Ur. 333 Grstrs Morgtnblittt. AWMkljigßtt Ich-«-. Dienstag. I. Dcjctnlrcr 1903
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Sie Revision des Trehfus-Prozeffes.
- y Paris, 29. Nov.
Welchen Eindruck die Wiederaufnahme der Dreyfus» Affäre auf das Pariser Publikum gemacht hat, ist in diesem Augenblick schwer zu erkennen. Der Himmel hat uns wie zu Ehren der englischen Friedensfreunde Londoner Wetter beschert und wer nicht gerade gezwungen ist, sich durch den winterkaltm Regen imb den schwarzen Nebel durchzuschlagen, der bleibt ruhig zu Hause am flammenden Kamin. Auf den Boulevards ist unter diesen Umständen wmig Gelegenheit, den sogenannten Pulsschlag der öffentlichen Meinung zu fühlen; es fehlt an Camelots, die Zeitungen anbieten, weil es am kaufenden Publikum fehlt. Die Ausrufer der „Aurore" versuchten mittags noch die eilende Welt mit einer Spezialausgabe zu fesieln, aber auch sie zogen sich bald ohnmächtig zurück vor der Ungunst des Wetters und der Menschen. Mein Concierge, dm ich schließlich .ausfragte", um zu einer Diagnose der Volksmeinung zu gelangen, meinte, er verstehe überhaupt nichts mchr von einer Affaire, die man schon zweimal abgeurteilt habe und die immer wieder von vorn anfange. Mein Concierge ist natürlich Nationalist und die Nationalisten sind ebenso natürlich in besonderer Verlegenheit, da ihnen die Revision umso bedenklicher vorkommt, als sie noch nicht wissen, welche Enthüllungen sie bringen wird; es ist deshalb nicht zu verwundern, daß die nationalistischen Blätter heute stütz nicht viel mehr zu sagen wußten, als mein Concierge. Der „®au!oi§" protestiert im Namen des Weihnachtsgeschäfts, das einem neuen Bürgerkrieg geopfert werden solle, und die .Libre Parole' ruft ohnmächtig aus: „Uns kann es schließlich recht fein, wenn diese verkommene Welt der Republik sich bis über den Scheitel im Koth vergräbt!"
Eigentlich müßten sich olle reaktionären Blätter der Wiederaufnahme der Dreyfus-Affäre freuen, weil sie ihren Nummern- verkauf wieder beleben könnte, wenn eben das große Publikum sich auf ihre Seite stellen würde, wie ehemals ; brachten doch z B. die „Libre Parole" und die „Autorite" in den letzten Wochen geradezu herzbrechende Abonnements-Einladungen, die auf einen verzweifelt flauen Geschäftsgang schließen lassen. Die Regierung hat den Augenblick zur Revision sehr boshaft ausgewählt ; die Nationalisten glaubten in der Parlaments-Enquete über die Humbert-Affäre ein Agitationsmittel gesunden zu haben, aus dem sich ohne viel Verantwortung maiiches Kapital gegen dir republikanische Gesellschaft schlagen ließe; das erste Opfer dieser Enquete war aber niemand anders, als der eigene Freund und Gönner der Nationalisten Paul D e- fchanel; Georges Berry, welcher diese Enquete mit so großem Geräusch durchgesetzt hatte, beeilte sich selbst, alle in den Humbert-Akten gefundenen Briefe Deschanels für Fälschungen zu erkläre»; unter diesen Umständen kann die Opposition der Regierung nicht einmal vorwersen, daß sie mit der Belebung der Dreifus-Affäre die Humbert-Affäre ersticken wolle. Andrerseits zeigt der Verlauf der Humbert-Enquete, daß das Parlament wenig geeignet ist, solche Fälle mit Unparteilichkeit zu prüfen, in die politische Persönlichkeiten nicht kriminalistisch, wie bei der Panama-Affäre, sondern höchstens moralisch verwickelt find. Es kommt hinzu, daß die Kammer selbst .'sich zu einer Enquete über die Dreyfus-Affäre inkompetent er- fittrfe, alsIaures sie am 7. April d. I. verlangt und in feiner denkwürdigen Rede begründet hatte. Der Kriegsminister erklärte sich damals zu einer Untersuchung bereit; die Kammer billigte in ihrer Tagesordnung diese 'Ministerial-Erklärung, lehnte ober ihre eigene Teilnahme an der Enquete ab, indem sie den Wunsch rmSsprach, daß die Dreyfus-Affäre nicht mehr aus dem Gebiete der Justiz heraustrete. Angesichts dieses Kammerbeschluffes und der Tatsache, daß der Kriegsminister der oberste Chef der Militärjustiz ist, bemüht sich die Oppositionspreffe vergebens, darzutun, daß die Regierung sich in offenen Widerspruch mit den