Lsnntag, 18. August 1935 w 15 Ptgf.
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Erbauer des Empire.
Englands jnngere Adelsfahne.
(Vonunserem Korrespondenten.)
W v D London, im August.
Ein neuer Vizekönig für Indien ist gefunden worden. Lord Linlithgow wurde für dieses Amt ausersehen, das nächst dem Posten des britischen Premierministers wohl das wichtigste im ganzen Empire genannt werden kann. Es ist bemerkenswert, über wie reiche Reserven von Talenten Britannien für die Aufgaben verfügt, die es in seinem Weltreich zu erfüllen gibt. Lord Linlithgow hat bisher nicht im Vordergrund der Politik gestanden. Dennoch wird ihm von der Rechten wie auch von der Linken vorausgesagt, daß er in Indien beste Arbeit leisten werde. Das britische System gibt Männern mit hervorragenden Gaben die Möglichkeit, auch außerhalb der politischen und amtlichen Laufbahn durch Erfahrungen zu lernen. Indiens zukünftiger Generalgouverneur hat in der Organisation der konservativen Partei seines Landes sehr wertvolle Dienste geleistet, aber er befähigte fick vor allem für seine neuen Pflichten durch jahrelange Tätigkeit als Vorsitzender zweier für die indische Weiterentwicklung ungemein wichtiger Kommissionen (der Kommission für das Studium landwirtschaftlicher Fragen und des gemischten Parlamentsausschusses für die Bearbeitung der indischen Verfassung). Das britische Volk kannte ihn bisher kaum. In den politischen Kreisen ist man indessen sicher, in ihm den geeignetsten Mann für die so schwierigen Arbeiten gefunden zu haben, die in den nächsten Jahren in Indien vollbracht werden müssen. Denn ist dieser Schotte nicht nach Kenntnis und Adel der Person ein wahrer britischer Edelmann!
hundert unter der Führung John Balls, de? tollen Priesters von Kent, den Spottvers singen konnten:
.Als Adam grub und Eva spann, Lo war da der Edelmann?"
Eine wesentliche Aenderung in der Anwendung der Bezeichnung wurde kurz danach durch die furchtbaren Verheerungen hervorgerufen, die der fchwarze Tod im Jahre 1349 besonders auch auf dem Lande verursachte. Bis dahin war es trotz des englischen Erstgeburtsrechts, nach dem nur. die ältesten Söhne die väterlichen Adelstitel und Besitztümer erben, gelungen, auch die jüngeren Söhne in der Landwirtschaft unterzubringen. Nun aber gingen sie an die Höfe des Hochadels, und stellten sich dem König für dessen Kriege in Frankreich zur Verfügung. So wurden sie zu einem Stande, der nach dem Gesetz nicht mehr beanspruchen konnte, zu dem eigentlichen Adel zu gehören, der aber doch zu den „anständigen" Menschen gezählt werden wollte. Sie wählten sich das in der seitherigen Geschichte des Staates nur locker umgrenzte Wort Gentleman als Standesbezeichnung. Als solche wurde es auch bald vom Staate anerkannt, als ein Dekret Heinrichs V. verfügte, daß hinfort bei allen Gerichtsverfahren „Stand, Grad und Geheimnis" des Angeklagten angegeben werden müßten. Freilich, der erste Gentleman, von dem man auf Grund dieses Statuts aus den amtlichen Aufzeichnungen erfuhr, war nach den heutigen Begriffen wirklich kein solcher. Er hieß Robert Erdeswyke of Stafford (gentilman). ET hatte unter Lord Talbot bei Agincourt gekämpft und stand vor Gericht, weil er Einbruch
' Rumänisch-polnische Freundschaftsbeweise.
Ei» Fest des Meeres in Consta»;«.
