Domrers-ag, 1. Marz L9L8

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72. Jahrgang Ur. 16®

<xJLSCHÄM SST>;jlZ^ä u. Ceneralyertr^tungeii; Franks urt-M.,Gr. Escb.enheimer.Str. 31- 37, Schillerstr. 18-24. Berlin W9, Potsd Str.133. Harpburg.Gr.ßädcerstr.y. Köln a. Rh., Kaiser-WilheluvRing 10 u. Haus Baums a. Dom. München. Perusastr. 5 u. O 9, Emeranstr. 20. Stuttgart, Festste. ^-Hannover, Leisewifjstr. 53A. Leipzig- Leu., Fried.-Ebert-Str. 66. Erfurt, Vik- toriastr. 21. Wien 1, Wollzeile 11. Zü­rich, Bahnhofstr. 54. London E. C. 1, Holborn Viaduct House, Mailand, Via A. Manzoni 23. Brüssel, Rue Mon­tagne aux Herbes Potageres 47. Paris ler, Rue de Rivoli 55. Rio de Ja­neiro. Caixa-postai 2401, New York Brooklyn-Heights 140 Montagucstreet. Anfragen und unverlangten Einsen­dungen ist Rückporto beizuiügen. Verlag und Druck: Frankfurter Societäts-Druckerei G. m. b.H

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Frankfart, 1. Marz.

Der Gedankenaustausch zwischen K e l l 0 g g und B r t a n b über das Problem der Verfemung des Krieges trägt die äußere Form eines Notenwechsels zwischen groer Regierungen. Tatsächlich ist er die Auseinandersetzung zwischen einer Idee, für die die Welt heute iwch nicht reif ist, und einem in Befürchtungen verrannten, unmöglich gewordenen System. Der französische Außenminister hat die hehre Idee des Verzichtes auf den Krieg als Instrument der nationalen Politik angerufen, obwohl gerade die ganze politische Ein- ' stellung Frankreichs ihr zuwiderläuft. Er, der aufrichtige Fricdensstaatsmann, hat es nicht in heuchlerischer Absicht getan, sondern weil er infolge von Einflüsterungen amerika­nischer Pazifisten geglaubt hat, mit seinem vor etwa einem Jahr an das amerikanische Volk gerichteten Angebot eines Paktes zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten zur Verfemung des Krieges einen guten Eindruck zu machen. Nun aber hat die Idee ihn und das ganze System, auf das Frank­reich und mit ihm viele andere europäische Staaten ihre Sicherheit bauen möchten, widerlegt. Die amerikanische Politik hat sich ihrer bemächtigt und spielt auf ihr. Auch sie, die in Nicaragua interveniert und durch ihr ganzes Verhalten gegen­über den mittel- und südamerikanischen Nationen zeigt, ba§. ste der rechte Geist noch nicht erfaßt hat, ist selber wirklich kein geeigneter Fackelträger für die hohe Lehre, die zu ver­treten sie vorgibt. Herr Kellogg bedient sich ganz einfach beg Instruments, das ihm ein anderer gereicht hat, weil ihm das für seine außenpolitischen Zwecke und für die bevorstehende Wahlpropaganda nützlich erscheint. Seine Weisen klingen schön, aber sie kommen nicht vom Herzen. Der Senator Borah, der eigentliche Repräsentant der neuen Friedensidee, der Mann, der die Musik liefert, die Kellogg ertönen läßt, ist entschieden der bessere Fiedelmann.

