Freitag, 1s. Februar 1935
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Abeubblatt
Erstes Worgeubiatt
79. Jahrgang 84
Zweimalige Ausgabe
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Mussolini hält Kat.
Meinungsverschiedenheiten in der abessinische« Frage. — Der Große Faoristische Uat einiternfe«.
(Trahtmeldungunseres Korrespondenten.)
Nb Rom, 14. Febr. Die Verhandlungen zwischen Rom imh Adis Abeba sind im Schatten der internationalen Erregung, welche die italienische Teilmobilisierung hcrvorgerufen hat, ohne viel Aufsehen in Gang gekommen, oder genauer gesagt durch den neuen
■- Zwischenfall nicht unterbrochen worden. Sie finden in Adis Abeba statt sowie in Rom, wo gestern der diplomatische Vertreter Abessiniens zwanzig Minuten beim Unterstaatssckretär des Acußcrn
' ,S u v i ch war.
Tie italienische Presse nimmt van diesen Verhandlungen vorerst noch nicht Kenntnis und hält sich überhaupt mit eigenen Kommentaren oder Meldungen völlig zurück. Sie beschränkt sich daraus, in- größter Ausführlichkeit ausländische Pressestimmen wieüerzuqeben.
. Eine Verlautbarung der abessinischen Regierung freilich, die Punkt für Punkt der italienischen Tarstellung widerspricht und die Verantwortung eindeutig der italienischen Seite zumeist, läßt die Gegensätze erkennen, die auf dem Verhandlungswege überbrückt werden.sollen.
Tie. Meinungsverschiedenheiten beginnen schon im tatsächlichen. Tie Verhandlungen beschränken sich daher zunächst auf die Zwischenfälle selbst und ihre mögliche Beilegung. Tas -Grenzproblem ist noch nicht berührt worden. Bei dem augenscheinlich geringen Einfluß, den die abessinische Zentralverwaltung in .dem strittigen Grenzgebiet ausübt, bleibt der Gefahrenherd natürlich auch dann bestehen, wenn es gelingt, den gegenwärtigen Konflikt friedlich beizulegcn. Tie englische Permittlungsbereitschaft hält sich im Hintergrund mit der Hoffnung, daß beide Länder auf dem Verhandlungswege sich der friedlichen Verständigung nähern.
Mittlerweile hat die Z c n t r a l k o m m i s s i o n für die "Landesverteidigung, also jenes Organ, das neben den militärischen auch die übrigen für den Kriegsfall besonders wichtigen Ressorts zusammenfaßt, unter dem Vorsitz Mussolinis zwei lange Sitzungen abgchälten. Die erste dauerte nicht weniger als drei Stunden, und auf heute nachmittag ist eine dritte Sitzung -angesetzt.
Heute abend findet ferner die schon früher einbcrufene Sitzung "des Aascistischen Großen Rats statt. Nach der ver- össentlichten Tagesordnung beschäftigt sie sich mit einer ganzen ■ Reihe von verschiedenartigen Problemen, unter denen die mit England vereinbarten Grcnzberichtigungen zwischen Somali und L Kenia einerseits und Tripolis und dem Sudan andererseits diejenigen si \ die der aktuellen Frage am nächsten stehen. Ter Große Rat wird sich aber natürlich aiich mit dem abessinischen Konflikt beschäftigen. Trotz dieser intensiven Arbeit der maßgeblichsten Organe des Regimes steht durchaus nicht fest, ob -sie zu definitiven italienischen Entschlüssen führen wird. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, daß der italienisch-abessinische Konslikl noch weiter in j dem Schwebezustand bleiben wird, in dem er sich augcn- ‘ blicklich befindet.
Ter abessinische Geschäftsträger erinnert an frühere Zusicherungen.
Paris, 14. Febr. (DNB.) Der römische Berichterstatter des Petit Parisien" übermittelt seinem Blatt eine Aeußcrung des abessinischen Geschäststrägcrs in Rom, der sein Vertrauen in die friedlichen Absichten Italiens unter Berufung auf A e u ß c r u n- g c n des Königs von Italien und Mussolinis zum Ausdruck bringt.
