»r. 1. Abendblatt.
SkchmMfßM ZaYrgMg.
Diensrag, s. Januar 1913.
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Frankfurt, 2. Januar.
Tas verflossene Jahr ist in der internationalen Politik so unruhig und so gefahrvoll gewesen wie schon lange keines mehr. Gleich von Anfang an hat die marokkanische Frage die öffentliche Aufmerksamkeit in wachsendem Mähe in Anspruch genommen und ist fast bis zum Schluffe des Jahres bedrohlich geblieben; Ende September hat Italien den Krieg um Tripolis vom Zaune gebrochen und dann kam der große Aufstand in China, der bis zum Jahresschlüsse siebzehn Provinzen ergriffen und zur Proklamierung der Republik geführt hat; dazwischen und daneben hatten wir den Ausstand in Mexiko, die Fortdauer der Wirren in Persien, das seine Selbständigkeit an Rußland verloren hat, den Aufstand in Albanien, den Konflikt Rußlands mit China, den Konflikt der Vereinigten Staaten mit Rußland und etliche andere Begebenheiten, die vor den großen Ereignissen, Marokko-Verhandlungen, Krieg und Revolution, in den Hintergrund treten mußten. Die menschliche Seele ist auch da, wo sic in Masse austritt, in ihrer Aufnahmefähigkeit nicht unbegrenzt; sie wird müde, wenn ihr immer nur dasselbe geboten wird, sic kann nicht gleichzeitig mehreren Gegenständen die gleiche Aufmerksamkeit schenken und der Eindruck des stärkeren verwischt den Eindruck des schwächeren Vorkommnisses. An Abwechslung und an Ereignissen von oerschiedengradiger Wichtigkeit hat es der Massenseele im vergangenen Jahre wahrlich nicht gefehlt.
Das bedeutendste Ereignis des Jahres ist, rein äußerlich betrachtet, der italienisch-türkische Krieg. Nicht nur an sich, sondern auch wegen der Plötzlichkeit, mit der er in die Welt getreten ist, und wegen der Gefahren, die man in seinem Gefolge auftauchen sah. Die Rechtfertigung, die Italien seinem Vorgehen zu geben suchte, hat die öffentliche Meinung Europas nicht überzeugt. Man wußte wohl, daß England und Frankreich den Italienern eine Art Anwartschaft auf die Erwerbung Tripolitaniens gegeben haben, aber man dachte, Italien werde diese Anwartschaft erst verwirklichen, wenn einmal die ganze Türkei in Liquidation geraten sollte, eine Annahme, die gerade jetzt, wo die Türkei mit großer Anstrengung sich zu verjüngen bestrebt ist, nicht viel für sich hatte. Man hat freilich aus Crispis hinterlassenen und jetzt erst veröffentlichten Papieren erfahren, daß Italien von Anfang an nicht gewillt war, den Wechsel auf Tripolitanien in seinem Portefeuille zu verwahren; Crispi selbst beabsichtigte schon vor zwanzig Jahren, Tripolis zu besetzen, und er wurde nur durch seinen Sturz an der Ausführung seines Planes verhindert. Jetzt haben seine Nachfolger, angeblich aus Besorgnis, eine andere Macht möchte ihnen zuvor- .kommen, den Streich unternommen. Ob er ihnen gelingt, ist noch nicht ganz sicher; Türken und Araber haben sich viel widerstandsfähiger und zäher erwiesen, als sie römischen Staatsmänner ihnen zugetraui hatten, und das Kriegsglück ist eine launische Dirne. Die Gefahren, die nüui im Gefolge des italienischen Vorgehens auftauchen sah, sind glücklicherweise beseitigt worden. Die Italiener hatten zwar nicht übel Lust, den Krieg auch an die Küsten Albaniens und durch die Dardanellen nach Konstantinopel zu tragen, aber in Albanien trat ihnen der Widerspruch Oesterreichs, an den Dardanellen der Widerstand aller Mächte entgegen. So ist der Krieg auf Tripolitanien lokalisiert worden und wird wahrscheinlich dieses begrenzte Gebiet nicht verlassen. In Italien selbst hat die anfängliche Begeisterung für den Krieg stark nachgelassen, seit die Bevölkerung auch die Kehrseite des Krieges, die Menschenverluste und die Kosten, hat kennen lernen; man beginnt auch allmählich einzusehen, daß es nicht die schlechtesten Freunde Italiens waren, die von dem Abenteuer abgeraten' und es nachher mißbilligt haben, und während die Italiener in dem ersten Aerger über die schärfen Urteile, die aus Deutschland und Oesterreich kamen, mit der Kündigung des Dreibunds drohten, erheben und mehren sich jetzt die Stimmen, die es für selbstverständlich erklären, daß Italien im DroLmnd verbleibe. So wird der Tripolis- Krieg zu einer Ppisode gemacht, der an den übrigen internationalen Verhältnissen gar nichts ändere. Ob er dies wirklich ist, das kann sich erst in diesem neuen Jahre entscheiden.