Die Noten, die Briand von drübm erhält, treiben ihn immer mehr in die Ecke. In einem Punkt hat er publizistisch die Argumente des amerikanischen Staatssekretärs bereits zu parieren vermocht. Dieser hat in seiner Note behauptet, auf dem panamerikanischen Kongreß in Havanna hätten einund­zwanzig amerikanische Staaten, von denen siebzehn Mitglieder des Völkerbundes sind,ohne Vorbehalt den Krieg als Instrument nationaler Politik in ihren gegenseitigen Be­ziehungen" verdammt. Der Quai d'Orsay konnte den amerika­nischen Staatssekretär durch die Havas-Agentur dahin be­richtigen, daß die betreffende Entschließung der panamerika­nischen Konferenz lediglich darauf hinauslief, den Angriffskrieg zu verurteilen, aber nicht die vorbehaltlose Abschaffung eines jeden Krieges verlangt hat, daß somit die amerikanischen Länder nicht weitergegangen sind als Frankreich und mit ihm der Völkerbund zu gehen bereit sei. Herr Kellogg, dessen Re­gierung doch in Havanna amtlich vertreten war, hätte, das in der Tat bester wissen sollen. Doch sonst ist Briands Position ziemlich hilflos geworden. Vor allem wird er gegen die Fest­stellung des Amerikaners nichts einwenden können, daß nicht einzusehen sei, warum die Verpflichtungen gegen den Völkerbund und die Verträge von Locarno es Frankreich erlaubten, einen zweiseitigen Vertrag einzugehen, wie ihn Briand den Vereinigten Staaten angeboten habe, ihm aber verböten, denselben Vertrag gleichzeitig mit anderen Haupt­mächten abzuschließem Damit hat Kellogg völlig recht. Wir haben im Ersten Morgenblatt vom 29. Februar Zitate aus einem außerordentlich wichtigen Artikel gebracht, den Senator Borah am 5. Februar in derNew Fork Times" veröffent­licht hat. Leider war es uns nicht möglich, den ganzen Aufsatz wiederzugeben. An einer von uns nicht zitierten Stelle belegt der Senator, was Kellogg seinem Kollegen Briand vorhält. Er sagt da:Gesetzt den Fall dies Beispiel nur, um die Sache klarzumachen daß ein Krieg zwischen Japan und den Vereinigten Staaten ausbrechen sollte. Japan ist ein Mit­glied des Völkerbundes. Ferner gesetzt den Fall, daß Japan mit Erfolg den Bundesbeistand unter den Artikeln 10 und 16 der Satzung anrufen würde. Frankreich wäre dann außer Stande, Japan irgendwelche militärische Unterstützung in Uebereinstimmung mit der Satzung zu geben, da es sich ja in dem zweiseitigen Vertrag verpflichtet haben würde, gegen die Vereinigten Staaten niemals zum Kriege zu schreiten." Was Briand gegen einen mehrseitigen Pakt einwendet, gilt in Wirklichkeit auch gegen den Abschluß eines bilateralen Ver­

trages. Das Angebot, das der französische Außenminister im vergangenen. Jahre den Vereinigten Staaten gemacht hat, war somit vom Standpunkt der ffanzösischen Sicherheitspolitik eigentlich recht unüberlegt.

Staatssekretär Kellogg spricht in seiner Note eine sehr deutliche Sprache, eine Sprache, die sich nicht allein gegen Frankreich/ sondern auch gegen das ganze von diesem im Völkerbund vertretene Sicherheitssystem wendet. In Genf, wo man sich gegenwärtig in höchst unfruchtbaren Sicherheits- diskussionen verliert, sollte man auf die amerikanische Stimme Hörem Der amerikanische Staatssekretär hat völlig recht- wenn er sagt, das Ideal, das die gegenwärtigen Bemühungen in­spiriere, mache gerade wegen seiner Reinheit und Einfachheit Einwendungen unmöglich; wenn die Nationen das ideale Ziel, nach dem der unternommene Gedankenaustausch hinstrebt, lediglich in einem technischen Geist behandelten und auf der Annahme von Einschränkungen beharrten, die die wahpe Be­deutung ihrer gemeinsamen Bemühungen zerstören, so zeigten sie damit zur großen Enttäuschung der Menschheit ihre Un­fähigkeit. Eine solche Unfähigkeit hat der Völkerbund tatsäch­lich in allen bisherigen Sicherheitsdebatten zur großen Ent­täuschung der Menschheit bewiesen. Worauf es heute, ankommt, ist Gläubigkeit, ist Umstellung des menschlichen Geistes vom Kriege zum Frieden. Und wenn auf Grund der schlechten Erfahrungen, die speziell unser Kontinent in der Vergangen­heit gemacht hat, noch Befürchtungen zurückbleiben, die die Gläubigkeit lähmen, so gilt es doch, den Schritt zum Neuen zu tun, das von drüben gezeigt wird, so gilt es, den Versuch zu machen, das Neue zu erreichen und doch den Befürchtungen des Alten nach Möglichkeit gerecht zu werden. Senator Borah, dessen Artikel für den geistigen Kampf zwischen dem ineuen Ideal und dem alten System wertvollen Ergänzungsstoff bietet, weist eine Brücke, die Europa nach seiner Meinung be­schreiten könnte. Nach seinen Ausführungen wäre es möglich, die Vereinigten Staaten und die europäischen Mächte zu einem gemeinsamen Pakt zur Verfemung des Krieges zu­sammenzubringen, wenn diese für die Dauer des Paktes ihre Bündnis- und Sicherheitsverpflichtungen als suspendiert an- fehen würden, das heißt, daß die Sicherheitsbestimmungen des Völkerbundes und des französischen Sicherheitssystems sehr wohl, in Kraft treten könnten, falls der Verfemungspakt von irgendeiner Seite gebrochen würde. Ob dieser Vorschlag des amerikanischen Senators einen gangbaren Ausweg dar­stellt, müßte erst noch geprüft werden. Einer Prüftmg ist er sicherlich wert, wie überhaupt die Idee, die von drüben an Europa herantritt, nicht wegen formaler Bedenken ohne gründ­liche Studien zurückgewiesen werden sollte.