Wünschen des Parlaments gesetzt habe. Dagegen hat sich bestätigt, was wir damals hier ankündigten, daß sich die Opposition, die damals gegen die Enquete stimmte, weil Jaures sie wünschte, dadurch selbst die Möglichkeit abschneiden würde, das unausbleibliche Revisionsverfahren später durch Kammerinterpella» iionen zu stören. Die Regierung muß nach dem Wortlaut der Tagesordnung Chapuis vom 7. April jede Diskussion vor dem AuStrag des Gerichtsverfahrens ablehnen und die Kammer kann diese Zurückhaltung nur gutheißen, wen» sie sich nicht selbst desavouieren will. Bisher hat sich denn auch noch kein Abgeordneter entschlossen, die Initiative zu einer Kammerverhandlung zu ergreifen, und die Ankündigung einer Interpellation im heutigen „Figaro" ist lediglich ein Fühler des m große Verlegenheit geratenen Blattes. Der „Figaro" enthält sich jeder selbständigen Aeußerung und versteckt die
offizielle 92ote mit der Ankündigung der Revision auf der dritten Seite unter den „kleinen politischen Informationen"; er kündigt int Anschluß daran eine Interpellation an, ohne den Interpellanten zu benennen, in der Hoffnung, daß sich die Wgeord- neten von rechts und links beeilen werden, einander zuvorzukommen; denn dem Blatt ist es offenbar nur darum zu tun, eine Kammerdebatte heraufzubeschwören, um ans der Aeußerung des Parlaments eine Lehre zu ziehen über die Haltung des Publikums und für seine eigene Haltung. Das.Journal des Debats", das diegegenwärtigeRegierung noch offener haßt, als der.Figaro", gibt diesem heute Nachmittag das Beispiel einer Nügeren Zurückhaltung; dieses ultragemäßigte Blatt meint nämlich: „So wenig Vertrauen wir auch in die jetzige Regierung setzen, so können wir doch bis zum Beweis des Gegenteils nicht glauben, daß sie die Schwere ihrer Verantwortung nicht begriffen habe; sie muß ihrer Sache sicher fein, um die bereits zweimal gelöste Frage wieder aufzuwerfen. Welche Meinung auch Jeder im Grund feines Herzens über die Schuld ober Unschuld des Dreyfus hegen mag. Jeder muß wünschen, daß endlich auf dem gesetzlichen Wege volles Licht gemacht werde."
Deutsches Reich.
* Frankfurt, 30. November.
DieKommifsionzurVorbereitungder S traf- prozeßordnung wird in ihrer am 15. Dezember beginnenden nächsten Tagung den Abschnitt „Abgekürztes Verfahren" erledigen. Als neue Gegenstände der Tagesordnung sind der „Köln. Ztg." zufolge die Abschnitte Hauptverhandlung und Wiederaufnahme des Verfahrens zur Beratung gestellt. Bei der Hauptverhandlung handelt es sich insbesondere darum, festzustellen, ob eine Ausdehnung des Kontumazialverfahrens sich empfiehlt, und zwar gegen ausbleibende Angeklagte und gegen Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist oder die sich im Auslande aufhalten. Des weiteren soll darüber beraten werden, ob die Vorschriften über das Kr euz v erh ö r zu ändern sind und zwar ob diese Einrichtung überhaupt beseitigt werden soll, oder ob die Voraussetzungen, unter denen das Kreuzverhör stattzufinden hat, zu erweitern sind. Ferner soll erwogen werden, ob sich Unzuträg- lichkeilen in Bezug auf eine übermäßige Ausdehnung der Verhandlungen, ihre Erstreckung auf unerhebliche Umstände und die Ermöglichung von Verdächtigungen und kränkenden Angriffen gegenüber Zeugen und Sachverständigen infolge der bisherigen Vorschriften ergeben haben und wie diesen Unzuträglichkeiten zu begegnen ist. Endlich sollen die Vorschriften über den Inhalt der Urteilsgründe und das Sitzungspro 10 k 0 l l durchberaten werden. Bei dem Abschnitt .Wiederausnahme des Verfahrens" steht die Frage zur Erwägung, ob bei der Einvernahme von Zeugen und Sachverständig e n die nach § 409 der Strafprozeßordnung stattfindet, die Vereidigung obligatorisch zu machen ist, ferner ob bet geisteskranke» Verurteilten das Gericht ohne Erneuerung der Hauptverhandlung auf Freisprechung erkennen oder den Antrag auf Wiederaufnahme abzulehnen hat, während für alle andere Fälle die Freisprechung ohne Erneuerung der Hauptverhandlung auszuschließen ist. Die Frage der Berufung wsid nicht vor dem Frühjahr zur Beratung kommen.
