Donnerstag, 1. Mörz 1934

2OPfg.

GrKes Morgevdlatl

78. Jahrgang Ur. 108

Zmrtmaltge Ausgabe

GESCHÄFTSSTELLES

?

t

Schwächung des Zentrums-

Politik.

(Fortsetzung auf Seite 3.)

Jedes Eintopfgericht macht zwei Familien satt!

Pünktchen übersprenkelt, die neue Kräfteansätze darstellen. Aber eine Form zeigt sich noch nicht.

Wenn man die sofortige Wirkung des Blutvergießens vom 6. Februar prüft, so ist sie gering, ja gleich null. Auf lange Sicht hingegen wird dieser Tag ein geschichtliches Ereignis sein, denn er hat den Kräfteansätzen außerhalb der Politik ihr Daseinsrecht und ihre Weihe gegeben. Die sofortige Wirkung war die Regierung Doumergue. Sie wurde mit Be­geisterung begrüßt, aber diese Begeisterung hält nur noch bei denen an, die konservativ im alten Stile denken. Der tüchtige und noble Doumergue ist die Freude aller Wohlmeinenden, die sich nach Ordnung sehnen. Aber cs soll die alte Ord­nung sein; der Besitz, den der sozialistische Einfluß bedroht, soll nicht weniger gesichert werden als die außenpolitische Vorherrschaft Frankreichs, die man durch die bescheidenen Versuche einiger früherer Außenpolitiker, mit einem neuen Europa zu rechnen, gefährdet glaubte. Paris hat gegen gewisse Uebelstände manifestiert, und die Gefallenen haben der neuen Regierung die Mission hinterlassen, diese Uebelstände zu be­seitigen. Aber der positive Teil ihrer Hinterlassenschaft denn sie haben ihr Leben ja auch für etwas, nicht nur gegen etwas in die Schanze geschlagen sucht vergeblich nach einem Testamentsvollstrecker.

Was man auch sagen mag, die Regierung der nationalen Einigkeit ist ein innerpolitisches Gebilde alten Stils, das weitgehend unter dem Einfluß der reaktionären Parteien steht. Die Anwesenheit einiger Linkspolitiker in dieser Regierung kann nur vorübergehender Natur sein. Niemals war ein Ministerpräsident wenigerfascistisch" als Gaston Doumergue. Er hätte am Tage nach den Unruhen jedes beliebige Direk­torium bilden können, aber er wagte nicht, die parlamenta­rische Lage zu verleugnen. Er erhob sich über die Parteien, aber er verlor sie nicht aus dem Auge. Da eine greifbare Auf­gabe im großen Stile der Staatshaushalt ist eine Kleinig­keit nicht vorliegt, so fehlt der Einigkeit der innere Zwang. Bei der nächsten Gelegenheit werden die radikalsozialen Minister die Regierung verlassen (man spricht jetzt schon da- .von, daß der neusozialistische Arbeitsminister M a r q u e t Rücktrittsabsichten habe), und eine rein reaktionäre Regierung im guten alten Stil wird übrig bleiben, bis die Kammer auf­gelöst wird und Neuwahlen kommen.

Die Provinz sträubt sich.

Störung, d. höh. Gewalt ed. Auestand berechtigen nicht». Ersatzansprüchen

ANZEIGE*- PREIS H. Preisliste Mi 11 im.-Zeile 36 Plf. Rubriken 1t. Sondert arif. Platz- und Paten Vorschriften ohne Verbind­lichkeit.

Sbg Paris, im Februar.

Geheimes Frankreich.

Wird es Frankreich gelingen, den letzten Schrei der Toten vom 6. Februar in Politik umzusetzen? Haben die Ueber- lebenden vom Tage darauf schon etwas unternommen, um die Gemeinschaft aller Franzosen enger zu knüpfen und der Politik einen allgemeineren Sinn, den der staatsbürgerlichen Pflichten, zu geben? Alle Unzufriedenheit, die sich in den letzten Monaten im ftanzösischen Volk aufgespeichert hat, richtet sich gegen das Parlament. Darin bildet die Provinz kaum einen Unterschied zu der Hauptstadt. Bauern, Städter und Pariser geben ihrer unklaren Verachtung gegen die Tagespolitik den Namen AntiMlamentarismus, wobei sich bald zeigt, daß der Unwille in den meisten Fällen mehr gegen das gegen­wärtige Parlament als gegen die Einrichtung überhaupt gerichtet ist. Die mehr oder weniger schuldbewußten Politiker fragen sich angesichts dieser Erscheidung, ob es genüge, zu reformieren, oder ob man revolutionieren muffe. Die erste Regung nach den blutigen Ereignissen, ja schon nach Ausbruch des Staviskv-Skandals zielte auf eine stärkere Unabhängigkeit, ja völlige Loslösung der Obrigkeit von der Kammer. ab. Taladier, dem man eine solche Loslösung zutraute, versagte vor der zähen Umschlingung des sozialistischen Einflusses. Paris ging auf die Straße und sang die Marseillaise. Das war der Augenblick, um eine Obrigkeit jenseits aller inner- politischen Routine zu küren. Statt dessen kam die Regierung der nationalen Einigkeit, kam Gaston Doumergue.

