Samstag, 19* Januar 1935

Abendblatt und Erstes Morgenblatt der Frankfurter Zeitung

daL Führerprinzip auszuschlicßen juchen und bestimmte Vor­schriften für den demokratischen Organisationsaufbau der kan­didierenden Parteien aufstellen.

Unklar bleibt, wieweit davon die faScistischen Gedanken- gängen nahestehende, die Gajdagruppe an politischer Bedeu­tung weit überragendeNationale Opposition" Stribrnps und Kramarschs betroffen werden könnte, doch wird man wohl kaum so weit gehen, die immer noch beachtlichen politischen und wirtschaftlichen Kräfte, die hinter Kramarsch, dem einstigenungekrönten König Böhmen?" stehen, ohne weiteres aus dem politischen Leben auszuschließen, zumal da diese oppositionellen Kräfte in den Kalkulationen auch manches ein­flußreichen Politikers des heutigen Regierpngsblocks noch immer eine Rolle zu spielen scheinen. Aehnlich unklar und sicherlich von größter Bedeutung für die politische Entwick­lung der deutschen Minderheit ist die Auswirkung, die das Registrierungsgesetz für die S u d e t e n d e u t s ch e Hei­matfront Henleins haben wird, der jetzt den Versuch unternimmt, dem demokratischen Wahlprinzip der politischen Spitzen Rechnung zu tragen, ohne damit einen bürokratischen Parteiapparat der alten Form aufzubaucn. Was ihn bedroht, ist neben dem Mißtrauen der Tschechen, die ihn des getarnten Jrredentismus verdächtigen, gerade seine große Erfolgschancc, die im Bereich der deutschen Minderheit in der Tat einen Erdrutsch zu seinen Gunsten und auf Kosten der bestehenden Parteien erwarten läßt. Andererseits scheint aber auch auf tschechischer Seite das Bedenken dagegen zu wachsen, ansehn­liche Massen der sudetendeutschen Jugend erneut ihrer Orga­nisation berauben und einen großen Teil von ihnen damit der bloßen politischen Negation zu überlassen, die übrig blei­ben muß, wenn sie an den Möglichkeiten einer konstruktiven Ideologie verzweifeln.

Gin weiteres Glied in der neuen Wahlgcsetzgcbung soll der Verhinderung zu weit gehender Parteienzersplit-

ietil n g dienen. Eine Maßnahme, deren Berechtigung kaum abzustreitcn ist, da bei den letzten Wahlen nicht rocniger als 24 Parteien und selbst bei Berücksichtigung der Listenvcrbin- düngen noch immer 19 verschiedene Gruppen kandidiert haben, von denen nur drei ohne Mandate blieben. Nunmehr soll ein sogenanntes Ijuoruui eingeführt werden, d. h. eine Mindest­zahl von Stimmen, ohne deren Erreichung eine Partei auch dann keine Mandate zuerteilt bekommt, wenn sie, wie es die Verfassung vorschreibt, in einem einzelnen Wahlkreis die nötige Stimmcnzahl für ein Mandat aufbringt. Tiefes Quorum soll, um die Minoritäten nicht zu benachteiligen, nach Nationalitäten gestaffelt werden und wird wahrscheinlich bei den tschechischen und slowakischen Parteien 300 000, bei den Deutschen 100 000 Stimmen, bei Ungarn und Ruthenen eine noch geringere Stimmenzahl betragen, während die klei­nen Minderheiten, Polen und Juden, wahrscheinlich über die Mandatsziffer hinaus nicht mit einem Quorum belastet werden.

Man mag zweifeln, ob das alles genügt, um das tschecho­slowakische parlamentarische System elastischer, funktionsfähiger und populärer zu machen, solange die absolute Herrschaft der Parteiapparate und der in ihnen dominierenden Gruppen und Grüppchen fortbesteht, die aufs engste mit der Institution der von den Parteivorständen aufgestellten Wahllisten verbunden ist. Versuche, die man bei Gemeindewahlen mit der Möglichkeit gemacht hat, den Wähler selbst durch Umstellung der Liste dse ihm genehmen Kandidaten auswählen zu lassen, haben gezeigt, wieweit oft die Meinung der Parteivorständ: von der der Wähler verschieden ist. Aber vorerst zeigen jene wenig Lust, sich ihre Machtposition schmälern zu taffen, und eine wirklich zu Reformen zwingende Kritik hat sich in der Stimmung der Massen bisher kaum durchgesetzt. Mag sein, daß die Wahlen dieses Jahres, sowenig sie radikale Um­wälzungen im tschechischen Lager erwarten lassen, eine solche Tendenz doch deutlicher zum Ausdruck bringen werden.

AUS DEM REICH

Zwist bei der» Hamburger Hurgervereiue«.

Auflösung von acht Bereinen.

