Donnerstag, 17. Oktober 1889.

Vieninddreissigster Jahrgang.

ITr. 800. Abendblatt

P»litische Nkbklsicht.

ES kommt, wie wir vorausgesagt haben, die Regierung gibt den ihr angesonnenen Versuch auf, vom Boden der Aus­nahmegesetzgebung den Nebergang zum gemeinen Recht zu finden undbegnügt" sich mit der Verlängerung des etzigen Sozialistengesetzes auf - unbestimmte «eit. So meldet jetzt dieKöln. Ztg."; was sie hmzu- setzt von etwaigen Milderungen des Gesetzes wird Jedem, der die Natur jenes Werkes kennt, als weiße Salbe erschei­nen, die das Unheil verdecken soll. Mit dein Wegfall dec Fristbestiinmung verliert der Reichstag die Macht, die er sich 1878 Vorbehalten zu müssen glaubte, die Macht, das Aus­nahmegesetz auch gegen den Willen der Regierungen zu be­seitigen ; mit dein Schwinden dieser Macht wird aber auch sein Kontrolrecht über die loyale Ausführung des Gesetzes, sein Mandat, etwaigem Mißbrauch entgegentreten zu kön­nen, vollständig illusorisch. Nach der Kapitulation auf Zeit und unter Kautelen die bedingungslose Ergebung auf immer so haben es die Nationalliberalen gewiß nicht gemeint, als sie vor zwei Jahren erklärten, sie würden fernerhin nicht mchr für eine Verlängerung des Gesetzes stimmen, dmn es wäre doch blutiger Hohn und Spott, zu versichern, man ' werde nicht mehr leiden, daß Jemand von zwei zu zwei Jahren unter Polizeiaufsicht gestellt werde und deshalb diese Polizeiaufsicht zu einer lebenslänglichen machen. Das ist's aber, was derKöln. Ztg." zufolge die Regierung der Kartellmchrheit jetzt zumuthet; westen sie sich bei einer Wei­gerung. diese schwerste aller Sünden auf sich zu nehmen, zu versehen hat, das ist ihr jüngst durch diehistorischen" Er- örtungen aus der offiziösen Hexenküche klar gemacht worden. Wie wir sie kennen, wird sie auch hier nicht versagen, nicht Las Springen über den Stock wie hoch er auch gehalten werde, sondern nur das Sträuben gegen den Sprung, durch das sie früher ihren Mannesmuth in den ersten zwei Lesungen zit bekunden bemüht war, hat sie unter dem Hagel von blutigem Spott, der diese Komödie zu begleiten pflegte, satt bekommen.

Zwischen den Theilhabern der weiland reaktionären Allianz in Frankreich ist es jetzt auch zu Beleidigungen gekommen und es fehlt nur noch, daß es ein paar Duelle absetzt. Zuletzt hat Cassagnac, der eigentliche Macher und Leiter der Allianz, den Exgeneral mit einem eleganten Fuß­tritt zur Seite geschleudert, und auch derGaulois", der eifrigste publizistische Verfechter der Koalition, ließ über die Schroffheit seines Abschieds leinen Zweifel obwalten. -Bon- soir monsieur, hat Herr Arthur Meyer schon am 9. October höhnisch gesagt, und zwei Tage darauf führte er aus, daß der General allen auf ihn gesetzten Erlvartungen nicht entsprochen habe, so daß es daher aus sei mit ihm, völlig aus. Darauf hin hat. nun Herr Arthur Meyer, von dem beide Artikel gezeichnet waren, aus Jersey folgendes Tele­gramm ethalten:Ich habe Ihren Artikel vom 11. October intGaulois" gelesen. Ich habe Sie immer aller Dumm­heiten fähig gehalten; jetzt halte ich Sie auch jeden Verraths fähig. Ich sende Ihnen die Versicherung meiner tiefsten Ver­achtung. Boulanger." Die Veröffentlichung dieses Tele­gramms ist vott Boulanger ausgegangen, denit heute erklärt Herr Meyer, er habe sich seinerseis zur Veröffentlichung des Telegramms wie seiner Antwort nicht für ermächtigt gehal­ten; er theilt indeß jetzt nach den anderen Blättern das Te­legramm mit, das er dem Sinne nach für richtig erklärt, !und veröffentlicht zugleich seine Antwort an Boulanger, die folgenden Wortlaut hat:Man kann nur Diejenigen ver­rathen, denen man dient. Da ich nur meinem Könige diene, habe ich Sie nicht verrathen können. Von meiner Pflicht wird mich nichts abwendig machen; der Zukunft überlasse ich die Aufgabe, die Falschheit Ihres Urtheils zu beweisen." Auf beideit Seiten der ehemaligen Allianz ist die Stimmung der Art erbittert, daß man wohl einer Fortsetzung des ange- fangeneu Zwiegesprächs entgegensehcn sann.

