Sonntag, 1. März 1936

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Abendblatt

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80. Jahrgang Ur. 119 (*Sn8) Zweimalige Ausgabe

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Gläubigkeit

Der Satz, bet im Zusammenhang einer Rede über kulturelle Gegenstände vor einiger Zeit geprägt wurde:Man sollte den Bezirk der Kultur für heilig erklären" dieser zufällig unter vielen ähnlichen herausgcgrifsene Satz signalisiert nur aufs neue die Vollendung eines Prozesses, der schon eine lange Geschichte hat. Es ist der Prozeß der Verweltlichung des Glaubens. Genauer gesagt: Der Uebertragung reli­giöser Begriffe und Gefühle auf weltliche Gegenstände und Zusammenhänge. Heiligkeit ist ein Attribut, das auszusprechen ebedem allein der Kirciie Vorbehalten war, und das in ihrem Bereich eine sehr bestimmte, unverwechselbare Bedeutung hatte. Seit wenigstens etwa fünfzig Jahren ist man mit Heilig­sprechungen außerhalb der Kirche immer freigebiger gewor­den. Die Kunst, die Schönheit, die Natur, die Heimat, das Leben an sich selber wurden nacheinander nicht bloß in der Poesie mit diesem Attribute belegt, gleich als ob eine Ueber- einkunft deswegen getroffen worden wäre. Ueberall begegnen wir, vollends heute, religiösen Empfindungen, die ihres be­stimmten religiösen Gegenstandes verlustig gegangen sind und nun, gleichsam versprengt, an dieser und jener, von sich aus ganz und gar weltlichen Vorstellung haften geblieben sind.

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Diese Erscheinungen sind also um es noch einmal genau zu sagen wohl zu unterscheiden von derjenigen Ver­weltlichung bestimmter christlicher Inhalte, die vorzüglich das Zeitalter des erwachenden Bürgertums, das 18. Jahrhundert, 6 zeichnet. Man kann sagen, daß die christliche Nächstenliebe rc Wurzel der Humanität ist, obwohl die Haltung der i '.u schlichkeit und Duldung in jener Epoche keineswegs immer n i einem ausdrücklichen Festhalten am christlichen Glauben einl erging. Vielmehr eignete ihr sehr oft eine charakteristisch« :.)ternheit, ein skeptischer Blick auf die Dinge dieser Welt, d . sich in den Angelegenheiten des Diesseits nicht durch a idächtige Gefühle trüben lassen wollte. Die Verweltlichung egen, die wir heute beobachten, verläuft in gewisser Weise .. rode umgekehrt. Es sind nicht di« Inhalte der christlichen Lehre, die sich in weltliche Maximen umsetzcn, sondern es ist 7 mächtige Bedürfnis nach Gläubigkeit und nach dem Er- lconis höherer Zusammenhänge, welches sich an Begriff« heiket und. sic zu der Würde des Göttlichen erhebt, die von .sich aus höchstens sehr mittelbar etwas mit dem Christentum Zu tun haben.

*

Es wäre ein« ebenso reizvolle toi« vielschichtig« Aufgabe ifüi einen Historiker, den Erscheinungen dieser Verweltlichung ' Glaubens, die im Gegenzuge gegen jene der Aufklärungs- cpoche überall nicht auf die Befreiung der Vernunft, sondern i ; die Ahnung oder Gewißheit irrationaler Kräfte und Bin- , Düngen drängt, bis in alle ihre Verästelungen nachzusorschcn und die Spuren ihres Weges zurückzuverfolge». Dieser Histo­riker würde vermutlich finden, daß die «manzipiertc V e r - u :i n f t mit ihrem nüchternen Weitblick alsbald ihrer selbst unsicher geworden ist und, zumal in Deutschland, aufs neue Hüllen des Gefühls, der Andacht, der Gläubigkeit gesucht _:.b gefunden hat, mit denen sie sich umkleiden oder in die sie sich zurückziehen konnte. Zur Offenbarungsreligion mochte und konnte sie wenn wir von ihr für einen Augenblick wie von einer Person sprechen dürfen nicht mehr zurückkchren. Anstatt dessen kam eben jene zweite und eigentlicheVer­weltlichung des Glaubens" zustande, deren vielfältigen End­ergebnissen und Ausläufern wir uns heute gegenübersehen. In einigen von ihnen spielen gewisse wissenschaftliche Forschun­gen und Deutungen eine fundierende Rolle. TerDeutsche Glaube" etwa hat die Ueberzeugung von einer göttlichen Seele, welche gerade den arischen Völkern eigentümlich sei, zum Inhalt, und der Tübinger Professor Hauer stützt diese Ueberzeugung durch di« Auslegung philosophischer Lehren von den indischen Veden bis zu Kant. Und die Verkündung eines heroischen Schicksalsbegriffes, die wir in mehr oder minder greifbarer Form so oft hören, beruft sich auf di« isländischen Sagas so gut wie auf Nietzsche. Di« Theologie derDeutschen Christen", die wir noch kurz in Erinnerung bringen wollen, entbehrt dieses Element; sie spricht von den irdischen Ge­gebenheiten des Volkes und des Staates als von unmittelbar göttlichen Ordnungen und sieht in den Wendungen der Ge-