-1- Hamburg, 18. Jan. Gemäß Beschluß des Vorstandes des 1871" gegründeten Centralausschuffes der Bürgervereine zu Ham­burg sind, acht von den bisher an geschlossenen 4 5 Bürgervereinen mit sofortiger Wirkung ausge­schlossen worden. Auch Doppelmitglicdjchast mit den ge­nannten Vereinen wird nicht mehr geduldet. Ten ausgeschloffenen Vereinen wurde der Vorwurf gemacht, sie seien reaktionär. Es "wurde vorgeschlagen, den Namen Ccntralausschuß Hamburgi­scher Bürgervereine zu ändern inRing der Würgervereine Groß- Hamburgs im Reichsbund Volkstum und Heimat".

In einer Versammlung des Centralausschuffcs erklärte der Verbavdsführer Pastor S t u e w e r, daß die betreffenden Vereine schon vorher ihre Mitgliedschaft bei dem Ccntralausschuß gekündigt Wien, und daß in einer Vereinszeitung hastige Angriffe gegen ihn gerichtet worden seien. Ter Centralansschuß habe die Aufgabe, unter Anschluß an den Reichsbund Volkstum und Heimat an der Erziehung zum Nationalsozialismus mitzuarbeiten. Ter verschiedentlich kritisierte Beitrag der angeschlofferken Vereine Taffe sich nicht ermäßigen. Tcr Ccntralausschuß fei eine Einrich­tung zur Zusommenfaffung der Bürgervcreine, er sei keine Inter­essengemeinschaft, sondern eine Dienstgemeinjchost. Wie die NSDAP, so werde auch der Ccntralausschuß eine Reaktion rück- sichtsloS bekämpfen. TerStaat besitze beute noch keine Handhabe, die abtrünnigen Vereine aufzulösen, wenn ihre Arbeit sich nicht gegen den Staat richte.

Täglich 1000 Liter Wasser al« Milch verkauft.

# Braunschweig, '18. Jan. Ein NahrungsmittelsälschungS- prozeß vor der Großen Strafkammer Hildesheim enthüllte un­glaubliche Zustände in der Molkerei Edemissen. Die Anklage warf dem Angeklagten Wilhelm Beyer vor, die Magermilch, die er für seine Schweinefütterung verdünnte, auch an seine Milchlicfcran- len in verdünntem Zustande abgegeben zu haben. Die Angelegenheit hatte schon einmal das Schöffengericht Gifhorn beschäftigt, da- mals.war Bever aber freigefprochen worben. Aus den Aussagen der Zeugen ergab sich, daß nach dem Freispruch eineFr ci- s p r ech u n.g s.f e ie t* stattgefunden batte. In der Molkerei be­fand -sich neben dem Vorwärmerlin Wasserhahn, an dem meistens ein Schlauch angebracht wär. Dieser Schlauch führte in den Be­hälter, durch den die Magermilch hindurchlief. Aus der Stellung des Hahns war auch für die Angestellten genau zu sehen, wann dieser geöffnet war. Die Angestellten flüsterten sich -dann zu:Jetzt rauscht'z wieder!" Aus den Zeugenaussagen ergab sich fer­ner, daß Beyer den Wasserhahn selbst aufdrehte und abschloß. Ein Arzt sagte aus, er habe feit 1934 etwa 16mal Milch-Atteste für an Magen- o b e r Darmkatarrh erkrankte K inder ausstellen müssen; es habe kein Zweifel bestanden, daß die Milch der Molke­rei daran schuld gewesen sei. Alk Beyer nach dem vierten Derhand- lungstag wegen Fluchtverdachts und der Höhe der zu erwartenden Strafe verhaftet wurde, legte er am nächsten Morgen ein G e - st ä n d n i S ab. Das Gericht verurteilte ihn wegen Vergehens gegen das Nahrungsmittelgesetz und wegen Betrugs zu vier Jahren Gefängnis und 5 00 0 Mark Geldstrafe. Tas Ge­ständnis wirkte dabei strafmildernd. Ein Sachverständiger erklärte' in der Verhandlung, daß der Angeklagte durch seine jahrc- I a n.g e M il ch v e r f äls ch u n g eine nGcwi nn von i nF - gesamt 1.4 0000 Rmk. erzielt haben müsse. Hierbei sei eine Minimalsumme angenommen. Man könne sagen, daß Beyer der Magermilch täglich 1000 Liter Wasser zugesetzt habe.

Scherzhafte Züchtigung.-

<56 Stuttgart, 16. Jan. Wegen Lehrlingsmißhand- l u n g hatte sich ein Geselle vor dem Schöffengericht zu verant­worten. Ihm wurden verschiedene Roheiten zur Saft gelegt, die sich keinesfalls in die üblichen erzieherischen Züchtigungen «in- ordnen ließen. Er hatte einen Lehrling mehrfach grundloss mit der Faust auf j>en Kopf geschlagen und ihn auch mitdem Fuß so heftig gestoßen, daß der Lehrling ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Alsscherzhafte Züchtigung"betrachtete er es, daß er dem einen, etwas beschränkten, Knaben einen Pinsel mit Benzin in den o f f e n st e h e n d e n Mund ft i e ff. Das Schöffen gericht muffte einen Teil der Fälle wegen der Amnestie ausschciden, er­kannte ober im übrigen wegen Mißhandlung Jugendlicher urch gefährlicher Körperverletzung auf einen Monat Gefängnis.