Die Idee lebt, wenn auch die sie vertretende amerikanische Politik selber von ihr noch nicht wirklich erfaßt ist. An sie ist die amerikanische Politik nunmehr gebunden. Sie wird bei der int amerikanischen Wahlkampf bevorstehenden geistigen Auseinandersetzung sicherlich eine große Rolle spielen, eine Rolle, um entweder nachzuweisen, daß Europa vom Kriege und vom Kriegsgedanken noch immer nicht los will und daher für die Vereinigten Staaten kein geeigneter Friedenspärtner sei, oder um auf eine innere Festigung des neuen Friedens­planes und eine Annäherung Amerikas an den alten Kon­tinent ! hinzuwirken. Die Verhandlungslage zwischen Paris unb- Washington wird von den Franzosen als aussichtslos angesehen, aber die amerikanische Stimme enthält starke Mahnungen, die sich über die Franzosen hinaus überhaupt an die Menschheit richten. So sollte die Menschheit nicht' dulden, daß die Idee, die von Briand mit nicht genügender Ueberlegung heraufbeschworen wurde, wegen der Aengstlich- feiten,, bie wir Europäer ihr gegenüber empfinden, im außen­politischen Gedankenaustausch zum Verdorren kommt und drüben dazu benutzt wird, die Vereinigten Staaten von Europa noch mehr zu entfernen.

Die T-mger-Frmge.

London, 29. ^ebr. (Wolff.) Zu bet in Paris erzielten Einigung zwischen Frankreich und Spanien über die Durchführung des Tangerstatuts erfährt Reuter ,daß sich an die französisch-spanische Einigung voraussichtlich nicht, wie ursprünglich beabsichtigt war, eine Konferenz der vier Algecivas-Mächte anschließen werde. Bekanntlich soll das spanisch-französiche Abkommen die Grundlage für eine Aussprache zwischen Spanien, Frankreich, England und Italien bilden.

Dis deutsche Wirtschaft uud AMerilm.

Erne Rede des Botschafters d. Pvittwit;.

New York, 29. Febr. (Wolff.) Der deutsche Botschafter v. Prittwitz und Gasfron hielt heute bei einem ihm zu Ehren veranstalteten, zahlreich besuchten Frühstück vor der d e utsch° amerikanischen Handelskammer int New Yorker Bankers-Club eine Rede.

Er führte aus, die völlige wirtschaftliche Gesundung Deutsch­lands hänge hauptsächlich von der Lösung dreier Probleme ab. Erstens von der Rationalisiern n g des Produktions- und Versaufsappavates; zweitens von der Teilnahme an der wirt­schaftlichen Aufschließung bzw- Entwicklung anderer Länder und drittens von der Möglichkeit der Erfüllung der öffentlichen und privaten finanziellen Verpflichtungen an das Ausland. Die Produktionsfähigkcit. habe unter dem Zeichen der allgemeinen günstigen Wirtschaftskonjunktur des vorigen Jahres wieder einen -hohen Grad erreicht. Dagegen ließen die große Passivität der Handelsbilanz unb die ungünstige Zahlungs­bilanz erkennen, daß der Einfuhrüberschuß und die in bar zu leistenden Reparari-onen bisher zweifellos in weitgehendem Maße aus dem Erlös der auswärtigen Anleihen gedeckt wurden, was auf bie Dauer nicht fortgesetzt werden könne. Alle privaten und öffentlichen finanziellen Verpflichtungen an das Ausland mußten letzten Endes aus den Ausfuhrüberschüssen gezahlt werden. Die große Steuerlast verteuere die Produktion unb beschränke die Kauf­kraft des heimischen Marktes. Straff duvchgeführte Sparmaßnahmen zur Ermöglichung der Steuerherabsetzung hatten nur eine be­schränkte Wirkung, weil der größte Budgetposten, nämlich die Re­parationen, die die deutsche Wirtschaft zudem noch mit an­deren Abgaben schwer belasten, der Kontrolle der deutschen Regie­rung entzogen sei. Derartig große Verpflichtungen seien nur er­füllbar, wenn Deutschland Gelegenheit erhält, an dem wirt­schaftlichen Aufschluß der Rohstoffländer teilzu­nehmen, wodurch neue Kauflraft zur Aufnahme, von Marktwaren geschaffen würde. .Eine solche Beteiligung sei nur durch enges Zu­sammenwirken von Ländern mit Kapitalüberschuß und solchen Län­dern möglich, die die efforderlichen technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen bieten. Unter den Nationen mit Kapitalübcrschuß ständen die Vereinigten Staaten an erster Stelle, wah­rend Deutschland Über die erforderliche Technik und Wirtschaft in vollem Umfange verfüge. Deshalb seien Deutschlands Angen^ auf die Vereinigten Staaten gerichtet; das dringend notwendige °Z n- sammenwirken mit den Vereinigten Staaten liege im Jn- tereffe beider Länder.