Diese Regierung, die mit einem fast kindlichen Wunder- «glauben erwartet wurde, hat enttäuscht. Sie mußte enttäuschen, denn weder ihr Führer noch ihre Mitglieder nehmen an jenen Kräften, die zum Ausbruch der Unruhen geführt haben, entscheidend teil. Jenseits der Politik entwickelt sich ein ge­heimes Frankreich, welches ratlos, erbittert und für unser Gefühl vielleicht mit etwas zu viel Dialektik und Skepsis nach einer Formel sucht, die das nationale Leben erneuern könnte. Zeitschriften, -Klubs, Gruppen, Diskussions­zellen und Parteichen tun sich auf, denen allen eine ver- achttmgsvolle Abneigung gegen die offizielle Politik zu eigen ist, die sich aber in dem, was sie für die Rettung halten, leb­haft unterscheiden. Hier Planwirtschaft, hier Kommunismus, hier allzu vereinfachende Nachahmung des nationalsozialisti­schen Programms, hier Neukatholizismus. hier^Fascismus italienischen Stils, aber überall das gleiche Suchen nach Lebensquellen, die von der bisherigen Politik noch nicht ge­trübt sind. Damit verbindet sich «ine fanatische Abneigung gegen das Geld und die Geschäfte. Diese Jugend fühlt sich durch den Stavilkp-Skandal in ihrer Ueberzeugung bekräftigt, daß «s heute in Frankreich kaum noch möglich sei, Geschäfte zu machen und doch sauber zu bleiben. Das formlose Hin- und Herfluten dieser zur öffentlichen Betätigung strebenden Kräfte hätte schon längst Gestalt gewonnen, wenn das nürt- schaftliche und politische System der Väter schon einen end­gültigen Bankerott erlitten hätte. Doch mag man auch der Ansicht sein, daß er in der Politik begonnen habe, so läßt er in der Wirtschaft doch noch auf sich warten. Das macht den Jdeenkampf außerhalb der Parteien schwierig.

Rechts über den Parteien.

Wie.lebhaft die Sehnsucht der Pariser Jugend nach neuen polittschen Parolen ist, beweist der gewaltige Zulauf, den der FrontkämpferverbandCroix de Feu" in den letzten Wochen, besonders seit dem 6. Februar erfahren hat. Nichts in dieser Organisation kann die Anziehungskraft, die sie auf die Zeitgenossen ausübt, rechtfertigen, es sei denn die Tat­sache, daß sie einen Standort außerhalb der bisherigen Parteien darstellt. Wer den Willen zur öfsentlichen Betätigung und zur Reinigung der Politik in sich fühlt, ohne sagen zu können, welcher Idee er zustrebt, dem stehen in Frankreich nicht viele Möglichkeiten offen. Er muß entweder selbst die Keimzelle einer künftigen Gemeinschaftsgruppe bilden ober er wird in die erste beste Organisation eintreten, vorausgesetzt, daß sie national und antiparlamentarisch ist. Auf diese Weise ist die politische Landkarte Frankreichs mit Punkten und

*) Sergi, den ersten Aufsatz in Nr. 101 vom 25. Februar.