05 Angeklagte verirrtettt.

ff Esten. In Essen wurde nach längerer Dauer ein Prozeß gegen 71 frühere Kommunisten wegen Hochverrats beendet. 65 Angeklagte wurden zu insgesamt 19 7 Jahren und 5 Monaten Zuchthaus u nd 18 Jahren Gefäng- n i s verurteilt. Zwei Angeklagte wurden freigesprvchen, gegen drei andere ist das Verfahren eingestellt. Ein weiterer Angeklagter wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen der Schwere des Falles an den Volksgerichtshof überwiesen-

Versuchter Rauschgiftschmuggel.

Ein Schweizer zu 2% Jahren Gefängnis verurteilt.

1 Darmstadt, 18. Jan. Wegen versuchten Erwerbs von Kokain wurde der 44jährige Schweizer Staats­angehörige Paul Rossier aus Genf vom Schöffengericht Tarmstadt zu 2)4 Jahren Gefäpgnis und zu 1000 Mark Geldstrafe oder weiteren 100 Tagen Gefängnis verurteilt.

Rossier, den seine Geschäfte auch nach Südfrankreich führen, will dort den Auftrag erhalten haben, sich in Deutschland nach Kausmöglichkeiien iür Kokain umzuschen. Er behauptete, cs sei ihm in Frankreich gesagt'worden, der Kokainhandel in Deutschland sei frei. Anfang Dezember war er zum Erwerb von Chrisibäumcn in den Schwarzwald gefahren und hatte von da einen Abstecher nach Darmstadt gemacht. Hier trat er an einen Abteilungsleiter der Firma Merck heran. Bei ihm gab Rossier sich als Franzose aus und versuchte ein Kokaingeschäft abzuschlirffen. Der Abtei­lungsleiter ging zum Schein auf den Handel ein, wobei der An­geklagte ihm erklärte, er habe Formalitäten nicht nötig, er wisse schon, wie er das Kokain bei Lörrach über die Grenze b r i n g e.

Dom Staatsanwalt und in der Urteilsbegründung wurde auf die Tatsache verwiesen, baff in allen Stu-It'urftaaten der Handel mit Kokain genehmigungspflichtig sei. Tas müsse auch der Angeklagte gemufft haben. Tie Staaten schützen ihre Bevölkerung vor den gcsundheitszcrrüttcnden Opiaten mit ab­schreckenden Strafen gegen den illegalen Handel. In Italien sei auf Opiumschmuggel sogar die Todesstrafe gesetzt. Wenn in Frank­reich die Ansicht bestehe bdff die Firma Merck und damit Deutsch­land den Kokainschmuggel dulde, so solle die Bestrafung das Gegen­teil beweisen. Wenn der Abteilungsleiter die Vorschläge des An­geklagten angenommen hätte, wäre der Handel perfekt geworden. Taz Gericht folgte dem Antrag des Staatsanwalts, auf die Höchst­strafe zu erkennen.

Der ,,Dene Plan".

Lloyd Georges große Rede in Kangor.

London, 18. Jan. (Europapreß.) Das mit großer Spannung erwartete Wirtschaftsprogramm des ehemaligen Ministcr- präsidentcn Lloyd George, das dieser am Tvnncrstag mit einer großen Rcdc in seinem Wahlkreis Bangor entwickelte, wird heute von »er Presse eingehend wicdcrgegeben. Tie Ausführungen werden jedoch sehr verschieden kommentiert. Restlos einverstan­den mit dem Programm ist nur der liberale »News Chronicle". Alft anderen Blätter üben an ihm Kritik, da es entweder zu weit gehe ober nicht weitgehend genug sei.

Tas Programm Lloyd Georges geht von der Voraussetzung aus, baff selbst bei einer Beseitigung der internationalen Spannungen und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Auf­schwung England immer noch über eine Million Arbeits­lose haben werde. Diese Arbeitslosen sollen nun nach dem Plan Lloyd Georges durch ein Wiederaufbauprogramm in den Produk­tionsprozeß eingeglicbcrt werden, wobei Lloyd George in erster Linie an ein Siedlungsprogramm und an planmäßige öffentliche Arbeiten nach deutschem und amerikanischem Vorbild denkt. Zur Durchführung dieses Plane? empfiehlt Äoyd George

1. die Schaffung eines alle wirtschaftlichen Interessen vertre­tenden W i r t s ch a f t s r a t e s zur Ausarbeitung der Pläne und der Finanzierungsmethodcn;

2. die Schaffung eines Super-Kabinetts au? niebt mehr als fünf Ministern nach dem Vorbild des KriegskabinetteS;

3. die Auflegung einer Prosperitätsanleihe, und

4. die Reform der Bank von England.