(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)
B Warschau, 17. Aug. Ein Fest des Meeres, das gestern im rumänischen Hasen Constanza begann, gab Gelegenheit zu einer bemerkenswerten Kundgebung für das polnisch-rumänische Bündnis. König Carol selbst, der in Warschau immer als die stärkste Stütze dieses Bündnisses angesehen wurde, nahm an der Veranstaltung teil und war Gegenstand polnischer Huldigungen, die in der hiesigen Presse heute noch nachdrücklich unterstrichen werden. Ein Becher mit O st s e e w a s s e r, den der polnische Gesandte, begleitet von einer Sonderdelegation aus Dertretern der polnischen Meeresliga, dem Monarchen überreichte, und der dann von ihm ins Schwarze Meer geschüttet wurde, bildete die symbolische Darstellung der Bindungen zwischen den beiden Nationen. Auch eine Abordnung polnischer Faltbootfahrer hatte sich in Constanza eingefunden, und ebenso weilt dort zur Zeit eine Gruppe höherer polnischer Offiziere, die dem staatlichen Institut für Leibesübungen einen Besuch abstattete. Diese Kundgebungen und Visiten finden wohl nicht zufällig in einem Zeitpunkt statt, in dem nach den hier vorliegenden Informationen die Annäherungsbestrebungen Tituleseus an Moskau ins Stocken geraten sind. Sie zeigen, daß die Dinge in Südosteuropa noch im Fluß bleiben
und Polen dort seine Stützposition keinesfalls freiwillig räumen wird.
Heber das Ergebnis des polnischen Ministerbesuches in Finn» land sind inzwischen von französischer Seite Darstellungen ver, breitet worden, die nur als Zeichen der Mißgunst gegenüber der polnischen Diplomatie gedeutet werden können, die Zusammen» hänge der Warschauer Ostseepolitik aber mehr verwirren als klären. So heißt es in einem Bericht des „Journal", Beck habe in Hel, singfors einen Mißerfolg erlitten, da die finnische Politik sich nicht Polen, sondern vielmehr den skandinavischen Staaten nähern werde. Diese Anlehnung Finnlands an seine skandinlstischen Nachbarn ist aber weder neu, noch steht sie in irgend einem Gegensatz zu der Freundschaft zwischen Helsingfors und Warschau. Becks Ostsee p län e haben ja, wie seine Besuche in Kopenhagen und Stockholm an der Jahreswende zeigten, die nordwestlichen Ostseestaaten immer mehr in die baltische Zusammenarbeit einzubeziehen gesucht. In seinen Kundgebungen an die finnische Oefsentlichkeit hat der polnische Minister denn auch bereits,seit Monaten Finnland immer wieder als ein nordisches Land mit westlicher Kultur bezeichnet und durchaus darauf verzichtet, die Helsingforser Regierung etwa in einseitige ostbaltische Kombinationen hineinzudrängen. So ist man denn auch mit dem Ergebnis der letzten Reise Becks nach dem Norden hier zufrieden, da irgendwelche Bindungen mit einer Angriffsspitze gegen eine dritte Macht von Polen aus keineswegs beabsichtigt waren und die Zusammenarbeit mit Finnland nur der Abwehr solcher friedensgefährdender Paktkonstruk- t i o n e n gilt, die dem Ostseegebiet von anderer Seite her auf- gedrängt werden sollten.
Asikfsinischr Krieger tu Hause.
Von Studienrat Wohlenberg, Frankfurt a. M.
Gentlemyn durch Geburt und durch Erziehung.
Für Kanada ist vor einigen Monaten zum Stellvertreter des Königs ein Gentleman ausersehen worden, der bisher ein Bürgerlicher war. In neuzeitigen Großbritannien braucht Adel der Person nicht mehr Geburtsadel zu bedeuten. In den vergangenen hundert Jahren, in denen das Land seinem aristokratischen Staatsaufbau demokratische Formen gab, hat es seine Gentlemen auch durch Erziehung produziert. Es schien zuerst ein bedenkliches Experiment zu sein. Denn England, das seine Wcltstellung dem persönlichen Einsatz der Klasse verdankt, die allein sich früher als Gentlemen bezeichnen durfte, konnte bei der ganzen Struktur seines Staatswesens und seines Imperiums nicht darauf verzichten, auch weiter Menschen von besonderer Hochwertigkeit zur Verfügung zu haben. Schon in der ersten Rormannen-Zeit war der Gebrauch des Wortes Gentleman nicht völlig starr gewesen. Rach dem Volksgefühl aber beschränkte er sich auf die Vornehmen des besitzenden Standes, so daß die Bauernrebellen im 1'4. Jahr-
Au» -darrr Inhalt der Beilagen dieser -Ausgabe:
Literaturblatt: 4
Zwei Frauen des Hauses Stuart
Wald, Garten, Blumen |
Neue Brahms-Dokumente
Deutscher Humor
Hochschule und Jugend:
Utopische Realität
Zweimal Weltjugendlager
Kraftlos — oder gedankenlos?