Weit gefährlicher als der Tripolis-Krieg ist die Marokko- Frage gewesen. Das hat man allerdings erst nachträglich erfahren; erst als die Gefahr so ziemlich vorüber war, ist C5 an den Tag gekommen, wie nahe Europa an dem Ausbruch eines furchtbaren Krieges vorübergegangeii ist. Ein neuer handgreiflicher Beweis dafür, wie machtlos die Völker immer noch dem geheimen Handwerk der Diplomatie gegenüberstehen. Das Wiederaufleben des Marokko-Konflikts, den man mit dem Abkommen vom 9. Februar 1909 für erledigt hielt, hatte zwei Ursachen: einmal die Fortdauer der Anarchie in Marokko und dann der Umstand, daß die Voraussetzung des Abkommens, die Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Deutschen, sich nicht erfüllte. Die Fortdauer der Anarchie, die mit der Ermordung des Leutnants Marchand und seiner Leute begann und sich bis zum Aufruhr der Stämme in der Umgebung der Hauptstadt Fez steigerte, veranlaßte die Franzosen zur Besetzung weiterer Teile des Landes und schließlich zur Expedition nach der Hauptstadt selbst und zur Besetzung derselben. Den Zug nach Fez hat die Reichsregierung, die ihn für unnötig hielt, zum Anlaß gxw mmeu, der französischen Regierung zu erklären, daß sic ihre volle Freiheit zurücknähme, wenn die Besetzung keine vorübergehende wäre. Die französische Regierung stand also ' vor der Gefahr, daß die Marokko-Frage ganz von vorn aufgerollt und alle bisherigen Erfolge in Frage gestellr wurden. Sie erklärte sich also zu Verhandlungen bereit; als diese zu stocken begannen, schickte die Reichsregierung ein Kriegsschiff ' nach Agadir, zum Zeichen, daß sie gewillt sei, den Schutz der deutschen Interessen in Marokko nicht mehr Frankreich anzuvertrauen, sondern selbst zu übernehmen. Die Mahnung half; die Verhandlungen gingen weiter. Die Geduld des Publikums wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt; erst nach vier Monaten, am 4. November, wurde das Abkommen unterzeichnet, in dem Deutschland das französische Protektorat über Marokko anerkennt und dafür die offene Tür für alle Mächte sowie den wirksamen Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen in Marokko und außerdem eine Entschädigung durch Abtretung eines Teils der französischen Kongo-Besitzungen erhält. Stand die Angelegenheit eine Zeit- lang schon kritisch zwischen Frankreich und Deutschland, so wurde sic noch kritischer dadurch, daß England sich in die Verhandlungen einzumischen suchte. Der Versuch wurde zwar von Deutschland zurückgewiesen, aber England wurde von dem ihm durch die entente cordiale verbundenen Frankreich über die Verhandlungen stets auf dem Laufenden gehalten und konnte so mittelbar seinen Zweck erreichen, nämlich zu verhindern, daß. zwischen Frankreich und Deutschland etwas ausgemacht wurde, was seinen wirklichen oder vermeintlichen Interessen zuwiderlief. In Deutschland hat das Auftreten . Englands ein bitteresGesiihl hinterlassen, das einer Besserung der Beziehungen zwischen beiden Mächten jedenfalls nicht förderlich ist. Die Marokko-Frage tft dann weiter verwickelt worden durch das Eingreifen Spaniens. Durch Gcheimver- träge von 1904 unb 1905 hat Frankreich den Spaniern den Sterben Marokkos versprochen; als nun die Franzosen nach Fez gingen, beeilten sich die Spanier, die ihnen versprochenen Teile, darunter die Städte Larrasch unb El Ksar, zu besetzen. Beide Regierungen verhandeln jetzt über einen Ausgleich, der freilich schwer.zu finden ist. Die Franzosen beanspruchen natürlich das Protektorat über ganz Marokko und wollen cs mit den Spaniern nicht teilen, die Spanier bestehen aber auf ihrem Schein und wollen sich aus ihrem Besitze nicht mehr vertreiben liessen. Der Ausgleich ist umso schwieriger zu bewerkstelligen, da hinter Spanien England