Einleitend betonte Lloyd George, daß er nicht als Parteimann spreche und auch nicht die Absicht habe, wieder eine Partei zu führen;ich habe genug davon," erklärte Lloyd George. Er spreche vielmehr als englischer Bürger mit großer administrativer Erfah­rung und wende sich an die Ration mit der Aufforderung, alle Energien zusammenzureiffen, um England und soweit dies möglich sei die ganze Welt aus der Krise zu be­freien, unter bet sie seit Jahren leide. Lloyd George erklärte weiter, er erwarte, baff sein Appell von allen gehört und unterstützt werbe. Wenn es sich aber Herausstellen sollte, baß bie Regierenben den bringenden Notwendigkeiten kein Gehör schenkten und den nötigen Willen und die erforderlichen Energien nicht aufbringen würden, bann werbe er sich hinter bie Partei stellen, die weit­blickend und klug genug sei, bie Probleme anzupacken.

Da die ber Regierung nahestehenden Blätter bereits heute keinen Zweifel daran lassen, daß die Pläne Lloyd Georges für die Regierung untragbar sind, dürfte wohl damit zu rechnen fein, baff Llvyb George zu seiner Unterstützung unb zur Durch­führung seiner Pläne eine Konzentrationsregierung bet Linken zu bilden versuchen wird. Auf jeden Fall dürfte das Programm Lloyd Georges in bet politischen Entwicklung der nächsten Zeit eine wichtige Rolle spielen. Zudem lässt der gestern dem ehemaligen Ministerpräsidenten bereitete Empfang keinen Zweifel daran, baff seine Volkstümlichkeit heute gröffer denn je ist.

In schroffem Gegensatz hierzu steht bet Empfang, ber gestern dem Ministerpräsibenten MacDonald in seinem Wahlkreis be­reitet worben ist, wo MacDonald in einer Rede erklärte, die Re-

Prosefloreu berichte«.

Der Frage der Hochschulreform widmet da? Zen­tralorgan des nationalsozialistischen deutschen Juristenbund es Deutsches Recht" die erste Nummer seines neuen Jahr­ganges. Die juristische Fragestellung tritt in diesem Heft angesichts der juristisch ja noch keineswegs festen Form der neuen Hochschulordnung in den Hintergrund; es wird mehr von dem Ideal und vom Verhältnis der bisherigen Praxis zu diesem Ideal des neuen Hochschulwesens gesprochen. Prof. K r i e ck gibt hierzu das Stichwort, in dem er feststellt, daß Noch nicht die Zeit gekommen sei,das Schwert mit Hammer und Sichel" zu vertauschen. In dem weiteren Kampf von Wissenschaft und Kunst um die Weltanschauung sollen die geistigen Mächte zwar nicht einen besonderen Rang unter den anderen Lebensmächten beanspruchen,wohl aber eine be­sonders wichtige Aufgabe im Kampf um hie Weltanschauung" erfüllen.

Unter den deutschen Hochschulen war es die Heidel­berger Universität, die als erste, infolge ihrer innigen Zu­sammenarbeit mit der neuen badischen politischen Führung, einen grundsätzlichen Wandel in der Hochschulverfassung herbei­führte. Der Heidelberger Rektor berichtet demnach aus einer schon zweijährigen Erfahrung über die Ergebnisse der neuen Arbeit. Die Universität sei kein Staat im Staate mehr, son­dern ein lebendiges Glied des einheitlichen Staates. Der Rektor ist der vom Ministerium ernannte Führer und hat neben sich zwei Beratungsinstitutionen, den Senat als Ver­treter der Hochschule und einen Führer-Stab übrigens eine spezielle Schöpfung des Heidelberger Rektors als Brücke zwischen Universität, Lehrerschaft, Partei und dem ganzen öffentlichen Leben. Die Universität zerfällt in sich in die einzelnen Fakultäten, deren Verfassung ebenfalls neu geordnet ist unb an deren Spitze der Dekan verantwortlich steht. Als höchstes Ziel der Hochschulneuordnung zeichnet Prof. Groh die Universität als Gemeinschaftsgesellschaft im Sinne einerSchutz- und Trutz-Kameradschaft".

Aus der Reihe der übrigen Aufsätze, die sich unter anderem auch mit dem Verhalten zwischen Dozent und Student be­schäftigen, verdient noch die Ausführung des Breslauer Uni­

Nummer 34 Seit« 2

gierung brauche in ber nächsten Zeit keine Neuwahlen, fft wolle vielmehr statt besten arbeiten. Ter MuDonald bereitet« Empfang zeigt bcutlich bie große Unzufnebenheit weiter Kreis« mit ber gegenwärtigen nationalen Konzentrationsregierung.

London, 18. Jan. (TNB.) Bezeichnend für die H-cktung weiter Kreise bet politischen Welt England gegenüber Lloyd George ist der heutige Leitaussatz ber »Times", iM dem die erwähnten V o > behalte in einem einzigen Satz axisgebrückt weiden Di« Times" sagt, Llvyb Georges großer Nachteil sei, baff schr viel» Landsleute, die im allgemeinen seine Energie und seine gem.ge Beweglichkeit bewunderten, nicht bereit feiert, ihm volle- vertrauen zu schenken. Er habe selbst in neuerer Zeit gmd ^chon zuvor sein Ansehen dadurch geschädigt, baff er sich selbst in -schritt und -eort ein lächerliches Maß von persönlicher Unfehlbarkeit und anderen Leuten eine ungewöhnliche Begabung zum Irrtum beigemeffen habe. Lloyd George habe, so heißt cs weiter, inv wesentlichen sich für bas System ber nationalen Regierung erklärt, fetbitDerftanb»! lich nicht ber jetzigen nationalen Regierung, aber ffür den ihr zu, gründe liegenden Gedanken. In der Hauptfache stehe Lloyd George da wo innerhalb und außerhalb der Parteien viele Pudere ttcute ständen. Einige seiner Vorschläge seien im vollen Einklang mit bet Art ber Politik, bie eine umgbilbetc nationale Regierung wohk^ verfolgen könnte. Eine große Empfehlung für Lloyb George sei ober seine große Energie und seine geistige Beweglichkeit, und Me gründlich bewiesene Tatsache, daß er, wenn ihm eine bsjt'.mmte Aufgabe jugemiefen würbe, sie mit feiner beträchtlichen Kraft durchführt.

