Dienstag, HHannar 1935

eo Pf«.

78. Jahrgang

Zweimalige Ausgabe

Ueujahrs-Ausgabe

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Crlekmlse und Tendenzen

RK Berlin, Ende Dezember.

Als der greise Reichspräsident im Sommer dieses Jahres seine Augen schloß, fühlten wir alle, daß die erregte Welt durch diese Berührung mit den Ratschlüssen des Schicksals eine neue Möglichkeit zur^Selbstbesinnung bekommen hatte. Das Leben des Feldmarschalls war ein Bekenntnis zu Deutschland, gleichviel in welcher Gestalt es ihm entgegentrat, sein Tod aber war ein Mahnruf zur Versöhnung. Beides trat so deutlich ins Bewußtsein, daß die Wirkungen weit über die deutschen Grenzen hinaus gingen. Wollen wir von einem. Wendepunkt sprechen: hier war er.

Stürme und Bedrängnis.

Bedenken wir die Bewegtheit der Geschichte des ersten Halb­jahres von 19341 Aus Frankreich schallte uns das endgültige .Nein" zu den Vermittlungsvorschlägen entgegen, die zur Rege­lung der Rüstungsfragen zwischen Deutschland, England und Italien ausgearbeitet worden waren. Europa mußte sich ge­fallen lassen, daß die Frage .Krieg oder Friede?" in allem Ernst besprochen wurde, während alle Welt wußte, daß ein Krieg nur einen Ueberfall auf das wehrlose Deutsche Reich hätte bedeuten können. Wer aber nicht von Krieg sprach, der hoffte auf andere Weise die neue Ordnung in Deutschland zerstören zu können. Boykott und bittere Feindseligkeit wirkten zusammen, sie sollten uns den Atem nehmen. Frank­reich versäumte nicht, das bolschewistische Rußland in die Zahl seiner Bundesgenossen aufzunehmen.

Während nun alle unsere Sinne hätten angespannt sein muffen, um diesen Nöten und Gefährdungen zu begegnen, zeigte sich, daß ein Komplott von Deutschen gegen Deutsch« die Last, die auf Deutschland lag, noch verdoppelte. Unerwartet erfuhr die Oeffentlichkeit auf eine überaus peinvolle Weise von einem Komplott, das sich aus den Reihen seiner eigenen Partei­genossen gegen Adolf Hitler und seine Politik richtete. Es ge­nügt, zusammenzufassen: die Spannungen innerhalb der NSDAP kamen am 30. Juni zu einem erschütternden Aus­druck. Die Frag«, wer der Waffenträger des Reiches sein und wer es führen soll, wurde dabei klar beantwortet. Auch die Be­gleiterscheinungen sind deutlich in Erinnerung. Noch durchzitterte Deutschland diese Nervenprobe, als in Wien ein Putsch versucht wurde, der beklagenswerte Folgen hatte. Die internationale Lage war ernst. Deutschland schien allein zu stehen. Nicht allzu lange nach der Begegnung in Venedig scheute sich Mussolini nicht, an der Grenze eines Deut­schen Landes Divisionen aufmarschieren zu lassen. Die Siede­hitze war erreicht. In Frankreich kam die Theorie auf, das Saargebiet sei ein französisches Psand. Die .Times" schrieb Artikel von beispielloser Schärfe, drückte aber dabei leider die Meinung zahlreicher Engländer aus.

Das Ringen eines Volkes.

Inzwischen war bie Regierung und mit ihr die überwälti­gende Mehvheit des Volkes bemüht, unsere schwachen deut­schen Kräfte auf allen Gebieten durch rastlose Arbeit zu ft ä r» len. Tie Geschichte deS wirtschaftlichen Ringens dieses Jah­res wird an anderer Stelle unserer Zeitung erzählt. Mächtig waren die Anstrengungen, imponierens und kühn die Mittel, und sie blieben nicht ohne Erfolg. Manches, was Deutsch­land unternahm und was anfänglich kritisiert wurde, ist in­zwischen von anderen Ländern nachgeahmt worden. Wir stehen in einem heroischen Kampf des deutschen Volkes, im Kamstt an zahlreichen Fronten: wirtschaftlich nicht anders als außen­politisch, geistig nicht anders als materiell. Im Höhepunkt der Krise des vergangenen Jahres rief Adolf Hitler das Volk zu einer neuen Bekundung seiner Treue auf. Ein Volksent­scheid bewies die Entschlossenheit, der gemeinsamen Sache, die Deutschland heißt, bis zum Letzten zu dienen. Das Ergebnis des 19. August übertönte jenes Geraune, das im Frühjahr zu einer Aktion gegen dieMiesmacher und Kritikaster" ge­führt hatte, der Volksentscheid setzte sich aber auch über all die Sorgen und Beklemmungen hinweg, die auf uns lasten und die auch keinem andern Volk erspart geblieben wären, das eine solche Fülle aufreibender Erlebniffe zu überftehen hätte wie das deutsche.