Thomas eigene Worte am Schluß seiner Lebenserinnerungen Nahe demSimpliziffimus"-Tisch häuften wir Kunsthistoriker, von Franz D ü l b e r g, dem von künftigen Bühnensiegen und nebenbei von anagrammatischen Sprachspielereien und Schüttel­reimen trunkenen Poeten, und Georg Habich, dem stillen, kränk­lichen, neueste Kunst liebevoll mit seiner Münzkunde vereinigenden Gelehrten geleitet. Diese Nachbarschaft und die weitere Bekannt­schaft mit den zahlreichen Größen alpinen Nachwuchses bei zwei akademischen Vereinen, welche gleichfalls im Cafe Lutz sieb an­gesiedelt halten, ergaben im Laufe der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis sogar zwischen alt und jung, wie es nur in einem Münchener Kaffeehaus entstehen konnte. Der Zauber des Hos- gartens trug dazu bei, das Bewußtsein wirklicher Zufriedenheit zu erhöhen, und wir ließen daher die Rauchwolken immer noch kräftiger zu den blühenden Kastanien aufsteigen.

Thoma hatte sich einmal verspätet und kam als Nachzügler mit Habich, der gelegentlich für dieNeuesten Nachrichten" Berichte über neue Kunst schrieb, zu uns. Wir kannten ihn längst, den breiten, etwas stiernackigen Altbayern, seinen trotz schweren Körpers »eder»- den, etwas stolpernden Gang, mit der gleichbleibenden Mischung von Güte und Humor auf dem Gesicht, dessen Stirn und Augen immer beobachtend hochgezogen waren, verehrten dieses große, schweigsame listenreiche Kind, das mutig und frisch gleich einem andern Chrano gegen Feigheit, Vorurteil, abgelebten Brauch, Dünkel loswetterte. Wie herzlich schallte doch diese Stimme, laut, frei und männlich, im Klang nur gelegentlich dialektisch gefärbt, mehr in der Wortstellung und einzelnen bezeichnenden Ausdrücken der Abkunft gemäß aus dem Försterhause in der Vorderriß. Thoma

^einmal täglich, vereinigt Abendblatt L und Ul. Morgenblatt) en Deutschland enoneflich UM 6.. Nur direkt vorn Verlag: fiir Sie­benten monatf. HM 4. für Lehrer monad UM 4.80. Preise einschließlich Postzeitung» gebühr und zuzüglich Posfbestellgeld öden ortsüblich. Träger lohn. Im Ausland nach dem Vari! der am Weltpostverein beteiligten Pos» gestalten. Unter Streifband Portozascblag, Einzelpreis» dreimalige Angabe: Abendi end Erste» Morgen blatt (vereinigt): 20 Pfg. U. Morgeablett <5 Pfg. Montag-Morgenblatl

Frankreich in dieser Zeit

Die Lebenden vom Tage darauf*).

(Bon unserem K orrespondenien.)

Platz zu geben. Heine, Erler, die beiden Brüder Wilcke, Reznicek, Thöny, Bruno Paul bildeten den engeren Kreis, an den sich Reinhold Geheeb, Korftz Holm und vor allem Thoma angefchloffen hatten. Kurz vor zwei Uhr gingen sie im Zuge, fast immer gruppenweise durch die Arkaden, Reznicek mit lebhaften Bewegungen der Hände an der Spitze, Thoma meist im Nachtrab. Den Münchener Spießern, die gedankenlos Spatzen fütterten und die harmlosen Nachrichten der Zeitungen lasen, war der ungewohnte Spektakel eine Zeitlang sehr unbequem, zumal es sich um bedenklicheSchwabinger" zu handeln schien. Uns war das Auftreten des Fähnleins dieser Aufrechten freudiger Anlaß zur Begrüßung, da von ihnen ein besonderes Fluidum freiheit­lichen Geistes ausströmte, und jeder einzelne in der Schar auch äußerlich stolz und sicher daherkam. Von der glücklichen Einwirkung solchen Anblicks zu jener Zeit, als sich überall in Deutschland neue tüchtige Kräfte regten, und zu der Freiheit der Rede eine Lebens­freude ohnegleichen hinzutrat, die sich mit bescheidenen Mitteln und bei aller dekorativen Aeußerlichkeit doch nie geschmacklos auch den entsprechenden Lebensgenuß verschaffte, kann man sich in der Gegenwart keinen Begriff mehr machen.Tas Schicksal hat alle Zusammenhänge zwischen ^damals und heute zerriffen," so lauten

Begegnung mit Ludwig Woma.