Goy spricht in Krüssel.

(Von unserem K or r e sp on b ente n.f

zv Brüssel, 18. Jan. Der französische Frontkämpferführer sprach in Brüssel über die Eindrücke, die er in Deutschland unb insbesondere während seines Besuchs be-i Hitler emp'angen hatte. Ter Vortrag war mit großer Spannung erwartet worden. Sucht man sich doch auch in Belgien ein Urteil über bie Verständig gungsrnöglichkeiten zwischen Deutschland und Frankreich zu bilden. Vor überfülltem Saal, in bem sich hervorragende politische Person, lichkeiten befanden, legte Goy seine Ansichten dar. Die offene^ Ach mit der et die 'bisherige Einstellung zu Deutschland kritisierte, mochte für manchen belgischen Zuhörer etwas Neues bedeuten. Dex, Redner sand deshalb ein bankbares Publikum. Eingehenb he^anbelt, Goy die bekannte Rede von H e ff an die Frontkämpfer, zeigte, wi, sie von dem überwiegenden Teil der französischen Presse entstell^ worden ist. Er bedauerte, daff die breite Oeffentlichkeit über Deutsch, land infolgedessen so schlecht unterrichtet sei. Besonderen Eindruck machte auf die Hörer 'ber Umstand, daff bestimmte beachtenswert« deutsche Acufferungen über die deutsche Politik in der französische», Presse überhaupt keine Wiedergabe gefunden haben. Wohl kam el, mährend des Vortrages hie und 'da zu einigen Zwischenrufen, sitz fanden jedoch bei den übrigen Zuhörern keinen Widerhall. Goy hob in seinem Vortrag besonders die Notwendigkeit hervor, daß sich bi<. Frontkämpfer aller Länder zufammenfinden muffte^ um sich zu verständigen. Gewaltiger Beifall belohnte de» Redner, der seinen Vortrag auf Anregung der belgischen Völker, bunbliga gehalten hatte.

versitätsrektoi Walz über die Bedeutung der.Stellung bei Rektors besondere Beachtung. Er wählt dafür die ent, scheidende Formulierung: Der Rektor ist politischer Ratgeber des Ministers für den Bereich seiner Universität und zugleich der berufene Wahrer der für den WiflenschaftS- und Lehr, betrieb der Universität erforderlichen Forschungs- und Lehr« freiheit.

Die lltttHebegrnnbnng im Siuomserv-Vroreß.

* Leningrad, 18. Jan. In ber Segrünbung de? Urteils, daS ber Oberste Gerichtshof bet Sowjetunion gegen Sinowjew und bie übrigen Mitangeklagten gefällt hat, wirb erklärt, alle Ange­klagten und Personen, bie in Verbindung mit bet Derfchwörungs. Organisation Sinowjews stanben, hätten sich bes Hochverrates schuldig gemacht. Die Organisation Sinowjews habe versucht, aller . jowjLtfeindlichen Elemente, in sich zu vereinigen und bie Politik, von Partei und Regierung zu sabotieren unb zu durchkreuzen.

Die Untersuchung habe zwar ergeben, baff Sinowjew unb ander« Teilnehmer der Verschwörung nicht unmittelbar an bei Ermorbung Kirows Anteil gehabt haben. Dagegen sei er, wiefen, baff Sinowjew und seine Genossen genauestens über bie revolutionären Absichten bet terroristischen Leningraber Gruppe unterrichtet waren, bie unter Führung Nikolajews am 1. Dezember 1934 den Morb an dem Sekretär bet Partei Kirow ausgefuhrt hat. Es wirb in bet Urteilsbegtünbung ausbrücklich betont, baß Kamenew und zwei anbere Angeklagte keine bebeutenbe Rolle ifl dieser Organisation gespielt haben.

Moskau, 18. Jan. (DNB.) Das Bundeskommissariat de? In, neren hat 7 6 Personen, bie zur Sinowjew-Opposition ge­hörten, unb angeblich mittelbar ober unmittelbar an den letzten Verfchwörungsoersuchen beteiligt waren, für 2 bis 5 Jahre nach Sibirien verbannt. Unter den Verbannten befinden sich zahlreiche Kommunisten, die bedeutende Aemter in ber Sowjet, Union bekleidet haben. Sie gehörten zum Teil zur alten Garde der kommunistischen Bewegung. '

In Warschau wurde eine Ausstellung italienischer Kunst unter dem Protektorat des polnischen Staatspräsidenten eröffnet.