Gelegentlich des NeujahrSempfangcs des diplomatischen Korps habe der König von Italien dem abessinischen Geschäfts- jräger erklärt: „Seien Sie versichert, daß Italien in keiner Weise
In dieser Ausgabe erscheinen die Blätter der Frankfurter Zeitung für Wirtschaft und Technik
DIE LEISTUNG
Aus dem Inhalt:
Neue Wechselstromtriebwagen der Deutschen Reichsbahn / Die „ewig“ gehende und die genaueste Uhr / Die neuen Rundfunkgeräte
daran denkt, Abessinien anzugreifen/ Am Tage der Ankunft des französischen Außenministers Laval in Rom habe der König dem abessinischen Geschäftsträger aufs neue die Versicherung gegeben, Italien denke nicht daran, sich in Abessinien auf ein Abenteuer einzulassen; Italien und Abessinien würden stets Freunde bleiben.
Trci Tage später, am Tage der Abreise des französischen Außenministers aus Rom, habe Mussolini den abessinischen Geschäftsträger empfangen, und beide hätten gegenseitig den Willen ihrer Regierungen bestätigt, an dem zwischen Italien und Abessinien seit 1928 bestehenden Freundschastsvertrag nichts zu ändern.
Rach unbestätigten ausländischen Meldungen soll Italien als Sühne für die getöteten fünf Eingeborenen in-. Adis Abeba .3 0 Millionen Lire, also etwa 6.4 Millionen Mark gefordert haben.
Warnungen der „Times".
London, 14. Febr. (DNB.) In einem Aufsatz des Korrespondenten der „Times" in Adis Abeba heißt es, die äthiopische Regierung berufe sich bei ihrem Streit mit Italien unter anderem auf die offizielle italienische Karte von 1925, auf der U a 1 U a l, der Ort, in deffcn Nähe sich die Zusammenstöße ereigncten, weit jenseits der vertraglich abgemachten Grenzlinie innerhalb Abessiniens liege.
In einem Leitaussatz weist „Times" darauf hin, daß die Nh- madcnstämme in Bcitisch-Somaliland seit Jahrzehnten ihre Herden nach dem strittigen Gebiet zu treiben pflegen, um ihnen Wasser und Weideland zu geben. Die Absperrung dieses Gebietes würde für den britischen Handel eine schwere Belastung bedeuten. Noch wichtiger vom britischen Standpunkt sei die Gefahr, daß ein langwieriger Grenzstreit zu inneren Unruhen in Abessinien führen könnte, wodurch die Grenzen des englisch-ägyptischen Sudan, von Kenia und von Uganda vielleicht in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.
Laval weicht aus.
Paris, 14. Febr. (DNB.) Aus gcwiffcn ergänzenden Meldungen über die gestrigen Ausführungen des französischen Außenministers für den Kammerausschuß für auswärtige Angelegenheiten darf man entnehmen, daß Laval die Beantwortung einer Anzahl an ihn gerichteter Fragen vorsichtig umgangen hat. So habe er cs vermieden, Stellung zu nehmen, als man ihn aus der Mitte des Ausschusses heraus fragte, ob Deutschland lieber einen Nichtangriffspakt als einen gegenseitigen Garantiepakt ab- schlicßcn würde. Ebenso sei die Frage, ob der L u f t p a k t zustande kommen würde, auch wenn Deutschland ihn ablchnc, unbeantwortet geblieben. . , ■<<
Diese Angaben, die das „Echo de Paris" wiedcrgcht, gewinnen eine gewisse Bedeutung, wenn man bedenkt, da^ kurz nach Beendigung der französisch-englischen Ministerverhandlungcn in London die französische Presse zum mindesten die letzgenannte Frage in eindeutig bejahendem Sinne beantworten zu können glaubte, obwohl man aus der Londoner Presse bisher keine unmittelbare Bestätigung entnehmen konnte.
Gr-König All vvm Hodschas gestorben.