Lujo Brentano
Reiseblatt:
Vom Bayerischen Wald
Der Thüringen-Gast
Spätsommergang durch Bad Salzungen
Rheinische Strandbäder
Die Frau (in Kupfertiefdruck):
Nietzsche und die Frauen
Deutsches Landerziehungsheim (Schloß Bieberstein in der Rhön) Duft und Parfüm
und einen Mordversuch begangen und die Ermordung von Thomas Page verursacht hatte, der in Stücke gehauen worden war, als er kniefällig um sein Leben flehte. Man darf annehmen, daß in jener rauhen Zeit auch andere Gentlemen nicht gerade ein sehr edles Wesen zeigten, und es ist sinnvoll, daß das Wort cad, das im heutigen Sprachgebrauch das gerade Gegenteil von Edelmann bezeichnet und daher ein« schwpr^Br- leidigung ist, seine Ableitung von cadet — jüngerer Sohn findet.
Seeräuber und Pioniere.
Nach der kriegerischen Periode des 14. und 15. Jahrhunderts kam es immer häufiger vor, daß die jungen .. 'ssöhrir sich dem kaufmännischen Beruf zuwandten. Kaufmann sein, bedeutete damals, Pionierdienste leisten und ein abenteuerliches Leben führen können. Aber vkele von ihnen legten auch Wert darauf, sich eine gute Bildung zu verschaffen. Die Colleges von Oxford'und Cambridge waren gerade gegründet worden, und das „Neue Wissen" kam zu beachtlicher Blüte. Unter Elisabeth stand kultiviertes Wesen hoch im Ansehen. Es konnten nun auch Leut« den Titel Gentleman erwerben, die ihrer Geburt nach eigentlich nicht dazu berechtigt waren. Sie 'mußten sich an die königlichen Herülde wenden, die-fthnen nauf Zahlung von Gebühren Wappen verliehen. Auch Shakespeare wurde auf diese Weise aus einem „Vagabunden" zum Gentleman. Später trieben die Herolde mit dem Empfang^dcr Gebühren viel Mißbrauch, wodurch die Grenzen der Standes- bezeichnung eine gewisse Vermischung erlitten. Aber daß Gentlemen ursprünglich Waffentragende roarent kam noch lange zum Ausdruck, denn sie hatten die Berechtigung, im alltäglichen Leben Degen an der Seite zu führen. Dies erklärt, warum noch heute am britischen Hofe der Degen zur Hoftracht gehört.
Die Erweiterung, die die Standesklasse in der Elisabethanischen Aera erfuhr, war recht weitgehend. Die damals gültige Erklärung besagte, daß „Gentlemen diejenigen seien, die sich durch Rasse und Blut oder zum mindesten durch ihre Tugenden edel und bekanntgemacht haben". Zum, mindesten durch ihre Tugenden. Tugend war also noch nicht die wichtigste Voraussetzung. Tatsächlich waren die Gentlemen unter Elisabeth ein merkwürdiges Gemisch von Seeräubern und Gebildeten. Trevylian sagte von ihnen, daß sie in den spanischen Schatzschiffen Beuteobjekte gesehen hätten, durch die sie persönlich zu Reichtum gelangen, ihrer königlichen Herrin öffentlichen Dienst leisten und für die wahre Religion eintreten konnten.
(Fortsetzung auf Seite 2.)