Gm schweres GrMsrmNgirick.

(Privattelegramm derFrankfurter Zeitung".)

ff Essen, 1. März. Aus der Zechenanlage Ewald-Fortsetzung in Erkenschwek (Westfalen), die zur GewerkschaftEwald" gehört, er­eignete sich heute morgen gegen 6 Uhr bei Beginn der Sellsahrt ein schweres Seilfahrtunglück, bei dem der eine Förderkorb in die Seilscheibe des Förderturmes gezogen, der andere in den Schachtsumpf gestoßen wurde. Die Körbe waren nach, bisherigen Feststellungen mit 48 Berg­leuten besetzt, von denen bis jetzt 13 tot sind. Da ein Teil der Schwerverletzten mit Schädelbrüchcn daniederliegt, muß mit einem Anwachsen der Zahl der Todesopfer gerechnet werden. Ins­gesamt sind 35 Bergleute mehr oder minder ver­letzt und größtenteils in den Krankenhäusern untergebracht. Die Untersuchung ist eingeleitet. Ob ein Durchgehen der Maschine oder ein Versehen des Fördermaschinisten vorliegt, ist im Augenblick noch nicht zu übersehen. Erste Vermutungen sprechen von einens Versagen des Tiefenanzeigers der Fördermaschine) wofür aber im Augenblick noch keine authentische Feststellung vorliegt.

Recklinghausen, 1. Mäi^. (Wolff.) Der amtliche Bericht über das Grubenunglück tautet: Heute morgen gegen 6 Uhr ging zu Beginn der Seilfahrt im Schacht I der Zeche Ewald Fort­setzung wahrscheinlich infolge Versagens des Teufenzei- gers der westliche aufgehende Förderkorb unter die Seilscheibe. Der östliche niedergehende Förderkorb wurde in die Verjüngung der Schachtspurlacken im Schachtsumpf gestaucht. Nach vorläufigen Feststellungen waren die beiden Förderkörbe mit insgesamt 48 Mann besetzt. Hierv 0 n sind 13 Mann tot. Diese, sind geborgen. Die übrigen sind, soweit sie schwer oder leicht verletzt sind, dem Krankenhause §ugeführt worden. Die bergbehördliche Untersuchung ist eingeleitet. .....

Die Explosionskatastrophe ht Brügge«.

-<«< Köln. 29. Febr. (Priv.-Tel.) Die Explosionskatastrophe in der BrikettsvibrA bet Hichertus Braunkohlen Ä.-G. in Brüggen hat jetzt acht Todesopfer gefordert. Der. 39 Jahre alte Brikettmeister Vogel und ein weiterer Arbeiter sind ihren Ver­letzungen erlegen. Das Befinden der übrigen Verletzten ist zu­friedenstellend. Heute früh begann die UntersuchungÄoMnission ihre Arbeiten.

Eine frauMdch-deutsche Frredrns- kmrdgelmnS m Paris.

Ghrmng drr Movffämpfer Kurflon rmd H)«rdde.

fDrahtmeldung unseres Korrespondenten.)