Bagdad, 14. Febr. (United Preß.) Ter ehemalige König im Hedschas, Ali, ist im Alter von 56 Jahren einem Herzschlag erlegen. Er starb im Palast feines Neffen, des Königs Ghazi von Irak.
König Ali bestieg 1924 den Königsthron im Hedschas, um aber schon im daraussolgenden Jahre den Wahabiten zu weichen. Er zog sich an den Hof seines jüngeren Bruders, des verstorbenen Königs Feisul von Irak, zurück Zweimal betraute König Feisul ihn während feiner Abwesenheit mit der Regent- jchaft im Irak.
London, 14. Febr. (DNB.) Tas Unterhaus bat die Gesetzesvorlage über die A r b e i t s l ö s e n u n t e r ft ü tz u n g in dritter Lesung ohne Abstimmung angenommen.
Todesurteil für Hauptmann.
Flemington, 14. Febr. (United Preß.) Mittwoch abend, 10.30 Uhr, schrillten durch das Gerichtsgcbäude die Glocken, zum Zeichen dafür, daß die Gefchworenen ihre Beratung beendet und ihren Spruch gefällt hätten. Unmittelbar darauf strömten die zur Verhandlung zugelaffcncn Schaulustigen und Pressevertreter in den Gerichtssaal, der sich rasch füllte. Hauptmann wurde von Gefängniswärtern bereingeführt. Tann erschien das Gericht und die Geschworenen. Als diese ihre Plätze einnahmcn, waren ringsherum an den Wänden und an den Fenstern Gendarmen aufgestellt. Unter atemloser Stille aller Anwesenden forderte Richter Trcnchard den Angeklagten auf, sich zu erheben. Der Clerk des Gerichts richtete nun an die Geschworenen die Frage, ob sie den Angeklagten schuldig fänden. Ter Obmann der Geschworenen antwortete:
„Ja, wir finden ihn schuldig des in der Anklage ihm vor- geworfenen Verbrechens."
Danach erhob sich der Generalstaatsanwalt Wilentz und forderte einen sofortigenUrteilsspruch des Gerichts. Richter Trcnchard gab diesem Antrag statt und wandte sich nun an Hauptmann mit den Worten: „Das Urteil des Gerichts lautet, daß Sie den Tod erleiden sollen, zu der Zeit, an dem Ort und aus die Weise, die durch das Gesetz oorgeschriebcn sind. Das Gericht sendet den An
geklagten in die Haft zurück." Hauptmann hörte sich da? Urteil, wie vorher den Schuldigspruch der Geschworenen ruhig und gefaßt an. Nur eine wachsende Röte in seinem Gesicht verriet seine innere Erregung.
Nachdem Hauptmann den Gerichtssaal verlassen hatte, beglückwünschte Richter Trenchard die Geschworenen zu ihrer „getreuen verantwortungsbewußten und sorgfältigen Beratung der Schuldfrage". Er riet ihnen, sich nach Haus eskortieren zu lassen. 10.54 Uhr, nur zehn Minuten nach der Urteilsverkündung vertagte sich das Gericht, Richter und Geschworene verließen den Gerichtssaal, der sich auch rasch von den Zuschauern und Pressevertretern leerte. Auf dem Gerichtskorridor gab dann Hauptmanns Verteidiger Reilly bekannt, daß er „bei dem höchsten Gericht des Landes" Berufung einlegen werde. Er meinte damit den Appellationszerichtshof für New Jer- s e y. Da dieses Gericht, erst am 14. Mai seine nächste Sitzung abhalten wird, bleibt Hauptmanns endgültiges Schicksal also noch einige Monate unentschieden. Rechtsanwalt Reilly begrün- bete die Appellationsabsicht der Verteidigung mit den Worten: „Obwohl das Geschworenenkollegium sein Verdikt aus Tatsachen gründet, glauben wir, daß dabei viele Rechtsirrtümer vorqckommen sind, deren Berichtigung eine Abänderung des Geschworenenspruchs und damit ine Befreiung Hauptmanns nach sich ziehen wird."