Der Verfasser ist soeben von einer längeren Reise ins Innere Abessiniens zurückgekehrt. Sehriftleitung.
Die Maultierkarawane hält in einem Marktflecken, die Zelte werden auf dem Karawanenplatz aufgeschlagen, denn dort stehen wir in der Obhut der Ortsbehörde, und sollten wir bestohlen werden, so haftet die Dorfgemeinde für den Schaden. Mir begeben uns zum „Schum", dem Dorfchef, um unseren Höflichkeitsbesuch abzustatten und unsere Papiere vorzuzeigen. Im „Gibbi", dem Wohn- und Amtsgebäude, durchschreiten wir mehrere, durch Stangen- und Astverhaue umgrenzte Binnenhöfe, senden unseren Diener voran, und nach kurzem winkt uns der oberste Diener des Balambaras, wie ein kleinerer Chef bezeichnet wird. Die Wohnhütte ist armselig und bescheiden, sie besteht nur aus einer runden Wand von Holzstangen mit Lehmbewurf, und einem geflochtenen Kegeldach darüber. Ein ° Stück Baumwollstoff ersetzt die Tür und sperrt neugierige Blicke ab. Der Herr sitzt vor seinem mit ein paar Decken belegten Staatsbett, einem Holzgestell mit phallischen Symbolen, über das eine gemalte Ochsenhaut gespannt rst. Er steht bei unserem Eintreten auf und verneigt sich beim Händeschütteln 'lies Beim Anblick, des kaiserlichen Siegels wiederholt er die tiefe Verneigung, 'und weil er selbst nicht lesen kann, verlieft sein Lieblingsdiener den Paß. Da die Erlaubnis der kaiserlichen Zentralregierung in diesem mittelalterlichen Feudalstaat nicht genügt, fragt er nach dem Empfehlungsschreiben seines Herrn, des Provinzstatthalters. Nach dessen Verlesung ist der förmliche Teil des Besuches beendigt. Ein paar Fragen folgen nach dem Woher und Wohin, und ob er uns irgendwie helfen könne. Wir versuchen ihm klarzumachen, daß wir, ov- wohl „Farendji", Franken, Europäer, dennoch keine Italiener seien. Die Bezeichnung der deutschen Nationalität, „Dscber- man" in Anlehnung an das englische German, ruft anerkennendes Staunen hervor, denn Dscherman heißt in am- harischer Sprache „der Furchtbare". Voll Stolz holt er seine Donnerbüchse von der Wand, die noch aus deni englischen Krieg der sechziger Jahre stammt. Alle seine Ge^olg- schaftssoldaten haben ähnliche, uralte Gewehre, und jeder trägt einen Patronengurt um die Hüften. Mit rollenden Augen betrachten sie unsere modernen Mauserwaffen, die unsere Diener nie mitzunehmen vergessen, weil sie uns mehr Achtung und Würde verleihen, als alle Empfehlungsbriefe der Welt. Nicht selten fragt dann heimlich ein Diener des Schum unfere Boys, ob wir nicht iin Gewehr verkaufen", sprich: dem Herrn schenken wollen. In Abessinien ist jedermann Soldat,
und dort trifft das Wort unseres ehemaligen preußischen Unteroffiziers buchstäblich zu, daß das Gewehr die Braut des Soldaten sei. Kaum eine menschliche Braut dürfte in diesem Lande soviel inbrünstige Liebe genießen, wie ein gutes Gewehr. Bei den unterworfenen Völkern nennt man Abessiniens herrschende Schicht, die Amhara, geradezu „die Gewehre".
Im Zeltlager angekommen, finden wir bereits die Geschenke des Schum vor: einen Hammel für unsere Küche itnb einen Krug Honigmet für unseren Durst, — Geschenke eines Herrn für Herrschaften. Aber auch die Diener lassen sich nicht lumpen, sie schicken ein paar Hühner, einen Korb mit abessinischem Brot und einen Krug „Talla", dem Eingeborenen- Bier, für unsere Boys. Der Hauptdiener, der die geschenketragenden Unterdiener hergeführt hat, übermittelt uns eine Einladung zum Mittagessen für den nächsten Tag.