k Braunschweig, 28. Nov. Die Wahlmännerwahlen für die braunschweigischen Landtagswahlen sind derart ausgefallen, daß die Hoffnungen der verbündeten Welsen und'Antisemit en, einige von den 8 Mandaten der Stadt Braunschweig zu erobern, als gescheitert zu bewachten sind. Infolge des Umstands, daß sich die Sozialdemokraten der Wahl enthielten, errangen die genannten Parteien zwar in der 3. Wahlklasse Erfolge, vermochten aber in der 1. und 2. Klaffe meist nur ganz geringe Minderheiten zu erzielen.
ß Rheydt, 29. November. „Es fei zu bedauern für unser nationales Wohlsein, wenn die Schullehrer ihre Kinder höher bringen wollten, als sie selbst gekommen seien" äußerte Oberbürgermeister Dr. Tettenborn in einer Stadtratssitzung, die sich mit einer Petition der Volksschullehrer auf Erhöhung der Mietsentschädigung beschäftigte. In einer von den Rheydtern Volks schullehrern einstimmig angenommenen Resolution treten diese der Ansicht des Oberbürgermeisters wie folgt entgegen: Wenn der Herr Oberbürgermeister behauptet: „Es sei zu bedauern und eine Gefcchr für unser nationales Wohlsein, wenn die Volksschullehrer ihre Kinder höher bringen wollten, als sie selbst gekommen seien, so hat — dies sei zunächst gesagt — dieser Satz mit einer etwaigen Erhöhung unserer Gehälter nichts zu tun. Die
Volksschullehrer haben bei weit geringerem Einkommen und mit Auferlegung eigener Entbehrungen es fertig gebracht, ihren «Ahnen die Ausbildung zu geben, die ihren Befähigungen entsprach. Schon heute gibt es allerorten im deutschen Vaterlande und in allen Stellungen, sei es als Richter, Aerzte, Pfarrer, Regierungs- und Schulräte, Weih- und Erzbischöfe, Volksschullehrersöhne, die wahrlich zu den besten Kräften des Vaterlandes gehören. Die Bildung, die der Sohn erhalten muß, darf nie und nimmer bestimmt werden durch den Stand des Vaters, sondern, und das im Interesse des nationalen Wohlseins, einzig und allein durch die Anlagen und Fähigkeiten des Sohnes! Sollte die Ansicht unseres Herrn Oberbürgermeisters maßgebend werden, so würde dadurch der Volksfchullehrerstaud — aber auch nur er — zurückgeworfen in das Preußen am Ende des 18. Jahrhunderts! Und warum soll der Volksfchullehrer verzichten aus ein Recht, das jedem andern Staatsbürger durch die Verfassung gewährleistet ist! Es wird dem Herrn Oberbürgermeister nicht möglich sein, den Beweis für seine uns und den ganzen deutschen Lehrerstand schwer verdächtigenden und verletzenden Worte zu erbringen. Er wird uns weder beweisen können, daß die große Menge der Volksschul- lehrsrsöhne, die heute in höheren und höchsten Stellungen stehen, eine Gefahr für unser Volksleben bedeute, noch daß in dem Bolksschullehrerstande von heute Kräfte schlummern, die im Interesse des nationalen Wohlseins eine höhere Bildung ihrer Kinder ausschlietzn."
Rußland.
Die sozialistische Bewegung.
