Donnerstag» !♦ Gktolrer 1936
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___Abendblatt
Erstes Morgenblatt
81. Jahrgang Dr. 302
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Abgestufte Aussicht
Der Grad der Abhängigkeit unserer Ernährungswirtschaft ist in den letzten Wochen mehrmals mit großer Deutlichkeit durch die Ziffer gekennzeichnet worden, daß 15 bis 20 Prozent unseres Nahrungsbedarfes durch Einfuhr gedeckt werden. Diese Ziffern fußen auf der sogenannten Kalorien-Rechnung, wobei der Kaloriengehalt der Einfuhr in Beziehung gesetzt wird zu der gesamten Kalorien-Menge unseres Nabrungs- Verbrauches. Dieser Umweg über den einheitlichen Maßstab der Kalorie ist nötig, da man bei den Nahrungsmitteln schließlich nicht schematisch die bloßen Mengen addieren kann und da auch die Werte als Maßstab nicht ganz geeignet sind, weil inländisches und ausländisches Preisniveau zu stark differieren, Nach der Rechnung des Institutes für Konjunkturforschung betrug der Grad der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln (nach der Kalorien-Rechnung) im ungünstigsten Zeitpunkt der Nachkriegszeit (1927) 82 Prozent und, wenn man auch die eingeführten Futtermittel berücksichtigte, 73 Prozent. Der Grad der Selbstversorgung erhöhte sich dann mit steigender Erzeugung und später (in der Krise) mit rückgängigem Verbrauch 1933 bis auf 87 Prozent. Er hat sich dann in den folgenden Jahren wieder eine Kleinigkeit verschlechtert, da zu ungünstigeren Ernten ein konjunkturell wachsender Verbrauch trat. Diese Auslandsabhängigkeit von 15 bis 20 Prozent bedeutet wertmäßig ausgedrückt nach den Ziffern der letzten Jahre einen Devisenaufwand von rd. 1.5 Milliarden RM., das ist ziemlich genau derselbe Betrag, der für die Rohstoffeinfuhr aufzuwenden war. Diese Größenordnung läßt bereits erkennen, daß bei der Dringlichkeit des Rohstoffbedarfes in der gegenwärtigen Konjunktur- und Rüstungsphase eine Erhöhung der Devisen-Bereitstellungen für Nahrungsmittelzunächstkaummöglichist. Wir müssen also im laufenden Erntejahr auf der bisherigen Basis auskommen.
Dies bedeutet nun, wie der Reichsernährungsminister in seinem bereits erwähnten Artikel unterstrichen hat, keineswegs, daß mit irgendwie ernsten Schwierigkeiten in der Nahrungsversorgung zu rechnen sei. Denn der Ertrag der diesjährigen Ernte zusammen mit der weiter möglichen Einfuhr sichert unbedingt den Grundstock unserer Massenernährung. Ganz besonders gilt das für die pflanzlichen Erzeugnisse, denn fast alle pflanzlichen Produkte, Getreide und Kartoffeln sowohl wie Zuckerrüben, dienen zugleich der direkten Ernährung wie Futterzwecken. Bei Kartoffeln z. B. werden nur 30 Prozent der Ernte direkt sür Speisezwecke verwandt, bei Roggen wandern nur zwei Drittel der Erzeugung in die Mühlen, der Rest in beiden Fällen in den Futtertrog. Unter diesen Umständen bereitet es keine anderen als organisatorische Schwierigkeiten, auch bei einer wenig reich-, lichen Ernte die Versorgung mit den wichtigsten pflanzlichen Nahrungsgütern zu sichern. Diesem Zweck dienen u. a. die Ablieferungskontinge tri«, wie sie der Reichsnährstand insbesondere bei Getreide eingeführt hat. Kartoffeln, Brot und Mehl sowie Zucker stehen uns also in jedem Fall hundertprozentig aus deutschen Quellen zur Perfügung. Eine Ausnahme macht vielleicht die Weizenmchlversorgung: Denn hier fehlen nach der letzten Ernteschätzung gegenüber dem vorjährigen Verbrauch einige hunderttausend Tonnen; doch wäre hier ein Ausgleich relativ leicht zu erzielen, sei es durch Beimischung von Kartoffelmehl, sei es durch Umstellung auf stärkeren Roggenmehleinsatz. Aehnlich wie bei den wichtigen pflanzlichen Nahrungsmitteln liegen die Verhältnisse bei Trinkmilch. Hier fallen ebenfalls auf den direkten Konsum nur rund 30 Prozent der Gesamterzeugung^ Die Befriedigung dieses Bedarfs ist gleichfalls durch ein System von Ablieferungskontingenten gesichert.