und Glaube.

schichte des deutschen Volkes Handlungen Gottes. Von prak­tischen Idealen und politischen Zielvorstcllungen ist hier nicht zu sprechen, sie liegen trotz allen Uebcrgängen.und Berührun­gen auf einem anderen Gebiete.

In einigen Fällen haben sich diese Strömungen sogar so sehr verfestigt, daß sie dem Christentum feindlich cntgcgenge- treten sind. Indessen scheint dieses Merkmal doch nur von untergeordneter Bedeutung zu fein. In einem Punkt« kommen alle Geisteshaltungen überein, von der extrem-antichristlichen Deutschen Gotterkenntnis" Ludendorffs angefangen über die Anhänger derDeutschen Glaubensbewegung", über diejeni­gen, di« jede Art von Jcnseitsvorst«llung als eine Störung und Schwächung der Dascinsfrendc und der Aktivität in dieser Welt betrachten, über die den christlichen Kirchen einigermaßen neutral gcgenüberstchenden Verehrer der Kultur, der Dichtung und Kunst, derKathedralen und Sinfonien", bis hin zu denen, die in Volkstum und nationaler Geschichte ebenso be­deutsame Bekundungen Gottes erblicken wallen wie im Evan­gelium. Ihnen allen nämlich ist gemeintem die V e r k l ä r u n g des Diesseits. Feierstunden, Weihe des Lebens und das Erlebnis desGleichklangs der Seelen" (wie cs die Anhänger der Deutschen Glaubensbewegung gerne ausdrücken), sind eines ihrer wesentlichsten Anliegen.

Die Entwicklung solcher Strömungen, die, wie gesagt, tief in das vorige Jahrhundert zurückreicht, hat nun seit einem guten Jahrzehnt auf der Seite des Christentums, vorab des protestantischen, eine Rückwirkung hervorgcbrackt, welche viel­fach mit Ueberraschnng bemerkt worden ist. Will man sie auf eine kurze Formel bringen, fo wäre es diese: Die Entstehung einer neuen Orthodoxie. Indessen ist diese Bezeichnung so vielen Mißverständnissen ansgcsctzt, daß es notwendig ist, sie näher zu erläutern. Diese neue protestantische Orthodoxie sie ist längst über den Bezirk der Theologen hinausgcdrun- gen und nicht allein unter Geistlichen, sondern auch unter Laien allgemein, ja gemeindebildend geworden hat ihr Wesen nicht sowohl in einerkonservativen" Rückkehr zu einet Vielheit von Glaubenssätzen oder Dogmen, als vielmehr in der Besinnung auf das Wesen des Glaubens (und damit auch der Kirche) selber. Es wird nicht möglich fein, daß angesichts ihrer solche Diskussionen, toi« sic im vorigen Jahrhundert alle Welt beschäftigt haben etwa über di« Frage, wie sich der Wunderglaub« mit der modernen Naturtoifsenfchaft vertrug« und über all' das, toas sich um das ThemaWissen und Glauben" gruppiert wieder aufgenommen werden könnten. Alles Menschlich« ist menschlich und darf darum nicht ver­wechselt oder vermischt werden mit d«m Göttlichen, denn dessen Gestalt ist allein die Offenbarung, wie sic in der Schrift nicbergelegt ist: Dies etwa ist, grob gesagt, die Quintessenz dieser theologischen Besinnung und Klärung.