Es liegt gar kein Grund vor, an der Richtigkeit der neue­sten Meldung des Bureau Reuter aus Samoa zu zweifeln, wonach eine große Volksversammlung in Apia sich dafür entschieden hat, Mataafa zum Könige zu wählen. Auch die Nachricht, daß der Vertreter Deutschlands hiergegen Wider­spruch erhoben habe, scheint richtig zu sein, denn dieNordd. Allg. Ztg." bestätigt dieselbe heute, freilich mit dem Zusatze, daß auch die Vertreter Englands und der Ver. Staaten sich gegen die Wahl Mataafa's erklärt haben müßten, da auf der Berliner Konferenz ausgemacht worden sei, Malietoa als König anzuerkennen denselben Malietoa, welcher feiner Zeit von dem deutschen Vertreter als ein Ausbund von Cha­rakterschwäche und Schlechtigkeit geschildert worden ist. Dir Behauptung, daß die drei betheiligten Mächte abgemacht hätten, nur Malietoa als König anzuerkennen, ist um so un­erklärlicher, als bekanntlich zugleich beschloffen worden ist, den Samoanern die freie Wahl des Königs und Vice­königs zu überlasten. Das eine schließt das andere aus. Wenn Mataafa, für welchen die Samoaner sich erklärt haben, den Amerikanern günstiger gesinnt ist, als den Deut­schen, so ist das doch kein Grund, den Samoanern ein ihnen zuerkanntes Recht zu schmälern. Noch weniger aber könnte, wie ein Hamburger Blatt vermuthet, ein Widerspruch von deutscher Seite gegen die Wahl Mataafa's durch den Ver­such gerechtfertigt werden, eine Genugthuung für die Vor- güuge im December 1888 zu erlangen. Abgesehen davon, daß ja auch Malietoa für gewisse Vorgänge, welche sich am 22. März 1887 anläßlich der Feier des Geburtstags Kaiser Wilhelms I. in Apia ereignet haben, niemals Genugthuung geleistet hat, konnten unsere tapferen Soldatm doch nur des­halb von einer erdrückenden Uebermacht überwältigt werden, weil man sie gegen die Anhänger Mataafa's gefichrt hatte, ohne den erwün'schtenErfolg gesichert zu haben. Wenn daher für die Haltung des Herrn Dr. Stübel keine andere Erklä­rung als diejenige derNordd. Allg. Ztg." geltend gemacht werden kann, so müßte man fast auf die Vermuthung kom­men, daß auf Samoa in der langen Reihe von Mißgriffen, welche Fürst Bismarck selbst so lebhaft beklagt und ver- örtheilt hat, wieder ein neuer gemacht worden ist.

alles bereit fei. Zuerst wurden kurz hintereinander 4 einzelne Schliffe abgegeben, dann zwei doppelte. Es wurden nämlich je zwei, mit je 43 Kilo Pulver und 193 Kilo schweren Kugeln ge­ladene Kanonen abgeschoffen. Gestern, wie heute Nachmittag, in Gegenwart aller Offiziere der Festung, ist die Prüfung völlig gegluckt. Die Kuppeldächer haben gut llviderstand geleistet. Sehr befriedigt kehrte der Kriegsminister Abends 6 Uhr hierher zurück. Im Kohlenbecken gährt's beständig. Fast täglich treffen Nachrichten ein über Arbeitseinstellungen, die aber selten größere Beachtung verdienen, da ein Ausstand von einigen Hundert Mann kaum mehr in Betracht kommt. Wie heute Abend hier bekannt wird, striken wieder 450 Bergleute in Wasmes bei Bergen (Mons). Es herrscht dabei völlige Ruhe. Die neulich gemclbe- ten Strikes sind gütlich beigelegt. In La Louviere wurden Lohn­erhöhungen bis zu 20 Prozent bewilligt.

Die neueste britische Annexion in Afrika, xx Loirvoi», 15. October.

Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Gewährung des könig­lichen Freibriefes an die neuoegründete Britische Süd- Afrika-Gesellschaft in Deutschland ein weit größeres Austehen erregen wird, als hier zu Lande, wo man für dergleichen weitreichende Unternehmungen «in merkwürdig flaues Interesse an den Tag legt. England besitzt zur Zeit etwa 700,000 engl. Qu.» Meilen in Südafrika, mit einer so gemischten Bevölkerung, daß nur die größte staatsmännische Kunst und die nicht immer im Stande ist, die widerstreitenden Elemente in Rand und Band zu halten. Mit dieser neuen Charter, welche binnen 14 Tagen bie Unterschrift der Königin erhallen soll, wird das btitischeReich um einen Besitz von 300,000400,000 Quadratmeilen vermehrt, d. h. es ist ein Stück Erde mit einem Federstrich annektirt worden, das dreimal so groß ist als das Areal des Bereinigten Königreiches und ein Drittel größer als Deutschland. Wenigstens ist dieses annähernd die Ausdehnung der Konzession. Wie groß sie in Wirk­lichkeit ist, wissen die Konzessionäre selbst nicht, denn die Grenzen sind wohlweislich äußerst unbestimmt gelassen worden. Es handelt sich in erster Linie um das im Norden von Betschuanaland und nördlich und östlich vom Transvaal befindliche Gebiet, sowie um die Ländereien westlich von den portugiesischen Kolonien. Da aber diese letzteren keine genau abgegrenzten Grenzen haben, so kann man von den Engländern ebenfalls keine größere Genauigkeit ver­langen. Eine Westgrenze hat das Gebiet ebenfalls nicht, doch ist vertragsgemäß festgesetzt, daß sich die deutsche Jntereffensphäre aus der Westküste bis zum 20. Längegrad erstreckt. Immerhin ein Gebiet, in welchem sich auch der länderhungrige John Bull recken und strecken kann, ohne Gefahr zu laufen, auf Jahrzehnte Nach­barn und Freunden zu nahe zu treten. Diese neue Erwerbung wird die Gesellschaft im Namen und Interesse des britischen Reiches verwalten und als Gegenleistung für den königlichen Freibrief hat sie sich zur Annahme von Bedingungen bequemt, welche für deutsche Leser von Jntereffe fein dürsten. Die südafrikanische Com­pany verpflichtet sich zur allmählichen Abschaffung der Sklaverei und der häuslichen Knechtschaft; sie Wirb die Einfuhr und den Vertrieb von berauschenden Getränken so reguliern, baß bie Ein­geborenen keine kaufen können. Kein Handelsmonopol wird ge­stattet, obschon Konzessionen für öffenttche Arbeiten ertheilt wer­den; die Gesellschaft erhältbasRecht. eine Polizeimacht zu schaffe«, Gerichte emzusetzm, unb verpflichtet sich, bie Rechte anderer Staa­ten zu respekfiren unb bie Gebräuche der Eingeborenen nicht zu verletzen. Sie muß dem Staatssekretär in London über ihre Finan­zen, soweit sie bie Verwaltung und politische Ausgaben betreffen, Rechnung ablegen und sonst jederzeit Auskunft geben. Der Frei­brief hat eine Giltigkeit für 25 Jahre und kann bann am Enbe einer Periode von je 10 Jahren erneuert werden.

An der Spitze dieses riesigen Unternehmens stehen Männer, welche in der englischen Gesellschaft und Geschäftswelt wohlbe­kannt sind, der Herzog v. Abercorn, einer der drei permanen­ten Direktoren, ist ein reicher irischer Agrarier. Sein Sohu ist der als Lord George Hamilton bekannte Marineminister. Der Herzog ist reich für einen irischen Grundbesitzer, denn er hat sich die Afhbnrne Alle zu Nutze gemacht unb den größten Theil seines irischen Grundbesitzes seinen Pächtern verkauft. Die Regierung hat ihm eine runde Summe von einer Viertelmillion Pfund aus­gezahlt und treibt dafür die jährlichen Abzahlungen von feinen Pächtern ein. Einen Theil dieses dem englischen Steuerzahler abgenommenen Baargeldes hat er jetzt in diese südafrikanische Spekulation gesteckt. Von dem Herzog von Fife, dem zweiten permanenten Direktor, ist im Sommer anläßlich seiner Heirath mit einer Großtochter der Königin so viel die Rede gewesen, daß man sich wohl noch erinnert, daß dieser reiche schottische Adelige Theilhaber des Bankhauses Scott u. Co. in Cavendishsquare ist. Sein Jahreseinkommen von Landbesitz allein ist etwa äst. 75,000. Der dritte permanente Direktor, Mr. Albert Grey, ist ein junger Aristokrat der Whigpartei, ein tüchtiger und vielversprechen­der Politiker, der im Parlamente von 1880 bis 1885 mit Aus­zeichnung wirkte. Er ist der Großneffe unb Erbe des 1802 ge­borenen Earl Grey. Die Hauptfigur in der Verwaltung ist je­doch Cecil John Rhodes, dessen Namen in Verbindung mit verschiedenen Konzessionen in Südafrika in der letzten Zeit oft genannt worden ist. Rhodes ist ein gebildeter Mann, der nach Absolvirung seiner Univerfitätsstudien in Oxford nach Afrika auswanderte, hauptsächlich seiner Gesundheit halber, und sich nebenbei ein gewaltiges Vermögen erwarb. Er war es, der dem König Lobengula im Matabililand die werthvollen Konzessio­nen zur Ausbeutung des Metallreichthums für ein Jahrgelb von Lstr. 100, 1000 Gewehren sammt Munition abkaufte eine Konzession, welche ungezählte Millionen werft) sein sott. AIS Beweis dafür, baß er sich um das Wohl der Eingeborenen küm­mert, wird die Thatsache angeführt, daß in Folge feiner Bemüh­ungen etwa 300 schwarze Arbeiter in der Diamantgrube Deb:erS Temperenzler geworden sind. Noch sind als Direlloren zu nen­nen Gifsord, Albett Beit unb Charles Cawston. All« Direktoren müssen Briten, das Domizil der Gesellschaft muß eng- lisch fein, und kein Direktor wird ohne Billigung des Staat«, sekretärs ernannt.