Von Hermann Uhde-Bernays. <

Es gibt flüchtige Begegnungen mit bedeutenden Menschen, die dem Zufall verdankt werden und für immer im Gedächtnis bleiben, auch wenn sie nicht durch eindrucksvolle Unterhaltungen ausgezeichnet waren. Nach langen Jahren noch besitzen manche Straßenecke, mancher Wirtshaustisch eine unvergeßliche Weihe der Erinnerung, und unser tiefstes Wesen nimmt unmittelbaren An­teil an solcher Beziehung, indem es nicht unterläßt, bei jeder Wiederkehr sicher und bestimmt die einstige Situation auf da? deutlichste vor ba§ geistige Auge zurückzuholen. Geheimnisvolle Kräfte mögen auch hier tätig sein und eine unbewußte vorbe­reitende Verbindung hergestellt haben, deren Einfluß mächtig wird und erhaltend sich bestätigt. Voraussetzung ist fteilich eine gegenseitige Uebereinstimmung, die von natürlichen Sympathien zur unmittelbaren gefühls-mäßigen Wirkung und Gegenwirkung hinleitet, selten genug, dann aber «dauernden Wertes gewiß. Ein Augenblick, eine Stimmung scheiden Erlebnis und Episode.

Diese vielleicht allzu subjektive Feststellung mußte ich machen, um der Schilderung meines höchstens auf ein Dutzend mit weni­gen Ausnahmen sogar recht kurzen Unterhaltungen beschränkten Verkehrs mit Ludwig Thoma die notwendige Einführung zu geben, u-nd um anzumerken, daß es nicht immer langjähriger und ständiger Gemeinschaft, oft nur einer einzigen starken Be­rührung bedarf, welche die dankbare Verpflichtung von der Kennt­nis der künstlerischen Persönlichkeit auf die menschliche Erschei­nung überträgt. Thomas Tätigkeit, seit ihren Anfängen mir ver­traut, hat mir vielfach Freude,. Anregung, Belehrung, namentlich formaler Art, gewährt, und ich darf zum mindesten sagen, daß ich zu der klaren Quelle seiner in gefestigter Ordnung gebildeten Sprache oftmals verschmachtend geflohen bin, die, durchaus un- Uterarifch, von den unerfreulichen Verrenkungen vieler deutscher Schriftsteller, Dichter, Dramatiker um die letzte Jahrhundertwende sich weit entfernt hält. Damals hatte Thoma sich noch nicht aus dem Angrifssselde des vielberufenen Peter Schlemihl vom Simplizissimus" in die Freiheit des Kampfes ohne Visier hin­ausgewagt, obwohl alle Kellnerinnen der Münchner Künstlerlokale nebst den übrigen Stammgästen recht genau wußten, was der Herr Rechtsanwalt vom Promenadeplatz für ein Schwerverbrecher fei.

Die meisten Mitglieder der Redaktion desSimpel" aßen im Heck, das vor dem Kriege noch auf der anderen Seite der Arkaden, zwischen dem Hofgarten und der nach der Ludwigstraße gerichteten Ecke des Odeonplatzes gelegen war, und pflegten Boni Frühling an bei gutem Wetter im anstoßenden Cafe zu erbau­lichem, nicht immer leisem und lammfrommem Gespräche zu sitz'n. Die Korona erweiterte sich, und bald mußten mehrere Tische zusammengestellt werden, um ungefähr zehn bis fünfzehn Künstlern

Arbeitsfront nicht Rechtsnachfolger!« der Gewerkschaften.

Die Entscheidung des Reichsarbeit-gericht«.

frankfurter Zeitung".)

es nahe, hier etwas ganz Neues zu schaffen und gerade diese für die Gemeinschaft des deutschen Volkes schädlich erkannten Organisationen, auch in veränderter Form, nicht beizubehalten.

Dem entsprach auch die tatsächliche Entwicklung. Mit den äußeren Veränderungen war auch eine grundlegende innere Umwälzung verbunden. An die Stelle des entscheidenden Ew- flusses der Mitgliederversammlungen trat die Durchführung dcs Führergedankens, an die Stelle der Tarifregelung durch die Ver­bände die Machtbefugnis der Treuhänder der Arbeit, an b-e Stelle des dem Klassenkamps eigenen Geguftatzes zwischen Arbeit­gebern und Arbeitnehmern die Verschmelzung aller arbei­tenden Menschen in einer höheren Volks- und Gesinnungsgemem- schäft. So zeigt die ganze Entwicklung das Bild einer völligen Umgestaltung der deutschen Arbeiterschaft, die auch eine Böll ge Neubildung der Verbände mit sich brachte und es insbesondere schlechtweg als ausgeschlossen erscheinen läßt, die Verbände der Deutschen Arbeitsfront als mit den früheren freigewerkschast- liehen Verbänden identisch anzusehen.