*

Es ist charakteristisch, daß das WartGlaube" in der gleichen Zeitspanne, in der es eine so vielfältige Uebertragung auf weltliche Gegenstände erfahren hat, in der geistlichen Spracl>c etwas in den Hintergrund getreten ist. Es wird an BedeUtungsticfe, Energie und Häufigkeit übertroffen von jenem anderen WortB e k c n n t n i s", welches gegenwärtig, wie sich ohne Vorwegnahme irgendeiner praktischen Entschei­dung feststellen läßt, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht, di« die beutfdxn Protestanten bewegen. Natürlich ist es nicht so, daß der Begriff des Glaubens von evangelischen Christen als ungenügend empfunden würde. Die Würde, die ihm schon durch Luthers Lehre von dcrRechtfertigung allein durch den Glauben" zu eigen ist, hat gewiß nicht abgeuoni- mcn. Aber die strenger« Forderung, di« imBekennen" be­schlossen ist, dient auch, das bestimmt« christliche Glauben gerade in derjenigen geistigen Situation, die wir alsVer­weltlichung des Glaubens" kurz zu kennzeichnen versuchten, vor aller Verwechslung und Vermischung mit subjektivem Erlebnis zu bewahren. Das Bekenntnis des Evangeliums schließt die Unbedingtheit der einen Offenbarung in sich, welche das ent­scheidende Wesensmerkmal der Religion ist. Es gilt, di« g«-

(Fortsctzung auf Seite 2.)

Admiral Okada kbf.

Tie Aufrührer verwechselten ihn mit seinem Schwager.

Tokio, 29. Fcbr. (Europcrprcß.) Nachdem die Aktivisten sich ergeben haben, wird jetzt befanntgegehen, daß Ministerpräsident Admiral Okada sich noch am Leben befindet.

Ter von den Aktivisten vor der Residenz des Ministerpräsiden- ten beim Heraustreten aus dem Hause erschossene und im Schnee lieqengelvsiene Mann war der Schwager des Ministerpräsidenten, der Ober st M a t s u o, der dem Ministerpräsidenten sehr ähnlich sieht. Ta die Aktivisten beim Heraustreten des vermeintlichen Ministerpräsidenten sofort schossen, hatten sie auch keine Möglich­keit, ihren Irrtum festzustellen. In der Verwirrung, die der Er­schießung folgte, halfen die Tienstboten des Ministerpräsidenten diesem, z» entfliehen. Später, als die Leiche des erschossenen Obersten eingesargt war, kehrte Okada in der Rolle seines Schwa­gers in die Amtswohnung des Ministerpräsidenten zurück, um an dessen Sarg zu beten.

Tie Nachricht, daß Okada noch am Leben ist, wird hier durch Extrablätter verbreitet. Sie wird indirekt auch dadurch bestätigt, daß der Kaiser zwar den Angehörigen des erschossenen Finanz­ministers Takahaschi und den Verwandten des gleichfalls erschosse­nen Admirals Saito Beileidsbotschasten sandte, nickt aber an die Angehörigen Okadas. Diese Tatsache war bereits am ersten. Tage ausgefallen, wegen der bestehenden Zensur aber nicht kommentiert worden.

Einer der Führer des Staatsstreiches hat sich vor dem T a n n o - H o t e l erschossen. Tas Schicksal der übrigen ist noch unbekannt.

Im ganzen sind 15 Offiziere, darunter auch mehrere General­stäbler, im Zusammenhang mit dem Staatsstreich ihres Ranges entkleidet worden.

- (Vergleiche die Meldungen auf Seite 2.)

Der Stank der Untersuchung gegen den Davoser Attentäter.