Vor- unb Nachhut wird von schwerbewaffneten Reitern gebildet, bie vom, Landesherrn zum Geleit gestellt sind, um Ueberfälle ab­zuwehren. Am Kummet ber Pferbe hängt bas Dachsfcll, bewährtes Mwchrmittel gegen bie bösen, oft genüg aus den riesigen Wäldern ober" Einöden auf Wanberer unb Reiter einbringenben Geister. Heute sind biese Dämonen ungefährlicher unb verursachen höchstens eine Reifenpanne. Begreiflich, baff manche Fahrerin am cbalt« breit ihres Cabriolets einen kleinen Talisman anbringt.

D;r Zaubex meines Traumes führt t>on ben alten, bunten Lanbkartcn, ,bie im zweiten Saal hängen, geradeaus ins Mittel­alter. Ich spaziere ein wenig bie mittelalterliche Straffe, mehr Rinne unb Furche als Weg, ohne Unterbau, zuweilen bloß mit Sand ' und Steinen notdürftig gebessert, bann wieder auf weiten Strecken Morast oder Geröllfeld. Man braucht nur etwa® zu ver­weilen, dann wandelt sich die Straße zum Strom der Vergangen­heit/ und Jahrhunderte gleiten wie im Flug vorüber.

Unweit von mir rastet jetzt ein verwildert ft ruppiger Bettler. Dort im Dorje das erste nach zwei guten Tagesmärschen, das ich sehe ist ein wandernder Arzt eingetroffen. Vor einigen Mo­naten soll sogar ein Leierkastenmann unb ein Zauberkünstler mit frembem Getier burchgekommen fein. Auffallender als dies ist der Schmutz in ben Dörfern unb selbst ben Städten. Auch hier treibt der Hirt ungehindert feine Schafe mitten über den Markt auf bie nahe Anhöhe. Die Schweine laufen durch bie Straßen, fahren durch die Haustüren in die Häuser, überall ihre unsaubere Nah­rung suchend. Daß bei solchen Wcgvechältniffen die Domherren entschuldigt sind, wenn sie beim Konvent fehlen, mag einleuchten.

Kommen dort nicht meine alten Freunde, die Vaganten? Es sind alles prächtige Gesellen, zumeist verkrachte Studenten unb entlaufene Kleriker. Früher besuchten sic bie hohen Schulen von Paris und Bologna unb suchen heute, ohne Brot und Würden, bie Schönheit des Lebens in ber ziellosen Ferne. Noch liegt mir der Klang eines Liedes im Ohr; als unvergängliches Zeugnis mittelalterlichen Globetrottcrtums entstieg es dem trunkenen Ge­johle, mit dem sie die Tavernen jülkten, in die .Unsterblichkeit. Laßt hören:

Meum est propositum in taberna mori. ut sint vina proxima morjpntis ori, tune cantabunt laetius angelorum chori: sit deus propitius

; . huic potatori.

Di« Welt des Mittelalters kannte den Taumel in allen seinen Formen. Er ließ aus der Enge des Seins die Menschen bett Rausch bet Ferne erleben: itgenbeiner Ferne, bet bionysifcken der Vaganten, bet ekstatischen ber religiös Bewegten. Ta sind die Geißler: Schwärme bald hüpfender, bald laufender und dabei unentwegt singender Wirrköpfe, haben sie ein abstoßendes Ge­baren. Welch angenehmer Gegensatz die vielen Pilger Ich.

begegne ihnen oft auf bet Straße. Mit mufchelgefchmücktem Hut, ben Stach ln der Hand, wallen sie bis nach Spapicn, nach San­tiago de Compostela, zum heiligen Jakob, dem Schutzpatron aller Reisenden. Die Jakobspilger geben ihm reichlich Gelegenheit, seine Macht zu erweisen.

Doch auch das Grauen ist auf ber Straffe zu Hause; bet Zeit­geist läßt sein.Wesen mit allen Eigenarten als Sput in ihr zurück. Beklemmenb wirken bie vielen Gehenkten an Wegscheiben und auf Anhöhen. Jeder Vorüberkommenbe muff sie sehen. Und die mittelalterlichen Maler haben wohl recht: bet Henket geht mit minutiöser Sorgfalt ans Werk, wenn er bem Frevlet ben Strick um ben Hals legt. Uebrigens hat Grillparzer noch 1819, al? er in Italien reifte, bie ausgebörrtcn Bälge von Wege­lagerern an der Straße baumeln gesehen, und Goethe nahm an« scheinenb keinen Anstoß ba,ran, als gelegentlich einer seiner Reisen daS Fenster des Wirtshauszimmers auf den Schindanger zuführte. Nach allem hat unsere Zeit das ästhetische Empfinden entschie­den verfeinert.