* In de» russische» Regierungskreise» ist man, wie der „Polst. Körr." aus P e t e r 8 b it r g geschrieben wird, wegen des Ausbruchs einer neuen sehr heftigen sozialistisch en und regierungsfeindlichen Bewegung in der Arbeiterbevölkerung der westlichen Pro- v i n z e n des Reiches sehr beunruhigt. Man hegt die Besorgnis, daß demnächst nicht nur verschiedene Ausstände eintreten werden, sondern daß auch wieder Attentate auf das Leben einzelner Re- gierungsvertreter verübt werde», wie jenes auf de» Polizeimeister Metlenko in Bialystok, der durch Revolverfchüffe schwer verwundet wurde, ohne daß einet der Zeugen der Tat die Verbrecher, welche auf offener Straße, am Hellen Tage, de» Polizeimeister überfallen hatte», angehalten hätte, so daß sie auch bis jetzt von der Polizei noch nicht entdeckt worden sind. Infolge dieser Befürchtungen hat der Generalgouverneiir der Provinzen Wilna, K o w n o und G r o d n o eine Reihe von Vorbeugungsmaßregeln ergriffen, indem er das Ansammeln auf den Straßen, Trage» und Verkauf von Waffe» welcher Art immer, Verkauf von Munition ohne besondere Polizeibewilligung verbot, die strengste Handhabung der Paß- und Aufenthaltsvorschristen anordnete, den Befehl erteilte, daß der Aufforderung der Polizei, jede Zusammenrottung zu vermeiden, unbedingt Folge geleistet werden muß, unter Androhung von Strafen bis zu 300 Rubel oder Gefängnis bis zu drei Monate» gegen jeden, der diesen Maßregel» der öffentliche» Sicherheit zuwiderhandeln würde. Die weiteren Anordnungen des Generalgouverneurs beziehen sich namentlich auf jene Personen, welche die Arbeiter zum Aus- stand verleiten oder Arbeiter, die an einem angestifteten AuS- stmck nicht teilnehmen, an der Arbeit verhindern wollen, sowie geM'alle, welche die ansständische Bewegung und die Unordnungen schüren. Der Gehilfe des Ministers des Innern, General Wahl, begibt sich nach Wilna, um eine Untersuchung einzuleiten..
Der ßesstsche gtaf.
(Privattelegr. der „Franks. Ztg.")
-1 Darmstadt, 30. November. Der vorliegende Etat zeigt im Vergleich zum laufenden eine deutliche Wendung zum Bessern. Insbesondere die Haupteinnahmeposten des Staatshaushaltes, txiS Einkommen aus dem Staatseifenbahnbesitz und der Ertrag der direkten Steuern und indirekten Auflagen konnten mit rund Mk. 2,300,000 mehr als im laufenden Hauvtvoranschlag eingestellt werden. Für die Staatsdomänen sind die Einnahmen zu insgesamt Mark 133,068,465, die Ausgaben zu Mark 1,430,555 veranschlagt; es wird hier also ein Ueberschuß von Mk. 11,637,910 erwartet, oder Mark 1,477,770 mehr als für 1903—04 vorgesehen war. Dieser günstige Abschluß ist fast ausschließlich auf die Staatseisenbahnen zurückzuführen. Hier kann infolge Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse wieder mit einer Erhöhung der Einnahmen gerechnet werden. Mit Rücksicht aus die Ergebnisse des Etatsiahres 1902—03 und auf die fortdauernde Steigerung der Bruttoeinnahmen der Eisenbahngemeinschaft glaubt man, den Anteil Hessens am Betriebs Überschüsse
der Gemeinschaftsverwaltung für 1904 mit Mk. 11,600,000! —1'5 0 0,0 0 0 mehr als im laufenden Hauptvor^ anschlag — annehmen zu können.
