Mittwoch. 1. Juli 1931 15 Pfg.
Erstes Morgenblott 75. Jahrgang. Ur. 480 Dreimalige Ausgabe
Feroaoredi-Sasnnel'Nr. Orteruf 2 0202,
— Telegramm». Zeitung Frankiurtmain — Postscheck: Frankfurt-M 4430
RK Berlin, 30. Juni.
das Gegenteil ergibt, bleibt Grund zum Zweifel, ob der
zehn Jahre zurücklie>en. Es wäre Heutes esen, ob eine solche Folierung nicht hätte; Mrwunden werden können — denn selbst
bekämpft oder gar ül
die kaum acht oder müßig, sich zu überli
UND STADT- vbuoihb IDLM
Zehn Jahre in London.
Zum Tod des Kölsch öfters Sthamer.
(Privattelegramm der „Frankfurter Zeitung".)
entsprach nicht den Kriegsvorstellungen der „Daily Mail" oder gar des „John Bull" von einem Hunnen, gewiß, jedermann konnte sehen, daß dieser alte Herr weder ein wilhelminischer
nicht zugelasien, um im Hexenkessel der sroßen Diplomaten herumzurühren wie die anderen. In seiner Gesellschaft sah man in jenen Jahren zahlreiche Deutsche, aber wenig Engländer. Man sah de« verstorbenen Mr. Mörel, aber man sah nicht Mr. Lloyd Geoqe. Ich sage das nicht, um Herrn Sthamer, Damit umso rascher eine vernünftige rneparationstosung erzielt einen Vorwurf zu machen, sondern um Verhältnisse zu schildern, i werden könne. Solange sich aus den amtlichen Akten nicht
Boshaftere Naturen waren fteilich damals geneigt, diese Bemerkung deS Königs so zu deuten, als bezweckten sie nicht bloß «ine Ehrung für Herrn Sthamer, sondern die Abwehr eines Bewerbes für diesen Posten, der jahrelang bereit saß, um Herrn Sthamer im geeigneten Augenblick nachzufolgen, obwohl ihm aus London dutzendmal sanft abgewinkt worden war. Die Dienstzeit des Herrn Sthamer verlängerte sich auf diese Weise entgegen seinem eigenen Willen um mehrere Jahre. (Es ist wohl überflüssig hinzuzusetzen, daß dieser hartnäckige Kandidat nicht etwa Herr von Neurath heißt.)
Herr Sthamer war ein scharfer und sehr kluger Beobachter Englands und seiner Politik. Er kannte die Grenzen deffen, was in England möglich ist, ganz genau. Was er sah, verstand er klar wiederzugeben. Er erweckte in bezug auf England in Berlin sicher keine Illusionen. Er ging dabei an die
sich anspannen lassen und könne, indem es eine Unstimmigkeit zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten herbeiführt, daraus Vorteil ziehen, so ist das einer der großen Irrtümer, die Deutschland von je begangen hat und die für seinen traurigen Mangel an Psychologie bezeichnend sind. Es gibt kein Arrangement gegen, noch ohne Frankreich." „Se Petit Journal": „Die französische Regierung ist gezwungen, mit Amerika allein zu verhandeln. Deutschland bleibe als Zuschauer draußen und wäscht sich sozusagen die Hände in Unschuld-"
Trotzdem wird vielfach angedeutet, es sei immer noch möglich, zu einer gemeinsamen deutsch-amerikanisch-ftanzösi- schen Unterhaltung zu kommen, zumal da nun das ursprünglich von Herrn Hoover vorgesehene Datum des 1. Juli überschritten ist. Allerdings, w i e das vorgehen soll, ist keineswegs zu übersehen. Es wird nach der Rede des Herrn Laval in der Kammer und nach den Unterredungen, die zwischen ihm, Herrn Briand und Herrn von Hoesch stattgefunden haben, sehr schwierig sein, «ine solche Unterredung nur auf die aktuelle Frage des Hooverschen Projettes zu beschränken, und es wird andererseits nicht leicht sein, die Fragen allgemeiner Natur für die Beziehungen zwischen Frantteich und Deutschland so zu behandeln, daß sie nicht in Abhängigkeit von der Annahme eben dieses Projektes durch Frankreich geraten. Jeder Versuch, eine solche Abhängigkeit zu rekonsttuieren, muß scheitern. Es scheint uns in diesem Zusammenhang für das, was der französischen Regierung wohl jetzt vorschweben könnte, eine Aeuße- rung des „Matin" sehr aufschlußreich, die dort Herr Sauerwein gibt. Der Außenpolitiker dieses Blattes schreibt nämlich folgendes: „Deutschland könnte sofort das Ende der jetzigen Verhandlungen erleichtern, wenn es den guten Mllen aufbrächte zu erklären, es begreife die französischen Einwände und erhebe seinerseits ihnen gegenüber keinen Widerstand, da nun einmal das System der Reparationen gegeben, unterzeichnet, ratifiziert und ausgeführt worden sei. Wenn Deutschland so handeln würde, würde es dem Besuche des Reichskanzlers und des Herrn Curttus einen wahren Sinn geben und es würde eine mögliche Zusammenarbeit vorbereiten helfen."