Mit Kartoffeln, Brot, Milch und Zucker steht das Fundament der Nahrungsversorgung gesichert da. Anders liegen die Verhältnisse bei dem Ueberbau der Peredelungserzeugnisse und den pflanzlichen Fetten. Das Ausmaß der Versorgung an allen tierischen Produkten, Fleisch, Butter, Käse, Eier, Schmalz usw., ist abhängig von der verfügbaren Futtermenge, und es ist klar, daß die Futterdecke um so kleiner wird, je mehr der Direktverzehr der pflanzlichen Erzeugnisse, die, wie erwähnt, zugleich alle Futtermittel sind,
jum Fett.
eu der Versorgung.
wächst und durch propagandistische Maßnahmen angeregt wird. Gewiß fehlen uns unter diesen Umständen von dem Getreidefutterstock, der normalerweise in den letzten Jahren gut 10 Millionen Tonnen betrug, in diesem Jahr nach dem bisherigen Stand der Entwicklung schätzungsweise 2 Millionen Tonnen, und es steht noch nicht fest, wieviel von dieser Lücke durch die beffere Kartoffelernte aufgefüllt werden wird. Gleichwshl wäre es völlig verfehlt, das gegenwärtige Ausmaß der Fleischknappheit als Maßstab, für den vermutlichen Versorgungsstand in diesem Erntejahr zu nehmen. Für den augenblicklichen Ausfall in der Fleischversorgung sind die besonderen Umstände maßgebend, die sich durch eine vorzeitige und völlige Ausräumung der vorjährigen Futtervorräte ergeben haben. Der Schweinebestand hält zur Zeit sogar auf einem Höchststand, wie er seit Jahren nicht erreicht war, und das wird sich, sobald die neue Getreide- und Kartoffelernte zum Einsatz gelangt, auch bald in den Marktauftrieben geltend machen. Bei Rindfleisch ist dagegen mit einer gewissen Anspannung in der Versorgungslage noch einige Zeit zu rechnen, da hier die Lücken, die der trockene Sommer 1934 und die umfangreichen Kälberschlachtungen der letzten Jahre — nicht zuletzt eine Folge des verlockenden ungebundenen Preises — gerissen haben, noch nicht aufgefüllt werden konnten. Auch sind die Einfuhrkontingente für Gefrierfleisch inzwischen annähernd erschöpft.
Die Versorgung mit Eiern,Butterund Käse läßt sich in diesem Winter etwas günstiger an als im Vorjahre. Die Kühlhausvorräte sind hier sehr viel reichlicher und vielfach sollen auch die Reserven der einzelnen Haushalte größer sein. Gerade bei Eiern ist hier die Periode der Knappheit durch di« V«rsch:gungsschwierigkeiten und di« Hamsterwelle im Sommer gewissermaßen vorweggenomm«n. Den gleichen Zweck einer Vorwegnahme möglicher Verbrauchsverzichte verfolgt die gestern mitgetellte Einschränkung des Schlagsahne- und Fett- käseverbrauches. Die hierbei gewonnenen Einsparungen an Milchfett dienen zur Erleichterung der Butterversorgung. Trotz dieser besseren Aussichten für den Buttermarkt bleibt die Fettversorgung weitaus der schwierigste Bestandteil des Gesamtproblems. Man weiß, daß die Möglichkeiten zum Bezug von Waltran auf dem Verrechnungswege in diesem Jahre durch starke englische Zugriffe und infolge Anspannung der Clearingkonten geringer sind als im Vorjahr, so daß zur Aufrechterhaltung der Margarineerzeugung umfangreiche Oelfrüchte-Einfuhren nötig sein werden. Dem dient bereits das vor einiger Zeit abgeschlossene deutsch-mandschurische Handelsabkommen, durch das die Sojabohnen-Einfuhr in eine gewisse Abhängigkeit von dem deutschen Ausfuhrüberschuß nach Japan gebracht ist, und ähnliche Abreden. Es läßt sich zur Zeit noch nicht übersehen, wie weit auf diesen Wegen der Gesamtbedarf immer gedeckt werden kann. Aber auch, auf diesem Gebiet dürften sich etwaige Fehlbeträge auf mehr dorr minder vorübergehende Spitzenausfälle beschränken laffen.