Dieses beginnt schon um 10 Uhr, denn die Amhara sind Frühaufsteher. Diesmal ist auch die Familie vertreten-, die junge Tochter küßt uns die Schuhe, die gnädige Frau ist erstaunt, daß wir ihr die Hand reichen, und bietet^uns di« ..Linke. Tie Frauen schlafen auch auf der linken Seite und werden auf der linken Seite rns Grab gelegt; beim Manu geschieht alles rechts. Vor dem Mahle wird Honigwein kredenzt, der Diener gießt sich ein wenig in die hohle Hand And kostet vor. Das Wort kredenzen hängt bekanntlich a.it Kredit, Vertrauen, zusammen, und in einem Lande, in dem jahrhundertelang der Giftmord an der Tagesordnung war, mußte' eine solche Sitte wohl entstehen. Wenn die gnädige Frau niest, so verneigt sich die ganze Dienerschaft tief. Unser Dolmetscher, der Deutschland gesehen hat, sagt: „Bei den Amhara ist es wie bei den Deutschen: was die Frau sagt, gilt." Es beginnt.die erste Waschung, eine Dienerin (unhöfliche Leute sagen: Sklavin) hält uns eine Schale unter, übergießt uns die Hände mit Wasser und reicht ein einstmals sauberes Tuch. Di« Herrschaften selbst spülen auch den Mund und speien das Wasser in die Schale. Eine Ziege beschnüffelt neugierig unsere Hosen und wird fortgejagt. Eine Henne fliegt kakelnd auf das Speisebord und legt gackernd ein Ei. Nun soll die Atzung beginnen. Alles Speisen muß aber nach alter Sitte geheim erfolgen, daher werden an den Bindfäden, die oben von Wand zu Wand laufen, Tücher vorgezogen, fo daß die Tafelnden vor neidischen Blicken geschützt sind. Selbst auf der Straße sieht man häufig Leute, die sich plötzlich niederhocken und ihre Schama über den Kopf ziehen, — sie lauten
Girlande durch den Struwwelpeter.
„Frankfurt a. M."! Ja, das war die geheimnisvolle Stadt mit zwei rätselhaften Buchstaben, die ich zuerst neben dem Namen meiner Vaterstadt kennen lernte. Stand sie doch auf dem Umschlag jenes unsterblichen Buchs, das an Volkstümlichkeit bisher nicht in der deutschen Literatur übertroffen worden ist: auf dem. „Struwwelpeter". Und war der Main — denn das hieß a. M., sagten die Erwachsenen — nicht überhaupt jener Fluß, in den Hans Guck-in-die-Luft mit rechtwinklig erhobenem Bein hineinspaziert? Jener Fluß, der, mit scharf quabratierten Mauern eingefaßt, dem Kinderherz außerordentlich viel begehrenswerter erschien als der unregelmäßige Strand der Elbe. Wo gab es Treppen ins Wasser hinein, von fast blumenhaft profilierten Laternen flankiert? Deutete nicht der perspektivische Wasserstrang, auf dem die rote Mappe winzig für immer am Horizont verschwindet, an, daß solche Uferlinien meilenweit das Auge erfreuen würden?
„Seht ihr wohl, da steht er!" Wie viele Eindrücke erster Kindheit sind mit diesen Worten verwoben, die die allabendliche Einleitung zu einer bekannten, doch immer wieder überraschenden Welt bildeten. Wie oft versank das Kinderdenken, ohne die schwarzen Buchstaben zu beachten, in tiefstes Sinnen und entdeckte vor und hinter den einfachen kolorierten Flächen neue seltsame Einzelheiten. Neben seinen unvergeßlichen Versen verdankt der Struwwelpeter wahrscheinlich seine nie versagende Anziehungskraft als Bilderbuch dem Umstand, daß er — seit Jahrzehnten historisch — eine längst entschwundene Zeit kostümiert. ■
Denn diese Kinder: Paulinchen, Friedrich und Kaspar, sind es wirklich Kinder? Sie spielen mit Puppe, Fähnlein und Reif, aber sie tragen lange Röcke und Hosen, ja Westen und Joppen. Trotzdem alber tun sie kindliche Dinge, und ihre Ungezogenheiten erschienen uns noch größer, weil wir ihnen längst entwachsen waren.