Wenn gelegentlich, auch Bon leitenden Persönlichkeiten, Aeuße- rungen des Inhalts gemacht wurden, man hätte die freien Ge- werkschasten einfach Betbieten und zerschlagen können, habe es aber nicht gewollt, so läßt sich das nur dahin verstehen, daß m n die alten Verbände zunächst noch vorläufig beibehielt, um die ihnen angehörenden Arbeiter zusammenzuhalten, bis es möglich war, die gesamte Arbeiterschaft in die neu zu errichtenden Organ r. sationen derDeutschen Arbeitsfront" überzuführen. Die Heber« gangszeit, in der die alten Verbände, wenn auch unter an­derer Leitung, fortgeführt wurden, endigte mit dem Ab. schlußderÜmbildungEndeJuli 1933. Die bann in br< Deutschen Arbeitsfront sichenden Verbände und damit auch die

Aus allen ländlichen Bezirken klingt das gleiche Echo zu­rück: die Linke rafft sich wieder auf. Daß die Abhängigkeit der Linken von den Sozialisten zu einer unwürdigen Knechtschaft im Parlamente geführt hat, ist den Leuten draußen nicht klar. Sie sehen nur, daß das Kartell eine örtliche Berechtigung hat und daß besonders im Süden der Unterschied zwischen einem sozialistischen und einem radikalsozialen Wähler nicht groß ist. Die Unterscheidung zwischen r e ch t s u n d l i n k s, die in Paris schon ein wenig verblaßt ist oder zumindest nicht mehr in alter Deutlichkeit sortbesteht, lebt auf dem Lande sein altes Leben weiter. Das Schlagwort von der Verteidigung der repu­blikanischen Freiheiten hat draußen offenbar doch noch einige Wirklichkeit Paris war zu schnell, die Provinz ist zu langsam, ans dieser Antithese ergibt sich die gesamte französische Es ist nicht verwunderlich, baff aus den Städten

entsprechende Parodie zustande kam, welche die berühmte Sck,wa- binger Bauernkirchweih ganz in den Schatten stellte. Ein harm­loser von künstlerischer Gestaltungskraft und liebenswürdigem Witz geleiteter Frohsinn hielt, etwa zehn Jahre vor dem Kriege, den Münchenei Karneval auf einer Höhe, deren Bedeutung Me Einheimischen besser erkannten als die Fremden, deren Geldbeutel erft später maßgebend ward. Thoma war hier so rech: in seinem Element; imGwand" mit den echtesten Gamsledernen ober als Dachauer Bauernherbergsvater mit rundem Filzhut, die Silber­taler auf der bunten Weste und einer reichlich mit Anhangs.! ver­sehenen Uhrkette, die geliebte Pfeife im Mundwinkel, schlagfertig, jedem Spaß zugänglich, manchmal etwas anzüglich bei seinen derben trockenen Festreden, beweglich bis zum letzten Geigenstrch, dabei niemals unmäßig, mit Ausnahme des Tabaks, war er d e treibende Kraft vieler Veranstaltungen. Gleichwohl blieb et au- > hier am liebsten bescheiden im Hintergründe hinter dem Mg' - ftug. Seine Wünsche und Ansprüche vertrugen sich gar nicht m t dem anspruchsvollen Größenwahn anderer Dichter unv Dram' i c und zu Wedekind oder den erhabenen Mitgliedern cer Taft.« runde der Torggelstube suchte er kein Verhältnis.Geschwollene" Reden" waren ihm unleidlich, und selbst Joseph R u e b e r e r, dessenFahnenweihe" etwa ein Jahrzehnt vor ThomasLokal- bahn" geschrieben wurde, fand niemals den Weg zu seinem Herzen. Mit Recht, denn Ruederers Stücke sind nur beobachtete Komödie, Thomas Lustspiele erlebte Komödie, und die gallige Satire «Ri ebe- rers des Städters, wurde durch Thomas, d-s Bauernbuben vom Lande, naive Urwüchsigkeit weit übertroffen. Und diege-ranÜ Leberwurstweis", die in München gerne gesungen wurde, poßt- Thoma erft recht nicht Vorzüglich vertrug er sich bagegen mit G^rg Clueri, dem kleinen, ihm wesensverwa-dien Erzäble- kurzer, altbayrischer Geschichten, und mit Josef H o s m i l l e r, dem fttengen Meister der Kritik, dessen Stil dem Ludwig Tb-omas nahesteht. Auch freute er sich, wenn er mit sicherem Blick Echtes richtig erkannt, so M e v r i n k s erste eingesandte Novelle aus dem Papierkorb der Redaktion herausgeholt hatte.