Ke.
Zustimmung des Nuttonalrates
zur Franken-Abwertung.
(Drahtmeldvng unseres Korrespondenten.)
P Bern, 30. September. Der Nationalrat hat in seiner Nachtsitzung den Kommissionsantrag, der von dem Abwettungsbe chlutz des Bundesrates in zustimmendem Sinne Kenntnis nimmt, mit 99 gegen 60 Stimmen angenommen. Die Minderheit, die hauptsächlich aus Sozialdemokraten und Einzelgängern aus verschiedenen Fraktionen bestand, war dafür eingetreten, den Beschluß lediglich zur Kenntnis zu nehmen, ohne ihm ausdrücklich zuzustimmen.
Im Rahmen seiner Verordnung zur Verhütung von ungerechtfertigten Preiserhöhungen hat das Volkswirtschaftsdepartement zunächst eine Bestandsaufnahme für eine Reihe von wichtigen Konsumartikeln ausländischer Herkunft angeordnet. Hierzu gehören Kohle, Benzin, Gasöle, Mehl, Futtermittel und Haferprodukte.
Unsicherheit für die polnischen Franr-Kredite.
Währungsbesprechungen bei Rydz-Smigly.
O Warschau, 30. September. Die Vertreter des polnischen Finanzministeriums, die dieser Tage nach Paris reisen sollten, um dort wegen des zweiten Abschnittes der Eisenbahnänleihe Katto- wih—Gdingen zu verhandeln, haben ihre Reise a u f g e s ch o b e n. Gleichzeitig wurden die Besprechungen über die Durchführung des polnisch-französischen Kreditübereinkommens vorläufig vertagt, weil man erst die Klärung der französischen Valutafrage abwarten will. Wie verlautet, ist es noch nicht entschieden, ob die vom Generalinspekteur Rydz-Smigly in Paris vereinbarten Rüstungskredite nunmehr in Nominalhöhe ausgezahlt werden sollen, oder ob Polen mit einer Revalorisierung der festgesetzten Franc-Summ« rechnen tanh.
Im Zusammenhang mit 'ben Valutavorgängen in Westeuropa fand gestern eine Konferenz der wirtsehaftlich interessierten Regierungsmitglieder statt, an welcher der Präsident der Bank Polski teilnahm. Große Beachtung hat dabei der Umstand gefunden, daß diese Beratung nicht wie bisher üblich im Schloß des Staatspräsidenten, sondern beim Generalinspekteur Rydz- Smigly stattfand.
Der belgische H a n d e 1 s m i n i st e r, der sich einige Tage in Warschau aufhielt, ist heute über Gdingen abgereist. In einer
Presseunterredung sprach er sich optimistisch über btn Erfolg der Franc-Abwertung aus und erklärte, angesichts <i>er günstigen Ergebnisse, die das belgische Kapital in Polen erziel«, sei die Jn- vestittansbewegung des belgischen Kapitals in Polen nicht als abgeschlossen zu betrachten.
Hollands Parlament fast geschlossen hinter der Regierung.
I- Amsterdam, 30. September. Beide Kammern haben die Gesetzentwürfe über das Goldausfuhrverbot, die Einrichtung eines Währungsausgleichsfonds und die Bekämpfung ungerechtfertigter Preiserhöhungen nahezu einstimmig angenommen.