Der Etat der direkten Steuern, Regalien, indirekten Auflagen und Einnahmen aus verschiedenen Quellen schließt in Einnahmen mit Mark 16,850,706 und in Ausgaben mit Mk. 1,692,467 ab, mit einem Ueberschuß von Mk. 15,158,239 oder Mk. 808,17® wehr, als für 1903/04 vorgesehen war. Troy der An« nähme, daß sich die finanziellen Beziehungen! zum Reich für 1904 noch nicht besser gestalten werden, als in den vergangenen zwei Jahren, das Großherzogtuiw somit an das Reich wiederum einen Betrag von rund MarL 480,000 ungedeckter Matri kularbeiträge zu entrichten! haben wurde, ist es durch Betätigung strengster Sparsamkeit ber Einstellung und Veranschlag aller "Ausgaben und»' Rückstellungen aller nicht unbedingt dringlichen Mehrforderungen möglich geworden, unter Beibehaltung der seit-, herigen Vermögenssteuersätze den voranschlagsmäßigen: Fehlbetrag m der Verwaltung des laufenden Jahres vonj Mk. 2,360,061 für 1904 zu ermäßigen auf einen solchen Bort M. 1,304,311, was immerhin einer Besserung des Abschlusses um Mk. 1,055,750 entspricht. Außerdem aber ist in dem vorliegenden Entwurf für Schuldentilgung aus allgemeinen laufenden Mitteln eine Ausgabe von MarL 714,590 vorgesehen, während im laufenden Jahre eine Tilgung der Staatsschuld aus Verwaltungseinnahmew nicht vorgesehen werden konnte. Tie tatsächliche Verbesserung des Hauptvoranschlages der Verwaltung für 1904» bars danach auf Mk. 1,770,340 berechnet tuenden. Aber auch die Rechnung des Etatsjahrcs 1902/03 hat wenigen ungünstig abgeschlossen, sodaß darin zum Ausgleich der Verwaltungseinnahmen und -Ausgaben nur ein Betrag von Mk. 161,304 aus dem Vermögen entnommen tverdeir mußte, während der Hauptvoranschlag dafür Mk. 671,628 vorgesehen hatte. Der Bermögensstand hat sich immerhin wieder derart gebessert, daß auch noch für 1904 der im Ver-' waltungsteil des neuen Hauvtvoranschlages festgestellte Fehlbetrag von Mk. 1,304,311 dem Vermögen entnommen werden sann. Für 1905 bleibt dann noch ein Vermögensrest von annähernd Mk. 400,000 übrig und es darf angenommen werden, daß hiermit bei anhaltender Besserung der Erwerbsverhältnipe und strengster Zurückhaltung in der Uebernahme neuer dauernder Lasten auf die Staatskasse auch die folgenden Verwaltungsetats ohne Anwendung außergewöhnlicher Maßregeln in das Gleichgewicht gebracht wer< den können.
Im Ganzen schließt in Einnahmen und Ausgaben: der Etat für die Verwaltung mit Mk. 58,508,268, der Etat für das Vermögen mit Mk. 18,203,906 abz Der Hauptvoranschlag balanciert sonach in Ein-, nahmen und Ausgaben mit insgesamt Mk. 76,712,174,
Vermischtes»
K Hamburg, 29. Nov. Das sturmgepeitschte Meer hak« wie vorausgesehen wurde, schmerzliche Opfer verlangt. Nach den bis jetzt vorliegenden Nachrichten dürften 5 0 b t 3 6 0 Mensch en in den Fluten umgekommen sein. Schwer heimgcfucht worden ist das benachbarte kleine Eiland Finkenwärder. Wie schon telegraphisch mitgeteilt! wurde, sind drei Fischerboote verschollen. Jetzt wird noch? ein viertes vermißt, und es muß leider damit gerechnet werden, daß noch andere in Finkenwärder nicht beheimatete' kleine Fahrzeuge untergegangen sind. Der Verlust an Menschenleben beträgt für Finkenwärder allein 12, was um so schmerzlicher ist, da sie Hälfte ber. Ertrunkenen eine teilweise zahlreiche Familie hinterlassen. Ein kleiner Trost ist diesen insofern geblieben, als die untergegangenen Fahrzeuge bei der Finkenwärder Fischerkasse versichert waren, und die Hinterbliebenen wenigstens nicht völlig mittellos der Zukunft entgegensehen.
m Köln, 30. Nov. Bei der heutigen Stadtverordneten« Wahl der 1. Klasse wurden die Kandidaten der liberalen Partei gewählt. Gegenkandidaten waren nicht ausgestellt.
n Wiesbaden, 30. Nov. Bei den heutigen Handels» kammerwahlen für den Stadtkreis Wiesbaden wurden bei geringer Beteiligung der Wahlberechtigten — es waren nur 54 von ca. 300 erschienen — die ausscheidenden Herren Kommerzienrat F e h r - F l a ch, Hotelbesitzer Heinrich Haefsner uud Kaufmann Louis Schild wiedergcwählt.
