr. Paul Schmidt, Geschäftsführers der DeutschenBuchdrucker-Geiiossenschaft auf Vereinfachung der Organisation und Verbilligung der Verwaltungskosten der Genossenschaft vertagt. Als nächstjähriger Versammlungsort wurde zum Schluß Hannover bezeichnet. Vor Beginn der Verhandlungen war die Versammlung von dem Beigeordneten Hochapfel, in Vertretung der nach Ulm zu den Dom-Festlichkeiten verreisten Bürger- meisters Back, im Namen der Stadt Straßburg begrüßt worden. Heute Nachmittag hat programmmäßig mit Musik und Gesang und einer sehr guten Rede des Herrn Dr. Hott in g er, in Anwesenheit einer großen Menschenmenge, der Festakt auf dem Gutenbergplatz stattgefunden; auf das Denkmal legten verschiedene Vereine Lor» beerlränze nieder.
Oesterreich-Ungarn.
Mr. Wien, 27. Juni. Zwei Mitglieder des Kabinets Taaffe begingen gestern ihr zehnjähriges Ministerjubiläum: der Finanz- minister D u n a j e w s k i und der Landesvertheidigungsminister Welsersheimb. Die Blätter aller Richtungen widmen besonders dem ersteren und feiner ministeriellen Wirksamkeit eingehende Besprechungen und allseitig wird das Verdienst des Herrn v. DunajewStt, das Gleichgewicht im österreichischen Staatshaushalt hergestellt zu haben, gebührend gewürdigt. Herr v. Duna- jewski hat allerdings unter den ungünstigsten Umständen die Leitung des Finanzressorts übernommen, in einer Zett wirthschaft- lichen Niederganges, in bent noch die Nachwehen der großen Krisis zum Ausdruck kamen, mangelnder Unternehmungslust und geringen Vertrauens in die Zukunft, sowie empfindlichen Rückgangs des öffentlichen Kredits und schier unausrottbaren Defizits. Auch die politischen Gegner des Finanzministers müssen zugeben, daß das Verdienst an der Verbesserung dieser höchst unerquicklichen Situation großentheils Herrn Tnnajewstt gebührt. Das Budget von 1880 wies noch einen Fehlbetrag von über 25 Millionen auf, neun Jahre später hatte der Finanzminister sein Versprechen, mit dem er in das Kabinct eintrat, erfüllt und das Gleichgewicht nach langer Zeit wieder hergestellt und das darauf folgende Budget schließt bereits mit einem Ueberschuß der Einnahmen über die Ausgaben in Höhe von 2‘/s Millionen ab. Dieser Umstand ist um so beachtenswetther, al? in diesen zehn Jahren 260 Millionen zu produttiven Anlagen und Meliorationen, davon etwa die Hälfte zu Bahnbauten, verwendet und die Ausgaben um 123 Millionen, von 423 auf 546 Millionen, erhöht worden sind. Dabei ist das Finanzressort besser geregelt, als ehedem, und der Staatsttedtt wesentlich gestärft. Die einhcttliche Notenrente ist im Lause der letzten zehn Jahre von 71.20 aus
89.70, die Silberrente von 71.25 aus 90.10. die Goldrente sogar von 87.75 aus 110.70 gestiegen. Allerdings hat die Medaille auch eine minder glänzende Kehrseite: Die riesigen Steuererhöhungen, mit welchen Herr DunajewStt dem Defizit den Garaus gemacht und dem Volke eine bis dahin nicht gekannte Belastung aufgelegt hat. Es gibt kaum noch ein Steuerobjekt, aus dem ein höherer Ertrag zu erzielen wäre; Pettolenm, Branntwein und Zucker, sowie die der Konsumsteuer unterworfenen Gegenständ« sind bis zur Grenze ihrer Erttagsfähigkeit gebracht worden, di« Finanzzölle wurden zweimal gesteigert und auch die direkten Steuern sind derart hinaufgeschraudt worden, daß sie ein Mehr- erträgniß von 11 Millionen ergeben. Die Finanzwirthschaft der Herrn Dunajewski drückt sich am anschaulichsten in der Mehrbelastung von 68 Millionen ans. Die Organe der Regierung, welche dem Finanzminister den verdienten Weihrauch streuen, gehen heute über diese Thatsache leicht hinweg, um durch leinen Mißton die gehobene Festesstimmung zu trüben. Sonst aber fällt es auch ihnen nicht ein, die Bedeutung der Thatsache hinweg- zudisputiren, wie denn in ganz Oesterreich Niemand bestreiten mag, -aß eine weitere Belastung des Volkes fast unmöglich und unetträglich wäre und, wenn doch durchgeführt, zu den bebenfr lichsten Konsequenzen im Staatshaushalt und in der Volkswirth» schäft führen müßte. Dies ist als communis opinio zu Tag« getreten, als in den Ausschüssen der Delegationen der Reichs» kriegsminister auf die bekannten, später revozirten Zukunftspläne hingewiesen hatte.