steht, dem zwar die durch Deutschland erwirkte offene Tür des Protektorats sehr genehm ist, das aber die Nordküste und besonders Tanger nicht in französischen Besitz übergehen lassen will. Das neue Jahr bekommt da eine recht harte Nuß zu knacken. Das Marokko-Abkommen selbst ist von der französischen Kammer bereits genehmigt worden; im Senat wirb darüber noch verhandelt, und zwar mit einer Gründlichkeit, die weniger dem Abkommen selbst, als dem für dasselbe verantwortlichen Kabinett gefährlich zu werden beginnt. Im Großen und Ganzen ist der Abschluß des Abkommens überall als eine wohltuende Erleichterung und heilsame Entspannung der Lage, die fast unerträglich geworden war, empfunden worben, und als hervorragendes Friedenswerk
wird das Abkommen immer mehr anerkannt. Möge es sich auch im neuen Jahre als solches bewähren!
In den einzelnen europäischen Staaten hat sich mancherlei verändert. Erfreulich. ist, daß der Verfaffungskampf in England im Sinne des Fortschritts entschieden worden ist: das Oberhaus ist seines unbedingten Vetorechts entkleidet und damit ein ärgerliches Hindernis der demokratischen Entwicklung beseitigt worden. Ebenso erfreulich ist, daß die Republik in Portugal sich befestigt hat; einige Attentats- versuchc der reaktionär-klerikalen Monarchisten find von der republikanischen Regierung ohne große Mühe vereitelt worden. In Frankreich ist das Ministerium Briand gestürzt; cs folgte ihm zuerst ein Ministerium Monis unb bann das Ministerium Caillaux. Die Radikalen sind zwar immer noch am Ruder, aber der Mangel einer festen, zielbewußten Regierungsmehrheit hat mißliche Folgen, die wohl auch im neuen Jahre nicht behoben werden können. Oesterreich hat ein neues Bcamten-Ministerium bekommen, das voraussicht- lick die inneren Wirren ebensowenig wird lösen können wie seine Vorgänger. Ungarn wartet noch immer auf die ihm versprochene Wahkrcform. In Italien ist das fünfzigjährige 'Jubiläum der Einigung des Königreichs durch glänzende Feste und Ausstellungen gefeiert worden. Nach dem Sturze des Kabinetts Luzzatti ist Giolitti, der Führer der Mehrheit, wieder an die Spitze der Regierung getreten. Er hat die Achse seiner Rcgicrungspolitik etwas nach links geschoben; die Sozialisten sind durch das Versprechen einer Wahlreform und der Verstaatlichung der Lebensversicherung für die Unterstützung des Kabinetts gewonnen worden. Das neue Jahr wird zeigen, ob diese Versprechungen erfüllt werben. Der Krieg hat natürlich die innere Reformarbeit geschädigt, doch hat Italien die finanzielle Kriegslast bisher verhältnismäßig leicht getragen. In Rußland ist der Ministerpräsident Stolypin ermordet worden. Er war der Träger der durch die Duma nur notdürftig verhüllten Autokratie, doch hat sein Tob dieses System nicht gestürzt, sonbern es wirb mit einem anderen Träger, dem bisherigen Finanzminister Kokowzow fortgesetzt. In den Balkanländern hat Italiens kriegerischer Angriff große Unruhe erzeugt. In der Türkei ist das Reformwerk der Jungtürken in unliebsamer Weise gestört worben und in den Kleinstaaten, bei Bulgaren, Serben, Griechen und Kretern hat sich eine verdächtige Aktionslust geregt, doch ist es den Großmächten bis jetzt ge- , lungcn, den Ausbruch weiterer Feindseligkeiten gegen die 1 Türkei zu verhüten. Für ihre guten Dienste haben sich Eng- > land und Frankreich bereits bezahlt gemacht, indem jenes sich l des tripolitanischcn Hafens Solum, dieses sich der Oasen ' Ajanet und Bilma im tripolitanischen Hinierlande bemächtigt hat, eine Unfreundlichkeit, die sich ebenso gegen Italien wie gegen die Türkei richtet. Der langwierige Aufstand in Albanien ist zu Ende gegangen, nachdem Montenegro die Unterstützung desselben auf Drängen Rußlands aufgegeben 5 .;hHe.