Paris, 1. März. Das große F ri edens banke tt. das alljährlich von allen französischen Verbänden, die auf den Friedensgedanken verpflichtet sind, abgehalten wird, fand gestern abend unter um so festlicheren Umständen statt, als es der Ehrung der beiden jüngsten Träger des Friedensnobel­preises, galt. Ferdinand B u i s s 0 n und Ludwig Q u i d d e, der eigens zu diesem Fest nach Paris gekommen war, saßen nebeneinander auf dem Ehrenplatz und nahmen die begeisterten Huldigungen von vierzig französischen Verbänden entgegen, unter denen die Linksparteien von Kammer und -Senat, die Liga für Menschenrechte, die Gewerkschaften und verschiedene Kriegsieilnehmerverbände vertreten waren. Das französische Außenministerium und die deutsche B 0 t f ch a f t in Paris hatten ebenfalls je einen Vertretet entsandt. Das brüderliche Nebeneinander der beiden im Dienste des Friedens weißhaarig , gewordenen Nestoren der deutschen und fran­zösischen Friedensbewegung ergab ganz von selbst das Thema des Abends: die Verständigung zwischenDeutsch- land und Frankreich. In diesem Sinne sprachen die Redner des prunklosen Banketts, dem Prof. Charles R ichet vorsaß. Der biedere B r u n e t, Vizepräsident der Kammer, der hinreißende Professor Basch, Leiter der französischen Liga für Menschenrechte, der herzliche Berthod, radikal- sozialistischer Abgeordneter, der die Grüße seines Parteiführers Daladier überbrachte, der liebenswürdige Senator Merlin, der Quidde eine Medaille der französischen Gruppe der Inter­parlamentarischen Union überreichte, der stürmische Marc Sangnier, Jugendführer, und schließlich der greise Buisson selbst, der in einer leuchtend klaren Rede den Pazifis­mus der Tat feierte und forderte.

Schließlich sprach Ludwig Quid.de selber, und zwar, böslich wie er ist, auf Französisch. Er verließ das Gebiet der festlichen Beredsamkeit und schnitt in weit ausholender Form praktische politische Fragen an über Räumung, Ent- ivaffnung und Sicherheit. Er forderte von Deutsch­land moralische Garantien für das französische Sicherheits- bedürfnis und von Frankreich Verständnis und Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die der wachsende republikanische Gedanke in Deutschland durchzumachen bat. Stürmischer Beifall ehrte den deutschen Pazifisten, der schließlich mit dem französischen Friedenskämpfer einen symbolischen Händedruck austauschte.

Dir frauxsstsche SftellmrMKhMe Mv Uote KbliSIgs.

(Drah'tMeldung unseres Korrespondenten.),

Paris, 1. März. Der amerikanische Botschafter in Paris hat gestern abend . Herrn Briand besucht, um mit ihm über die jüngste Note des Herrn Kellogg zu sprechen. Der amerika­nische Diplomat dürste wenig erfreuliche Eindrücke empfangen haben, da der Quai d'Orsay den Stand der Dinge als a u s s i cht s- los beurteilt und der Ansicht isst'daß'M. Note feine neue G run d la g e für die nützliche Weiterführung der Aussprache bildet. Die ftanzösische Presse nimmt diesen Don auf, sie weist darauf hin, daß Herr Kellogg die französischen Argumente offenbar nicht verstanden habe oder nicht verstehen wolle, und folgt den amt­lichen Stellen durchweg in der Llnfechtung der vom amerikanischen Staatssekretär herangezogenen Stelle der Entschließung des Pan­amerikanischen Kongresses in Havanna. Herr Kellogg behaupte, daß die amerikanischen Nationen den Krieg ohne Vorbehalt verdammt hätten, während in Wirklichkeit ausdrücklich nur vom Angriffskrieg die Rede gewesen sei. Französischerseits klammert man sich mit Energie an diesen Widerspruch in der Interpretation, fordert Klar­stellung der Texte und ein Eingeständnis der Washingtoner Regie­rung, daß sie sich geirrt habe.

Drohender Seemnnnsstrerk rn Rsrissgerr.

y Kopenhagen, 29. Febr. (Priv.-Tel.) Die Vermitklungsver- suche im norwegischen Seemannskonflikt sind gescheitert unb die Verhandlungen zwischen dem Re-ederverbanb einerseits und den Maschinisten, Dtatrosen und Heizern, andererseits sind ab­gebrochen. Matrosen und Heizer wollen, falls der Reederver- band an der angekündigten Lohnreduktion festhält, die Arbeit am 2. März niederlegen. Es besteht aber noch die Möglichkeit eines Eingreifens der Regierung durch Einsetzung eines Schiedsgerichts.

Ate Trommel.

Von Hermann Kesten.