0 Aus der Provinz Hannover, 29. Nov. Durch die Explosion eines KarbidbehälterS einer Acetylenanlage bei Verden wurden vielfache Zerstörungen aiigerichtet; ein Knabe wurde getö tet.
b Essen, 30. Nov. In Hofstede wurde (wie schon im heutigen Morgenblatt berichtet) der Rechnungssührer Schellenberg von der Zeche „Konstantin" auf dem Nachhausewege von mehreren Burschen überfallen und durch Messerstiche ermordet. Kirchgänger fanden die Leiche. Uhr, Portemonnaie und lleberzieher waren geraubt. Ter Staatsanwalt hat Jt 500 Belohnung ausgesetzt.
Feuilleton.
Revbpkknge in Florenz.
Von Frieda Buecking (Alsfeld).
Florenz, 18. November.
(Schluß.)')
Der Jahrmarkt von Jmpruneta.
Die Jahrmärkte im Herbst sind für den Italiener ebenso der Höhepunkt der Volksbelustigungen wie die Kirmeß für unsere Landbewohner. Der Markt von Jmpruneta, einem wundervoll hoch in den das Chianti begrenzenden Hügeln gelegenen Nest, etwa drei Stunden von Florenz, genießt eines vielhundertjährigen weitverbreiteten Rufes, und Scharen Volkes, Geringe, aus dem Mittelstände, sogar schaulustige Vornehme aus Florenz und der Umgegend strömen herbei, sich das originelle Schauspiel anzusehen. Drei volle Tage dauert das Vergnügen. Der erste wird ganz simpel la fiera genannt. In der flerona, dem großen zweiten Tage, erreicht der Spektakel seinen Gipfelpunkt; in der flerina, dem Märktchen, haucht das berühmte Fest sein luftig Leben aus. Uns dünkt der Tag der sanften flerina noch gerade lebhaft genug für unsern Geschmack, und so bestellen wir die leichte Kutsche für den Morgen um 10 Uhr.
Der Pieroni, unser junger netter Kutscher, ist in Ekstase. Das paßt ihm gerade, auf so bequeme Weife zu dem unerhörten Vergnügen zu kommen. Er hat sich ein leuchtend rosafarben Hemd angetan, diskret mit einem schwarzen Schlips gemildert; der Stehkragen geht ihm, wie unsern allerfeinsten Herren, bis an die Ohren, und der schwarze Rock und Hut, die braunen Augen und das braune Angesicht glänzen alle miteinander in Festesfreude. Heisa! gehts tn wahrem Jagen quer durch ganz Florenz zur Porta Romana hinaus. Auf dem Signorienplatz rast und knallt er, daß wir fast zur Kutsche hinausfliegen. Er wills den „Omnibus" gehörig zeigen; e r fährt feine Damen, einen leibhaftigen pittore, und wohin? ! cti ?! — nach
Jmpruneta! Ob der Weg auch noch so sehr steigt gleich hinter Porta Romana, das macht ihm gar nichts aus. Mit Mühe können wir ihn bewegen, uns ausfteigen zu lassen; der Gaul solls leichi habe» und wir wollen des schönen Morgens wandernd genieße». Am protestantischen Friedhöfe vorbei, wo die mächtigen Cyprefsen über die Mauern schattend streben, kommen wir zur E m a. Bon
*1 Vergleiche „Frankfurter Zeitung" Nr, 331.
ihrem Hügel ragt die Certosa mit dem gewaltigen Zinnenkränze stolz in den leuchtend blauen Himmel hinein. Aus einer Fensteröffnung hebt sich die Gestalt eines Dominikanermönches im weißen Gewand mit dem langen weißen Bari malerisch vom dunklen Mauerwerke ab.