Das beispiellose Maß nationaler Disziplin wir dürfen sagen: einer zum allergrößten Teil vom Volk freiwillig geleisteten Disziplin und der Entschluß, trotz manchem Zweifel und manchem sorgenvollen Einwand zusammenzustehen und zusammenzuhalten, hat sich bewährt. Das Ergebnis der vier letzten Monate der Jahres liefert den eindrucksvollen Beweis.

Eine neue Lage.

Auf die Krisen des Sommers ist eine ruhiger« Entwicklung gefolgt, deren erfreulichster Ausdruck die deutsch-französische Einigung über die Maßnahmen zur Erleichterung der Rück- gliederung des Saargebiets ist. Zugleich haben die parla- meuterischen Aussprachen in London und Paris ergeben, daß zwar die Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Defensiv­kraft mit äußerster Sorgfalt beobachtet werden und daß alle Beteiligten eine ganz bestimmte Vorstellung über die Grenzen des für sie Erträglichen haben, daß, aber die deutsche Haltung zu viel Berechtigung hat, als daß ihr kategorisch widersprochen werden könnte. Die englische Meinung drängt zu neuen Verhandlungen über eine Konvention. Dies«? Pro­blem dürfte im kommenden Jahr sehr rasch aufs neue an die großen Mächte Europas herantreten. Die Entwicklung in der vertragslosen Zeit" mag in gewisser Beziehung seine Lösung er­leichtert haben, denn die entscheidende Schwierigkeit kam bei allen mit Versailles zusammenhängenden Fragen bisher immer daher, daß die Machtverhältnisse allzusehr verschieden waren. Die Uebermacht der anderen Seite ist auch heut« offensichtlich genug, aber die gesamte Entwicklung des Jahres 1934 hat, wie an dieser Stelle mehrfach im Laufe des Jahre« nachgewiesen werden konnte, eine Verschiebung der Gewichte zur Folge gehabt: sie hat einen Fortschritt in der Richtung auf die Ausbalancierung der natürlichen Kräfte, und Gewichte in Europa gebrockt. Der Weg war äußerst schwierig und nickt ungefährlich, aber er ist mit Erfolg beschritten worden. ES dient nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa, wenn die Gewichtsverteilung verbessert wird, denn sie wird einen wahren Frieden sichern helfen. Auch, die Engländer werden das begreifen lernen, so wie sie es früher einmal begriffen haben.

Richtlinien und Gesetze.

Wenn auch wiederholt erllärt wurde, daß die Revolution beendet sei, so war damit keineswegs der revolutionäre Geist erschöpft, der die nationalsozialistisch« Bewegung kennzeichnet. Geblieben ist nicht nur der politische, Sturm und Drang, sondern mit ihm zugleich jenes Ueberschäumen, das die Füh­rung in zahlreichen (oft wiederholten) Anordnungen und Mah­nungen einzudämmen und nach der richtigen Richtung zu lenken bemüht blieb. Adolf Hitler selbst hat im Anschluß an bie Röhm-Revolte in verschiedener Beziehung strikte Befehle erteilt, die sowohl die moralischen i nforderungen. wie den Auf- gäbenkreis der Parteiorganisation klar umschrieb. Im Mittel-

tm Jahre 1934.

punkt standen Feststellungen wie diese: der alleinige Waffen- t r ä g e r des Staates ist und bleibt die R e i ch s w e b r, deren oberster Befestshaber der Führer und Reichskanzler selbst ge­worden ist, oder jene andere These, die erneut das Ver­hältnis zwischen Partei und Staat festgelegt hat. Beim Nürnberger Parteitag, an dem zum ersten Male die Reichswehr teilnahm und der auch ein Ehrentag des prächtig gediehenen Freiwilligen Arbeitsdienstes wurde, hat Adolf Hitler das Parteiprogramm als Richtungspunkt bekräftigt. Zugleich batet deutlich.gemacht, daß und warum taktische Rück­sichten die Art und das Tempo der staatlichen Maßnahmen zu bestimmen haben.