Von den außereuropäischen Ereignissen sind die bedeutendsten die Wirren in Persien und die Revolution in China. Seit. Persien durch England nub Rußland in Einflußsphären geteilt worden. ist, b beide Machte an der Arbeit, die Einflußspährc in wirlnchen Besitz zu verwandeln, England im Süden, Rußland im Norden. Als die mit russischer Hilfe unternommene Gegenrevolution des entthronten Schah gescheitert war, schritt Rußland zu offener Gewalttat. An Vorwänden fehlte cs in dem von der Anarchie durchwühlten Lande nicht. Bereits hatten russische Truppen beträchtliche Teile des persischen Gebietes besetzt, als ein Ultimatum erging. Die ihrer Schwäche sich bewußte persische Regierung nahm es an. Bald darauf erging ein zweites Ultimatum. Auch dieses wurde angenommen. Seine Bestimmungen waren: Entlassung des Finanzreformators Shuster, Verpflichtung PcHens, ohne Genehmigung Rußlands keine ausländischen Beamten anzustellen, und Bezahlung der russischen Expeditionskosten. Mit der Annahme dieses Ultimatums hat Persien sich seiner Unabhängigkeit begeben; fortan wirb in Teheran Rußland herrschen, sei es in dieser oder in jener Form. In China ist bereits ein Präsident der provisorischen Republik gewählt und der Hof von Peking hat zugestimmt, daß eine Nationalversammlung berufen wirb,
die über die künftige Regierungsform endgültig entscheiden soll. Die Wahl des Präsidenten der provisorischen Republik hat dieser Entscheidung schon vorgegriffen. Der Uebergang des uralten Reiches von der konservativsten Monarchie zu der auf modernsten Grundlagen ruhenden Republik wird eines der interessantesten, aber auch schwierigsten Probleme des neuen Jahres werden. Den Freunden des politischen Fortschritts kann es nur lieb sein, wenn selbst „der Sohn des Himmels" vor der Republik nicht mehr sicher ist! Der Ausstand in Mexiko ist durch einen Wechsel in der Präsidentschaft beendet worden.
Von sonstigen internationalen Ereignissen sind zu verzeichnen : die Abänderung des englisch-japanischen Bündnisses, das demsch-bclgische Abkommen über die Grenzregulierung in Afrika, das deutsch-russische Abkommen über Persien und die Bagdadbahn und die am 3. August erfolgte Unterzeichnung des englisch-amerikanischen und des französisch-amerikanischen Schiedsgerichtsvertrags. Die beiden zuletzt genannten Verträge sind zwar noch nicht ratifiziert, aber sie zeigen doch deutlich, in welcher Richtung, nämlich, zum Abschluß immer umfassenderer Schiedsgerichtsverträge, die Entwicklung des internationalen Rechtes vor sich geht. Das verflossene Jahr ist also im Ganzen doch nicht so schlecht gewesen, wie Krieg, Revolution und andere Wirren ihm den Anschein geben. Immerhin wollen wir hoffen, daß das neue Jahr ein wirklich gutes sein wird!