Drunten an der Ema herrscht fröhliches Lebe»; lacht ein bunssarbiges Bild; Geplapper, Gesang, Gekreisch der in gelben und roten Tüchern und Röcke» zwischen den Weiden und Silberpappeln hantierenden Wäscherinnen; lustig Wehen und Flattern von bunten Lappen im Morgenwinde. Nun teilt sich der Weg. Der Tram, an dem entlang wir seither gefahren, pustet mit dicken Dampfwolken weiter gemächlich ins Chianti, das weingesegnete, hinein; wir steigen steil und steiler die Straße nach Jmpruneta hinauf. Je höher jede Wegbiegung uns hebt, umso großartiger wird der Blick über die entzückende Gegend. Fülle, Fruchtbarkeit, Segen breiten sich rings um uns im strahlenden Sonnenglanze aus, überwälfigend. An den Hängen ziehen die mächtigen silbergrauen Ochsen unterm Joche den Pflug, den schweren, ungeschickten, wie vor tausend Jahren. In gelassener Ruhe neben ihnen herschreitend sieht der Bauer zu, wie das unerschöpfliche, immer aufs neue tragende Erdreich der neuen Saat sich öffnet. Zwischen saftiggrünen Streifen, unter den silbernen Oelbäumen, die die Last der Früchte beugt, liegen die braunen Schollen da, fett, schwer, köstlichen Erdgeruch aussftörnend, der uns berauscht. Und d'A n ■ nunzios Worte aus den „Laudi" kommen mir in den Sinn:
„Udite, o figli della Terra I
Udite, o agricoltoril" —
Die ganze Straße ist schon lebendig. Fuhrwerke aller erdenklichen Art schleppen Jahrmarktsgäste, Lebensmittel, Weinfässer die Höhe hinan, uns entgegen kommen Scharen von Bauern, die das erstandene magere Eselchen, Maultier oder Pferdchen vor sich her der Heimat zutreiben. Auf der Höhe, wo wir die herrlichste Rundsicht hingerissen bewundern, dehnen sich zur Linken die Höfe der berühmten Tonwarenfabrik von Jmpruneta. Mit größter Freundlichkeit werden uns die riesigen Blumenvasen und Töpfe und Urnen, die Oel- und Weinbehälter gezeigt, an denen alte Formen aufs Glücklichste wiederholt sind, mit reizenden Reliefs, schön gebildeten Henkeln und Füßen. Nun gehts in flottestem Trabe ein paar hundert Meter hinab mitten ins alte Jmpruneta und den dicksten Jahrmarktsspektakel hinein. Wir sind eine Weile starr, wie betäubt, und wagen kaum auszusteigen in diesem Gewühl, das aller erzählenden Worte spottet. Auf der weiten Piazza, die malerisch am Berghange herabziehend mit Kirche, Campanile und hohen alten Häusern den Mittelpunkt des Orles und den Schauplatz des Festes bildet,
entfaltet sich ein schier unbeschreibliches, ein nie gesehenes Bild. Da wogts und strömts und dreht sichs von braunen Gestalten, von Karren und Wagen und großem und kleinem Getier; da leuchtets und blinkts von Grün und Gelb, von Rot und Weiß, von Kupfer und Gold im Sonnenschein; da schreits und fiedelts und sumrnts, daß einem Hören und Sehen vergeht, bis man sich an die flutende Bewegung, an das Farbenfpiel, an de» brausenden Lärm gewöhnt hat. (Wie taten wir gut, zur flerina, zum sanften Markt- chen, zu kommen!) Dann heben sich aus dem großen Bilde einzelne Bilder, originell, malerisch, von feinstem Reiz.
Auf und unter dem weißüberdachten Karren, dem Haus und Hof und Warenlager zugleich, hockt in der Mittagsglut die Trödlerfamilie; die Fra» unterm Zeltdache mit dem Kleinsten im Schoß. Der Mann und die Buben behaglich zwischen den Rädern im Schatten hingestreckt, Hund und Katze und das ausgespannte Eselchen einträchtig beieinander. Der weiße Wagen, blendend in der grellen Sonne, die braunen Glieder der schlanken Bengel, der schwarze Mann im verschossenen Hut überm Ohr, die Tiere — alles zusammen ein köstliches Bild. An der Bude mit den feidengestickten, langgefranzten Tüchern sind die zwei Verkäufer in das wichtige Geschäft des Minestra-Kochens vertieft. Die aufflackernde Glut des kleinen Ofens bestrahlt die bronzefarbenen Gesichter, wie der eine unter fortwährendem Bewegen des Strohfächers das Feuer heller anfacht, der andere den Deckel hebt und de» Duft des brodelnden Hühnchens, des Putervieriels, des mannigfachen Gemüses und Grünzeugs, das die Festsuppe würzt, begierig einzieht. Ueber