Unter der großen Zahl der neuen Gesetze (eine offiziöse Sammlung ist bereits beim neunten Band angelangt) lammt die größte Bebeutung den Bestimmungen zu, die den Ueber- gang der Souveränität der Länder auf das Reich ausfprachen und jenen anirren, welche die Beziehungen zwischen Kapital und Atbeit und vor allem die Kompetenz der Deutschen Ar­beitsfront und ihrer Unterabteilungen festlegten. Durch das eine wurde dar Endziel der grundlegenden Reichsreform ent­scheidend vorbaeitet, während die Sozialordnung das Kern­stück des natimalen Sozialismus betraf, im positiven wie im negatioabgrenzenden Sinne. Die Festlegung des prak­tischen Jnhaltl des neu interpretierten BegriffesSozialis­mus" ist und bleibt ein Zentralpunkt der Staatskunst auch im Dritten Reich«: Das versteht sich leicht in einer Welt, bip im ganzen besesen bisher nur die Wahl zwischen dem Hoch­kapitalismus imb dem reinen Marxismus, gleichviel welcher Spielart, zu haben schien, während alles bisherige Konstruieren und Schwanken zwischen diesen beiden Extremen im alten Staat wie bei unseren Nachbarn, den Erwartungen der Neuzeit nicht Eenüge tat.'

Partei und Staat.

Während ditseS soziale Problem und darum die Ein­stellung besondeS der Arbeiterschaft gegenüber dem Staat auf lange Sicht das praktisch wichtigste Problem auch im Dritten Reich sän wird, ist im heutigen (frühen) Stadium der innerpolitischen EntwiÄung das Thema: Partei und Staat das aktuellste von allen, und zwar gerade, weil hier der Gradmesser gegeben ist, an dem wir ablesen können, wie­weit die Ueberliitung aus dem revolutionären in das evo­lutionäre Stadivn tatsächlich schon gelungen ist. Das Jahr 1934 hat wesenäiche Fortschritte gebracht, aber es wird vom kommenden Jahr übettroffen werden müssen, wenn das laut verkündete Ziel erreicht werden soll, daß keine von der Politik oder der Partei her orientierte Stelle Befugnisse in Anspruch nimmt, die nus kraft der Autorität des Staates ansgcübt werden dürfen. Dian müßte die lange Liste deH energischen Anordnungen wiedergeben, die in diesem Sinnr von hohen und höchsten Parteistellen während der letzten zwölf Monate erlassen wurden, um die Vielgestaltigkeit dieses Problems und zugleich seine Schwierigkeiten aufzuzeigen. Die Schwierigkeiten erwiesen sich bisher in den verschiedenen Be­zirken als verschicken groß. Die Problematik hängt zu einem Teil damit zusammen, daß die Partei dazu da ist, dem Leben im Staate immer neue Impulse im Sinne des Nationalsozia­lismus zu geben, und daß ihr eine erzieherische Aufgabe zu- geteilt ist, welche natürlich Anforderungen an die Persönlich­keit stellt, die nickt immer erfüllt werden. Adolf Hitler hat in seiner großen Rede nach dem 30. Juni ausdrücklich erklärt, er sei nun einmal auf diejenigen Kräfte angewiesen gewesen, die sich ihm seineqeit zur Verfügung gestellt haben, mit ihren Vorzügen wie mit ihren Nachteilen.

Zuweilen handelt es sich also wohl in erster Linie nur um Personenfragen, in anderen Fällen werden auch prinzipielle Entscheidungen in den Vordergrund treten, beispielsweise im Bereich des Themas: Politik und Recht. Dieses Thema hat uns verschiedentlich im vergangenen Jahr beschäf­tigt, es steht weiterhin mit Dringlichkeit vor uns. Praktisch gesprochen bedeutet ez dies: zu dem Gefühl der Sicherheit im Staate gehört nicht nur die uns verbürgte Gewißheit, daß Justiz und Verwaltung getreulich die Gesetze einhalten, son­dern es muß hinznkommen, daß nicht durch die Macht der Politik und durch bic Aktion politischer Kräfte Funktionen erfüllt werden, die normalerweise zum Pflichtkreis des Staa­tes gehören unb Jiatnit an die gesetzlich geregelte Prozedur gebunden sind.Seine Gesetze", sagte Lykurg,muß ein Volk verteidigen wie seine Stadtmauern".