Die frinuöftfdjc Jugend.
Aufbruch ober Rückkehr?
Von Reinhold Schairer.
Herr Dr. Schairer hat der Lesern der „Frankfurter Zeitung“ berichtet, wie eich ihm die Nöte, Pläne und neuen Lebensformen der Jugend in Skandinavien, England und Italien dargestellt haben. In einigen nun folgenden Artikeln gibt er, als weiteres Ergebnis seiner Reisen durch die europäischen Länder, seine Eindrücke von der Jugend Frankreichs wieder. Die Schriftleitung.
Wenn man dicht am Meeresuser den schmalen Touristentveg entlang geht, der nahe bei Mentone von Italien nach Frankreich führt, sa hat man auf dem Raume eines Kilometers merkwürdige Erlebnisse.
Sie beginnen mit der Erinnerung an heldenhafte Riesen, deren Gebeine, über zwei Meter lang, jetzt in den Glasschränken eines kleinen prähistorischen Museums auf italienischer Seite liegen. Einst bevölkerte dieses Geschlecht die Höhlen, die von den Meereswellen in diese berghoch ragenden roten Felsen eingewaschen wurden. Tie Funde mit ihren Waffen und Tierresten sagen, daß sie harte und mächtige Jäger und Kämpfer waren.
Heute sind, in den Bergen hoch hinauf rings um die Grenze her beiden Länder Hunderte und Tausende von Landgrundstücken «erlassen und verödet. „Es zahlt sich nicht mehr", sagen die Bauern. Sic tropfen langsam und stetig von dem guten, seit Jahrtausenden bebauten Grund der Berge und Täler herunter an den Rand des Meeres, in die Städte, die von der Touristik leben. Kaffee und Wermut auszusdtenken, Postkarten und billigen Schmuck zu verkaufen, Briefe zu bestellen ist bcque- mer als mit dem Boden zu ringen und steinige Pfade zu steigen.
Aber was zahlte sich für das Geschlecht der Riesen vor 20 000 Jahren? Stark und hart zu werden. Sonst nichts. Das wirkte und band bis nach dem Tode. Neben dem riesenhaften Skelett eines Mannes, dessen Arme und Schenkel wie kleine Baumstämme sind, liegt, noch im Tode sich anschmiegend, das Skelett eines jungen Menschen von noch nicht zwanzig Jahren. Man erzählt uns, daß damals den besten der Männer immer ein junger Mensch in den Tod gefolgt sei. Noch dort im Totenreich ihm zu dienen, erschien-wichtiger-und größer als alles andere.
Erwacht wieder hartes Heldentum? Fast könnte man es glauben, wenn man die Gesichter der kleinen Grenzwache prüft, die Tag und Nacht in einer kleinen Hütte knapp am Meere Italien beschützt. Tic Posten kommen aus den Festungs
legimentcrn, die in den hohen Felsgebirgen an der Grenz« unsichtbar wie in Krieeszeiten eingenistet sind. Heute sitzt ein junger Befehlshaber an dem Tisch vor der Hütte als Kommandant der kleinen Gruppe Bersaglieri und Miliz. Es ist ein Student aus.Mailand, er bereitet sich auf sein juristisches Examen aus einem dicken Buche vor. „Es ist sehr schwer und wird immer schwerer," seufzt er, „man muß hart arbeiten." Aber nach jeder Seite und oft zwischendrin, sucht sein Blick die Grenze vor sich ab, tief hinein in die friedliche Bucht der Touristenstadt Mentone. Er schaut angestrengt aus, ob sich dort drüben, auf bei anderen Seite der Grenze, nichts ereigne.