Aus einer süddeutschen Hauptstadt wird uns geschrieben:
Die preußische Regierung ist im Begriff, einem merkwürdigen Restbestand aus der Zeit der deutschen Vielftaaterei — durch ein Rundschreiben an eine Anzahl von Länderregierungen — ein Ende zu machen. Sie hat an diejenigen Länderregierungen, die noch Gesandte bei ihr beglaubigt haben, Schreiben gerichtet, in ! d.nen fi* ibn-n die Aufhebung, dieser Einrichtung nobelegt.
Man muß bei der Beurteilung dieser innetdeutschen Vertretungen und Gesandtschaften unterscheiden. Daß die Länder beim Reich für die zwischen ihnen zu regelnden Dinge Vertreter haben, die zugleich als Stimmführer im R e i ch s r a t fungieren und die außerdem die wirtschaftlichen Interessen ihrer Länder wahrnehmen, ist notwendig und zweckmäßig. Dagegen ist es ein Anachronismus, daß ein Teil der Länderregierungen, darunter alle süddeutschen, diese ihre Beamten beim Reich zugleich, mit der Amtsbezeichnung Gesandter, — „Titel" sind durch die Reichsverfaffung verboten! — auch als Vertreter bei der p r e u ß i s ch e n R g i e r u n g auf. treten lassen. (Die entsprechenden Vertreter bei kleineren Länderregierungen sind inzwischen wohl ausnahmslos abgebaut oder im Abbau begriffen.) In zweifacher Hinsicht hat diese Beglaubigung beim Reich eine gewisse Bedeutung. Es soll einmal der sogenannte Staatscharakter der Länder betont und durch den dem Titel Gesandter zugeschriebenen Zauber die Stellung der Herren gehoben werden, und es tritt für sie ferner kraft der dem Gesandten zustehenden Exterritorialität Befreiung von den Steuern der Länder und Gemeinden ein, die sonst, insbesondere für die zum Teil sehr wertvollen Gesandtschaftsgebäude, gezahlt werden müßten. Wieweit der Appetit der preußischen Regierung und der Stadt Berlin auf diese Steuern auf den Schritt der Regierung eingewirkt hat, ist hier nicht bekannt; maßgebend war wohl etwas anderes, nämlich die Ueberlegung, daß das Vorhandensein von Länder-Gesandtschaften in den staatsrechtlichen Aufbau des Reichs schon seit 1871, und erst recht seit 1919 nicht mehr paßt und daß es Zeit ist, diesen Fehler — mag es auch nur ein Schönheits- 1 fehler fein — zu korrigieren.
deutsche Botschafter in London diesen Punkt voll erkannt und ob er genügend getan hat, um ihn der Berliner Zentrale einzuhämmern. In jener Anfangszeit hatte jedenfalls h. r‘ reservierte Botschafter keine genügende Fühlung mit den Kreisen, auf die es damals ankam.
Lord Curzon war eine sehr dekorative Figur, aber der Schwer- punkr der Außenpolitik lag nicht bei ihm im Foreign Office, sondern drüben auf der anderen Straßenseite bei Lloyd George und seinem Privatsekretär. Das führte bei der ersten Londoner Konferenz zu einem peinvollen Zwischenfall und sicherlich nicht zu einer Verbesserung unserer Lage. In den späteren Jahren geriet jedoch die Außenpolitik in so fest« Bahnen, daß für einen Menschen, der sich nicht selbst belügt, kein Schwanken möglich war.