Dieser Staat, S« mit seiner Vitalität und Tatkraft steht und fällt, wird sich schwerlich eine Zwangsjacke von starren Paragraphen und Firmeln anlegen wollen, aber je flarer die K ompe te nze n sich, die er verteilt, und. je fester die Nor­men, die ibie Regierenden ebenso verpflichten wie die Regier­ten, desto größer wich das Verständnis und das Vertrauen des Volkes sein, bauten Staat trägt und ihm seinen In­halt gibt.

Wertet und Jugend.

Unter dem Gesichtspunkt der Verteilung der Kompetenzen war ein im Sommer dieses Jahres verkündeter Beschluß >6er Führung von sehr hoher und grundsätzlicher Bedeutung: die Schaffung des Staats jugendtages. Praktisch bedeutete er ibie Einflußteilung putschen Staat (Schule), Partei (HI) und Kirche. Die Verhältnisse erlaubten bisher nur die Durch­führung dieser $eftimnttmg im Gebiet des Jungvolks, während eine Regelung für die HI, die zum weitaus größten Teil aus Lehrlingen besteht, die in ihren "Geschäften nicht ohne weiteres am Samstag entbehrlich sind, noch zu treffen ist. Dies bleibt also iter Zukunft vorbehalten. Von noch größerer Bedeutung aber ist, daß für das politische Erziehungswerk der Jugend neuerdings bestimmte Richtlinien ansgestellt wurden, die derhinibern sollen, baf; die jungen Menschen nicht durch bewußte Einwirkung in ihrem religiösen Empfinden be­unruhigt oder daß Ut bewußt dem Christentum und den kirchlichen Lehren und Bekenntnissen entfremdet werden. Sicherlich wird es hierbei nicht bei theoretischen Anordnungen verbleiben, denn ein Staat, der sich zumpositiven Christen­tum" bekennt (ohne sich deshalb einer Konfession zu Der- chreiben), würde nicht oeiantroorten können, daß Erzieher, ibie nicht zu diesem Zweitberufen sind, die Seele der Jugend an ihrer empfindsamsten Zieste: in ihrer Beziehung zum Gött­lichen, berühren oder umbflden.

Umkämtzftes Christentum.

Das führt uns zu jene» Fragen, die im vergangenen Jahr mehr als alles andere yjele Millionen unseres Volkes beschäftigt und tief betroffen haben: zum Gesamtgebiet dessen, was man das Geistige ntnnt, und dessen innerster Kern die Beziehung des Menschen zu Religion und Kirche ist. Das Christentum und Bie aus ihm gewonnenen christlichen Bekenntnisse sind nicht erst seit der nationalsozialistischen Revolution in eine Krist.eingetreten, wir sind uns ihrer nur sehr viel deutlicher bewußt geworden, seit einige der Haupt- träger der heftigen Angriffe gegen Christenilrm und Kirche

durch den politischen Umschwung in den Vordergrund ge­treten sind.

Wer die Geschichte der zwei christlichen Jahrtausende über­blickt, wird mehr als einmal Situationen begegnen, in denen die Idee des Christentums und vor allem ihre Verwirklichung im Werk der Kirchen noch erheblich größeren Gefährdungen aus­gesetzt waren als heute. Das mag für die Sachwalter Der christ­lichen Religion ein Trost sein aber ist es wirklich so tröstlich? Noch immer freilich ist die Bibel das Buch, das alljährlich bei weitern die größte Auflage aller Bücher zu verzeichnen hat. Noch immer stehen den Verkündern der Bekenntnisse zwar sehr ernst­hafte Gegner dazu die große Zahl der müden Skeptiker gegenüber, aber keine neuen Schöpfer, niemand, der sich einen neuen Religionsstifter nennen wollte oder könnte. Sicherlich war es auch eine wichtige für manchen vielleicht überraschende Erfahrung des abgelaufenen Jahres, daß die plötzlich sichtbar gewordene oder empfundene Gefährdung des christlichen Erb­gutes eine sehr starke und positive Gegenbewegung in den Ge­meinden selbst hervorgerufen hat. Manch« von Denen, die Daran teilnahmen, mögen bewußt oder unbewußt Nebengedanken von politischer Färbung damit verbunden haben, wenn auch viel­leicht nur deshalb, weil sie hinter dem Nationalsozialismus eine antichristlich« Tendenz vermuteten, während wieder andere Christentum und Nationalsozialismus so verstanden, daß sie einander ausschließen mußten. Hier waren also geistige Pro­bleme von außerordentlicher Tragweite gegeben; sie werden zweifellos auch die kommende Zeit erfüllen.