(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)

P Zürich, 29. Febr. Heber den Stand der Untersuchung gegen den Attentäter David Frankfurter wird aus Chitr berichtet, 0aß sich die Recherchen über die Frage, ob Frankfurter noch Hin­termänner gehabt habe, sehr schwierig gestalten. Frank­furterclbft bleibe dabei, daß er ausschließlich von sich au«, allo ohne Auftrag und ohne Mitwisser gehandelt habe. Wann die Gc- richtsoerhandlung stattsinde, könne noch nicht gesagt werden; das hänge davon ab, wie lange Zeit die Untersuchung noch in 'An­spruch nehme und wie das Ergebnis der Beobachtung für das in solchen Fällen in Aussicht genommene psychiatrische Gutachten laute,

Es bestehe die Möglichkeit, daß der Fall erst im Herbst vor dem Kantonsgerickt in Chur zur Verhandlung komme. Eine frühere Meldung, daß Frankfurter tuberkulös sei, treffe nicht zu. Dagegen sei er infolge von Knochenmarkentzündung und einer eiternden Wunde am Oberarm in ärztlicher Behandlung innerhalb der Straf­anstalt.

®itt tschechoslowakischer Senator gegen Henlein» Kulturprogramm.

(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)

(H Prag, 29. Febr. Tic tschechische nationale sozialistische Partei, welcher Beitesch bis vor kurzem angehörte, veranstaltete gestern eine Kundgebunggegen fremde Einflüsse im tschecho­slowakischen Statslcben". Senator Krotac richtete bei dieser Ge­legenheit scharte Angriffe gegen Henleins Kulturpro­gramm und erklärte n. a., es werde notwendig sein, sich mit bet Autonomie der Prager deutschen Universität zu befassen.

Starker Eindruck des Hitler-Interviews in Paris.

Die französische Geffentlichkrit für eine Antwort.

(Drahtmcldnng unseres Korrespondenten.)

:4t Paris, 29. Febr. Das Interview, das Reichskanzler Hitler dem Korrespondenten desParis Midi" gewährt hat, erregt in Frankreich großes Aussehen. In den Wandelgängen der Kammer wurde es gestern viel erörtert, undman war sich darüber einig, diesen Erklärungen am Vorabend der wichtigen internationalen Verhandlungen, die stattsinden werden, großes Interesse zuzuschreiben" (Paris Toir). Von sämtlichen Blättern werden die Erklärungen alssensationell" bezeichnet. In einer redaktionellen Vorbemerkung schreibt derParis Midi":Niemals hat bet Führer in seinen Appell an Frankreich soviel Deutlichkeit, Nachdruck und Inständigkeit gelegt." Besonders heroorgehoben werden Sn Erklärungen scher die Richtigstellung bet Frankreich be­treffenden Teile vonMein Kampf", die der Reichskanzler durch die Verwirklichung der deutsch-französischen Annäherung vornehmen will.Es ist das erstemal, daß der Führer sich in dieser Beziehung so kategorisch ausdrückt," sagt derParis Soir".

Am meisten interessiert naturgemäß der S o w s e t p a k t. Die daraus bezüglichen Sähe, daß der Reichskanzler auf die Frage seines Gesprächspartners (ob diese Ratifi- zierung die deittsch-sranzösische Annäherung nicht kompro- mittieren werde) geantwortet hat, seine Bemühungen um eine deutsch-französische Annäherung würden immer bestehen bleiben, werden natürlich mit größerer Genugtuung unterstrichen als seine Worte, daß durch den bedauerlichen Pakt eine neue Lage geschaffen werde. Jedenfalls glaubt derParis Midi" selbst aus diesen Erklärungen den Schluß ziehen zu können:Tie Politik, die sich darin ausbrückt, zwingt uns nicht, einen einzigen der Pakte zu kundigen, durch welche Frankreich im Laufe der schwierigen Jahre eine Art diplomatischen Netzes des Friedens hat schaffen wollen." TieInformation" bezeichnet das Interview als ein Faktum, an dem man nicht Vorbeigehen könne.Es ist heute fast unmöglich, nicht darauf zu antworten." Auch dieses Blatt betont, daß Frank­reich keinen der geschlossenen Pakte und der getroffenen Vorsichts­maßregeln, um den Frieden zu sichern, aufgeben könne. DerParis Soir" endet seinen Kommentar mit der Aufforderung an Deutsch­

land, durch seine Rückkehr nach Genf die Aufrichtigkeit seines Friedenswillens zu beweisen. Sämtliche Blätter ergehen sich in der Versicherung, daß Frankreich sich nichts Besseres wünsche als eine Annäherung an Deutschland, stellen aber die Frage, unter welchen Bedingungen Deutschland dazu bereit sei.