Es ereignet sieh nichts. Wirklich nichts. Nicht einmal dieser Posten wird drüben durch einen Gegenposten beantwortet. Wenn der Paß hier auf italienischer Seite gestempelt ist, dann ist man einfach in Frankreich, die Asphaltstraße und die blühenden Gärten beginnen. Es ist wie ein Märchen. Einmal am Tage kommt ein Polizist auf dem Fahrrad von Mentone, er fährt zerstreut bts zur Grenze, macht kehrt, dann steht er lauge und schaut den jungen Menschen zu, die in den meerumspülten Felsen unterhalb der Straße Muscheln und Seeanemonen suchen. Wenn es so halb zwölf ist, macken alle sich auf den Weg nach Hause, denn um zwölf Uhr muß alles, die jungen Menschen und die Polizisten, Seeanemonen und Muscheln, bei Vater und Mutter am Frühstückstisch fein, zusammen mit dem Weißbrot und dem Rotwein, dem Braten und dem Salat und dem Käse. Und was sollten diese jungen französischen Menschen, wenn sie frei haben, hier anderes tun als Muscheln sammeln, da dock) das unruhige Meer hier das Angeln nid)t erlaubt?
So scheint dieser kleine Rest von Heldentum der italienischen Grenzwache ein letzter Versuch mit untauglichen Mit- tefn zu blciöcn, denn auf der anderen Seite antwortet ihm nicht einmal die Geste eines Widerstandes. Und wenn nun erft der Friede zwischen Italien und Frankreich, der in der Luft liegt, in der Form einer Entspannung und einer Freundschaft „ausbrechen" wird, was bann? Werden die Poften eingezogen und wird die letzte kriegerische Geste hier verschwinden? Bleibt dann das juristische Examen wirklich der letzte heldenhafte Versuch? Und. sonst Angeln, gut Essen, Geld ver- diencn, Samstag ein Fußballspiel, Sonntags ein Kino? Und was sonst? — Aber welchen Männern werden dann die jungen Manischen noch bis in den Tod Gefolgschaft leisten? Was wird
Attmeisterlichkett.
. Zu Berliner Kunstausstellungen im Februar.
Es ist nicht immer so gewesen, daß die „Alien Meister" (noch l tazu alle, in Bausch und Bogen) als verehrte Vorbilder angcrufen Mwurden, daß man sich's zur Ehre rechnete, ihnen zu gleichen und r der Abstand von ihnen als sicheres Anzeichen für den beklagcns- icerten kulturellen Tiefstand der Gegenwart gelten durfte. Giotto und M a f f a c c i o etwa oder gar Dürer würden es L-sich sehr entschieden verbeten haben, als Maßstab für ihre Lei- [.. ftungen die Vergleichbarkeit mit irgendwelchen Vorgängern an- f- zuerkennen. Es ging ihnen allein um das Neue, um das V Schöpferisch-Unvergleichliche. Zweierlei war Voraussetzung für den Wandel der Anschauung: einmal unser immer bedingungsloser “ historisches Denken, das uns selbst als Glied einer Kette in den s, Ablauf der Zeiten einbezieht (daher der Wunsch der Bewährung ( 6or den Alten!) und dann die Sehnsucht nach verloren gegangenen l) (ober verloren geglaubten) handwerklichen Grundlagen. Immer kenn diese Tendenzen, oder eine von ihnen, besonders verbindlich tnerben für das künstlerische Schaffen, stellt ein volkstümlicher Erfolg sich ein, der indessen meist nur von kurzer Tauer ist, da er in mehr oder minder erschreckendem Maße eine Armut originaler l schöpferischer Möglichkeiten offenbar werden läßt.
Romantiker.