dem Kastanienofen hocke» halbnackte Jungen, drehen lässig die röstenden Kastanien, recken und dehnen sich im goldenen Lichte, blinzeln unter de» schattenden Filzhüten schläfrig ins Gewühl hinein. Unzählige roh zusammengefügte Brettertische, durch aufgespannte Leintücher vor der Sonne geschützt, in lauter gemütliche „Speisesäle" geteilt, sammeln lustige Tafelgenossen um sich. Die Mädchen alle ohne Kopf- bebeifung im Schmucke ihres wundervollen, reichen, durchgehends fleidsam und schön aufgesteckten Haares, mit großen goldenen Ohrringen, fast alle feingebildet um Stirn und Auge» und Kinn; ich kann mich nicht eines einzigen gewöhnlichen oder gemeinen Gesichtes in unserm Sinne erinnern ; ihnen und de» schlanken Burschen im Festtags- wamms ists wohl bei de» bauchigen Flaschen voll roten Weines. Manch schelmisch-freundliche Einladung zum Mittun fliegt uns Vorüberwandernden von den sorglos Genießenden zu, aber niemals werden sie „stech", wie wir das daheim sp gut kennen, immer bleiben sie bescheiden liebenswürdig. Zutraulich ist so der richtige Ausdruck. Tie Alte, die über ihrem Ofen kauert und die schrecklichen Kastanien- kuchen, den Festschmaus der Merärmsten, bereitet ist für
sich allein ein prächtig Bild. Mit den hageren Fingern legt sie sorgsam den Boden des Backtopfes mit frischen Blättern aus, streicht den fchokoladesarbenen Brei zum dünnen Kuchen darauf, legt wieder grüne Blätter darüber, und so schichtet sie Kuchen auf Kuchen, bis der Tops gefüllt ist und das Backen losgehen kann. Dann brütet sie zufammengekrümml mit geschlossenen Augen über dem Feuerchen, stochert zuweilen halb wie im Traume in der Glut und streckt nur die knöcherne Hand nach dem soldo aus, wenn vertrauenerweckende Fremde an ihr vorüberstreichen. Die unterscheidet sie mit geschlossenen Augen.
Um die Puden mit dem merkwürdigsten Tand und Ge« riimpel sind die merkwürdigsten Gestalten versammelt. Ma» kann den Blick nicht losreißen, hier vom Verküuser, wie ec Mienen und Geberden spielen läßt, anpreist, ausbreitet, sich wiegt und biegt und lächelt und alle Zähne zeigt — da von den Käufern, wie sie feilschen, verächtlich'den Rücken drehen, umkehren, prüfen, zögern, endlich kaufen. Um einen bunten Fetzen, ein Paar Schuhe, ein Bündel Kochlöffel, einen alten Topf wird einen ganzen gesegneten Nachmittag lang gehandelt, so recht im behaglich-kindlichen, hellen Plaisser". Da hinterm zweirädrigen Wägelchen hat die junge Frau dis Wäsche für den kleinen halbjährigen Sprößling eingerichtet. Sie haben vorgestern ein mager Eselchen zum Verkaufe her- getrieben, das hat noch keinen Liebhaber gesunden, und nun steht sie da, ein süßes, blutjunges Geschöpf, die Aeriiiel hoch über die braunen Arme emporgestreift und schafft und hantiert im improvisierten Waschtrog unbekümmert im dichten Gewühl, nur zuweilen die langbewimperten Lider von den nachsschwarzen Augen hebend und mit frohem Blick nach dem friedlich fchlasenden Kinde, mit wehmütig suchenden, nach dem Manne drüben schauend, der mit dem elenden Eselchen noch immer des erlösenden Käufers harrt. Pferde, Maultiere, Esel, die Männer, |bie sich dazwischen drängen, in Gruppen scharen, bilden ein wundersam Gewühl. Dis Tiere alle mager, fast nur Haut und Knochen, die werden erst vom Käufer richtig herausgefütteri; für uns ein elender Anblick. Und wir bilden uns ein, sie haben allesamt einen jammervoll flehenden, einen todestraurigen Blick, die Tiere - so hilflos ergeben, so wissend, was ihr Schicksal sein wird......
Ein ungemein drolliges Bild verdrängt de» trüben Eindruck. Thronend in Lehnsesseln, die auf Tischen beherrschend ausgestellt sind, sitzen vier, fünf Wahrsagerinnen und tun den Suchenden, Fragenden das Schicksal kund. Ein dichter Kranz Wißbegieriger, andächtig, gespannt Horchender ist um jede der weisen Priesterinnen versammelt. Sic sitzt da im lichtblauen, im rosenroten, im maiengrünen Gewände, große goldene Ohrringe baumeln und blitzen ihr in den Ohren, ein weißes Seidentuch ist schattend und schön übet