Herr Sthamer ging den Weg der deutschen Außenpolitik ohne Zögern, diesen Weg, von dem jeder wußte, daß es ein Leidensweg sei, von dem aber jeder hoffte, daß er uns schließlich in eine bessere Zukunft führen würde. Herr Sthamer liebte sein Land, sein Volk und seine Ehre ie der Beste unter uns, — was er sah, was er erlebte, was er hörte, was er hinunterschlucken mußte, war sicherlich oftmals sehr schwer zu ertragen. Sein Posten in London war fürwahr nicht leicht. Aber er harrte aus und behielt feinen Glauben an die Zukunft. Mr alle hätten dem gütigen und vornehmen Manne gewünscht, daß er bessere Tage erlebt hätte, Tage des Erfolgs — Tage des Erfolgs einet Politik, an der er zehn volle Jahre auf einem wichtigen Posten mitgearbeitet hat.
Die Nordlandfahrt de- „Gras Zeppelin". DaS Luftschiff hat Dienstag gegen 12 Uhr mittags holländischer Zeit Amsterdam passiert.
BR Paris, 30. Juni. Da der prinzipielle Einwand Frankreichs über die Sonderstellung der ungeschützten Annuität oon Amerika anerkannt worden ist, so bleibt nur übrig, sich über die Art, wie diese Besonderhett des Hooverschen Planes verwirtticht werden soll, zu verständigen. Es gibt drei Fragen, die Frankreich geklart wissen will:
1. Wann soll die Rückzahlung der für ein Jahr gestundeten ungeschützten Annuität erfolgen? Ursprünglich verlangte Frankreich zwei Jahre Frist, gab bann auf fünf Jahre nach und sieht sich jetzt dem amerikanischen Wunsche gegenüber, die Rückzahlung 25 Jahre zu stunden.
2. Frankreich erwartet, daß der in der Höhe der ungeschützten Annuität durch di« BIZ eingeräumte Kredit nicht nur Deutschland, sondern zu einem Bruchteil auch den z entral- europäischeu Staaten (Südflawien?) zugute kommt. Das lehnt Amerika rundweg ab.
3. Frankreich erwartet eine Zusicherung, daß. Wenn nach Ablauf des Schuldenferienjahres Deutschland bann gezwungen sein sollte, ein Moratorium im Rahmen des Aoung- Plans anzukündigen, Frankreich davon entbunden sein soll, die dann notwendige Einzahlung von 500 Millionen in das Depot der BIZ vorzunehmen. Dieser Forderung gegenüber verhält sich, wie angedeutet, Amerika zögernd und möchte keinesfalls eine Garantie übernehmen.
In dieser Lage ist es interessant zu sehen, wie man immer wieder versucht, Deutschland in die Debatte einzu- schatten. Die Art, wie das von Herrn Laval am Samstag unternommen wurde, war zweifellos gefährlich ungeschickt und hat die deutsche Regierung darin bestärken müssen, sich der amerikanisch-französischen Auseinandersetzung möglichst fern- zuhalten. Heute kann man vielfach in der französischen Presse darüber Bitterkeit und anklagende Bemerkungen fesfftellen. „Se Petit Paristen": „Es zeigt sich, daß Berlin weder den Wunsch empfindet, sich schnell einer Gegenüberstellung mit den französischen Forderungen zu nähern, noch daß man sich eilt, uns die geforderten Zusicherungen zu geben." Dann „Le Matin": ,Menn Deutschland glaubt, es könne die Situation
Wie die Adressaten de! preußischen Briefes auf ihn reagieren werden, kann wohl nicht zweifelhaft sein. Ganz gleich, ob man das Schreiben angenehm oder weniger angenehm empfindet, man wird der Anregung Folge geben müssen, denn es ist natürlich unmöglich, der preußischen Regierung Gesandte weiterhin aufzu- drängen, die dieser unerwünscht sind. Anlaß zu irgend welcher Aufregung liegt nicht, und von keinem Gesichtspunkt aus, vor, da die Länderoertreter ja das, was sie wirttich bedeuten, bleiben wer. den und da auch die Stellung der Länder in keinerlei Hinsicht da» von abhängt, ob eine Form ohne Inhalt, wie die innerdeutschen Gesandtschaften es sind, erhalten bleibt oder nicht.
Die Uertretimg Bayerns i« Krrli«.