- Im Kupferstichkabinett der staatlichen Museen ist Graphik der Nazarener und Romantiker ausgestellt, darunter manches : seltene Blatt, das aufschlußreich ist für den Kunstgeist jener Tage, ’ der aus der Vergangenheit beste Kräfte zog. Wenn Reinhart Und Koch die heroischen Landschaften Poussins erneuern, wenn P f o t r in unbeholfen gotisierenden Blattern die mirrelaltcrlichen Meister beschwört, wenn deutsche Geschichte, Sage und Heiligen- - legende zum bevorzugten Thenrcnkreis gehören, so ergreifen uns $eute mit gleicher Stärke da- beglückte Erwachen wie das Er- k^lahmen vor der erhofften Blute. Erneuerung wurde zur Nach- g ohmung, weil diese Künstlergenerationen der Uebermachl des Vor- Uvildes kein eigenes Schöpfertum Dpn gleicher Stärke entgegen* l, zusetzen iljatten. Gerade in der Graphik wird es besonders deutlich, wie auch handwerkliche Erneuerung mehr nur mit Worten gefordert wurde als daß sie tatsächlich gewonnen werden konnte. Es - Üt die Zeit, in der es zur Regel wird, daß Erfinder und Aus- fuhrender eines Holzschnitts oder eines Kupferstichs nicht mehr Sie gleiche Person ist. Tie graphischen AusdrucksmMel verlieren ihre stilbestimmende Kraft, ihre eigene Gesetzlichkeit und werden -tzerabgewürdigt zu technischen Reproduktionsversahren. Tie damals Reu erfundene Lithographie, die im Grunde nichts ist als ein billiges Vervielfältigungsmittel von Zeichnungen, zeigt aufs Deutlichste, wie trotz aller romantischen Beteuerungen dem herauf- Eommenden technischen Zeitalter aller echte handwerkliche Sinn Wtgcgenlief.
Sün wehmütigsten berühren diejenigen graphischen Arbeiten, die
größere, z. T. geistesgeichichtlich hochbedcutende Pläne ärmlich widerspiegeln, die aus Mangel an echter Nachfrage und helfender Resonanz nicht haben ausgesührt werden können. Vcr- schwärmte Altmeifterlichkeit entfernt sich tragisch von den Be- dürsnissen der Gegenwart. Was als Wandmalerei für einen Kapellenraum gedacht war, das findet eine nur andeutende und damit seiner eigentlichen Sinngebung entfremdete Verwirklichung in der dünnen Linicnkunst des Kupferstichs: Runges „Tageszeiten" als Kuriosum für den Mappenschrank des 'Sammler?, dies soziologische Faktum ist saft noch deprimierender und ausschluß- reicher für das Versagen der von so glühenden Herzen getragenen Bewegung als jeder Hinweis aus die nur selten voll ausreichenden Kräfte der künstlerischen Gestaltung. Beide Gründe bedingen sich wechselseitig. Als endlich einmal ein echter Anlaß zum graphischen Flugblatt sich zeigte und von einem Künstler ergriffen wurde, dem die wicdercrwecktcn Kräfte altdeutscher Holzschneidekunst zu Gebote standen, war es fast zu spät. Rechel starb zwei Iabre nach seinem unerhört wirkungskräftigen Holzschnittzyklus „Auch ein Totentanz", mit dem er den revolutionären Ideen von 1818 entgegentrat, und längst waren die besten Meister der Romantik nicht mehr unter den Lebenden oder den entscheidenden Kämpfen der Gegenwart endgültig entfremdet.
Menzel als Erzieher?
Es ist eine stille Uebereinfunft der Gebildeten, Menzel als den letzten großen deutschen Meister anzucrkenncn. Tie Höhe seiner Könncrschast zurückzugewinnen, gilt ihnen als das Ziel aller Bemühungen, die man bei brauen jungen Künstlern voraussctzcn müsse. An dieser populären Aufsassnng haben die beiden tief bis zum Wesentlichen vorstoßenden Menzel-Deutungen der letzten Jahrzehnte wenig oder nichts zu ändern vermocht. Mcicr-Graeses glänzender Versuch, von der ästhetischen Wertung ausgehend, den jungen Menzel gegen den alten auszu-spielen, den Enkel der Romantik, den Entdecker der Wirklicheit auf. eigene Faust, gegen den materialistischen Pedanten und offiziellen Historienmaler ins rechte Licht zu setzen, hat viel Verführerisches, tut aber dem Phänomen Gewalt an, das auch in der Jugend beöse Seiten belaß und umgekehrt im Alter keineswegs immer seine Strahlungskrast verlor. Karl Scheffler 'hat ein klassisches Menzel-Buch geschrieben, das jeder Deutsche kennen sollte, der sich mit Kunst beschäftigt. Er ist der Entdecker des dämonischen Menzel, der von genialischer Unrast getrieben wird, dessen Müssen aber ohne inneren Austrag ist, der zeichnen muß um des Zeichnens willen und seien cs die eigenen Stiefel bei der Rast am Grabenrand. Er gehört für Scheffler zu den Malern, deren vorzügliche bürgerliche Charakter- eigenschaslen sie gelegentlich daran hindern, künstlerischen Charakter zu haben. „Und niemals hat ein leidenschaftliches Ringen den Blick mehr als hier für die wahren Ewigkeitswerte der Kunst getrübt."