*

Zum Beweis für die Aufrichtigkeit des deutschen Verständi- gungswillen werden die verschiedenartigsten Be­dingungen geestllt. Nur wenige Blätter sind sich darüber klar, daß man auf diesem Wege nicht weiter kommt. Aber auch sie sprechen nicht aus, daß es gegenüber einem grenzenlosen Miß- treuen fevten Beweis gibt Lediglich das .,Ecko de Paris" schreibt: Es ist keineswegs notwendig, den Führer als doppelzüngig anzu­sehen, -tim auf seiner Hut zu sein." Aber das Blatt will sich doch nicht auf ein Abkommen einlassen, da es Deutschland als einen Strom betrachtet, der eines Tages jedes noch so aufrichtig ein« gegangene Abkommen mit Naturgewalt überfluten werde.

Verschiedentlich werden freilich zur Probe der deutschen Auf­richtigkeit Bedingungen vorgeschlagen, die nicht nur für Deutsch­land unannehmbar, sondern auch in sich unlogisch sind. So ver­langen die Linksblätter den Beitritt Deutschlands zu dem sranzö- sisch-sowjetrussischen Beistandspakt ober zu dem System der kollek­tiven Sicherheit, das deutlicher als System des gegenseitigen Bei­standes zu bezeichnen wäre. Innerhalb der französischen Linken haben nur einige Außenseiter, wie Gaston Bergern, Verständ­nis für die deutsche Abneigung, sich einem solchen System anzu­schließen.Fünfzehn Jahre lang," so schreibt er,hat sich Eng­land aus Gründen, die nicht besser waren als die deutschen, ge­weigert, an dem gegenseitigen Beistand teilzunehmen. Hat man daraus geschlossen, daß England eine Macht ist, mit der man nicht verhandeln kann?" Mit der gleichen scharfen Logik stellt Bergery seinen Landsleuten die Frage, warum sie die deutsche Unterschrift unter einem Beistandspakt für ehrlicher halten als unter einem Nichtangriffspakt.

Diejenigen Blätter und sie sind bei weitem in der Mehr-

Wkotaus Lenau.

Von Franz Josef Schöningh.

Diese Darstellung der dichterischen Natur und Bedeutung Lenaus bat die Form eines imaginären Briefes des Hosrats Georg v. Reinbeck an Franz Grillparzer angenommen. Die Schriftleitung.

Stuttgart, 20. Juli 1846.

Schmerzlich ist cs mir, verehrter Dichter, Ihnen Gewißheit über Lenau zu geben: Aber das stark« Freundesherz, das mir aus Ihrem Briefe entgegenschlägt, überwindet meine Scheu, Ihnen die Wahrheit zu sagen, so wie cs meine eigene Furcht vor dem Endgültigen besiegte. Vorgestern besuchte ich feit Monaten zum ersten Male den armen Kranken in der Heil­anstalt zu Winnenthal. Ick fand unferen Lenau nicht mehr; es waren nur noch die Trümmer des einst kostbaren Jnstru- rnents.

Er spazierte gerade im Garten der Anstalt an der Seite eines Wärters. Seine Augen blickten fo überaus sch«u und ängstlich, daß wir ihm vorsichtig begegnen mußten. Herr Dok­tor Zeller, welcher mich begleitet«, versteht ftch darauf. Bald bemerkten wir, daß fein umnachteter Geist nur noch Bruch­stücke dieser unvollkommenen Welt in sich aufnimmt. Als ich ihm au« seinen Poesien einiges sagte, was am stärksten auf mich gewirkt, ging ein Zittern über fein gequältes Gesicht, als wolle «r sprechen, aber es ward nur ein dumpfes Lallen ver­stümmelter Worte. Es scheint noch ein letzter Rest von Musik ut ihm zu sein, der jedoch bald ganz verklungen fein wird. Er­kannt hat er mich nicht mehr.