(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)
« München, 30. Juni. Die Aufhebung der preußischen Gesandt, schäft in München beantwortet jetzt die bayrische Regierung da. mit, daß sie den Vertreter Bayerns in Berlin, von Preger, von seiner Dienstaufgabe als bayrischer Gesandter für Preußen entbindet. Herr von Preger ist also nunmehr bei der Reichsregierung akkreditiert und Vettreter Bayerns im ReichSrat. Preußen wird wegen dieser Revanche nicht ungehalten sein und Bayern beteiligt sich so selbst an dem Abbau der Ländergesandtschaften.
Das Ende der inuerdeutschen Gesandtschaften, j Gin Rundschreiben der preußische« Regierung.
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Freispruch im Killer-Prozeß.
(PrivottelLgramm der „Frankfurter Zeitung".)'
Berlin, 30. Juni. Der Prozeß gegen den Grundstücksmakler Kurt Hiller, der seit dem 22. Juni vor einem Berliner Schwurgericht sich abspielte, endete heute mit einem Freispruch des Angeklagten. Die Kosten fallen der Staatskasse zur Last. Hiller war der Bestechung der verstorbenen Stadtrats Busch und deS Meineides angeklagt. Aus Mangel an Beweisen kam das Gericht zu seiner Entscheidung.
SESCHlFTSSTEEEE» und Generalvertretungen Frankfurt a. M, Große Eschenheimer Str.31-37, Schillere,tr.tS-24. Berlin WSk Potsd. Str. 153 (Tel. B 2 Lützow 3961), Hamburg, Gr.Bäckerst r.9, Köln a-Rh. Kln.-Junkersdorf, Vogelsangerweg 36 n. Kaiser. Wilhelmrin* 10. Hannover, Podbielskistraße 31. München, Perusastraße 5 und Emeranstraße 20 Stuttgart, Poststraße 7, Leipzig W 31 Goetzstr. 2, L Wien L Wollzeile 11, Zürich, Bahnhofstr. 78, Paris 8,44, Rue de Lisbonne. London S. W. L 25, Eve*
Die sachliche Differenz zwischen Laval und Hoover (Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)
er dergleichen gesagt haben würde, selbst wenn das Auswärtige Amt täglich zwei diplomatische Anregungen des Londoner Botschafters ungelesen in den Papierkorb geworfen hätte.
Ob die politische Zurückhaltung für Deutschland nachteilig war, ob man ihretwegen von entgangenem diplomatischen Gewin sprechen kann, ist selbst für diejenigen, die unmittelbar Zeugen der Ereignisse waren, sehr schwer zu sagen. Zuweilen war man in vergangenen Jahren geneigt, die Frage zu bejahen. Sicherlich häte eines versucht werden können und versucht werden müssen, nämlich in den Zeiten Lloyd Georges die große Grundidee der englischen Nachkriegspolitik aus dem Wust des Unklaren und Zweideutigen herauS- zuschälen und sie der deutschen Öffentlichkeit und der Regie- rung mit überzeugender Kraft llarzumachen. Diese Idee war: schnellste und restlose Erfüllung der Abrüstungsforderungcn, damit umso rascher eine vernünftige Reparationslösung erzielt
Militarist, noch «in gerissener diplomatische Jnttigant sei, sondern ganz einfach ein Gentleman. Aber all diese Vorzüge oder Eigentümlichkeiten des ersten Botschafters des Reiches im Nachkriegsengland reichten nicht aus, um dem Boden seine Schlüpfrigkeit und den Engländern ihre selbstgerechte Ueber- legenheit zu nehmen.
Während langer Jahre saß Herr Sthrmer fast wie ein verbannter Ritter in den Prunksälen der Botschaft. Er war
KranksurterZeitunq
(Franifirter Handel »ei t<eg) j Ätlb Utlbt Isbltttt (See« Frankfturter Zeitung)
Begründet von Leopold Sonnentau
wenn dies zu bejahewwäre, bliebe die Fmge, ob ein rascherer gesellschaftlich!! Erfolg politisch hätte ausgenutzt werden können. Die Diplomatie ist längst nicht mehr, was sie war, und die diplomatsche Geselligkeit ist durch die Demokratisierung der großen Nationen und ihre soziale Umschichtung in völlig neue Bahnen gedrängt worden von deren Existenz bis heute allerdings nqch nicht alle Dipbmaten Kenntnis genommen zu haben scheiten. Von Herrn Lthamer dagegen läßt sich mindestens sagen, laß er seine geselschaftliche Wirkungsmöglichkeit nicht in dem lächerlichen Snolismus überschätzt hat, dem man zuwellen begegnet. Wenn er habet einen Fehler beging, so war es allenfalls der, daß er zum anderen Extrem neigte. Seine Frau, die den Botschafter trotz vorgerückter Jahre und leidender Gesundheit mit großer Gtviffenhaftigkeit unterstützte, bestärkte ihn wohl in seiner eigenen Auffassung, wenn sie den Standpunkt beitrat, daß ein Botschafterpalais im Grunde nichts anderes fti als jedes andere Haus: die Domäne der Hausfrau.