Der wichtigste Theil des annettirten Gebietes ist unstreitig daS M a t a b i l i l a n b, bas Kanaan Südafrikas. Es ist reich in Gold, Kupfer, Eisen und anderen Mineralien. Der werthvollst« und fruditbarfte Distrikt ist das Hochland, welches die Waffer- scheide zwischen den Flüffen Sambesi und Limpopo bildet. Es liegt 5000 bis 6000 Fuß über dem Meeresspiegel unb ist außerordent­lich gesund. Fieber ist unbekannt. Die Kinder der Weißen gedei­hen dort; es kann daher kolonifirt werden. Der Boden ist sehr fruchtbar und produzirt Korit. Di« von diesem Tafelland auslau­fenden Thäler sind weniger gesund, bie Hügel reich an Minera­lien, die Thäler sind gut bewässert und probnziren Reis, Zucker unb Baumwolle. Das dazu gehörige Mafchonalanbim Norden und Nordosten des von den Matabili bewohnten Gebietes ist ein gebirgiges, gut bewässertes Tafelland, mit fruchtbarem Erd­reich, reich an Gold und produzitt alle Produkte der gemäßigten und tropischen Zone. Auch hier sann der weiße Mann gedeihen. Diese bergige Gegend wird von den Maschonas bewohnt, dm Ueberrefteu eines von den kriegerischen Matabili vor 50 Jahren beinahe ausgerüsteten Menschenstammes. Diese Matabili sind ein Zulustamm, der nach der Art dieser Kaffemeger eine stramme centralisirte Organisation besitzt. Sie zählen etwa 150,000 bis 200,000 Seelen und sind im Stande, 15,000 Mann ins Feld zu stellen. Noch jetzt führen sie periodische Raubzüge aus, unb eS läßt sich voraussehen, baß «8 mit der Zeit an Konflikten zwisch«

Deutsches 'N eich.

n Auß Oderschlesien, 15. Oct. Um sich einen Begriff von berMkßmg des Schwein« einfuhr verbot? zu machen, braucht man nur die Größe des Fleischverfandts in Betracht ,zn ziehen, dm das feit einigen Wochen für di« Zufuhr lebender 'ungarischer Schwein« wieder geöffnete fRatibwet Schlachthaus zu

verzeichnen hat. Nach ben amtlichen Veröffentlichungen sind feit der Freigabe der SchweineemfuhrZ 216,594 Kilogramm von Rattbor versandt worden, unb zwar nach den Städten Berlin, Breslau, Kottbus, Forst, Liegnitz, Waldenburg, Freiburg, Reichenbach, Hirschberg, Frankenstein, Dittersbach, Schweidnitz, Nicolau, Sorau, Pleß, Neisse, Rudzinitz, Neuftadt, Gogolin, Oppeln, Liffa i.P., Kattowitz, Klettendorf, Habelfchwert, Glatz, Gleiwitz, Stieg unb Beuchen. Die größten Fleifchmengen bezog Breslau, nämlich 35,533 Kilogramm, bann kommt Berlin mit 32,950 Kilogramm, Liegnitz mit 20,560, Gleiwitz mit 15,730 unb Beuchen mit 14,720 Kilogramm. Auf Oberschlesien ent­fallen insgesammt 62,056 Kilogramm, nufMittelschlesien 82,225 Kilogramm, auf Nieberschlesien 20,560 Kilogramm, auf bie Mark Brandenburg 43,790 Kilogramm unb auf bie Provinz Posen 7960 Kilogramm.