Italien.
J Rom, 26. Juni. Seit Mitternacht hat also Rom feine gesetzliche Vertretung mehr; die Stadttäthe find vom Kapitol herabgestiegen. Zwei Kompagnien Infanterie waren beim Stand- bilde des Markus Aurelius aufgestellt, um Kundgebungen seitens des aufgeregten Volkes zu verhüten. In dem historischen SitzungSSaal der Stadtvertretung, wo der Antrag des MunizipalanS- schuffes betreffend die Gesammt-Demission deS Stadtraths, verhandelt wurde, ist eS sehr stürmisch hergegangen. Die würdigen Proteste B a lestra's, eines echten Römers von altem Schlage, gegen die — wie er sagte — „den Römern inS Gesicht geworfene Schmach (ignominia)" und des Exministers Grimaldi, welcher sein Urtheil über die Vorlage in dem berühmten VerS von Dante: „Gateotto fu il libro e ebi lo scrisse, Schuftig war das Buch und der es schrieb", zusammeufaßle, wurden mit einem wahren Beifallssturm vom Publikum ausgenommen und damtt war die Luft derart mit Elektrizität geladen, daß, als Menotti Garibaldi, der Sohn des Helden von Caprera, fich erhob, um zu erttären, daß er, „wenn auch allein", auf seinem Posten im Stadtrathe geblieben wäre, nicht etwa weil er der Vorlage zustimme, sondern weil es seiner Ansicht nach viel zweckmäßiger wäre, die Entscheidung der Kammer abzuwarten. das auf den Gallmen dichtgedrängte Publikum in einen Schrei der Entrüstung ausbrach. Die Offiziösen werden gewiß aus dieser Haltung eines hochangesehenen Mannes, der einen so glorreichen Namen trägt, in Ermangelung besserer Gründe, Kapital zu schlagen trachten und die öffentliche Meinung besonders imAuslande zu verwirren suchen, indem sie behaupten, daß eine Vorlage, welche von Francesco Crispi eingebracht und von dem SohneGaribaldis ver hei- digt wird, nicht so reattionär und für die Würde der Stadt Rom verletzend fei, um die Haltung der übrigen Stadträthe zu rechtfertigen. Dem gegenüber muß aber betont werden, daß erstens Menottt Garibaldi die Bestimmungen der Vorlage nicht billigte, daß er vielmehr selbst in der Kammer eine Gcgenvorlage einbrachte, was seine Haltung in der gestrigen Sitzung des Stadt- rathes wenigstens bis zu einem gewissen Punkte erklärt, und zweiten?, daß die Haltung Menottt Ganbaldi's die Katastrophe, die et vielleicht beschwören wollte, erst recht beschleunigte, denn abgesehen davon, daß es in Folge der Erhitzung der Gemüther auf der Journalistentribüne zwischen dem Direktor des „Don Chisciotte" und dem Berichterstatter eines offiziösen Morgenblattes nach dem wurfartigen Austausch von verschiedenen Tintenfässern und Streusandbüchsen zu einem förmlichen Handgemenge kam, so daß die eifrigen Polizeiagenten aus eigener Initiative den Saal räumen wollten, ist es eine Thatsache, daß einige Stadttäthe, welche dem Anträge Menotti Garibaldi's nicht abgeneigt waren, sich jetzt ihren Kollegen anschlossen, welche in der Demission en mässe die korrekteste Lösung der Frage erblickten. Somit ist der Wunsch des jungen Garibaldi in Erfüllung gegangen, und von 63 Stadträthen blieb er mit seinem Nein allein, da der Syndikus aus leicht begreiflichen Gründen sich der Abstimmung enthielt. Wie das Publikum, welches heute