So entstand au8 demEemisch politischer Umstände, persönlicher Neigung und hanchurgischer Tradition eine eigenartige Atmosphäre, deren Reiß jedoch den Engländern, als sie in späteren Jahren in großer Zahl zu Kaste kamen, nicht verborgen blieb. Sie lernten den Botschaft» und sein Haus achten, schätzen, ja lieben. Socaito gab auch hierfür den Aufschwung. Der König schritt voran* fr sah HerrnSthamer gern. Als einmal — zum so und sovi ten Male — der Rücktritt des Botschafters ernstlich erwöget wurde, war es der König selbst, der im Gespräch mit einem ! eminenten Deutschen bestätigte, wie großen Wert er auf die 2 Wesenheit des Herrn Sthamer legte.
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Störungen d. höh. Gewalt od. Ausstand berechtigen nicht n Ersatzansprüchen.
Als Herr Sthamer tm Frühjahr 1920 zum erstenmal feit dem Weltkrieg seinen Fuß auf englischen Boden setzte, betrat er — ich vlll nicht sagen Feindesland, denn so war es nicht, aber Neuland. Wie leicht können wir, die den Botschafter kannten, uns diesen Augenblick vergegenwärtigen! Ein vornehmgemessener Mann, schon damals in der Mitte der Sechzig und weißhaarig, aber mit frischer Gesichtsfarbe, wie sich das für einen Hanseaten gehört, und mit lebhaften, gespannt, fast argwöhnisch oder nervös um sich blickenden Augen; sicherlich im dunkeln Mantel und mit schwarzem steifem Hut. Wir sehen ihn vor uns, wie er sich aufs Geländer der schmalen Landungsbrücke stützte und seine Aufmerksamkeit sorgsam teilte zwischen dem schlüpfrigen Boden, den er betrat, und dem langen Policeman, der den Ankömmling mit diskreter Länder nicht mit Instinkt heran, sondern mttVerstand, und Sachkenntnis musterte. Dieser Augenblick, btefe Situation hat ” mit cinem äußerst kühlen, äußerst skeptischen Verstand, sich für Herrn Sthamer verewigt, ja peinvoll verewigt — sie i ^ie Se^eite solcher Art führt leicht ins Negative, Unftucht- N ährte zehn Jahre: schlüpftiger Boden, ein vorsichtiger alter! Politische Produktivität fehlte ihm jedenfalls, Herr und scharfe Augen, die ihn beobachteten. Im: a6et cr empfanb das gar nicht als Mangel. Von den zwei Grunde genommen ist wohl Herr Sthamer niemals Kardinalfehlern aller diplomatischen Neulinge (und nicht bloß richtig warm geworden auf der brttischen Nachknegs- der Neulinge), nämlich Geschäftshuberei oder Sterilität, war erbe und im Palais an der Carlton House Terrace, jüm ber £I,-k jD peinDDÜ, daß er sich nicht dagegen wehrte, ge- wo seine Wihnzimmer hoch über den Wipfeln der Bäume der l Ech dem zweiten zu verfallen. Er sagte sich (und Mall und des Pattes lagen, — am Abend einer der schönsten anderen) ganz einfach: ich bin Beamter des Reichs und Blicke, die sich in London bieten. Aber es war nicht immer ■ ,-oII hmchten und im übrigen das ausführen, was angeordnet friedlicher Abend im Botschaftshause. Der kluge Hamburger roirt> jjei tiefer Einstellung blieb ihm wenigstens erspart, daß Jurist, der Pattizier, der Senator, war hier nicht in eine n ewige Klagelied der Diplomaten anstimmen konnte: Umgebung geraten, in der diese hanseatischen Qualitäten ohne I $$ hab's ja immer gefügt, aber die Berliner... Herr Sthamer weiteres die gewohnte Resonanz fanden. Geviß, dieser Mann jedoch int übrigen eine viel zu vornehme Natur, als daß
Drei Wünßer am Höerrhein.