Hierin lag der unheimlich bittersüße Zauber des „Struwwelpeter", so etwa wie wenn Mutter mit der Köchin zankte. Diese erwachsen angezogenen bösen Kinder führten ein seltsam eitern« und lehrer-loses Dasein. Zappelphilipp allein hat ein Elternpaar. Jedoch mit welch fasiungslosem Fatalismus lassey sie die Katastrophe, eintreten, der Vater mit der animierenden Frage: „Ob der Philipp heut wohl still?", die Mutter mit der entnervenden Stummheit. Läßt nicht gar die merkwürdige Anordnung des Trümmerhaufens: Philipp vom Tischtuch begraben, darüber noch Schüssel und Flasche, beinahe darauf schließen, daß die Eltern den Rest hinterhergeworfen hätten? Was muß da vorher vorgegangen sein?
Paulinchens Eltern und Konrads Mutter, die ich immer für jine Witwe hielt, gehen aus und lassen ihre Kinder trotz gefähr- her Angewohnheiten allein. Kein Dienstmädchen, kein Geschwister miet in ihren unheilsschwangeren Sonntagnachmittag — denn toi war es doch in unserer Vorstellung, wenn die Eltern ausgin
gen —, in diesen todstillen Tag, in dem nur wie Flöten in dunkler Schlafstube das verbotene Paradies: Feuerspielen und Daumenlutschen vor dem Grauen der Einsamkeit retten konnte.
Wie aber ist es mit Suppenkaspar? Von Zauberhänden schien der Tisch mit „richtigem" Tischtuch gedeckt, denn sonst müßte doch irgend jemand wie bei uns das Esten der Suppe erzwingen oder aber, als er „schon wie ein Fädchen war", eine andere Ernährung Vorschlägen? Nein, Suppenkaspar mußte einsam, wie sein schüsselgeschmücktes Grab dalag, ohne Familie gelebt haben. Auch der „fliegende Robert", dessen Verschollenheit mir dadurch in eine gewisse ehrenvolle Atmosphäre gerückt schien, daß seine Entwicklung in goldener Bilderumrahmung geschildert wird, verläßt mit einer unverständlichen Sicherheit ungehindert bei Sturm und Regen das Haus. (Ohne Gummischuhe!)
Die großartigste Figur aber war nicht der „Struwwelpeter" selbst. Dieser vertrat durch seine kurze Geschichte, die mit einem „Pfui" abgetan wird, mehr die Rolle eines unumgänglich notwendigen Vorworts. Es auszulassen, schien nicht ganz fair, aber dahinter glänzte erst der Held des Buchs, der Heros meiner ausschweifendsten Träume von Kühnheit und Ungebundenheit: der „böse Friedrich".
Ter „böse Friedrich" ist auch der Anlaß dieser von dankbarer Erinnerung durchwirkten Zeilen, denn -wenn ich jetzt wieder abendlich zum viertenmal, das Jüngste auf dem Schoß, die alte Ausgabe durchblättere, kommt der sehnlichste Ruf: „Treppe sehn!"