Finanzminister O u d erklärte, daß ein Abwertungs- gewinn aus dem Goldvorrat der Notenbank erst dann erzielt werden könne, wenn eine niedrigere Parität des Guldens festgesetzt worden sei. Es sei billig, daß ein Reingewinn, der sich nach Abzug des am Pfund erlittenen Verlustes etwa ergäbe, i n b i e Staatskasse stieße. Ob eine Anpassung der Löhne und Pensionen erforderlich sein werde, sei vorläufig nicht mit Sicherheit zu sagen.
Ankunft des Botschafters Knlltt in Paris.
iH Paris, 30. September. Der neue Botschafter der Vereinigten Staaten, William Bull it, ist heute vormittag von New Jork kommend in Paris eingetroffen.
„Abwertung ohne
Die Aussprache im
(Drahtmeldungen unse
Sbg Paris, 30. September. Der Senat hat heute vormittag mit der Beratung des von der Kammer verabschiedeten Abwertungsgesetzes begonnen. Das Haus hat zu erkennen gegeben, daß es nicht die Absicht habe, sich der vollendeten Tatsache der Abwertung durch Ablehnung des Gesetzes zu widersetzen, daß es sich aber der vom Senator Cailleaux ausgegebenen Parole „Abwertung ohne . Drum und Dran" anschließe.
In diesem Sinne sprach auch der Senator Gardey, der in seiner Eigenschaft als Berichterstatter des Finanzausschusses als erster das Wort ergriff und die großen Bedenken des Senat» in einer ungewöhnlich scharfen von Cailleaux durch häufige Zwischenrufe unterstrichenen Form zum Ausdruck brachte. Gardey erhob insbesondere gegen die internationale Tragweite der Währungsverabredung zwischen den drei Mächten zahlreiche Einwände, da diese Verabredung keine tatsächliche Ausrichtung der Währungen bedeut«. Die beiden angelsächsischen Länder hätten sich weder zur Einhaltung eines bestimmten Kurses noch zum Abbau von Handelshemmnissen verpflichtet. Die Regierung, so führte er weiter aus, habe durch ihr Wirtschaftsexperiment die Abwertung unvermeidbar gemacht. Es müsse sich nun zeigen, ob die Art der Durchführung dieser Maßnahme geeignet sei, eine stabile Währung, die Gesundung der Staatsfinanzen und die Belebung der Wirtschaft herbeizuführen. In Belgien und England habe man zu diesem Zweck eine energische Zusammenprefsung der Staatsausgaben vorgenommen. In der Abwertungsvorlage der Regierung seien aber im Gegenteil zahlreiche Ausgabenerhöhungen in Aussicht genommen. Die Entwertung müsse zum Zweck haben, die Gewinnmarge dank der Erhöhung der Großhandelspreise zu vergrößern. Das Anziehen der Einzelhandelspreise dürfe nur mit großem Abstand folgen. Die Regierungsvorlage enthalte indessen keine Maßnahme, die wirklich geeignet sei, das schnelle Anziehen der Einzelhandelspreise zu verhindern. Infolgedessen habe der Senat zahlreiche Bedenken, und zwar weniger gegen die nackte Abwertungsbestimmung als gegen die sogenannten sozialen Maßnahmen, welche die Regierung ihr beigegeben hätte. Wenn diese sogenannten sozialen Maßnahmen durchgeführt würden, so würden sie zweifellos einen großen Teil der Wirkung der Abwertung wieder zunichte machen. „Wir geben ebensowenig wie die Regierung zu, daß die Abwertung schon jetzt notwendigerweise eine Hausse der Detailpreise nach sich ziehen muß. Auf jeden Fall, wenn diese Hausse kommen sollte, so dürfen die Anpassungen, die durch sie notwendig werden, erst dann vorgenommen werden, wenn die Hausse Zeit gefunden hat, sich zu stabilisieren. Es ist kein Wirtschaftsleben
Drum mtd Drau."
französischen Senat.
res Korrespondenten.)
möglich, solange die Unsicherheit in bezug auf die wichtigsten Elemente der Wirtschaft des Landes andauert."