Don Unton Ferbrich.
I.Straßburg.
Der Himmel war j bleiblau, als sei er gerade im Begriffe, feuerflüssig zu Norden und in glühenden Zungen herunter zu tropfen. Auf'der Erde zwischen Appenweier und Kehl standen die Wäger um des weiten Wiesenzirkus wie dunkle Mauern au? aicherichteten Schatten. Mittagsgespenster erschienen da und dort zwischen ten verschwommen stlhouet- tierten Baumkronen uich glotzten mit panischen Gesichtern auf die in der Hitze weißLeuchteude» Trümmer der gesprengten Forts, die wie erste flifante Versprechen des Friedens zwischen wogenden Kornstlderr lagerten.
Der Rhein kam - ach, der Rhein. Ich hätte fast die Schuhe ausgczogen, als ich über die Brücke ging, unter der er grün und breit und mit der schnellen Ruhe aller großen Dinge bahinströmte. Und Hitler den schwarzen EisenballonS der Gasometer und den futfetoen Dächern der Lagerhäuser am Hafen reckte sich wie ein Schvur-Finger, stumpf indischrot und einsam groß, derMünsterturm. Er schwött alles, was man will: deutsch fein, französisch fein, Krieg und Friede. Die Menschen lassen ijn schwören, je nachdem sie Faseisten oder Pazifisten find. Ütb et tit ihnen den Gefallen. Allen. Die Menschen können reden zrm Neinerweichen. In Witt- lichkeit aber ist der Tutn in feiner herrlich harten Eindeutigkeit erbaut aus der Sehnsucht immer mehr zusammenrückender Senkrechter. Sie wolle, nichts als hinauf, immer höher hinauf bis ht den Raqn, den es eigenüich nicht gibt, weil dort Zeit und Raum hie rin ewiges Filmband von allen Sternen in der Faust Gtztes zusammengeballt sind. So nähern sie sich auf immer schmalerer Basis, bis sie sich immerhin einhundertsechsunddreißig ileta über dem Jammertal finden und in der Kreuzblume tzerschwinden, die über der steinernen Krone schwebt.
Die monumentale Gtzzie dieser Vertikalität und ihre unerbittliche Zartheit sind seltsam eindringlich. Die vier Flaitten- türme, luftig durchbrochesx Säulen, die alles Senkrechte noch einmal grandios zusammenfassen, bevor die kurze Pyramide sich verjüngen darf, geten dem Turm feinen tiefen Ernst, feine erschütternde Einsprachigkeit lebt in dem steinernen Schwur-Finger unter ber|[inunetnben Junisonne, lieber aller Diplomatie und aller Ksnonenpolitik ist er trotz aller Zaghaftigkeit der Kirche aufgetetä im Namen des Christus, dessen drohend einfaches Wort: ,Mer das Schwert zieht, wird durch das Schwett umkomm st' durch die Jahrtausende noch hon der Dialektik keines LriegskabinettS ins Unrecht gesetzt
worden ist. Es dauert immer lange, bis die Menschheit solche phrasenlose Feststellungen zu den Axiomen rechnet, ohne deren Beachtung es in der Logik der Weltgeschichte nicht geht. Auf die Gefahr blutiger Fehlschlüsse hin . . .
Da reißt der Chauffeur, zu dem ich hinter der Rheinbrücke eingeftiegen bin, den Schlag auf und mich aus meinen Gedanken. Nach einer Fahrt zwischen bunten Marquisen hin, unter denen Menschen Orangeade und Zittonade Wanken, stehe ich vor der schwärzlichroten Dreieinigkeit der Westportale mit dem tintigen Schlagschatten. Es ist immer wieder die gleiche Betroffenheit. Da steht die Versammlung der Heiligen und Unheiligen aus dem alten und neuen Bund in den riesigen Spitzbogenwölbungen, die Erzväter und die Apostel, die klugen unb di- törichten Jungfrauen, die Himmelskönigin und irdische Kaiser. Sie kühlen sich an den eigenen tiefblauen Schatten, lösen die geschlossene Wucht des Steins befreiend auf und sehen uns alle hier auf dem Platz mit bet spitzigen Kalte und der kühlen Anmut ihrer gotischen Gesichter traurig an. Traurig darüber, daß die Menschen sich noch immer damit begnügen, allenfallsige Heiligkeit in rotem Sandstein zu konservieren. Unb über allen steht wie unerschütterliche Zuversicht das ungeheure Rosettenrad der Westwand und wartet auf die Abendsonne, die feine Gläser in Brand setzt.