Wie war es denn in Wahrheit um die frühere, bie gute alte Zeit bestellt? Ich muß nachtragen, baff ich auf dem Rückweg zur Wirklichkeit Franz Sternbald unb bem Taugenichts begegnet bin. Beibe haben mit in übelster Laune berichtet, baff sie mehr­mals mit Strauchrittern hanbgemein geworden seien, worüber indessen bie Romantiker in ihrer unexakten Art nichts berichtet hätten. Auch von des Posthorns Klängen in lieblicher Maiennacht wollten die beiden nichts wissen. Der Postillon im bunten Frack, der so schön das Horn zu blasen muffte, habe meist schon an ber ersten scharfen Wegbiegung umgeworfen, bie Reisenden derordi- naiten Post" seien samt Gepäck übel zugerichtet und fluchend auf die Straffe gekollert. Nur das Auge des Dichters vermöchte da noch im Verborgenen die blaue Blume zu sehen.

Und schliefflich will ich noch der Begegnung mit Herrn Chodowiceki gedenken, wie er, man schrieb das Jahr 1773, von Berlin nach Danzig ritt. (In einer Reihe köstlicher Zeichnungen, die gleichfalls ausgestellt sind, hat uns der Meister seine Reise be­wahrt.) Er suchte einen besseren Weg neben der Straffe und geriet in einen Sumpf. So sand ich ihn. Tas Pferd bot einen phanta­stischen Anblick. Fast bis zum Hals eingesunken, reckte es mit ge­blähten Nüstern erregt ben Kopf in die Höhe und schaukelte mit den Hinterbeinen in der Luft. Der verrutschte Mantelsack über der Kruppe sah aus wie der Höcker eines Kamels. Davor der magere, lange Reiter neigte schon bedenklich vornüber; zwar saßen Zopf und Hut'noch tadellos, doch stak bie Spitze des Degens bereits im Sumpfe.

Es ist alles wieder an seinem Platz und reglos, der Traum zu Ende. Ich aber, zurückgckchrt in die Gegenwart, will für ein Auto zusammenlegen, um endlich mit eigenen Augen auf den Reichs- autobaffnen die Schönheiten an Natur und Kunst zu sehen, die Zietara auf seiner groffen Deutschlaiidkarie vermerkt hat. Da gibt es Burgen und Schlösser, verschwiegene Waldtäler und stilleSeen.

_ Max v, Brück.

Stimmen der Völker auf Schallplatte«.

Die primitiven Völker ber Welt sterben heute mit zunehmender Schnelligkeit aus ober sie europäisieren und amerikanisieren sich. Ihr gesamtes eigenartiges Kulturgut broht verloren zu gehen, wenn nicht bie verschiebensten Wissenschaftsgebiete sammelnd eingreifen. Mit ben rasch dahinschwindenben musikalischen Äeußerungen aller nichteuropäischen Völker hat sich die vergleichende Musik­wissenschaft befafft, mit ben Acufferungen bet europäischen Völker befaßt sie sich nur soweit, als sich hier Reste bcs primi­tiven Anfangs noch erhalten haben. Für oergleichenbe Studien auf den Gebieten der Musikwissenschaft, Ethnologie, Anthropologie, Völkerpsychologie unb Aesthetik ist dieses Material von ungeheurer Bedeutung. Dieses Arbeitsgebiet: Musik der exotischen VMer er­scheint vielleicht gerade heute manchem fremd unb lebensfern; aber Has ist ein Irrtum: benn was die vergleichende Musikwissenschaft darstellt, beleuchtet vvn dieser akustisch-musikalischen Seite her den Weg, den unsere Völker einst gegangen sind. All die Lebensstufen der noch heute existierenden exotischen Völker lebten auch einmal im vorgeschichtlichen Europa nebeneinander, wie Reste der euro­päischen musikalischen Frühkultur beweisen.

Die vergleichende Musikwissenschaft wurde gegen Ende des 19. Jahrhundert- von dem Engländer Alexander I. Ellis begründet. Er hat ber Forschung die exakt naturwissenschaftliche Grundlage gegeben durch ein feines Maß-System, ba$ die Schwingungsver­hältnisse in ein bestimmtes Zahlensystem einbaut. Tas Grund­material ber gesamten vergleichenben Musikwissenschaft sind phono- graphische Aufnahmen. Als ber bekannte Afrikajorscher Schwein- furth eine Melodie für sein Buch fcsthalten wollte, pfiff et sie sich immer wieder vor, bis er nach London kam, wo fein Bruder die gepfiffene Melodie in Noten umfetzte. So reihte sich eine Fehler­quelle an bie anbere. Dann kam ber Edifon-Walzenphonograph auf, der auch heute noch fast ausschließlich benutzt wird, 'Da er leicht an Gewicht unb einfach in der Handhabung ist und wenig Raum einnimmt (ber schallplatten-Apparat ist für FvrschungS- reifenbe zu groß, zu schwer unb zu umstänblich). Der Gebrauch der Walzenphonographen zog die Entstehung von Phonogramm- Archiven nach sich, bie den Forschungsreiscnben die Anregung, Aus­rüstung und Anweisung zu phonographischen Arbeiten mitgebeu konnten.