0 Aus Lachsen, 16. October. Eine Probe von dem Tone, welcher bermalen in einem Theil der sächsischen Kar­tellpresse herrscht, gibt das gestrigeLeipziger Tageblatt." Im Anzeigetheil derWürzburger Zeitung" waren die beutschfreisinnigen Jungfrauen und Mädchen" aufgeforbet, jene Tanzböden nicht mehr zu besuchen, deren Besitzer den Saal zu deutschsreisinnigen Versammlungm beharrlichverweigetien. Dieses Inserat ermuthigt da?Leipz. Tagebl." zu folgenberBemerkung: Das Interessanteste ist bk deutschfreisinnige Klassifizirung von Jungfrauen unb Mädchen und damit di« Klarstellung, baß einem Theil bet deutschfreisinnigen Mädchen bie Bezeichnung Jungfrauen nicht zusteht!" Selbst in ben erbitterten Parteikämpfen war es bisher unerhört, bie Töchter bes politischen Gegners in biefer Weise herabzuwürdigen. Und diese Preffe, die sich davor nicht scheut, hat die ©time, von derVerwilder­ung des Tones" in den Oppositionsblättern zu reden.

O Chemnitz, 16. Oct. Der Strikein der großen Strumpf­fabrik von Moritz S. Esche Hierselbst dauert noch immer fort, da die Firma wohl die Lohnerhöhung bewilligte, doch sich dagegen sträubt, die spezialifirien Lohntabellen der Arbeiter auszuliefern, da sie dieses Verlangen derselben für ungerechtfertigt hält. In den letzten Tagen haben auch in verschiedenen Fabriken in Burgdorf und L i m b a ch die Wirker rc. die Arbeit niedergelegt. In einigen anderen Fabriken wurde ein Stute nur durch Lohnerhöhung ver­mieden.

*** Gießen, 16.Oct. Der Deutsch-freisinnige Verein hielt gestern Abend in derBavaria" unter dem Vorsitz des Herrn Scheel seine Generalversammlung ab. Rechtsanwalt Grüne­wald erstattete Bericht über die Thätigkeit des Vereins im abge­laufenen Jahre und sprach dann über die bevorstehenden Reichs­tags- sowie die hiesigen Stadtverordnetenwahlen. In den Vor­stand wurden die seitherigen Herren wiedergewählt.

XX Ans dem Grotzherzogthum Hesse«, 16. Oct. Wohl in keinem anderen deutschen Staate hat man sich seiner Zeit bei dem Ansturm gegen die Ueberbürdung der Schüler höherer Schulen zu so weitgehenden Beschränkungen der Anfor­derungen an die Schüler Herbeigelaffen, wie in Hessen. In Jedermanns Erinnerung find noch die in der zweiten Kammer der Stände geführten Debatten und angenommenen Beschlüsse. Da wurde ganz genau festgesetzt, wieviel von den Schülern verlangt werden dürfe, wie lange sie höchstens zu Haufe arbeiten sollen und wieviel Zeit zur Erholung ihnen gegönnt sein müsse. Trotz dieser Bestimmungen werden auch heule wieder Klagen Über zu große An­strengungen der Schüler laut. Aber diese Klagen beziehen sich nicht so sehr auf zu umfangreiche häusliche Arbeiten, als vielmehr auf die zu große Stundenzahl in der Schule. Ueber den Grund unb die Berechtigung solcher Klagen wird man sich eine Vorstellung machen können, wenn man hört, daß z.B. am W o rm- serGymnasiumdie Schüler der Secunda ihren Sing- und Turnunterricht nur in den Stunden von 121 Mittags resp, von 45 Uhr Nachmittags erhalten. Mit Recht wird da die Frage aufgeworfen:Wann sollen sich die so in Anspruch genommenen Schüler erholen?" undLieße er sich bei der vorhandenen großen Anzahl von Lehrkräften nicht einrichten, daß auch die Sing- und Turnstunden in der Zeit von 812 Uhr resp, von 24 Uhr gege­ben würden?" Letzteres müßte um so leichter geschehen können, als die genannte Klaffe Mittwochs und Samstags von 1112 Uhr frei hat (also von 1112 Uhr frei und von 121 Uhr wieder Unter­richt.) Hierzu kommt, daß in Folge dieses sonderbaren Stunden­planes die auswär ii gen Schüler, welche täglich die Bahnzüge zur Heimfahrt benützen, von dem Sing- resp. Turnunter­richte ganz oder theilweisebefreit werden müssen. Dies sind wahrlich der Gründe genug, um zu einer vernünfti­geren Stundenvertheilung Anlaß zu geben und so dem jetzt herr­schenden M i ß st a n d e ein Ende zu machen.