Nur einen Schritt durch die hölzernen Vortüren mit den dicken Lederkiffen hinein in den Raum zwischen den zwei Rechen der fteinemen Pfeilerbündel, die merkwürdig an das Planzenhaste indischer Mammutsäulen erinnern. Es ist hier köstlich kühl. Der Weihrauch duftet. Der frei fliehende teppich- belegte Steinboden des Langhauses gibt der ungeheuren Wölbung ihre letzte Wette. Me Sterne leuchten matt vom hohen Steinhimmel herab. Wer beten will, holt sich einen strohgeflochtenen Stuhl. Es ist feierlich hier und gemütlich zugleich. Ganz vorne durch die hohen Ostfenster leuchtet Rosenglut, und hinter mir brennt schon die große Rosette ht dunkler Pracht. Hier brinnen braucht sie nicht auf das Licht des Abends zu warten. Draußen ist sie blind. Hier innen aber gießt sie den ganzen Zauber der Ruhe, das ganze Feuer der Liebe, und dazu die prächtige Satcheit des irdischen Lebens selbst aus ihren dunkelblauen, tiefroten und orangegelben Gläsern über die verloren Knienden in diesem Haus voll Hoheit, Weite unb Glanz.
Aber eS drängt mich hinaus ins Leben, wo eS keine Betstühle gibt, aber wo man nach Menschen sucht, vor denen man innerlich möchte knien können, weil man ht ihnen die gleiche erschreckend süße Raum- und Zeitlosigkeit empfindet wie in guten Stunden in sich selbst. Am Kleber- und Broglieplatz und vor den alten Bäumen der Orangerie, dieses wunderbarsten aller Volksgärten, sind lange Leinwandbahnen durch die Lust gespannt mit der roten Inschrift: „Exposition
BadischeSecession." Die große freie Geste für die erste Ausstellung deutscher Künstler, eingeladen durch eine französische Stadt, tat wohl. Als der Vertreter der Stadt Straßburg in dem köstlich strengen Säulenraum der Plastiken mit sympathischer Schmucklosigkeit sagte, es hätten „Jahrhunderte lang Elsässer Künstler drüben und Badische hüben" gearbeitet und es wäre gut, wenn das wieder so würde, so tat das auch wohl. Und als schließlich bet der Nachfeier voll feiner Zurückhaltung und Würde bei Zitronade und Orangeade und Brioches ein Mitglied der französischen Kammer, ein ernster Politikerkopf, sich bei den elsässischen Gönnern der Ausstellung beklagte, daß der Katalog nicht zweisprachig, sondern nur französisch gedruckt sei, da geschah das entscheidend Wohltuende. Der Kunstreferent der Stadt, die. in nachbarlicher Ehrung Straßburg den Vortritt in der Ausstellung der Künstler der „Badischen Secession" gelassen hatte, der um unsere Maler und Plastiker sehr verdiente Bürgermeister H o f n e r, gab dem Deputierten sein Einverständnis mit den Sttaßburger Herrn zu erkennen mit dem einfachen Wort:
„Die Kunst ist auch nur einsprachig."
In diesem Augenblick sah ich den Schwur-Finger des Sttaßburger Münsters aufleuchten int Abendlicht und durch die Kronen der alten Baumriesen in der Orangerie zog der Friede.
Naturwissenschaftliche Gerichte.
Die tzrpansion des Weltalls.
Bekanntlich find die Himmelskörper im Weltraum nicht im großen Durchschnitt gleichmäßig verteilt, sondern zu Gruppen vereinigt. Die Gruppe, der unsre Sonne angehött, ist dar sog. Milchstraßensystem, das schätzungsweise 10000 Millionen Fixsterne enthält. Aber das Milchsttaßen- oder galaktische System ist nur eines unter einer ungeheuer großen Zahl ganz ähnlich gekauter Sternanhäufungen, die die Astronomie als außergalakti. sche Nebel bezeichnet Die Anzahl derartiger Systeme im Weltraum beträgt jedenfalls viele Tausende von Millionen. Die gegen« fettigen Abstände dieser Systeme liegen in der Größenordnung des fünfzigfachen ihrer Durchmesser.