, Smilga ging, um eine Trommel zu kaufen. Smilga war niübe tote eine Frau nach den Wehen, alt wie ein Märchen. Smilga wat ein russischer Bauer aus dem Dougebiet Er lebte in Berlin bei seinem Schwiegersohn, einem Kellner in einem Ruffenrestaurant in. Charlottenburg. Smilga war mit seiner Tochter aus RustAnd geflohen, weil Väterchen Zar tot war, und der Pope tot war, und bie Kirche im Dors verbrannt, und Gott sich verlaufen hatte, und Rußland entzweigebrochen war. Smilga war ein wohlhaben­der Bauer gewesen, auf gutem Ackerboden gesessen, hatte Kühe im Stall gehabt, unb Gold rubel ein Säckchen voll vergraben im Garten, Hinterm Mistbeet, an der Stelle, wo Wulinka, das Perl­huhn, die Eier gelegt.

Smllga wohnte in der preußischen Stadt Berlin. Er sah sie nicht. Er sah zwei Stübchen im Kellergeschoß, im Hinterhaus einer Hinterstraße. Er sah Winters drei kahle Büsch« in einem Hof, die hohen Stockwerke der Häuser ringsum, selten einmal das Treiben des Schnees, Sommers sah er des Himmels, Bläue, der Wollen silberne Fahrt, die gute, strahlende Sonne. Das ganze Jahr sah er Mitka, den Kellner, der ihn nur selten schlug, nur wenn er böse war, atib sah feine Tochter Anka und sah fein EnkellmdFritz". Smilga kränkte sich, wenn er sein Enkellind Fritz" rufen mußte, ihm war der Name fremd und schwer, er mußte sich immer erst darauf besinnen. Dennoch liebte Smllga den kleinen Fritz. Fritz war fünf Jahre alt, ein Tyrann. Fritz wollte die Trommel.

Smllga ging in die preußische Stadt Berlin, um eine Trommel zu kaufen.

Er schritt durch die großen Straßen, um die Gedächtniskirche herum, zwischen Autos, Menschen, Dirnen, Verkehrsschutzleuten unb Omnibussen hindurch mit einem sicheren unb geraden Gang, wie ein Bauer zwischen hohen Halmen unb an brüllenben Vieh­herden vorbei über Land geht Es. war Abend im Februar, der Himmel purpurn, die Sterne blitzten, bie Lichtreklame flammte farbig wie ein Bauerngarten im Herbst. Smllga ging ins Kauff- haus, stand vor dem Portier, der aussah to!e zu Hause ein großer General und fragte den Portier:Bitte, wo kauf man Trommel?" Smilga ging durch die Drehtüre, mit beklommenem Herzen. Dor den gemalten Puppen, die sich bewegten, stauben, lächelten unb bienten, vor den Verkäuferinnen, war er ängstlich

Er ging durch das ganze gewaltige Haus, das größer, schöner, heller war als die Kirche daheim, er ging und suchte die Trommel.

*

Nach einer Stunde langsamer Wanderung hinaus unb hinab, mitten unter vielen Menschen, wie in einer Prozession, ging er und ging und traf endlich in der Spielwarenabteilung, Tisch 2, seitlich

links, den Lagerbestand Trommeln. Smilga wog die Trommeln, deren es viele gab, große und kleine, von verschiedener Form, Trommeln alle, aber unterschiedlich wie Seelen; Smilga prüfte, trommelte leise Marsch unb Melodie, entschloß sich, kaufte, zahlte, lehnte Verpackung, die den Anblick verwehrt hätte, ab und schlug sich mit der Trommel in der Hand im sicheren Instinkt des wald- gewohnten Menschen durchs Gestrüpp und Dickicht des Warenhauses durch und gewann den Weg und die Straße.

Er ging zurück, hörte nicht die Straße, sah nur den Weg und die Trommel, ging über die Kreuzung der Straße, gleichmäßig, ruhig, nur des Wegs und der Trommel bedacht, da, schon nahe dem Trottyir, stieß ein eiliges Weib, in Pelz und Seide gehüllt, mit rüstigen Ellenbogen, im Vorbeidrängen an Smllga und seine Trommel, die Trommel entfiel, kollerte, der Berkehrsschutzmann, mächtig wie die antiken Götter, lenkend und doch höherem Geschick unterworfen, hatte das Zeichen zur Durchfahrt 30, 40, mehr Auto­mobilen gegeben; die Automobile, 30, 40, mehr fuhren, brausten, schossens dazwischen kollerte, wie verlegen, wie verloren, wie ein hilfloser Mensch in Wirbeln des Meers oder blinden Geschicks, kollerte die kleine Trommel, dröhnte leise und verloren, krachte, splitterte, starb und zerbrach, zertreten, dreimal, fünfmal zer­treten, von den Gummihufen brüllender Auiobestien.