Fühlen Si« mit mir, wieviel Schmerz diese Stunde für mich in sich schloß? Wie ein Gruß aus einer verschlossenen. Unter Qualen vergessenen Heimat schienen die Verse zu ihm zu bringen, di« ich einmal aus feinem eigenen lieben Munde vernommen. Vielleicht hat Ihnen Gras Auersperg davon er­zählt, wie nahe Lenau meiner Frau gestanden, die, zu ihrem größten Schmerze kinderlos, ihm viel Mütterlichkeit und Freundschaft zu schenken vermochte. Ter Heimatlose hat, so dünkt mich, in gesunden und kranken Tagen bei uns fast eine Heimat gehabt. Tics tröstet mich jetzt, da er noch mehr Mit­leid verdient, als ich schon immer für ihn gehegt. Ich glaube Ich habe ihn in seiner Größe wie in feiner Begrenzung wohl gesehen.

Wenn ich sein Leben betracht«, fo fcf)eint cs mir vollkom­men wahr zu fein, daß alle Sterne, die unser Schicksal lenken, In unserer eigenen Brust auffteigen. Ick dachte das schon, kaum oaß der Dreißigjährige zuerst hier in Stuttgart war, im Herbst J831, und seine Liebe zu Lotte Gmelin unserem Kreise inan- dxrlei zu schaffen machte. Sie erinnern sich, daß fein Nam« von hier aus schnell feinen bekannten Klang gewann, da sich

dcr ehrenwerte Schwab für ihn einfetzte und Cotta feine Ge­dichte mit Freude zum Druck annahm. Es wurde sogleich ein lebhafter Kult mit ihm getrieben, denn er wirkte zwischen uns wie eine exotische Pflanz« in einem derben deutschen Bauern­garten. Wenn er mit uns durch Schwaben wanderte, war sein: Bewunderung für unseren sorgfältigen, jeden Winkel aus­nutzenden Ackerbau mit leichter Verachtung durchsetzt. Er sprach mit Heimweh von den Bauern Ungarns, die ihr« W«in- stöcke von Seit zu Zeit flüchtig beschnitten, nach Hause gingen und ihr« Pfeife rauchten. So schlendert« er selber durch den Weinberg dieser Welt. Aber für Sic war vielleicht nur der Wind der Pußta eigenartig, der ihn umwehte, während uns vor allem das Oesterreickischc berührte, das fein eigenstes Wesen ausmachte, die Ironie mitten im Ernst, die Fähigkeit, Schwermut mit einem Lächeln gleichsam zu bekränzen, etwas, was er im Leben so sehr besaß, wie es seiner Poesie abging. Wi« oft vermißte er bei uns ,das silberne Kaffeehaus' und Ihre Wiener Sonntage! Aber Sie kannten ihn ja selbst, sein« Art, seine Gestalt, die einem Husarenobersten hätte gehören können, und den geistvollen Kops darauf, diese großen, dunk­len schwermütigen Augen unter einer wundervollen Stirn, sein hinreißendes Geigenspiel.

Von seinem Bilde berührt, bin ich ganz von jener Liebes­geschichte abgekommen, die mir wie ein Sinnbild seines Schick­sals erschien. Tie Schwabs nahmen den Dichter natürlich be­geistert in ihrem Hause auf. Nicht viel anders mag ihre Nichte Lotte gefühlt haäm, die zu dieser Zeit bei ihnen lebte, ein anmutiges und tiefes Mädchen. Es war bei einer musikalischen Abendunterhaltung, daß es uns allen deutlich wurde, Lenau liebe sie. Lotte spielte auf dem Pianoforte; er erhob sich und trat hinter den Ofen, weil er sich wohl feiner Ergriffenheit schämte, aber wir fühlten, daß er weine, und wußten sogleich, daß dies nicht allein von der schönen Musik bewirkt war. Nach­her machte er auch gar kein Hehl daraus, daß er das Mäd- dwn anbete. Da sic feine Empfindungen erwiderte sie zit­ierte, wenn sie ihm nahe kam, waren wir froh in der Hoff­nung, ihn ganz unserem Kreise zu gewinnen. Uns allen galt cs als ausgemacht, daß wir bald würden Verlobung feiern können. Plötzlich jedoch erhielten wir von Lenau einen Brief aus Heidelberg, in dem er mitteilte, daß er dort Medizin studiere, vor allem aber, daß er auf das grenzenlose Glück, Lotte zu besitzen, freiwillig verzichte. Er wolle diese Rose nicht an seine nachtdunkle Brust heften, er sei für den Schmerz ge­boren. Er wolle sich kreuzigen lassen, wenn es nur ein gutes Gedickt gebe.