Karlsruhe, 16. Oct. Allem Anschein nach werden in die neue zweite Kammer eine größere Anzahl politischer Neu­linge ihren Einzug halten. So wirb im zweiten Wahlbezirk (Be­zirksamt Meßkirch) nicht wieder der alte Parlamentarier Roder, der wegen hohen Alters abgelehnt hat, sondern Oberamtmann Straub von Acheru in die Kammer kommen; in dem zweiten Be­zirk (Schopfheim) lehnte der bisherige nationattiberale Bürger­meister Grether gleichfalls eine Wiedenvahl ab, an dessen Stelle Kreisschulrath Dr. Weygoldt von Karlsruhe tritt. Im zwanzigsten Bezirk (Kenzingen) wird seitens der Klerikalen nicht Anwalt Röttinger, sondern Oberstiftungsrath Hug, der schon früher in der Kammer gesessen, als Kandidat ausgestellt. Im siebenzehnten Wahlbezirk, der den Nafionalliberalen erhalten blieb, ist Rektor Gfe11 von Hochberg ausgestellt worden, den die konservative Bad. Ldpst." heute für ihre Partei in Beschlag nimmt. Eigen­thümlich liegen die Verhältnisse im Lörracher Landbezirk. Hier stehen 28 {reifinnige und 16 ultramontane Wahlmänner 56 Libe­ralen gegenüber; den Ausschlag geben 20 Wahlmänncr unbe­stimmter Richtung. Im Wieslocher Bezirk liegt die Entscheidung bei 18 konservativen Wahlmännern, während im Landbezirk Karlsruhe die Entscheidung bei den Ultramontanen zu liegen scheint. Schließen in diesen beiden Bezirken die Konservativen unb Ultramontanen einen Kompromiß, so gehen ben National- liberalen bitfe beiden bisher innegehabten Bezirke verloren. Aus dem Bezirk Triberg-Wolfach bringen jetzt nationalliberaleBlätier bie Meldung, daß der Bezirk nicht verloren fei. Allem Anschein nach sind dort einige unsichere Wahlmänner gewählt, die von bei­den Parteien in Anspruch genommen werden.

cP Karlsruhe, 16: Oct. Bereits in einer Offenburger Korrespondenz hat dieFrankfurter Zeitung" ber Verfügung bes Freiburger Lanbeskornmisf ärs Siegel auf Grund bes Sozialistengesetzes gebucht und betont, daß Muser diese An­gelegenheit in einem Anhang zu seiner BroschüreSozialisten­gesetz und Rechtspflege" behandeln werde. In dem mir jetzt vor­liegenden Anhang citirt Muser zuerst den Grundgedanken des Siegel'schen Verbotes, der in folgendem Satz zu finden ist:Wik nun aber über die Wirksamkeit des Sozialistengesetzes eine so an ­regende Sprache führt, fördert fraglos die gewaltsamen Umsturz- bestrebungen der Sozialdemokratie." 9(n der Hand dieses Satzes führt Muser aus, daß der § 11, Absatz 1, des Sozialistengesetzes von einerFörderung" ber Umsturzbestrebungen überhaupt nicht spreche unb baß die Behauptung des Landeskommissars,Der­jenige, der in aufregender Sprache die Wirksamkeit des Sozia­listengesetzes bekämpfe, fördere Bestrebungen, welche auf dm ge­waltsamen Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschafts­ordnung gerichtet sind," eine logische und juristische Ungeheuer­lichkeit fei. Muser schließt den interessanten Inhalt mit folgenden zutreffenden Sätzen:

Auch wir bekämpfen das Sozialistengesetz unb dessen Hand­habung ans Gründen des Rechts, der Gerechtigkeit undHumanität; auch wir halten es für eine hohe sittliche Pflicht, mit aller Kraft besten Aufhebung burch bie gesetzgebenden Faktoren zu erstreben, gerade im Jntereffe einer friedlichen Entwicklung der sozialen Ver? hältniste. Wird man nicht auch uns mit der Logik der obigen Ver­fügung alsUmstürzler" verschreien und behandeln? Und wenn, wol schadet es? Wer nicht den Muth hat, persönliche Widerwärt ig-

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ketten und ungerechte Verdächtigungen zu ertragen und seine wohl­gemeintesten Bestrebungen verkannt zu sehen, der bleibe hinter >em Ofen und lese Kindermärchen ; sie schläfern ein unb beschwich­tigen alle Gewissensbisse." ,

8 Stuttgart, 16. Oct. Die Beerdigung des alten Füh­rers der Volkspartei, Carl Meyer's, hatte Deputattonen aus >anz Württemberg nach Stuttgart geführt. Aber auch wie chon mitgetheilt Hessen und Bayern, Baden, Rheinprovinz und Fankfuti hatten Zeichen der Theilnahme gesandt. Schier unzählbar waren die Kränze, die, zumeist mit schwarz-roth-gold- nen Schleifen geschmückt, auf dem Grabe sich auslhürmten. Nach b<m Trauerakte fand eine Zusammenkunft der Freunde des Ver- 1 »lichenen statt, in welcher noch mit manchem Worte Mayer's ge­lacht wurde, so insbesondere von Friedrich Haußmann, der in «wegler Rede den väterlichen Freund feierte. Der bevorstehende Wahltag in Calw-Nagold-Nenenbürg hatte manche Freunde von ier Theilnahme an dem Begräbniß ferngehalten.