Die Ausstellung, die jetzt die Berliner Akademie am Pariser Platz anläßlich des 30. Todestages des Künstlers eingerichtet hat, laßt den tragischen Zug in Menzels Lebenswerk besonders stark er
kennen. Ten Eintretenden empfängt zunächst ein großer Saal mit Historienbildern, die, so berühmt sie sind, keine unmittelbare Wirkung mehr zu tun vermögen. Und Paradestücke wie das berühmte „Flötenkonzert" sind von so mörderischen Rissen durchzogen, daß man das Schlimmste befürchten muß. Kein Zweifel: die technischen Grundlagen des Handwerks sind bei Menzel bereits ins Wanken geraten. Umso Überaschender und beglückender wirkt der kleinere Saal mit 28 gemalten Meisterwerken. Aber gerade die besten haben Studien-Charakter, der Künstler selbst würde es uns verwevrt haben, ihn nach diesen vorbereitenden Arbeiten — etwa dem berühmten „Balkonzimmer" oder der „Atelierwand" — zu beurteilen. Tie schönsten Landschaften sind als Skizzierung eines Schauplatzes für einen erzählenden Vorgang gedacht, nicht Natur-Darstellungen, die allenfalls durch Staffage bereichert werden können, sondern „Entouragen", die im endgültigen Werk dienend zurückzutreten haben. Ter Pinsel zwar, man spürt es, drängt zur Umkehrung des Vcrhältnisses, wird aber durch verbissene Pedanterie an der freien Auswirkung seiner genialen malerischen Eroberungen gehindert. Und wie erschütternd ist die Feststellung, daß die gezeichneten (unü z. T. in bezaubernder Weife leicht angetuschten) Bildnisstudien zum großen Gemälde der Königskrönung Wilhelms I. in Königsberg tausendmal die gemalten Köpfe der offiziellen Fassung übertreffen, daß sie, die sich in ihrer frei dahersahrenden Art so unzweifelhaft als Gnadengeschenke des Augenblicks zu erkennen geben, die eigentlichen Leistungen sind, daß die Studie, entgegen dem erbitterten Willen ihres Schöpfers, Selbstzweck geworden ist. Man müßte blind sein, erkennte man hier nicht die ersten bedrohlichen Anzeichen der Auslösung. Die Zeichnungen selbst freilich haben einen Rang, der nur dem Allerhöchsten vergleichbar ist. Man muß bis I n g r e s und David zurückgehen und manchmal sind selbst Dürer unf Holbein nicht ferne. Menzel aber ist weder ein Neuerer, noch ein Bewahrer, noch ein Vollender, sondern ein königlicher Einzelgänger, beladen mit dem ganzen Fluch des amusischen 19. Jahrhunderts und daher fein Vorbild, fein Erzieher. Er ist groß nicht wegen, sondern trotz seiner „Altmeisterlichfeit", durch die selbst in den fatalsten Fällen fein unverwüstliches Genie wetterleuchtet.
Landschafter-Konkurrenz.