Smilga, der Bauer, am Rande des rettenden Trottoirs, fiel auf : die Knie, tat einen Schrei, stammelte russisch.

Er hätte deutsch stammeln sollen. Man hätte ihn ver­standen, hätte ihm ein paar Groschen gereicht, er hätt«, kummervoll eine neue Trommel gekauft, kummervoll die neue schlechtere Trommel Fritzchen geschenkt, er hätte gelebt. Smilga blieb un= verstanden, -ein Zufall, denn es leben sehr viele Russen in Char- loitenburg. Man richtete ihn auf. Er ging weiter. Smllga hatte für sein letztes Geld bie Trommel gekauft. Er konnte also keine andere Trommel kaufen. Er dachte gar nicht an solche Möglich­keit. @r ging und grübelte und ihm war, als sei jein Leben ver­fahren, der letzte Rest elend verwicht. Er ging und trat mit jedem .Schritt wie in Unrecht, das ihm angetan ward. Die Welt, fühlte der Bauer, ist Unrecht. Warum stieß die Frau? Warum . starb bie: Trommel? Warum ist Smilga ein Bettler? Fritz, Fritz wird Smilga schelten. Fritz wird sich hinstellen, in bie Mitte der Stube, groß, zürnenb, fünf Fahre alt, ein Tyrann, geliebt, wie nur Tyrannen geliebt werben. Fritz wird sich abwenden. Fritz wirb erkennen, baß Väterchen Smilga keine Trommel taufen Bann. Fritz wirb das ganze Elend des alten Bauern Smilga er­kennen, .wird den armen verachten, was sonst soll man mit Armen tun? Fritz wird bie Beschaffenheit bcs Lebens erkennen, daß man Trommeln wünscht unb Erkenntnisse erhält. Der alte Bauer Smilga ging unb weinte nicht. Er fürchtete sich nach Hause zu gehen, vielmehr, es war zwecklos nach Hause zu gehn, vielmehr, es mar. zu . spät. Smllga ging langsam, bedächtig wie die Pilger, bie' durchs welle Rußland gehn; er ging durch die weite Nacht,

in bie bunkleren Straßen der Vorstädte, in bie buntein Wälder vor Berlin, er ging an den Rand eines Teiches, er ging in den Teich hinein, nicht sehr lange, er ertrank.

Fritz erhielt acht Tage darauf eine Trommel von Mitka, dem Kellner, der Geld sparte an Kartoffeln, Suppe, Zwiebeln und Brot, die Smilga nicht mehr konsumierte. Die Trommel, war groß und stark braun gestrichen, man konnte daraus trommeln, daß sich mehrere Hausmeister beschwerten. Es war eine tüchtige Trommel. Sie war teuer gewesen. Sie kostete eine Mark fünsundvierzig.

= ^Fernsehapparate tm Warenhaus zu teufen !] Ans Berlin kommt die Nachricht, daß ein Warenhaus, in London die Bairdschen Fernsehapparate zum Preise von 130 Mark für das Publikum herausbringt. Nachts zwischen 12 unb 1 Uhr sendet der Erfinder Baird von der Station Songacre lebende Bilder. Der Artikel erwähnt, daß es sich vorläufig nur um bewegte Schatten handelt, aber der Weg fei offengelegt. Die Londoner Experimente zeigen angeblich bereits ein Stadium, das für nahe Zeit eine brauchbare Vervollkommnung des Apparates verspricht.

Il-ealer im Keich.

Der entzauberte Columbus in Kassel.

Intendant Ernst Legal brachte im Kassel e r Staais- tHeater bie OpcrArm er Columbus" des achtzehn­jährigen Erwin Drossel zur Uraufführung. Das Werk behandelt bie Vorgeschichte der Entdeckung Amerikas, persifliert bie kastilisch - aragvnischen Zustände unb entkleidet C ristoval Colon des heldischen Nimbus, nicht ohne amüsante Parallelen zur Gegenwart. Drossel erweist sich als Bühnenmuflker von Geschmack und Talent. Seine starke Begabung für Parodie und Witz ringt nach eigener Formgebung. Auch der Jazz wird von ihm bewußt unb sinnvoll bei der Zeichnung bestimmter Charaktere verarbeitet. In Anwesenheit des Komponisten und des Librettisten: Arthur Zweiniger errang sich bas vom Darmstädter Bühnen­bildner Schenk v. Trapp auf die Szene gestellte Werk unter musi­kalischer Leitung von Kapellmeister R en ß und mit Viktor M 0 ssi in bet Titelparlle ben stärksten Publikums erfolg ber Kasseler Bühne in den letzten Jahren. C. O. E.