Tages-Rundschau.
lieber das Zusammengehen von Zentrum und Kon - servativen bei den Rcichstagsivahlen spricht _ nch die „Kreuzzeitung" in ihrer Wochenrundschau aus.' Sie stellt dabei wieder das Bestehen eines blauschwarzen Blocks in Abrede, indem sie sagt, ein Wahlpakt sei weder offiziell noch heimlich geschlossen worden. Das hat auch niemand behauptet. Für die Existenz eines Blocks bedarf es abw auch nicht eines i besonderen Pakts, wenn nur die Tatsache des Zusammengehens .feststeht, und diese bestreitet die „Kreuzzeitung" felbft nicht mehr, sie sucht sie vielmehr zu rechtfertigen.' Diese Tatsache ergibt sich ohne weiteres aus dem Zusammengehen von Zentrum und Konservativen im ersten Wahlgange in einer großen Anzahl von Wahlkreisen und in der unbestrittenen gegenseitigen Stichwahlunterstützung. Die .Kreiszeitung" findet dafür Entschuldigungsgründe in der Harmonie bei den Weltanschauunasiragen; deshalb opfere das Zentrum bei seiner Wahltaktik nichts von seinen Grundsätzen, unb auch unter der konservativen Wählerschaft zeige sich kein Widerspruch mehr gegen die Annahme und Erwiderung der Zcn- trumshilfe. Letzteres ist nun nicht richtig, und früher haben Zentrum wie Konservative über diese Dinge durchaus anders gedacht. Der Haß gegen Bülow beim Zentrum und die Besorgnis der Konservativen vor einem liberaleren^Mahl^ht in Preußen haben beide Parteien bei der ReichsM8aÄMn zu dem aemetnfpjnen Zweck, den Fürsten Bülow zu stürzen, zu- iammengeWt. Die „Kreuzzeitung" tut sich 'besonders viel daraus zugute, daß. das Zesttrum ganz aus eigener. Initiative unb aüs eigener Erkenntnis dfr taktischen Vorteile die konservativen Kandidaten unterstütze und dafür keinerlei Gegenleistung verlange, und däßckeist Kandidat einer der 'beiden. Parteien irgendwelche Bedingungen, für. die Unterstützung .der anderen Partei eingehe. Das liegt eben daran, daß die Voraussetzungen schon vorher geschaffen waren, indem die Konservativen dem Zentrum im Reich.zu Willen waren, und das Zentrum sie in Preußen in ihrer Wahlrechtspolitik unterstützt: Ta sind besondere. Abmachungen zwecklos. Wenn aber die „Kreuzzeitung" demgegenüber sich darauf beruft, daß die Sozialdemokratie ihren liberalen Klienten für die Stichwahl- Hilfe Bedingungen auferlege, so scheint diese ganz vergessen zu haben, daß gerade konservative Kandidaten mit. Vergnügen sozialdemokratische Bedingungen zur Gewinnung von Stich- wahlhilse akzeptiert haben — cs sei nur an Sägau. und Hildesheim erinnert —, und daß auch Zentrumskandidaten — wir erwähnen den Fall Hug — schon zu sehr weitgehenden Bedingungen der Sozialdemokratie bereit gewesen sind. Bei den liberalen Kandidaten aber haben solche Bedingungen ihrer grundsätzlichen Parteiauffafsung entsprochen, während die konservative Parteipolitik in einer ganz anderen Richtung liegt. - •
nssn
Mch den Kesten.
(ein stiller Epilog.
Von Alfred Albin.
Nun sind sie vorüber. .
Was waren das für ungewöhnliche Tage! Jeder von ihnen fam frsich gewaschen und gekämmt heran, mit einem Blumen- .->t0 • ’n .^er Harich und führte viele gute Worte. Wünsche und Zärtlichkeiten mit sich. Die Zeit sloßsieicht dahin, man atmete lieber unb rascher als sonst. Zwischen zwei Feste eingespannt tierlor man ganz das Maß für das Gewöhnliche, Alltägliche. Saum war das herzliche, warme, innige Fest vorüber, sollte fdron wieder das übermütige und feierliche kommen. Weihnachten, Jahresende. Jahresanfang . . . nun sind sie vorüber.