Zunächst muß die in der Galerie Nierendorf gezeigte Ausstellung als seltener und erfreulicher Beweis kameradschaftlicher Initiative begrüßt werden. Franz Lenk, der stille, „neu-sachliche" Landschafter hat sich zu gcmciniamcr Vorführung mit Otto D i j verbündet, dessen stürmische künstlerische Vergangenheit ihn saft aus dem Bereich zeitgemäßer Aufmerksamkeit zu verbannen drohte, hat cs getan mit Landschaften, die in gemeinsamer Arbeit im Sommer 1934 im Hegau entstanden sind, obwohl er wissen mußte, das; beim Vergleich für ihn selbst nicht der größere Ruhm zu holen sein würde. Das verdient nachdrückliche Anerkennung. Auch das Gesamtbild ddr Ausstellung ist fesselnd und im höchsten Maße aktuell. Hat man geklagt, daß die Künstler der voraiisgehenden Generation, vor allem die viel gelästerten Expressionisten, das handwerklich
gediegene Malen verlernt hatten, daß ihre Zeichnung unkorrekt, ibr .Farbenauftrag roh sei und ohne jede Gewähr für zuverlässigen Bestand — nun, ein Blick auf diese Ausstellung zeigt, daß alles Verlorene mit großer Energie tatsächlich zurückgcwonnen werden konnte. Jedoch: mit der Rückkehr zur Natur und zum soliden Handwerk ist auch das alte Gespenst der Nltmciftcrlichkeit erneut auf den Plan getreten. Lenk, der schwächlichere, erinnert gerade in feinen besten Leistungen an die Meister der Romantik: Dix, der vitalere, versteht sich auf die Ansdrucksmiltel A l t d o r f e r s und anderer altdeutscher Meister so, daß uns schwindlig wird beim Betrachten. Hin und wieder leuchten eigene Einfälle auf: eine Landschaft mit abziehendem Gewitter ist nicht nur altmcisterlich, eine ergriffene Naturschau aus eigenem Erleben setzt sich durch. Aber immer wieder werden wir an Piper-Drucke erinnert. Es wird uns nicht wohl dabei, es stimmt etwas nicht. Sagen wir es ohne Umschweife: es handelt sich in erster Linie um ein geglücktes teck- »ifchcs Experiment. Das gilt namentlich für Dix, den unendlich Begabteren, dem mit den alt-neuen Fertigkeiten nur in den seltensten Fällen auch eine innerlich überzeugende Aussage gelungen ist, die ihm und keinem anderen aufgetragen wäre. Es fehlt der innere Auftrag — und fügen wir es hinzu: auch der äußere —, um die sich sauber präsentierenden altmeisterlickcn Mittel in den Dienst einer Gegenwartsaufgabe von zwingender Notwendigkeit zu stellen. Anders vielleicht bei Lenk: seine blassere Begabung trägt faum weiter als bis zu sauberen imitativen Bemühungen: sicherlich ein guter Lehrer, dock fein Meister von Format.
Bedeutet die gegenwärtig gewonnene Stufe einen Augenblick ernster Besinnlichkeit (an der mir alle teilzunehmen heute besonders gestimmt sind), eine vorbereitende Station zu neuem Aufbruch, so wird man ihrer immer dankbar gedenken. Bedeutete sie aber etwas Endgültiges, käme in der Begegnung mit den alten Meistern eine Resignation zum Durchbruch, die auf eine selbständige, erobernde Deutung der Welt vorn Standort der Gegenwart' aus Verzicht geleistet hätte, so stünden wir vor dem Untergang der Funst. Carl Georg Heise.
Dicht Hrisekda - aber Möe Dorsch.
Berlin, 13. Februar.
Jer Darmstädter Merck sagte zu dem jungen Frankfurter Goethe, der das Wort in „Dichtung und Wahrheit" oerzetch- net bat: „Tein Bestreben, deine unablcntbare Richtung ist, bem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das iogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das gibt nichts wie dummes Zeug" In solchem Hinblick ist Gerhart Hauptmann in seinem dramatischen Werk der eine wie auch der andere, in seiner „Griselda" aber nur und arg äugen, fällig ein Verwirklichet: des sogenannt Poetischen. Und wenn wir auch höflich genug sind, uns die böse Schlußfolgerung Mercks nicht zucigcn zu machen, darüber kommt man nicht hinweg: Ersteht jetzt „Griselda" nach langer Grabesruh auf der Bühne des deut-