Ich übergehe Lottes Schmerz und der Schwabf berechtigte Enttäuschung, zumal sie ihm verzichen haben. Mir geht es um

etwas anderes. Sic kennen wahrscheinlich genauer als ich die unglückliche Geschichte, die er zehn Jahre zuvor mit einem hübschen und oberflächlichen Mädchen in Wien hatte. Sie muß ihn betrogen haben; er bezweifelte sogar, dcr Vater ihres Töchterchens zu fein. Wenn er sie einmal erwähnte, konnte er eine fast verzweifelt« Bitterkeit kaum unterdrücken. Als ich nun feinen Brief gelesen hatte, ging cs mir auf, daß cs sich hier wie dort gar nicht so sehr um die Mädchen gehandelt hatte, um ihre Treue oder Treulosigkeit, sondern um die Emp­findung, nach der der Dichter hungerte. Mich will der Ver­gleich nicht loslassen: wie der Haschischrauchcr das verlockende Gift, so hat Lenau durch jenes Mädchen in Wien den Schmerz entdeckt. Nicht das Unglück verfolgte ihn, sondern er verfolgte fortan das Unglück. Nicht Lotte Gmelin hat er gesucht, son­dern die Trennung von ihr.

Als ich ein paar Jahre später aus Wien von seiner Lei­denschaft für Sophie Löwenthal hörte, sah ich nach dieser Er­kenntnis voraus, daß sic unglücklich fein werd«, noch ehe ich wußte, daß Sophie verheiratet und Mutter mehrerer Kinder ist. Als ich es wußte, fürchtete ich gleich, diese Leidenschaft werde kein Ende nehmen, so lange Sophie unerreichbar fei. Zehn Jahre lang, bis zu feiner geistigen Umnachtung, und selbst in ihr noch hat sie ihn erschüttert. Ich glaube sogar, daß sie, mehr als feine unregelmäßige Lebensweife, fein nächtliches Wachen, feine übertriebene Vorliebe für starken Tabak und Kaffee feine überzarten Nerven zerrüttet hat. Lenau überließ sich trotz unserer besorgten Vorstellungen seiner Leidenschaft ganz, ohne jedoch eine Entscheidung zu fällen, vor welcher sich auch Sophies Manu wahrscheinlich fürchtete und welche die schöne und geiftreiebe Sophie nach allem, was ich von ihr weiß, im Ernste gar nicht wollte. Mir scheint, sie liebte cs sehr, das Feuerwerk seines Geistes für sich abgebrannt zu sehen, ohne zu fühlen, welche Qualen es ihn koste,eine Verlobung mit einem Mädchen aus Frankfurt kurz vor dem Hereinbruch seiner Krankheit war nur «in verzweifelter Ver­such, sich von Sophie zu befreien. Es war in meinem Hause, wo fein Wahnsinn ausbrechen sollte. An einem jener trüben Tage behauptete er, am Abend sterben zu müssen, und nach­dem er, wie er es nannte, sein Totenhemd angezogen und sich auf das Sofa gelegt hatte, faltete er die Hände und tegk in die Stille:Sie ist mein Glück und meine Wunde." Hätte er nicht besser gejagt: Sie ist mein Glück, weil sie meine Wunde ist?