Ja, das ist jene, von Lorbeerbäumen flankierte Treppe, die in einer eleganten Kurve unmittelbar vor dem Bett Friedrichs endet. Um diese Treppe habe ich Friedrich so beneidet, daß ich ihm Katzen und Fliegen zugute hielt. Diese Treppe, verbunden nut der Feststellung, daß an dem Tische, wo nun der Hund sitzt, für Friedrich mit einer ganzen Flasche Wein gedeckt war — auch Leberwurst war ein durchaus männliches Gericht —, ließ in mir unbewußte Phantasien eines Lebens jenseits unserer behaglichen Wohnzimmerwände entstehen, in dem Knaben, die zwar noch „ihr Gretchen" zur Beaufsichtigung hatten, sozusagen ein gar«on-garni- Leben führten. Tann gehörten vielleicht Stühle und Papageienbauer Friedrich selbst, und es war zwar dumm und böse, daß er sie zerschlug, aber er „durste" es vom Standpunkt, daß väterliche Autorität nicht zur Erörterung stand. Welche Möglichkeiten! Auch die Tatsache, daß der Doktor ohne mütterlichen Beistand am Bet: sitzt, ließ auf ein einsames aber selbständiges Dasein schließen. Nur Daumenlutschers Wohnung, die sich in dem Schneiderbild mit einem gewaltigen Säulenoestibül als durchaus märchenhaft erweist, konnte sich mit Friedrichs Privattreppe messen. Dahinter verblaßten die viel einiacheren Begebenheiten vom wilden Jägersmann und großen Nikolas. Das in Kindern sehr empfindliche Gefühl für Dimensionen sträubte sich zudem gegen die Art, in der der Has' die dreimal größere Flinte anlegt, und die unvorstellbaren Maße des Tintenfasses.
Auch sand ich es ungerecht, daß die drei Paradiesvögel, welche die girlandengeschmückte Empore zieren, auf bet bet Mohr ben
Siegeszug der schwarzen Rasse antritt, unschuldig mitgeschwärzt waren.
Doch kannte ich jede Einzelheit, wußte, daß Minz immer kleiner war als Maunz, und warum gab es keine solchen Streichholzschachteln mehr? Ich liebte diese Welt der runden Bäume in Töpfen und der zierlichen Arabesken. Die Jäger und Kinder, die darauf einherliefen, hatten seltsame, vetschlußlose Gamaschen und Stiefel, ste ließen sich nicht „von Mama auf der Gasten führen", was der. Verfasser von dir verlangte, sie führten e*n brausendes Leben jenseits der „Siebensachen", mit denen du genügsam still sitzen solltest, und wenn sie auch ein trauriges Ende sanden, so wurden sie doch schließlich von umflorten Katzen beweint. Ascan Klee Gobert.
Kleines Erlebnis mit einem Megenöogen.
Eines Tages, als ich noch in dem Alter war, in dem sich die Grenzen von Traum und Tag dem kindlichen Gemüte oftmals wunderlich verwischen, geschah es, daß ich einen Regenbogen erblickte, der nach einem Gewitter sein Farbenspiel schimmernd über Dorf und Acker spannte.
Dieser Anblick begann mich damals sogleich zu entzücken. Wie ich dann jedoch auf das Gelüst verfiel, mich mitten in den Gold- strahl des holdseligen Bogens hineinzustellen, weiß ich nicht mehr.
Ich sehe mich nur kurz darauf mit meinen Brüdern über die feuchten Aecker auf den Regenbogen zulaufen, und ich höre uns in einer seltsamen, gehobenen Stimmung immer wieder „Sisym evn, sesam evn“ vor uns hinsprechen. Dies Zauberwort halte nämlich in einem Märchen Flüchtlinge gebannt, und wir vermeinten darum, daß sich seine geheimnisvolle Kraft vielleicht auch hier bei dem Regenbogen bewähren würde. Freilich mußte man das Wort auf die rechte Weise aussprechen, und just das schienen wir nicht zu vermögen. Denn unsere Hoffnung trog. Der Bogen ließ sich nicht Bannen; und soviel wir uns auch bemühten, kamen wir ihm doch nicht näher.
Endlich, als er sich nun schon hinter die blauen Schatten bet Wälder zurückzog, gaben wir die Verfolgung auf. Wir gewahrten, daß die Glut feiner Farben auch bereits zu ermatten begann. Immer schmaler und entrückter wurde der liebliche Flüchtling, bis er schließlich höher und höher am Horizont emporstieg und den Boden unter seinen goldenen Füßen ganz verlor.
Da kehrten wir schweigend um und vermieden eS, einander anzusehen.