Zwei Gesichtspunkte und ein dritter.

Aus der kirchenpolitischen Geschichte des Jahres 1934 kann man herauslesen, daß diese geistige Aufgabe künftig dadurch erleichtert werden mag, daß zwei Gesichtspunkt« klargepellt sind: einmal ist die Ucberzeugung Allgemeingut geworden, daß Religion und P o l i t i k endgültig voneinander geschieden bleiben müssen wer der Vermittler zwischen Mensch und Gott sein will, kann nicht zugleich den irdischen Bereich des nationalsozialistischen Staates ordnen wollen, denn er würde von einem Konflikt in den anderen stürzen. Zum Zweiten: man hat erkannt, daß das kirchliche (in diesem Fall das evangelische) Problem nicht lös­bar ist mit politisch - administrativen Mitteln eine Erkenntnis, die freilich für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche von unmittelbarer Bedeutung ist.

Dies alles ist wichtig, aber weit wichtiger noch ist jene pri­märe Frage: Was bedeutet uns Heutigen da? Christentum, was bedeutet uns di« Bibel, was bedeuten uns die kirchlichen Institutionen? Was sie in der Vergangenheit bedeutet ost auch nicht bedeutet haben, ist klar zu über- sehen. Daß ein Bruch in der zwei Jahrtausende allen Konti­nuität der christlichen Grundlagen unserer europäischen Kultur ein Ereignis von unabsehbarer Wichtigkeit wäre, läßt sich mit Gewißheit voraussagen. Die K r i s e andererseits läßt sich nicht leugnen. Somit stellt die Gegenwart an die Sachwalter des Christentums die schicksalsschwere Frage: Was gedenkt Ihr zu tun, was könnt Ihr tun, um das christliche Erbgut und die kirchlichen Institutionen so lebendig zu halten und zu gestalten, wie es nötig ist, wenn sie den Stürmen einer neuen Epoche des europäischen Geschehens gewachsen sein sollen?

Geistige Entwicklung.

Damit ist zugleich die Frage nach der Entwicklung des deutschenGeisteslebens überhaupt gestellt. Auch hier hat der Nationalsozialismus das Gesamtproblem nicht ge-

Die rieujalsksausgave

i Abendblatt/1. Morgenblatt)

Aus dem Inhalt:

N-ittik: Erlebnisse und 1 endenxen Im Jahre 193b Entwicklungen im Fernen Osten

Richard von Kühlmann, H. C. Nebel, Ferdinand Lessing

Alaska

Notizen von einer Reise. Von Reinhard Weer

Eine Handvoll Anekdoten

Handel:

Staatskonlunktnr Weltwirtschaft noch ohne Ausgleich (lahresrüdrblidc IV)

Featüeta«:

Der Zorn des Volkes Bilderbogen aus der Juli-Reoolution, Von Friedrich Sieburg

schaffen, sondern er hat es nur drfi stich gemacht. Und indem er manche alte Hochburg kulturellen Schaffens zuweilen war es vielleicht nur eine vermeintliche Hochburg bestürmte und in Erregung brachte, hat er ihren Insassen mitgeteilt, daß eS kein Gebiet in Deutschland geben kann, das nicht von seinen Verwaltern selbst überprüft werden-muß, ob es den Aufgaben der Zeit gewachsen ist sicherlich bann, wen. man vermeiden will, daß Außenstehende die Durchprüfung nach eigenem Er­messen vornehmen, was nicht immer willkommen wäre, denn ein ungehemmtes Ueberftrömen revolutionärer Wellen auf leicht verletzliche Gebietej'eien es geistige oder wirtschaftliche Ge­biete müßte mehr Schaden als Nutzen stiften. Es ist ein guter Grundsatz, wenn man an die Insassen und Verteidiger der kulturellen Bezirke in persönlicher und sachlicher Beziehung die höchsten Anforderungen stellt, aber es bleibt zu bedenken, daß ein Angreifer nicht schon durch die Tatsache., daß er an- greift, persönlich und sachlich dem Verteidiger überlegen ist.