Drei Haupteinwände ließen sich also gegen die Regierungspolitik erheben, nämlich erstens das Fehlen von Sparmaßnahmen, zweitens die nach wie vor bestehende soziale Unruhe im Lande, drittens die immer noch nicht preisgegebene Politik der Regierungsvorschüsse bei der Notenbank. Auf der anderen Seite spitze sich die Jnflationsdrohung zu. Die Möglichkeit der Kapitalflucht werde durch das Gesetz nicht endgültig beseitigt. Ein« Schwächung des neugeschasfenen Ausgleichssonds sei daher abzu- sehen, kurz die Bedrohung des Goldbestandes der Notenbank sei nicht aus der Welt geschasst. Der Berichterstatter des Finanzausschusses schloß seine Rede mit der Erklärung, daß der Senat keine Abwertung wünsche, die nichts weiter sein werde als die Einleitung zu weiteren Abwertungsmaßnahmen in späterer Zukunft.
Hemmungen gegen Iollabbau
nach der Franc-Abwertung.
Sbg Paris, 30. September. Verschiedene Nachrichten aus Genf lassen vermuten, daß der englisch-französische Plan, eine internationale Entschließung zuGunsten der Abschaf- f itn g '6 e.r Kontingente und Devise nrestriktionen zustande zu bringen, wieder fallen gelassen worden ist. Man darf annehmen, daß die Engländer die Forderung erhoben haben, Frankreich möge sich erst einmal verpflichten, im Anschluß an die Franc-Abwertung eine Reihe von Kontingenten zu beseitigen und gewisse Zölle zu senken, und zwar insbesondere diejenigen Maßnahmen zu revidieren, die von Frankreich im Anschluß an die letzte Abwertung des englischen Pfundes vorgenommen worden sind. Infolge der Weigerung Frankreichs, eine solche Verpflichtung jetzt schon zu übernehmen, scheinen dann die englisch-französischen Besprechungen über diesen Gegenstand vorläufig abgebrochen worden zu sein.
Dorgires dampft für, Gemnfe-Aufwertnng".
Eintägiger Liefcrstrcik gegen Paris.
Shg Paris, 30. September. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat gegen den bekannten Bauernsührer D o r g v r e s ein Verfahren wegen gewaltsamer Störung der Marktordnung, wegen Aufreizung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt und wegen Versuchs der Störung der Lebensmittelversorgung eingeleitet.
Dorgöres ist der Vorsitzende einer landwirtschaftlichen Kampforganisation, die in den letzten Jahren mit wechselndem Erfolg die französischen Großbauern zu organisieren und für den
Aas Aaradoron.
Wir entnehmen die nachstehende Betrachtung über das Parad.'xon einem neuen Buch von Friedrich Georg Jünger „Uebei das Komische", das in diesen Tagen im Widerstands-Verlag erscheint.
Das Paradoxon verblüfft durch di« unvorhergesehen« Wendung zum Entgegenges«tzten. Es deckt feine Antinomie auf, «s ist Opposition als Form, wo di« Lust am Widerspruche sich in der Replik geltend macht. Daher erstaunt es zwar, zugleich merkt man ihm aber den Mangel an Ernst und Gründlichkeit an. Es kann daher in einer Untersuchung des Komischen nicht unerörtert bleiben.
Die Dinge kehren uns immer eine Seit« zu, und wiewohl sie rund wi« Kugeln sind, gewöhnt das Auge sich daran, sie in dieser Seitenlage zu betrachten. Offenbar würde sich alles sehr anders für uns ausnehmen, wenn wir vieräugig wären und über ein zweites Augenpaar im Hinterkopfe verfügten. Der paradoxe Beobachter zeigt uns nicht, daß die Dinge rund sind, er zeigt uns eine andere Seite. Hierzu bedarf es keiner bedeutenden Kraft, sondern nur einer Wendung. Dies« allerdings hat für einen oberflächlichen Geist etwas Verwirrendes und Erschreckendes, denn seine gewohnte Beziehung zur Sach« wird aufgehoben, und er erliegt dem Eindruck, auf den Kopf gestellt zu werden. Es ist eine Waffe, mit der sich im Gespräch manches ausrichten läßt und mit der man auch «inen dialektisch geschulten Gegner in Verwirrung setzen kann. Wo «s massenhaft auftritt, dort ist «s Anzeichen einer geschichtlichen Krisis und Wendung. Der Geist, der seiner selbst überdrüssig geworden ist und Ekel vor der alltäglichen Plattheit der Meinungen spütt, bedient sich des Paradoxon, um zu erschrecken. Es ist mit der Ironie nahe verwandt und gleicht ihr auch darin, daß die Ucberlegenheit der ^paradoxen Replik sich in einer untergehenden politischen Situation geltend macht. So hat die untergehende Aristokratie sich des Paradoxon gegen das heraufkommend« Bürgertum hedient. Ter Dandy ist der Aristokrat, der für den Untergang der Aristokratie Rache nimmt, indem er durch das Paradoxon die Inferiorität des Bürgertums aufdeckt. Auch ist es nicht zufällig, daß gerade das Paradoxon einem solchen Zwecke dient, denn es hat eine Beziehung zur Form und wird immer dort auftreten, wo eine hohe, sinkende Form einer formlosen Macht verteidigend gegenübertritt.