Der brennenbe StaIl" in Leipzig.

Hans Roth e, ber Shakespeare-Uebersetzer, will sich auch als Komödienbichter Geltung erkämpfen. Der lustspielartige Anfang verliert sich ins Schivankhaste, um bann nach dem Tragischen zu

Leome Weyeryof.

DerKürschner" verrät es: Leonie Meyer.hof (HiDeck), bie in Frankfurt wirkenbe Schrift st eller in, feiert am 2. März ihren 70. Geburtstag. Wenn sonst Frauen es nicht lieben, daran erinnert zu werben, baß sie in die Hohen Lemester aufgerücki sind, so wird Frl. Meyerhof, wie wir ste kennen, nichts dagegen haben, unb die Latjache mit dem ihr eigenen kaustischen Humor zur Kenntnis nehmen. Man wird sie feiern unb sie wird für jeden Gratulanten ein witziges Wort bereithalten, wird' etwa sagen, daß bie ersten 70 Jahre doch die schönsten sind, ober/ ein wenig resig­niert: .Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!" Aber ber 70. Ge­burtstag selber wirb chr nichts anhaben, sie wird die Feder- ein­tunken (Verzeihung: den Schreibmaschinenhebel einstellen) als fei nichts passiert und so wird die Rüstige es ruhig weitertreiben, denn bangemachen gilt bei ihr nicht. Da sie nun einmal Schriftstellerin geworben ist, wird sie auch nicht darüber meditieren, ob sie es nicht vielleicht in einer andernBranche" weiter gebracht hätte. Als junges Mädchen blinzelte sie nämlich nach der Bildhauerei unb nach dem Theater. Tie Eltern waren dagegen unb so wärmte sie sich an ber Romantik ihrer schönen Vaterstadt Hildesheim, machte mit 9 Jahren ihr erstes Gedicht, pflegte frühe Freund'chaf- ten, schwärmte und schrieb. Mit 17 Jahren dichtete sie ein Epos im Julius Wolf-StilDie Nixe der Bode". Wir kennen es nicht und die Verfasserin hält hlute wahrscheinlich nicht mehr viel da­von. Weite Reifen folgten die Uebersiedelung nach Frankfurt, Studien an ber Heidelberger Universität, wo sich. Frl- Meyerhof, auf bie Kurse über literarische unb künstlerische' Themen

vorbereitete, bie sie lange Jahre in Frankfurt unter starkem Zuspruch gehalten 'hat. Inzwischen setzte auch, das literarische Schaffen ein:Silhouetten",Der goldene Käfig", Mittagsonne",Feuersäule",Wollen und Werden",Libellen", Bis ans Ende",Töchter der Zell", ein preisgekrönter Roman, Das Ewig-Lebendige", eine ausgezeichnete Novelle, bie zuerst in berFraNifurter Zeitung" erschien, zuletzt das oft aufgelegte Frauenbrevier für männerfeindliche StundenPenthesilea". Neben­bei war Frl. Meyerhof Mitarbeiterin vieler Zeitschriften und Zei­tungen (In berFrankfurter" besprach sie die belletristischen Ein­gänge) und ist es u. a. heute noch beimStadtblatt der Frankfurter Zeitung". Ein mit Fleiß erfülltes Dasein also, der Stunde auf­geschlossen unb nach allen Seiten der Kunst und des Lebens inter­essiert. Die neue Zeit Hai die Bücher von Leonie Meyerhof, in ben Hintergrund geschoben, nicht anders als die von Heyse, Spiel­hagen, Wilbrandt und unzähligen anberen, bie auch etwas konnten. Zu Unrecht, wie wir meinen, denn Leonie Meyerhof wußte treff­lich zu fabulieren, eine behende unb geistreiche Konversation zu machen, und in den besten großen Arbeiten Menschen in ihren Verstrickungen einbrucksvoll zu gestalten, nicht zu vergessen ihr« Kleinkunst, bie Skizze, in ber sie schalkhafte, sowie ernst zugespitzte Sächelchen geformt hat. Wenn bie schnelläuftge Gegenwart anderes will, so mag ste das tun, wir Aelteren denken dankbar bet guten Stunden, die uns Leonie Meyerhof gab und grüßen bie muntere Jubilarin recht herzlich.ck.