SBir werden wieder ernst, unb setzen die Amtsmiene des Lebens au;. Wir arbeiten weiter, als sei nichts geschehen. * Der Tonnenduft ist aus den Zimmern geschwunden und der seltsame Geruch, welcher an den frisch aus dem Laden kommenden Geschenken haftet, hat dem gewöhnlichen Odeur der Tinge ^fafs gemacht. Wenn wir noch einen Rest ton dem Flitter unb dem glänzenden Tand des Baume? finden, sehen wir ihn verwundert an: ce steht merkwürdig au-, als gehöre es nicht recht hierher. Die Tinge nehmen ihr gewohnte- Gesicht wieher an. Nur da- Zimmer, in dem der Tannenbaum stand, will uns noch nicht ganz so Vorkommen, wie es immer war. Wir haben uns zu sehr an den Anblick gewöhnt, den es in den letzten Tagen bot, mit feinem Krimskrams von Geschenken, Süßigkeiten, Obst und Nüssen.
Ganz leise und merklich zieht baS gemeine Leben in die eben noch festlichen Räume ein.. . .
Tie Kinder merken es kaum. Ganz Gegenwart, wie' sie sind, konstruieren sie keine Gegensätze zwischen Feiertagen und- Werkeltagen. Benn sie eine Frage beschäftigt, so bezieht sso sich auf die Zukunft. Sie wünschen sich einfach einen neuen Feiertag, wenn der erste verflossen ist. Wie lange ist noch zum nächsten Weihnachten? fragen sie und fassen es nicht, wie weit bas ist, und was dazwischen liegt.
Ten Philosophen des Alltag-, der dem Tun und Treiben « Jv,enÜ$en .Zusieht, berührt die Kinderfrage eigentümlich, er fühlt sich mit dem Kinde verwandt. Auch er möchte fragen: toann habt ihr wieder Weihnachten?
(?r hat viel in diesen Tagen erlebt. Die Menschen traten so ganz anders als sonst, er sand weniger an ihnen zu verachten. Wieviel offener, freier, herzlicher gaben sie sich. Gobtel verborgene Seele kam hervor, soviel versteckte Liebe. Warum können sie nicht immer so sein? Was.hindert sie, alle Tage das zu sein, was sie doch manche? Mal sein können? Es ist in ihnen, am Heiligen Abend sah es aus inten Augen, c? lag in ihren Worten, c- klang im Ton ihrer Stimme. Hub mit einem Mal soll es verschwunden sein, wie weggewtscht? Wer eben noch heiter und ohne Rückhalt sich
mitteilte, in einem Gespräch sich hingab, über eine Kleinigkeit mit einem anderen sich freute, ist wieder verschlossen, mißtrauisch und will niemand mehr verstehen. Vielleicht sieht er toll Zweifel auf die vergangenen Stunden. Wie auf einen Rausch, vor dem man sich bat überrumpeln lassen, etwas, dessen man sich am anderen Morgen beschämt erinnert.
Mutz es so sein? Warum ist es nicht anders?
Er mutz eine Stufe höher steigen, der Philosoph des Alltags, um sich über dieses Wirrsal zu erheben. Es ist den Menschen nicht gegeben, immer Mensch zu sein. Den größten Teil ihres Daseins verbringen sie als bloße Wesen, Geschöpfe der Erde, die nur leben und nichts als leben wollen. Nur manchmal kommt es über sie tote eine Erinnerung an das Paradies, dem sie alle entstammen. Dann schlagt etwas in ihnen die Augen auf und sucht nach seinesgleichen, nach Menschen. Wie zu Kristallen schießen solche Augenblicke zu Festen zusammen. Da kehrt der Mensch ins Paradies zurück. Etwas^ Geahntes, aber Unsagbares verbindet alle Wesen, Das neue Jahr. Die Zeit eilt, wie kostbar ist sie, und wie unerschöpflich der Brunnen, aus dem sie immer wieder neue Jahre schöpft. Eins vergeht, das andere entsteht. Das große Gewtz. Etwas von dem Schauer der Unendlichkeit weht darin.
Und dann kommt wieder der Engel mit dem flammenden Schwert und vertreibt sie aus dem Garten ...
Kleines Feuilleton.