Die besten Aufschlüsse über das Paradoxon wird man in den Schriften Nietzsches finden, der sich seiner als Meister bedient und die Kunst, den Leser zu erschrecken und zu erschüttern, auf den Gipfel bringt, denn es bedarf standhafter Geister, um das Komische in seiner schneidendsten, ätzendsten Form, die ganz auf Vernichtung ausgeht, genießen jU können. Die paradoxe Replik erscheint hier mit stets wachsender Kraft; sie entfaltet sich um so drohender, je mehr der
Prozeß der rücksichtslosen Selbstvernichtung fortschreitet, so daß sie im „Ecce homo", wo sie an die Salven eines untergehenden Kriegsschiffes erinnert, das Aeußerste leistet. Die eigentümliche Kraft der paradoxen Replik wird hier noch dadurch gesteigert, daß sie in einem Zusammenhang auftaucht, der von aller Komik weit abliegt, wodurch das einzelne Paradoxon aus der Realität des Ganzen in der gleichen Weis« Kraft zieht wie die Komik d«s Cervantes aus den «rnsthaften Teilen seines Romans.
In Detmold.
Von der Grabbe-Woche 193 6.
Detmold, Ende September.
Auf dem alten Friedhof steht der Grabstein: „Hier ruht in Frieden der Dichter Christian Dietrich Grabbe". Das eine Wott, das Wesen, Beruf und Leistung dessen kennzeichnet, der nach so viel Unfrieden, den es auf Erden, in Detmold, Leipzig, Berlin und anderswo zu ertragen und — zu stiften galt, hier unter den Eschen, unter Efeu und Immergrün die Ruhe des Leibes fand, — das eine Wort ist am kräftigsten Und mit besonders großer Antigua in den Stein gehauen. Darunter ist zu lesen: .Dieses widmet deine Mutter birr“! — .Die Mutter Dorothea Grabbe aber ruht in Frieden neben ihrem Sohn". So steht es auf dem anderen Grabstein. Riesige Kränze, aus Lorbeer und Eichengrün gewunden, behängt mit breiten roten Schärpen, daran das Gold blinkt, wurden auf diese Stätte gelegt: das Deutsche Schrifttum, der Reichsdramaturg, die Stadt Düsseldorf (,.dem Förderer der Jmmermann-Bühne"), die Juristen (dem Auditeur Grabbe), der Stadt Lippe, die Stadt („ihrem großen Sohn"), aber auch das Leopoldinum, jenes Detmolder Gymnasium, das Grabbe zu absolvieren hatte, haben sich durch solche Ehrung des vor hundett Jahren Gestorbenen selbst geehrt. Das Grab des Vaters aber, des Zuchtmeisters, Rendanten der Leihkasse und ehemaligen preußischen Fußboten Adolph Henrich Grabbe, war nur mit einem schmächtigen, verwelkten Blumenkranz bedacht. Es liegt abseits, man sand es kaum. Ihm in Pietät die Reverenz zu erweisen, die er sich um seinen Sohn verdiente, erscheint angebracht. Man lese seine beachtenswert sauber, zierlich, verschnörkelt und mit diskretem Schwung geschriebenen Briese, so weiß man, daß dieser Vater verdient, immer zugleich mit dem Sohn genannt zu werden.