Es ist auf Grund sinnreicher astronomischer Methoden mög. lich, die Entfernungen solcher außergalaktischer Nebel ziemlich genau zu bestimmen. Wir werden darüber demnächst an dieser Stelle ausführlicher berichten. Und zwar sind bisher Nebel bis zu einer Entfernung von rund 200 Millionen Lichtjahren der Messung zugänglich geworden, also Nebel, die so weit von uns entfernt find, daß das Licht 200 Millionen Jahre braucht, um von dort bis zu unS zu gelangen. Weiter ist eS möglich, die Geschwindigkeit dieser Nebel relativ zu unS zu messen, genauer
gesagt, ihre Radialgeschwindigkeit, d. h. denjenigen Anteil ihrer Geschwindigkeit, der in Richtung der Verbindungslinie Erde—Nebel liegt. Das wird durch den sog. Dopplereffekt ermöglicht, der auf akustischem Gebiet allgemein bekannt ist und bewirkt, daß z. B. der Pfiff einer Lokomotive beim Herannahen höher klingt als beim Entfernen. Eine vollkommen analoge Erscheinung zeigt sich beim Licht, und sie besteht darin, daß die Farbe des Lichtes, das von einer sich von uns fortbewegenden Lichtquelle zu unS gelangt, mehr ober weniger stark nach Rot verschoben ist gegenüber der Farbe, die wir bei ruhender Lichtquelle beobachten würden. Nähert sich unS die Lichtquelle, so tritt eine Verschiebung nach dem violetten Ende der Spektrums ein. Und zwar ist diese Verschiebung um s» größer, je größer die Radialgeschwindigkeit der Lichtquelle ist. Die Gestirne senden nun Licht aus, das von den gleichen chemischen Elementen herrührt, die auf der Erde vorkommen und deren Spektrum wir aus LaboratioumSversuchen kennen. Aus der Der- fchiebung der Spekttallinien in den Spektten der Gestirne können wir also die Radialgeschwindigkeiten der Sterne relativ zur Erde ermitteln. ES ist das eine in der Astronomie in großem llmi fange verwendete Methode, und sie ist auch auf die außergalakti- schen Nebel anwendbar.
Diese >Untersuchungen haben nun ein überaus merkwürdiger Ergebnis gehabt. Me außergalaktifchen Nebel zeigen eine Rotverschiebung, und diese Rowerschiebung ist um so stärker, je weiter entfernt der betreffende Rebel ist. Das heißt aber, daß alle außergalaktifchen Nebel eine von der Erde oder, richtiger gesagt, von unferm Milchstraßensystem fort gerichtete Bewegung haben und daß ihre Geschwindigkeit um so größer ist, je weiter sie von unS entfernt sind, sie ist in guter Annäherung ihrer Entfernung von unS proportional. Dabei handelt es sich z. T. um ungeheuer große Geschwindigkeiten. Die größte derzeit gemessene Geschwindigkeit eines solchen Nebels beträgt 11500 Kilometer in der Sekunde. Das ist eine Geschwindigkeit, bei der man weniger als 4 Sekunden benötigen würde, um die Erde einmal am Aequaton zu umkreisen. Es ergibt sich also hieraus, daß eia» dauernde Expansion d e z Weltalls stattfindet.
Diese Erscheinung ist natürlich von allergrößtem theoretischen Interesse und verspricht uns einen tiefen Einblick in ganz fundamentale physikalische Eigenschaften der Wett. Möglicherweise kann sie eine Entscheidung zwischen den verschiedenen kosmologischen Theorien bringen, wie sie einerseits von Einstein, andererseits von de Sitter aufgestellt worden sind.
Um dem Leser die physikalische Bedeutung des Phänomens wenigstens in groben Zügen verständlich zu machen, will ich mich einer schon von de Sitter gebrauchten Analogie bedienen. (Sie findet sich in einem Artikel von de Sitter in den „Naturwissenschaften", Heft 18, 1931, der den physikalisch ein wenig geschulte» Lesern zur weiteren Orientierung über das vorliegende Thema empfohlen sei.) Wir wollen uns in Gedanken aus unsrer breit