— | Frankfurter Neues Theater s Am Silvesterabend: „I nickens Flitterwochen", Posse, mit Gesang und Tanz in vier Bildern von Max Reimann und Otto Schwartz (leichte Musik . Viele Besucher dieser Abendunterhaltung werden heute den Refrain und die Melodie eines prickelnden Kupleis vor sich hinträllern: „Denn jetzt bin ich ein E—he—man«, ein E—he—mann, ein E—he—mann“. Es ist der Schlager des ersten Aktes und der Posse überhaupt. Tic späteren Bilder unb Kupleis gleiten ab, verwunderlich genug bei den bühnenkundigen Vätern von „Julchcn", die doch recht gut wissen könnten, daß, wenn irgendwo, so im Theater das Gesetz der Steigerung seine Geltung hat. Es ist schade um „Julchens Flitterwochen", denn der erst Akt ist originell, animierend, geschickt entworfen. Dian sieht da mit diskretem Vergnügen ein Hochzeitspärchen in einem Hotel landen, man sieht mit allerchristlichster Schadenfreude, wie das Stubenmädchen den jungen Ehemann als Vater ihres vor sechs Jahren geborenen Knäbleins reklamiert, und ist gespannt, wie er seine ahnungslose Frau überreden wird, das Hotel wieder zu verlassen. Aber der famose Einfall findet eine verzerrte Fortsetzung. (Sne Maus muß den Vorwand zur Flucht bieten (statt etwa dir Erinnerung an einen int Hotel verübten Mords, der Ehemann bewerkstelligt die Abreise in einem orientalischen Schlafrock und Fez, wird in einem Badeort als Emir von Afghanistan gefeiert, aber bald entlarvst w"d sterxriclwn, indessen leine
Frau einem Komitee zur Hebung sittlich gefährdeter Mädchen in die Hände fällt, aus dem er sie befreit, um dann im Schlußakt endlich zum Genuß der Flitterwochen zu landen. Man sieht: Die Ansprüche an einen Schein von Glaubwürdigkeit sind enorm und nu.r ein Klub von Harmlosen kann da noch mit. Ein netter Stoff wird hier durch eine übermächtige „Phantasie" zu schänden geritten, nnd wenn auch das Silvester-Publikum in Fesilaune mitging nnd über die eingestreuten Witzworte, Wortwitze und Kupleis mit hellem Gelächter quittierte — an gemäßigteren Abenden wird auch die Begeisterung mäßiger sein, weil man eben auch in der Posse die Kunsc des Möglichen liebt. Manche Leute werden sich wohl auch an der faustdicken Berulkung des Mädchenretter-Komitees stoßen, weil sie die Verhöhnung so verteufelt ernsthafter Bemühungen nicht ganz geschmackvoll empfinden. Die meisten aber werden hingehen, sick den Faschingsspatz einmal anzusehen, sie werden Fünf gerade fein lassen und schmunzelnd feststellen, daß Frl. eangoia allerliebst tanzt und vorträgt und Herr 9t ei mann, al-i Partner, ihr beweglich und mit bester Saune sekundiert. Die jetzt so beliebte Auflösung einer Posse in Kabarett-Tzenen tut auch im „Julcken" heitere Wirkung. Neben den Genannten exzellierte noch Herr G r ä tz als Humorist und holte sich für seine treffsicher heruntergeschnurrten Parodien stürmischen Beifall, singen können alle bieic Herrschaften nicht mehr als Herr Senins, der ebenso wie .Herr Großmann den Sprechgesang erfolgreich pflegte. Tie Aufführung war überfiauöt eine „nette runde eadic" und brachte einen großen Teil des Ensembles an die Rampe. Einen Hauptanteil am Gelächter hatte Fr. Earlsen als hambur- gernbe Seelenretterin, Frl. Bittner, Herr Lobe und viele andere erkämpften sich mehr oder weniger Über wasser in der Gunst des Publikums, das den Silvesterscherz vergnügt au«- nafint und die Autoren freundlich rief. Und somit: Ende gut, alles gut. est.