Wenn wir uns sahen, grüßten wir uns, nickten, tranken uns auch einmal verständnisinnig zu. Ich kannte und ehrte Thomas Zu­rückhaltung, die sich steigerte, als er in Frau Mariettas Banden tag und wie ein Bär aus dem Dickicht grimmig und böse werden konnte (O mei, der Tannhäuser, bunte nur Taschner spotten, der auch für Mariettas Namen eine höchst ansechrbare sremdwort- liche Travestie sand). Aber bei der Jubelfeier zu Paul Heyses 80 Geburtstage, die am 15. März 1910 imBayerischen Hoi" ftattfanb kam er mit Gustav Waldau, feinem Liebling, der im Hochdruck eines Salvatorkatzenjammers an diesem Tag be cn- ders gut ausgezogen war, an meinen Tisch. Er sah müde und vcr- grämt aus und erst bei der guten Zigarre erwachte er zur richtigen Behaglichkeit. Seine Rede galt dem alten Dichter, den er bewun­derte, und mit grimmigen Worten zog et gegen die Gepflogen-

Die Enttäuschung ist mit Respekt gemischt. Wie könnte es auch anders sein, denn Doumergue ist ein nicht weniger ehr­furchtgebietender Greis als sein Mitarbeiter, der Marschall P6tain. Aber cs ist und bleibt einer der vielen Widersprüche dieses Augenblicks, daß ein Aufruhr zwar als legitim an­erkannt, aber mit dem Gegenteil Hessen, was er gewollt hat beschwichtigt wird. Die Kundgebungen, die im Blut erstick " wurden, richteten sich gegen das Parlament und gegen die Art, wie bisher in Frankreich Politik gemacht wurde. Sie sind stark genug gewesen, um die Regierung Daladier zu beseitigen, obwohl diese soeben eine starke Mehrheit errungen hatte, aber sie rufen eine neue Regierung hervor, die den völligen und getreuen Rückschritt zu den ehrwürdigsten Traditionen, der dritten Republik darstellt. Der Aufruhr gegen die Parteien wird mit einer Heranziehung sämtlicher Parteiführer zur Macht beantwortet, und der Schrei der Jugend findet kein anderes Echo als in der Berufung erprobter und ein wenig müder Greise. Diese Männer sehnen sich nach Ruhe und glauben ein Land vor sich zu haben, das diese Sehnsucht teilt. Aber Frankreich will etwas anderes, und wenn es auch in der Unruhe nicht gerade einen Eigenwert erblickt, so versteht cs doch, daß die Bewegungen, denen gegenüber die Politik ohn­mächtig ist, dem Rhythmus der Gegenwart besser entsprechen als die tröstlichen Worte, die aus dem Munde des Minister­präsidenten auf ein gebändigtes Parlament niederfallen wie Oel auf die Wogen. Der Aufstand der Frontkämpfer und der patriotischen Jugendverbände fegte die jungen Aktivisten des Parlamentes, die Cot, Frot, Mistler und La Chambre, mit einem Wutschrei hinweg und hob die weißhaarigen Hüter vergangener Werte ans Tageslicht.

Ruhe wird nicht eher kommen, als bis etwas Neues geboren ist. Paris ist aufbrausend und selbstgefällig wie eine Schau­spielerin, aber bie Bauern aus dem Lande und die

schien das meisterliche Deutsch, das er schrieb, auch im Gespräch anwenden zu wollen - aber wehe, wenn 'irgendein Anlaß seine Empörung heraussorderte, die Zigarre blätterte ober bet Zucker Ehlte. Ta regnete es gebirglerische unb münchnensche Kraftbe- zeichnungen in treffendster, schonungsloser Grobheit.