Alalien.

* Aus dem mit einer Extra-Ausgabe derRiforma" heute eingetroffenen stenographischen Wortlaut der Rede Ctispi's geben wir noch folgende Stellen über die sogenannte römische Frage «örtlich wieder:

Ich werbe nicht viele Worte mache«, um bas Recht Italiens, da« Recht ber Römer auf Rom zu beweisen. (Beifall.) Da das italienische Boll in feiner Abstimmung Italien als einheitlich und uniheilbar unter der Regierung bes Hauses Savoyen erklärt hat, Tonnte Rom nicht davon ausgeschloffen bleiben. Seit 1860 war es nur eine faktische, eine Frage der materiellen Besetzung. (Sehr gut!) Wenn ein Plebiszit nöthig gewesen wäre, so hätte es ohne Zweifel btt Sanktion des Geschehenen gegeben. Aber auch ohne dieses kann das Recht der Nation nicht bestritten werden. (Bravo!) Die Nation «jciftirt aus eigener Kraft, innerhalb ihrer Grenzen. Nun aber hat keine Nation der Wett fo klare und sichere Grenzen wie Italien. ! Beifall.) Natio, quia nata!

Der Papst, als weltlicher Regent, hat keine größeren Rechte als andere abgefetzte Fürsten, und die Römer haben keine geringeren Rechte als die andern italienischen Bürger. Jeder Fürst, er mag durch Usurpation oder auf Grund von Verträgen herrschen, kann nicht im Widerspuch mit dem Naturrecht herrschen. DaS Recht, frei Unb unabhängig zu fein, geht jedem künstlichen Vertragsrechte voraus und kann weder durch Eroberung, noch durch Schenkung ober Besetzung verringert werben. Das weltliche Papstthum ist nnr «in vorübergehender Zustand im Leben Roms gewesen. Rom ent- tand unb lebte, ehe bas Papstthum war; eS wirb auch ohne bas Papstthum leben. (Ungeheurer, enthusiastischer Beifall.) ES wird bleiben, unb zwar wirb es italienisch bleiben. Da ist Niemanb, der ohne patriotische Freube ein Haupt seiner freien Gemeinbe an un­serer Seite repräsentirt sieht, zum Wahrzeichen ber enblich ge­wonnenen Einheit bes Vaterlandes. (Lebhafter Beifall Muse: Es lebe Rom!) Der heimtückische Kampf im Innern, bie Gewalt von Außen werden nichts vermögen. Alle Klagen und alle Drohungen werben umsonst sein. E-n erhabenes Wort hat Romunberührbar" genannt. Von Italien ist bieseS Wort auSgegangen, als Gesetz ber mobernen Welt. (LanganhaUenber lebhafter Beifall.) Im Namen bieser Welt ist es, baß Italien in Rom ist; daher der Kamps auf dem Selbe der geistigen Freiheit. (Sehr gut!)

Im Namen bieser geistigen Freiheit haben wir der Kirche bie stetige und vollständige Ausübung ihrer religiösen Befugniffe ge­sichert. Von Rom aus spricht daS Haupt der katholischen Christen­heit frei zu ben Gläubigen unb besorgt die geistliche Regierung. Unsere einzige Sorge war, daß das Kirchenrecht keine Eingriffe uuche in das Gebiet des nationalen Rechts unb des Bernnnftrechts. (Beifall.) Deßwegen unsre Vorsichtsmaßregeln auf dem Gebiete ber Gesetzgebung, die übrigens weniger hart find als in manchem anbem katholischen Staate, unb deßwegen der Umstand, baß jedem anbern geistigen Prinzipe bie nämliche Freiheit verstattet wirb, wie bem Katholizismus. Wenn man, wie in noch nicht fernen Zeiten ge­schehen, in Rom Kerker für Italiener errichtete, so könnte Italien, ohne Selbstmord zu begehen, nicht zusehen, wenn in Rom Kerker für die Gew iffen errichtet würben (Lebhafter Beifall.) Fortan soll jeber Glaube aus seiner eigenen Kraft leben. Möge-di« Kirche ver­suchen, aus eigener Kraft die Zeiten umzugestalten und die vier Jahrhunderte freier Forschung rückgängig zu machen; möge sie ver­suchen, aus'r Nene den Prometheus anzuketten, der, ohne Gott zu bekämpfen, ihn in der Nähe schauen und beurtheilen wollte; möge sie versuchen, ihn mit den Blitzen des Himmels zu schrecken, ihn, der die Freiheit auf Erden verlangt und erobert hat! (Langanhaltender Beifall.) An uns ist es, sie mit den Waffen der Vernunft zu be­kämpfen, und so zu handeln, daß ber italienische Staat bet sichtbare Ausdruck bieser Vernunft ist. (Enthusiastischer, langer Beifall.)