Nacht der Sitzung beiwohnte, so hat heute auch die Presse im Allgemeinen und mit ihr die öffentliche Meinung nur Zustimmung für die Haltung der Stadt- räthe. Umsonst versucht man den Beschluß als zu übereilt zu kritifiren; die Beleidigung gegen die frühere und die jetzige Stadtverwaltung, die der Bericht der Regierung an die Kammer der Unfähigkeit beschuldigte, war zu klar, als daß man nicht gleich und in der eklatantesten Weise dagegen protestiren sollte, und dann sind es jetzt sieben Monate her, daß der Stadtrath durch Versprechungen förmlich zum Narren gehalten wird; wozu sollte er es dulden, daß die Regierung es noch weiter thäte? Die Freunde der Regierung ..hauptcn, wenn die Regierung das Geld hergeben müsse, um die traurige Finanzlage der Hauptstadt zu verbessern, so müsse sie gewisse Garantien für die gute Verwaltung des Vermögens der Steuerzahler von ganz Italien haben. Ties mag richtig sein, aber nicht iniuder wahr ist, daß man auch in diesem Falle wie in so vielen anderen wenigstens die Form wahren und nicht die Räthe der Hauptstadt als untreue und unwissende Verwalter hinstellen und sie so der öffentlichen Verachtung preisgebeu mußte. Was auch die Folgen der Abdankung des gesammten Stadttcithes Roms sein mögen, so steht schon jetzt außer Zweifel, daß diese Empörung des Volksgeistes gegen eine derartige Behandlung und gegen den Versuch einer Diktatur ein bemerkenswerthes Symptom der Stimmung des Landes gegen ein ganzes Regierungssystem ist, welches weder den Ueberlieferungen noch dem Willen des Volkes entspricht; ein Symptom, dessen Bedeutung, da der Tag des Appells an die Wähler sich immer mehr nähert, gewiß nicht zu verkennen ist.
Großbritannien.
* London, 30. Juni. Zur Feier des 46ten Geburtstages Parnells veranstaltete die irische parlamentarische Partei im Westminster Palace Hotel ein Mahl. Parnell hielt bei dieser Gelegenheit eine Rede, in welcher er die feste Zuversicht ausdrückte, daß Irland Dank der Unterstützung der großen englischen Partei unter der Führung Gladstone's die laugangestrebte Selbstständigkeit erlangen werde. — An der bereits telegraphisch erwähnten im Krystallpalaste vorgestern veranstalteten Kundgebung der konservativen und liberalenUnio- nisten beteiligten sich fast sämmtliche Mitglieder der konservativen Vereine, Klubs und Primelnligen Londons. Etwa 60,000 Menschen bewegten sich in den weiten Räumen des Palastes. Ti« Regierung war bei der Kundgebung durch den Lordkanzler, den Schatzkanzler Goschen, dm Kriegsminister Stanhope, den Öber- sekretär für Irland, Balfour, den Minister für die Kolonien, Lord Knutsford und den Kanzler des Herzogthums Lancaster, Herzog von Rutland, vertteten. Außerdem chatten sich mehrere Tory-Peers, sowie fast sämmtliche konservative Vertreter der Londoner Wahlbezirke im Hanse der Gemeinen cingesunden.
* London, 30. Juni. Der frühe?« Kolonialmiiiister Henry Howard Molhnanx Herbert, Earl of Carnarvon, dessen Tod bereits gemeldet wurde, war am 24. Juni 1831 in London geboren und kam bereits als 18jährig«r Jüngling nach dem Tode feine* Vaters ins Oberhaus, w» et bald ein« Jungfernrede hielt, .die ih"