— sTack aehei-nnisvolle Hute.] An der böhmychen Grenze im Bayerischen Wald hält seit Wochen em geheimnisvolles Auto die Bewohner und namentlich die, Grenzwächter in Aufregung. Wie dem „Lokalanzeiger" berichtet wird, ist das torpedoförmig gebaute Rennauto, das bald in grauem, bald in rotem Anstrich auftaucht, von zwei verwegen aussehenden jungen Männern besetzt, die ihr Fahrzeug nicht arbeiten lassen und auch den Anruf des Grenzpersonals nicht beachten, sondern rücksichtslos drauflos und, wenn es sein mutz, un*er die Grenzwächter hineinfahren, um davonzu- kommen. In einer der letzten Nächte wollte nun die Grenz- wache das geheimnisvolle Automobil durch eine Schranke auf- halten. Und richtig kam das Fahrzeug, die beiden Insassen stoppten, aber ehe die auf der Lauer liegenden Grenzwächter herbeigekommen waren, durchbrach das Automobil die Schranke, die krachend, in der Mitte abgesprengt wurde, und vorwärts ging’» in rasender Fahrt. Eine Schutzvorrichtung hatte dabei zweifellos ihrr^ «Schuldigkeit getan. Das Automobil ist offenbar ganz besonder» für Sckmuggelzweckc gebaut und hergerichtes.
l fNeujahr ht Mainz. 1 Vom 1. ds. wird uns ans M a i n z berichtet: Mit einem Purzelbaum, die Schellenkappe auf dem Kopf, ist der Mainzer Karneval in das Jahr 1912 hineingesprungen. Reichstags Wahl, Teuerung, "Italien-Tripolis sind von der rot-weitz-gelb-blauen Fabne der Narretei in den Hintergrund gedrängt. Sie flattert heute von den Sinnen der' „Ttadthalle", sie begleitete die von vier Pferden gezogene „Kriegskasse", auf der rechts die Aufforderung stand:
„Füllt unser' Kriegs käst", unser' glotz'. Denn für den Karneval brauchen wir Moos!"
Und auf der linken Seite war die Mahnung zu lesen: „Mitbürger! Hochgeehrte Herrn!
Auf zur Wahl! Wählt Kapp und Stern!"
Da sich in der Kaffe, allem Anschein nach, schon eine he« . deutende Summe befand, so war eine große Anzahl beweis-. ’neter Garden aufgeboten, die den Schatz durch die Straßen begleiteten. " Auf dem Balkon des „Stadioner Hof", eines palast- arigen Baues, von dem aus früher die mililäriscke Mackt des seligen „Deutschen Bundes" die Festung beherrschte, stand bat Komitee und die pensionierten und aktiven Generale und Offiziere des Narrenstaates nahmen ein Ständchen der kostümierten Kapelle entgegen. Abends wurde untcr_großem Andrang das erste karnevalistische Konzert in der Ssiüsthalle ge. geben, zu dem die Narrhallesen Korm Witzner, Elz und Hauser Eborlieder verfaßt hatten. — Im Stadtthealer wurden an Silvester ..Die Bummelstudenten", am Neujahrstage ..Die schöne Helena" gegeben; beide Aufführungen waren auf einen Ton gestimmt, den man beim Jahreswechsel hier liebt.
-- ITcr Briefträger als Postillon d’ainour.l Die Findigkeit und zugleich die Liebenswürdigkeit der Post, an der man in letzter Zeit start zu zweifeln anfing, hat, wie wir im „Berliner Tageblatt" lesen, am Silvesterabend sich wieder einmal in vollem Lichte gezeigt. Der Kaufmann B. ans der Nollendorfstrahe in Berlin schweb vom Postamt W. 30 eine Nohrpostkarte an eine junge Dame in Charlotten- bürg und teilte ihr darauf mit, daß er sie um neun Uhr vor einem bestimmten Sause der X-e-tratze in Charlottenburg er- warte. Die Dame hatte dem Herrn aber eine falsche Adresse angegeben, und die Karte kam als unbestellbar an das Postamt W. 30 zurück. Von hier ging sie an das Postamt C.2 zur Ermittlung des Absenders, und da dieser in dem angegebenen Hause auch nicht bekannt war, wurde ihm die Karie, als er abends um neun Uhr zu dem Rendezvous erschienen war, von dem dort wartenden Po st boten übergeben.
s sDer „Sonderbimd" in Rüht.J Ans Düsseldorf wird uns geschrieben: Der „Sonderbnnd west deut- scher Kun st freunde und Künstler" war, wie seinerzeit gemeldet, an die hiesige Stadtverwaltung mit dein Ersuchen herangeireten. ihm für die Zeit vom Juli bis Oktober 1915 den städtischen Kunstpalast für eine „moderne internationale Kunstausstellung mit retrospektiven Ab-