Jnidcssen: wir sind davon überzeugt, daß auch die geistigen Werte unseres Volkes, die mit diesem Volk durch endlose Generationen in einem wechselvollen Schicksal entstanden und großgeworden sind, von urwüchsiger Kraft und darum einer zeitlichen Erschütterung gewachsen sind, so wie sie ihr in ver­gangenen Epochen stets gewachsen waren. Ihre Kraft (das versuchte unser Weihnachtsartikel darzulegen) kommt aus den nnversieglichen Quellen der deutschen Art und aus ihrer Verbundenheit mit den ewigen Werten, die unS der humanistische Luststrom immer wieder in mächtigen Wellen zuführt. Die neueste dieser Wellen ist in unseren Tagen spür­bar, und es gehört zu feen hoffnungsvollsten Betrachtungen, die wir am Ausgang des zweiten Jahres nationalsozialistischer Arbeit und Entwicklung anstellen können, daß die Nützlichkeit dieses unser Leben bereichernden geistigen Golfftromes auch in der führenden Schicht des Nationalsozialismus Anerken­nung gefunden hat. Könnt« es anders sein? Wer den ganzen Menschen will, wird seine Füße fest auf die Erde setzen müssen, die uns erzeugt hat, aber sein Blick wird immer wieider in den Stunden der Besinnung den Sternen gelten, die unseren Weg begleiten.

Führen alle Mege nach Rom?

Die italiemsch-franMschen Derhandlnngen. Schmierigkeiten der letzten Stunde. Kann ßaoal vor -er Ratstagung reisen?

(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)

Stoff Paris, 31. Dez. Die Derbandlungen zwischen Frankreich und Italien haben sich in den letzten Tagen, ja Stunden derart zugespitzt, daß saft bie gesamte französische Anschauung von der europäischen Lage (mit Ausnahme des Rüstungsproblems) gleich einer umgekehrten Pvramide mit ihrer Spitze auf den letzten Vor­schlägen Lavals zu ruhen scheint. Diesen Vorschlägen hat M u s s o- l i n j am Samstag abend erst Gegenvorschläge gegenüber« gestellt. Tie außenpolitische Haltung dieser beiden Länder hat durch das endlose Hin und Her der Besprechungen und Telephon­gespräche zwischen Rom und Paris eine äußerste, fast schmerzhafte Klarheit gewonnen.

Laval will mit einem einzigen kühnen GrisiOcn europäischen Status quo im Süd osten von Oesterreich und dem Balkan her konsolidieren, während Mussolini entschlossen ist, die Macht­stellung der Kleinen Entente als Hüterin des Status quo nicht an­zuerkennen und denRevisionismus", der sich in Ungarn symboli­siert, nicht endgültig im Stiche zu lassen. Nach endlosen diplomati­schen Mühen, deren Kosten 'hauptsächlich von Frankreich getragen wurden, ist das französischälalienische Gespräch also wieder am Ausgangspunkt angelangt, Laval hat alles aus eine Karte gesetzt, und Mussolini müßte wesentliche Stücke seiner außenpolitischen Grundauffaffung opfern, dieses Opfer würde in Der heute zu entsckeiDenden Annahme der französischen Vorschläge bestehen oder die Verhandlungen müßten vertagt werden, und Laval könnt« vor der Saarabstimmung nicht nach Rom reisen.

In unserem letzten Bericht über diese Angelegenheit haben wir den französischen Vorschlag genau geschildert. Er be­steht aus zwei Teilen, einem Garantieprotokoll für Oesterreich und Dem wesentlichsten Stück, nämlich einem Sicherheitspakt in Süd­osteuropa. Von französischer Seite ist man in bezug aus Die italienischen Möglichkeiten, auf diese Tinge im Handumdrehen einzugehen, doch wohl etwas zu optimistisch gewesen. Von offiziöser Seite hatte man uns bereits das Tatum für Die Abreise Lavals nach Rom, nämlich Den 2. Januar, genannt. Wenn man in Den sranzösiöschen Regieiungskreifen Diesen Optimismus aufrecht erhalten will, so muß der sranzösische Außenminister innerhalb »ierundzwanzig Stunden auf die Reise gehen, das heißt, daß er in diesem kurzen Zeitraum alle Widerstände Italiens gegen die Ein­schaltung der Kleinen Entente in die Garantie der österreichischen Unabhängigkeit und gegen die Kaltstellung desreoifionistischen" Ungarn überwunden haben müßte.