Diese Jagd nach dem Regenbogen kommt mir jetzt oft ins Gedächtnis. Es will uns nämlich heute so scheinen, als wollte sich das Schicksal damals im Gleichnis an uns wenden, um uns mit verschleierter Stimme früh den Weg zu sagen, der für unfern Gang vorgezeichnet ist.
Wir haben es nämlich auch später nicht unterlassen können, Träumen nachzujagen, deren Regenbogenglanz sich heiter über unserm Alltag wölbt.
Werden wir das Zauberwort, den Glanz zu bannen, jemals auf rechte Weife sprechen?
Sisym evn, sesam evn .... Willi Fehse,
Uraufführung.
Bad Oeynhausen: „Johann Philipp Palm** von Josef Wenter.
Josef Wenter, der Dramatiker aus Südtirol, schrieb sein Drama um den Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm, der 1806 von Napoleon in Braunau erschossen wurde, unter dem Eindruck der Rheinlandbesetzung 1922. Man wird deshalb etwa auf tauchende programmatische Bedenken gegen die Ausmünzung des Stoffes um so leichter zersteuen, als sie sich ja niemals gegen das reine Wollen des Dichters richten. Denn dieses Wollen baut Wenter mit großer geistiger und charakterlicher Energie aus: Ihm wird die Gestalt des Buchhändlers zu einem fanatischen Märtyrer des Deutschtums, zum leidenschaftlichen Ideologen deutscher Volkseinheit, zum Typus des Helden, der durch seinen Opfertod ein hohes Beispiel gibt (Sctilageterl). — Zwar erreicht der Autor nicht die dramatische Verdichtung, die seinen „Kanzler von Tirol“ (im Vorjahr mit dem Grillparzer-Preis gekrönt) auszeichnet, aber ihm gelang ein von wahrhaftigem Ethos erfülltes Stück, eine geistig interessante, in der sprachlichen Ausführung lebendige, trotz aller Theatereffekte kraftvolle Bild folge. Das Osnabrücker Nationaltheater setzte sich unter der zuchtvoll-strengen Regie seines Intendanten Dr. Storz mit Eifer für den Dramatiker Wenter ein. Die Uraufführung, die im Kurtheater Bad Oeynhausen mit stürmischem Beifall begrüßt wurde, erhielt ihre besondere Note durch die Musik, die Hermann Zilcher - Würzburg zu dem Drama geschrieben hat. Eine Musik, die manche Melodieanregungen aufgreift und das szenische Geschehen sinnvoll stützt und ergänzt. Der Komponist leitete die "Wiedergabe selbst und war Gegenstand lebhafter Huldigungen. k. u.
Tas Stadttbcatcr in Halberstadt, dem in Anerkennung seiner Leistungen ein Reichszuschuß bewilligt worden ist, wird in der am 13. September beginnenden Spielzeit auch die Städte Aschersleben,. Oschersleben. Quedlinburg und Wernigerode bespielen. Das Theater gibt Schauspiel, Oper und Operette. b.
Deutsche über in Argentinien.
In Gegenwart des Präsidenten der argentinischen Republik und des deutschen Gesandten wurde soeben das Deutsche Operngastspiel in Buenos Aires mit einer Aufführung des „Tannhäuser*1 eröffnet. Das Haus war ausverkauft und zeichnete den Dirigenten Fritz Busch, den Spielleiter Carl Ebert sowie die Sänger Max Lorenz und Jaro Prohaska mit stürmischem Beifall aus.
„Grundkräfte deutscher Heimatbilduna."
Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volk», bildung veranstaltet vom 24. Oktober bis 21. Dezember im Musikheim Frankfurt a. d. Oder einen Lehrgang über Grundkräfte deutscher Heimatbildung. Hauptgebiete des Lehrganges sind: Instrumentalmusik und Chorgesang, Volkstanz und Laienspiel, Geopolitik und Heimatkunde. Erforschung der Bildungselemente der Landschaft. Auch finden wissenschaftliche Exkursionen statt. Kursleiter ist der Direkte? des Musikheimes Georg Götsch.