Nun hat mir sein Schwager Anton Schurz etwas aus Lenaus Jugend erzählt, was manches an feiner Traurigkeit und feinem Schmerzhunger erklärt. Schurz weiß nicht, ob es kurz vor ober nach Lenaus Geburt war, als feiner Mutter dies widerfuhr: Eines ihrer Kindchen war fo schwer erkrankt, daß man dem Torsbader nicht mehr vertraute, und der Herr von Strehlenau, dcr Vater unseres unglücklichen Freundes, sich aufmacbk, in Temesoar einen Arzt zu suchen. Stunde um Stunde verging, der Vater kam nicht zurück. Ms das Kind

bereits gestorben war, traten zwei Subjekte zu der verzweifel­ten Mutter in die Stube und brachten statt des Doktors einen Schuldschein über 17 000 Gulden. Der von Strehlenau war in Temesvar feiner alten Spielleidenschaft verfallen und hatte sein todkrankes Kind vergessen. Die üblen Spielkumpane hiel­ten ihn fest, bis seine Gattin entweder Bürgschaft geleistet oder ihn der Büttel in den Schuldturm gebracht hätte. Wenn ich diesen traurigen Fall auch nicht überschätze, fo wirst er doch ein scharfes Licht auf eine sehr unglückliche Jugend. Alle feine Aeußerungcn über die Eltern ließen durchblicken, daß er den Vater fo fehr verachtete, wie er die Mutter liebte. Sie brachte ihm wohl die gleiche Zärtlichkeit entgegen und gab ihm j«de Freiheit. Schurz sagte mir, er habe sich mit neun Jahren auf nichts als auf den Vogelsang, das Gitarre- und Violin- ipiel verstanden. Die Mutter muß ihn angebekt haben. Mir ist überhaupt nie ein Mensch begegnet, der von so vielen Men­schen geliebt und vergöttert worden ist wie der unglückliche Lenau. Seine mehrfachen zersplitterten Studien und den Hang, allzusehr über sich selbst zu brüten, halte ich für die Folgen davon.

Aber ich glaube nicht, daß man mit seiner Jugend allein seine Schwermut erklären kann. Er liebte Lord Byron sehr; dessen Bücher, die wir in Lenaus Bibliothek sanden, waren mehr als alle anderen zerlesen außer Heines Gedichten, aus denen er uns oftmals vorlas, wiewohl er die Zynismen darin haßte. Viel galt ihm auch Novalis, sein« Art her Naturbe- trachtung, vor allem aber die romantische Ironie, mit der er alle Tinge auf ihren dunklen Urgrund, den Tod, bezieht. Da­gegen haben wir keinen Goethe gefunden, wie dieser beim leider überhaupt in den Hintergrund unseres geistigen Lebens zu treten scheint. Daß er jedoch Leopardi kaum kannte, lag sicherlich, an jeingr Unkenntnis des Italienischen. Vielleicht hatte er auch an Lord Byrons Schwermut genug.Due bolle «rose sono nel mondo: amore e morte,1" das hat er auf Deutsch oft genug gesagt. In uns allen steckt ja so ein Stück Traurig­keit und Abendstimmung, als hätten mir das Beste hinter uns und erwarteten von der Zukunft nur noch heftige Gewitter. Still genug ist es dazu im deutschen Land, leichcnstill, als müsse endlich der Sturm losbrechcn und das so krampfhaft Bestehende hinwegfegen.. In unserem Kreise waren die Mei­nungen über das, was kommen werde, sehr widersprechend, so übereinstimmend auch unsere Empfindungen fein mockten. Unsere Zeit ist nicht mehr für Poesie," jagte Lenau einmal bekümmert,nur Politik gilt".

Da genügte das WortNiagara", um ihn in einen wahren Taumel zu versetzen. Er preßt« in dieses eine Wort alles, was er in diesem verbrauchten Europa vermißt« und in b:r Ferne lebendig vermutete. Beim Aussprechen vonNiagara" konnte er so entzückt sein wie beim Anhören seines geliebten Beethoven. Er wollte im heiligen Urwald Rakoczylieder auf feiner Geig« fpielen. während wir feine furchtbare Enttäu­schung voraussahen. Kerner vor allem bcfchwor ihn, daheim zu