Was für den Jungen gespart werden konnte, es wurde von ihm und Frau Dorothea, der früheren Magd, zurückgelegt, auch wenn es nur durch Entbehrungen möglich war, die die Anspruchslosen sich noch obendrein auferlegten. Keine Freude kann aufrichtiger, sein als die, die sich in ihrer beiden Aussicht auf die Rückkehr des Genialischen, auf ein Wiedersehen mit dem Rätselhaften, Ungebärdigen, dem herzlich geliebten und herzlich liebenden Sohn kundtut. „Wenn Du advocatisirest, so will ich Dein Abschreiber werden.. .* schrieb der Vater. Das aber war das Wiedersehen (@rabbe selbst
beschrieb es, man kann es in diesen Tagen in der Sammlung von Dr. Alfred Bergmann-Weimar, deren bester Teil im Detmolder Theater ausgestellt ist und die in ihrer Gesamtheit zu erwerben der Staat Lippe unter Umständen sich bereit findet, nachlesen): „So schlich ich mich nachts um 11 Uhr in das verwünschte Detmold ein, weckte meine Eltern aus dem Schlafe und ward von ihnen, denen ich ihr ganzes kleines Vermögen weggesogen, die ich so oft mit leeren Hoffnungen getäuscht, die meinetwegen von der halben Stadt verspottet werden, mit Freudentränen empfangen. Ja, ich mußte mich noch mit der plumpsten Grobheit roaffnen, weil ich sonst in das heftigste Weinen ausgebrochen wäre ..." So hatten ihn die Eltern zu ertragen, in seiner „plumpsten Grobheit". Sie blieben ihm treu darüber. Ter Vater starb 1832, die Mutter erst 1840.
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In diesen Tagen findet 'der Name 'des Dichters hier in der Residenz, die immer noch in manchem Residenz geblieben ist, ein unablässig, erinnerndes Echo. Auf den Wegen, di« durch Schloßpark uni) niedersächsisch dörflich-kleinstädtische Gassen zu den Häusern führen, die Stationen jener Detmolder Leidenszeiten waren, aber auch zugleich Stätten der orgiastischen Zügellosigkeit: das Geburtshaus, Ueberbleibfel des einstigen großen Gefängnisses, mit der Tür, in der man heute noch die vom kleinen Christian eingeschnittenen Initialen seines berühmten Namens erkennen will; das Sterbehaus, ein bescheidener hochgiebeliger Fachwerkbau, Bauernhaus fast, aus jener Zeit, da Detmold, wie die alten Bilder zeigen, wi« ein im Wald der Hermannsschlacht bei seinem Schloß gelegenes Dorf anzusehen war, heut« ist darin eine Bäckerei. Am stärksten aber hallt es „Grabbe!" wider in dem kleinen Saal, wo in Vitrinen und unter Glas so viele Dokumente des Lebens ausgestellt sind, dessen sprengende Kurve nicht von der wilden Fahrt zu trennen ist, in die — Schiffen gleich — so viele schöpferische Fragmente des Grabbe auf das Meer des Ungewissen und des Kühnen hinaus gesandt wurden.