Ich weiß noch jedes Wort dieser ersten Unterredung. Wir beide waren Wilhelms-Gymnasiasten, was in München sogar heute noch einen Vorzug bedeutet, unb obwohl Thoma sieben Jahre vor mir absolviert, auch die oberste Klasse in Landshut besucht hatte, bot sich sofort eine Gelegenheit, von Lehrern, Mitschülern und ihren Schicksalen zu plaudern. Während ich meinem Dank nament­lich an drei Lehrer meiner letzten Schulzeit gehobene Worte heb, klagte Thoma sehr über die Ungunst, die ihn auf Schule und Uni­versität ohne irgendwelche Führung hatte herumirren lassen und chn wie er sagte, ganz auf eigene Wege gebracht habe. Dafür hatte er außerordentlich viel gelesen, und die Begeisterung, die er oyen kundgab, zeigte wohl an, daß hier der Schärfe seiner Kritik eine Grenze gesetzt war. Auch er stellte persönliche Freundschaft f° hoch, daß er niemals abfällige Aeußerungen über seine Freunde, be­sonders nicht über Ludwig Ganghoser duldete. Seiner klugen Menschenkenntnis mochten die süßlichen Salontiroler aus Lchlotz Hubertus dem Schweigen im Walde und anderen beliebten, Biel= gelesenen Romanen Ganghosers unlebendig erscheinen ^gegeben bat er es nie. Er beherzigte in vorbildlicher Weise den Spruch, daß man den Freund im geheimen tadeln, öffentlich immer loben müsse. Als Ganghoser im Herbst 1906 ein« Dielberufene Audienz bei seinem mächtigsten Gönner Kaiser Wilhelm II. in der Münch­ner Residenz hatte, ging er nachher zu Thoma der im Gefäng­nis in Stadelheim saß. Auf dem Friedhof in Egern ruhen die

Freunde nebeneinander.

Kurze Zeit später erschien in denNeuesten Nachrichten" der Andreas Vöst", und in der erstarkenden klerikalen Partei in Bayern erhob sich eine heftige Empörung Thoma war nach dem Ausgeben seines Berufes als Rechtsanwalt endgültig tn die Re­daktion desSimplizissimus" eingetreten, den der aus funffahriger Verbannung heimgekehrte Verleger Albert Langen mit aunc = ordentlichem künstlerischen Verständnis und taktvoller Nachgiebig­keit gegen seine Mitarbeiter leitete. Das war wirklich noch eine goldene Zeit München-, eine köstliche Spätlese allerdings, und zwischen den leider nicht genug beachteten Politischen Bedenklich- keiten durchschwebten das kleine Reich der Münchener Künstler schon allerlei Streitigkeiten, die nur im Fasching begraben mürbem Thoma und sein nächster Genosse, der ursprüngliche, wie aus einem mittelalterlichen Altarschrein heMusgeholte Ignatius Taschner, Handwerker und Meister der Bildhauerei Mederilleur und Gravh'ker zugleich, ein derber unb Pfiffiger Niederbayer, luden zur PiPPinger Kirchweih nebst Veteranenfest i» den Arzberger Keller ein wo in der Tat eine bis ins kleinste der Wirklichkeit

(Privattelegramm der

Leipzig, 28. Febr. In der Streitfrage, ob tueDeutsche Arbeitsfront" die Haftung für die Rechtsverbindlichkeiten bet ehemaligen Freien Gewerkschaften zu übernehmen habe, ob sie also als Rechtsnachfolgerin der früheren Gewerk­schaften anzusehen sei, wurde heule mittag die höchstrichterliche Entscheidung verkündet. Das Reichsarbeitsgericht hat die Revisionen zweier früherer Gewerkschaftssekretäre, die mit ihren Ansprüchen am 14. September v. I. vor dem Landesarbeitsgericht .Bielefeld nicht durchdringen konnten, z u r ü ck g e w i e s e n, also Pie' Annahme einer Rechtsnachfolge abgelehnt. In der

mündlichen Begründung des Urteils

heißt es:

Die Kläger, früher Angestellte freigewerkschaftlicher Verbände, Mitte Juni 1933 durch Organe der N S B O entlassen, erheben Ge­haltsansprüche gegen die der Deutschen Arbeitsfront eingegliederten mitverklagten Arbeiterverbände. Da eine vertragliche lieber« nähme etwa durch Weiterbeschäftigung im Dienste der Beklagten nicht in Frage kommt, so ließe sich deren Haftung nur dann recht­fertigen, wenn sie entweder mit den früheren gewerkschaftlichen Verbänden identisch oder doch als ihre Rechtsnachfolger anzusehen wären. Keines von beiden trifft indessen z u. Die Identität der Verbände ist in der Vorinstanz nicht näher erörtert, vom Berufungsgericht ersichtlich ohne weiteres verneint worden, und diese Verneinung der Identität entspricht auch allein der Sachlage. Man darf hierbei nicht an äußeren Umständen wie etwa der Benutzung gewerkschaftlicher Einrichtungen ober der Ver­folgung zum Teil gleicher Aufgaben haften, muß vielmehr auf das Wesen bet Dinge sehen und vor allem Zweck und Ziel der unter dem Zeichen des Nationalsozialismus stehenden nationalen Er­hebung berücksichtigen, die der ganzen Entwicklung zugrunde liegt. Der Kampf der NSDAP richtete sich insbesondere gegen den Marxismus, gegen den Klassenkamps unb bamit auch gegen die freien Gewerkschaften als diejenigen Organisationen, in denen der Klassenkampfgedanke seinen stärksten Ausdruck gesunden hat. So lag