Da« ist bet Kamps. Wenn bie Regierung ein Verdienst hat, so ist es das, ihn begriffen zu haben, unb wenn sie barin bekräftigt worben ist, so geschah eS babutch, baß ihr in diesem Kampfe das ganze lebendige Italien, die ganze denkende Welt zur Seite steht. (Langanhaltender Beifall.)

Di« Red« nimmt in derRiforma" zwölf lange Spalten ein. Ilrankreich.

* Paris, 16. Oct. Gestern wurde der Sergeant Nogues vom 7. Infanterieregiment in Toulouse wegen Diebstahls und Einverständnisses mit der deutschen Regierung zur Deportation vernrtheilt. Nogues hat Ungliick im Spiel gehabt und infolge^ dessen dem Feldmarfchall Moltke brieflich eine Patrone Modell 86 gegen Zahlung von 500 Fr. angeboten, war aber vor Aus­führung feines Planes festgenommen worden. Die Volksmenge empfing ben Verurtheilten beim Verlassen des Gerichtssaals mit Wuthgeheul und Pfeifen. Der Ausstand in Lens nimmt eine immer drohendere Gestalt an. Die feiernden Arbeiter durch­ziehen f chaarenweife das Kohlengebiet und suchen die noch thätigen Bergleute zu bewegen, sich dem Ausstande auzuschließen. In ano­nymen Briefen wurde die Bergwerksverwaltung mit Dynamit bedroht. Auch in den Kohlenwerken von L ievi n ist ein Ausstand ausgebrochen. 900 Arbeiter haben in Courrieres die Arbeit eingestellt. Br elay, Abgeordneter von Paris in der letzten Kammer, ist gestorben. 1848 war Brelay Kommandant der Nationalgarde und dann ein heftiger Gegner des Kaiserreichs. Seit 1871 war er Mitglied der Partei der gemäßigten Republi­kaner in der Kammer und ein eifriger Mitarbeiter desEco- nomiste".

Wekgie«.

K Brüssel, 15. Oct. Das Lütticher Blatt,La Meuse", hat vorgestern gemeldet, die militärischen Sachverständigen hätten sich nun für das Mausergewehr entschieden, und diese Mel­dung wurde heute offiziell bestätigt. Besonders der Bericht des Generattieutenants Baron van ber ©missen sprach sich zu Gunsten des Systems aus und feine Annahme ist nunmehr er­folgt. Die Gewehre Comblain, Petterli, Mannlicher stehen also nach Ansicht der belgischen Militärs hinter dem Mansergewehre jüngsten Modells zurück. Zunächst werden, dem Wunsche des Landes unb der Sachverständigen entsprechend in Lüttich, 150,000 Flinten hergestellt werben. Die vollständige Ausrüstung bes bel­gischen Heeres mit ber neuen Schußwaffe soll in brei Jahren vol­lendet sein. Ueber die Wahl des zu verwendenden Geschosses herrscht noch Unklarheit, doch dürfte diese Frage auch bald geord­net werden, da nun ein Entscheid über die Wahl ber Waffe selbst vorliegt. Gestern und heute sanden beim Antwerpener Fort Anstruweel das jüngst auf so traurige Weise berühmt wurde Schießproben statt auf die neue bewegbare P a n- zerknppel des Forts, welche von der Magdeburger Firma G r uf o n hergestellt worden ist. Dem Versuche wohnten bei der Kriegsminister Pontus, General Wanters und eine Anzahl Stabs­offiziere. Auch Vertreter der Firma Gruson waren zugegen. Man hatte, ehe mit dem Versuche begonnen wurde, eine genaue Untersuchung ber von ber Explosion her noch stehenden Ruinen vorgenommen, ob dieselben bei etwaigem Zusammenbruche durch die'Erschütterung noch etwelchen Schaden thun könnten. Da diese Prüsung zur Zufriedenheit verlief, begann um 1 Uhr das Schie­ßen. Eine rothe Flagge, bi« aus bem Fort erschien, zeigt«, daß

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