Hat man in Paris die Bedeutung der englischen Ein­wirkung stbevschätzt? Offenbar hat man sich hier doch von der englischen Begünstigung dessen, was wir den neuen französischen Sicherheitsplan genannt haben, sehr viel versprochen. Zu viel? Sir John Simon, der sich an der Riviera befindet, scheint sich für eine schnelle Reise nach Italien bereit zu halten. Man muß aber fragen, ob die englische Diplomatie in diesem Augenblick überhaupt die Möglichkeit hat, Italien zur Preisgabe seiner außen­politischen Grundlinie zu bewegen. k

Die Einwände, die Italien erhebt, scheinen sich weniger auf die Garantierung der österreichischen Unabhängigkeit zu beziehen, wenn es auch dort Reibungsflächen gibt, als auf den zweiten Teil der französischen Vorschläge, nämlich den Sicherheitsplan bür S ü d o st e u r o p a, durch den alle Signatarmächte des Un- abhängickeitsprottkolls, soweit sie Oesterreich benachbart sind, sich gegenseitig ihre Grenzen garantieren sollen.

Frankreich will bekanntlich auf diese Weise eine indirekte Bereinigung zwischen.Italien und Südslawien zustande bringen und auf der andern Seite Ungarn entweder zur Preisgabe seinerUnzufriedenheit" zwingen oder es durch einen Ring von Mächten einschließen, die sich zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen territorialen Ordnung verpflichtet haben.

Wir sagten kürzlich, daß die Beteiligung Südslawiens noch ausstänDe. Run zeigt sich, daß diese Macht infolge ihrer vertrag­lichen Bindung an die Türkei einen solchen Sicherheitspakt nicht ohne Einschaltung der Regierung von Angora unterzeiehnen will, was nun wiederum den Widerstand Italiens hervorrnft. Angora legt umso größeren Wert auf diese Beteiligung die sich übrigens auch auf Griechenland erstrecken soll als cS glaubt, daß es damit der italienischen Expansion auf dem Balkan nnb in Richtung auf Kleinasien ein Ende oder jedenfalls Sch vie- rigkeiten machen könnte.

In Paris herrscht infolge all dieser Hemmungen der letzten Stunde eine gewisse Aufregung. Diese ist verständlich, denn heute nachmittag wird Mussolini mit dem französischen Botschafter in Rom eine entscheidendeBesprechung haben, und heute abend wird man wissen-, ob das kühne Spiel Lavals einen Erfolg gehabt hat, oder ob alle Plagereien von vorne beginnen. Ter sran­zösische Außenminister Hal in Den letzten Tagen fieberhaft ge­arbeitet. Er hat den hiesigen südslawischen Gesandten, ebenso di- hiesigen Vertreter Oesterreichs und Rumäniens empfangen, dazu noch Herrn Schmitz, den Bürgermeister von Wien, und den Vor­sitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundesparlaments Man pflegt hier gerne einen der wichtigsten Beteiligten am ganzen Spiel zu vergessen, nämlich Oesterreich. Diese Macht scheint mit Der Art, wie Frankreich Die österreichische Unabhängigkeit zu garantieren gedenkt, durchaus nicht einverstanden zu sein. Es heißt, daß sie gegen das Uebetroiegcn der sogenannten Nachfolgestaaten bei dieser Garaniierungsaktion protestiert habe.

Zur Stunde scheint Laval noch an seinem Standpunkt fest­zuhalten, daß er nur nach Rom gehen will, wenn die Möglichkeit eines Abschlusses mit Italien gesichert, also der französische Vor- chlag einschließlich des Sicherheitsplanes wenigstens in großen Zügen von Mussolini angenommen ist. Noch heute morgen soll der französische Außenminister geäußert haben, daß es für ibn nicht darauf ankomme, eine Reise zu machen, sondern einen A b» s ch l u ß zu treffen. Man kann sick freilich nicht vorstellen, wie so entscheidende und so stark auf die Spitze getriebene Antithesen sich innerhalb weniger Stunden lösen lassen.