.Bürger In den kleinen Ptovinznestern verstehen kein Wort von dem, was in der Hauptstadt vor sich gegangen ist. Für die Pro­vinz ist und bleibt der 6. Februar eine Art von Ausschreitung, die von radikalen Elementen und jugendlichen Heißspornen be­gangen wurde; ihr will es nicht in den Kops, daß der Aufruhr tatsächlich in eine spontane Auslehnung parteiloser Menschen übergegangen ist. Gewiß, wir haben tausendmal gehört, daß Paris in der französischen Geschichte alle großen Umwälzungen geführt hat. Wenn dies richtig ist, so hat die Hauptstadt dies dank ihrer Formeln getan. Nicht die bewaffneten Lektionen haben die große Revolution zum Siege gebracht, sondern das WortFreiheit Gleichheit, Brüderlichkeit", das von Pans ausging. Ein solches Wort fehlt heute, und die Hauptstadt hat sich als unfähig erwiesen, ihrer Auslehnung jene Stimme zu verleihen, die auf den Flügeln des Wortes um ganz Fmnk­reich fliegen könnte. Die Parole ist ausgeblieben.

and Generalvertretungen»

Fernruf 2010t). Berit» W 9. Pot.tdon?«

^nnißüirlerSfdttitfl

O I und Handelsblatt O LMMML

Begründet von Leopold Sonnemann Zürich, i-.u-tr. 7 <r.i zsssn

Anfragen and «verlangten Einsendungen

Femsprech-Sammel-Nr.: Ortsruf 20202. Fernruf 20301 - Telegramme: Zeitung Frankfurtmain - Postsehetk. Frankfurt-M 4430 «

Druckerei GmbH

Der König von Bulgarien in Kertt«.

(Privattelegramm derFrankfurter Zeitung".)'

Berlin, 28. Febr. König Boris von Bulgarien traf Mitüvoch vormittag aus Koburg, wo er seinen Vater, den Zaren Ferdinand von Bulgarien, besucht hatte, in Berlin ein. Zu seine« Begrüßung hatten sich die Mitglieder der bulgarischen Gesandt, schäft und der Ches des Protokolls, Graf Tattenbach, eingefunden. Zu Ehren des Königs findet außer einem Essen beim Reichs- Präsidenten, in der bulgarischen Gesandtschaft ein Diner statt an dem u. a. Vizekanzler von Popen, Reichsaußenminister Frhr von Neurath, Reichsminister Dr. Goebbels, Ministerpräü- bent Göring und Staatssekretär Meißner teilehmen. Am Nach- mittag wird bet König amEhrenmalUnterdenLinden einen Kranz nieberlegen.

Der König war seit Montag in Koburg, um an den Feiern anläßlich des 7 5. Geburtstags seines Vaters teil, zunehmen.

Eden verlaßt Dam.

Rom, 28. Febr. (Europapreß.) Lordsiegelbewahrer Edenl wird heute mittag mit dem Expreßzug nach der französischen Hauptstadt Weiterreisen, wo neue Besprechungen mit den franzo, fischen Staatsmännern vorgeschen sind.

Die italienischen Morgen blätter sind über den Ab» schluß der römischen Besprechungen auffallend zurückhaltend. DieGazzeta bei Popolo" schreibt:Eden hat in Rom viel guten Willen angetroffen, zu einem raschen und greifbaren Abschluß der Abrüstungsbesprechungen zu gelangen. Die Prüfung der Lösungs- rnöglichkeiten hat nochmals Uebereinstimmung der italienischen und englischen Ansichten gezeigt, was ein kostbarer Faktor bedeutet, um die Wiederannäherung der Deutschen und Franzosen zu erleich­tern und die Erhaltung des Friedens zu gewährleisten."