„Die Abschrift des ersten Stückes sst zu inkorrekt, die Parodie noch nicht geglückt, daß das Löschblatt fehlt, wird sehr getadelt!" So prangt die rote Tinte, sauber, unbewegt zum Tadel ausgezogen, unter dem Aufsatz des Gymnasiasten. Ost hat sein Löschblatt gefehlt, und bis zu diesem Tag wird rote Tinte für den Grabbe benutzt! Doch gibt es eine breite Korrespondenz zu sehen über die Dermählungsanzeigen; denn, so wird es der Druckerei mitgeteilt, die Karten sollen „äußerst elegant* versandt werden. Und er schwor bei seinem fluchtartigen Abschied aus der Detmolder Advokatur, „wegen weniger Thaler einen Eid." Er „that es wegen des Rechtes, bei welchem der Pfennig mit Millionen Louisd'ors gleich feyn muß". Der Fünfzehnjährige schrieb die sauberen korrekten Billetts an die Buchhandlung („gehorsamster Grabbe"), wie denn der Dreißigjährig« ganz vollendet nach den Regeln der höfischen Konvention dem „Durchlauchtigsten" und „gnädigsten" Fürsten, ersterbend „tiefst in Devotion und Dankbarkeit* für die bewilligte Uniform dankt. Tie Handschriften des „Gothland" und
des Essays „lieber die Shakespeare-Manie" (erst sollte es heißen: „Die Bewunderung des Shakespeare") sind zur Stelle und so vieles, was in die turbulente Mitte der literarischen Existenz des Grabbe fühtt, was an Jmrnermann, Tieck, Burgmüller und an den fünften Lortzing erinnert, an die Biographen, den leichthin abwertenden Duller, an Ziegler und die anderen. Der Römerberg von Frankfurt, der Markt von Leipzig, die Felsen der Sächsischen Schweiz und die Externsteine von Horn, die lippischen Schlösser und das Düsseldorfer Rheinufer — was am Wege lag, damals, bis vor 100 Jahren — es wird in kolorierten Stichen gegenwärtig.
Auch iba8 Bild des Schädels, der mächtigen, der großartigen, schweren Stirn, die mit dem Kosmos der Gedanken dem schmalen Körper eine immer unerträglichere Last war. Die kürzlich erst entstanden« Plakett« von Hanebal scheint, fern der Prüderie, die sich selbst im Angesicht eines Grabbe noch geltend machte (man spürt dergleichen den zeitgenössischen Bildern an), und beschattet von Ehrfurcht, das Gesicht des Dichters am sichersten zu zeigen: schwer, ganz in sich gekehrt, voll der inneren Welten und des Leidens, liegt der schwer« Kopf vornüber, so daß vom unansehnlichen, ja winzigen Kinn nichts als eine Spitze von dünnen Falten bleibt. Wenn dieser schreibt, lautet es wohl nicht anders als: „Nahe dem Untergang blicke ich noch einmal auf der Erde umher und sehe keinen, keinen als Sie, zu dem ich mich wenden möchte; ich flehe um nichts, als diesen Brief zu lesen."
Wenn dieser aber, auffahrend aus Gesichten und aus der Qual nie ganz bezwungener dichterischer Gewalt, die Bürger und die, die ihn störten, anschrie, geschah es wohl wieder „ohne Löschblatt"; Detmolder Kaufleute wenigstens berichteten, in Leipzig zur Messe weilend, Greuliches von ihrem Mitbürger; einem soll er gewünscht haben: „Ich wollte, der Kerl müßte an einem kolossalen Rasiermesser in die Höhe klettern!" Man erfährt dergleichen aus den vergilbten Bänden der „Journale". Auch die letzte bei Lebzeiten gedruckte journalistisch« Arbeit Grabbes ist hier unter dem indirekten Licht der Scheinwerfer zu finden: eine Warnung vor der Teilnahme an „Kon- Bentiteln", die sich nun auch in Detmold aufgetan hätten. Es ist nicht gerade das Selbstverständliche, den sich schon Verzehrenden, fast Sterbenden, dem die „Hermannsschlacht" sich ungeheuerlich vollendete, bei der Niederschrift von Worten zu finden, in denen von den Predigten die Rede ist, die Christus am See und auf dem Berg, also nicht, wie man es in den Konventikeln zu treiben beliebt, in aller Heimlichkeit gehalten hat: „... und die herrlichsten, wahrsten Worte tönten von ihm wieder durch die Welt". Ja, es bleibt das „Rätsel", das diese menschliche Erscheinung Grabbe ist, unangetastet! Es ist so vieles über ihn zu sagen; alles scheint sich schließlich zu widersprechen und zu runden. Nicht einmal kann man dem Heinrich Laube den Nachruf verdenken, in dem er den Dichter aus Detmold als „mahnenden Beweis" dafür nimmt, daß „selbst Außerordentliches der Begabung nichts Vollendetes zu schaffen* vermöge, nicht „das schöne Leben zu gewinnen* ohne „eine gegliederte allgemeine Cultur". Den Schwaben freilich, für die 1838 in einem Journal Dr. Stahr sich über Grabbe äußerte.