Das erste Phonogramm-Archiv ist in den neunziger Jahren bcs vorigen Jahrhunderts in -Amerika entstanden. Das größte Phonograrnm-Archiv ist jetzt daS Berliner Phonogramm« Archiv. Es erwuchs 1900 aus den Arbeiten des Psychologen unb Akustikers Prof. Dr. Carl Stumpf und wurde von 1905 bis 1933 von Pros. Erich von Hornbostel geleitet. Es bestand zuerst am psychologischen Institut, wurde 1922 vom preußischen Staat übernommen und ber Hochschule für Musik ungegliedert unb ist jetzt in Dahlem im Museum für Völkcrkunbe unterge­bracht; ber verantwortlich« Leiter ist Dr. Mariuz Schneider. Seit 1933 gibt das Archiv dieZeitschrift für v er glei­che n be Musikwissenschaft" heraus und lebt von einem Monat s«1at von 130 Mark (!). Es besitzt jetzt über 10000 Walzen und über 500 Platten. Aehnliche Sammlungen be« finden sich noch in Paris, wo die große Kolonialauzstellung bet Anlaß zu biefen Arbeiten wurde, in Hawai, in Wien unb mehrere in Amerika,

Und wie geht nun bie Arbeit des Phonogramm-ArchivS vor sich? Von den auf Walzen aufgenommenen Gesängen werben zuerst galvanische Abgüsse angefertigt. Diese Arbeit leistet das Berliner Archiv fast für die ganze Welt. Don den Abgüssen können wieder beliebig viele Positive genommen werden, so baff ein Austausch zwischen den Instituten möglich wird. Dieselben Möglichkeiten bet Vervielfältigung bieten auch bie Schgllplatten, die sich immer mehr durchsetzen unb bie heute von vielen Grammophon-Gesellschaften .zahllos hergestellt werden. Doch ist diese Produktion der Musik« Industrie für wissenschaftliche Zwecke nur wenig brauchbar, weil die Auswahl der Aufnahmen unter ganz anderen Gesichtspunkten getroffen wird. Kurios ist ber weitere Weg der von den Schall» Plattenfirmen gemachten Aufnahmen fremdet Volksmusik. Di« Platten werden nämlich nur für das Herkunftsland geliefert und in Deutschland wird von bet Hersteller-Gesellschaft nicht einmal ein Exemplar auf Lager zurückbehalten. Die Folge rft, daß mart in Berlin hergestellte Platten in Afrika, in Australien und in allen möglichen anderen Aufnahmeländern kaufen muff! Im Han­del gibt es eine ganze Reihe von Platten aus bem Orient, au* China. Korea und Japan, au8 Birma, Siam, Java, AustralieOs ufw. Noch ganz unbefriedigend für wissenschaftliche Arbeiten ist bis jetzt die Umsetzung der phonographischen Aufnahmen in euro« püifche Noten; denn unser zwölfstufiges System reicht bei weitem nicht aus, um Intonation und Vortragsweise der exotischen Sänger annähernd wickcrziigeben.

Die vergleichende Musikwiffenchaft zeigt, baff es viele Arten del Schaffens gibt, baff viele Tonsysteme möglich sind, daß die Musik' unendlich und wandelbar ist wie das Leben. gibtprimitive" Musik, unb da? ist die bekannteste, die eng ist, kurzatmig, begrenzt im.Inhalt, die aber endlos im gleichen Tonfall wiederholt wirb. Diese Musik ist ähnlich der Primitiven Sprache. Daneben finden sich bei Völkern von fast gleicher Kulturhöhe ganz komplizierte Systeme gebilbe. Im allgemeinen benutzt die Musik der Primitiven eine scbr viel größere Zahl von Instrumenten als bie der Europäer, mit einer beträchtlich größeren Kompliziertheit und Vielfalt. So gibt es etwa 40 Trommclarten mit 8 Trommelrhythmen; Europa ab et fennt nur zwei Rhythmen. Tas Werk von Marius Schneider:Die Geschichte der Mehrstimmigkeit", das in diesen Tagertj als erste große selbständige Veröffentlichung des Berliner Archivs herauskommt, unternimmt im zweiten Band den Versuch, die euro­päische Frühkultur durch die der Exoten zu erhellen; denn erst aul den Ergebnissen der Erforschung der exotischen Primitiven Kulturen wurde die europäische Frühkultur, etwa die Musik des 10. Iahe* Hunderts, verständlich.

Die Grundahsicht der vergleichenden Musikwissenschaft ist di« Erklärung ber psychologischen Ursprünge der Musik, die bei dert Exoten noch ganz im Dienste der Magie steht und aus rauschhastert Reizzuständen entsteht, und bann die Feststellung der Eigenarten der Raffen unb Kulturkreise. Es hat sich etwa gezeigt, baff all« Pygmäenvölker der Erde den gleichen Rhythmus haben; sie pcy" dein nämlich. Daraus ergibt sich, baff die Bewegungssorm, wie übrigens auch der Stimmklang, vererbbar, also Raffenmerkmal ist. An dieser Stelle wird deutlich, wie bedeutsam dieses abseits liegende Forschungsgebiet selbst für aktuelle Probleme der Geisteswijsc« schoflen jein kann. G, Brod. .