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Erstes Zstorgeuvtatt der frankfurter Zeitung

Samstag, 18. Mai 1912

1 bei bett Sozialdemokraten.) Daraus geht doch die Entrüstung klar hervor. In Elsaß-Lothringen ist die Erregung gewaltig ; groß und auch in Frankreich sind unerwünschte Gcsin- ' nungen entfesselt worden, die die nationalistischen Elemente aufgepeitscht haben. Der Redner zitiert aus den Reichstags- i Debatten vom November 1908, um zu zeigen, wie man damals über solche Äcuhcrungcn des pcrsönliclten Regiments geurteilt "habe. Was lvird der Abgeordnete Bass ermann setzt sagen, nachdem er inzwischen zumPetrolcur von Mannheim"' er­mannt worden ist? (Der Präsident ruft den Redner zur Ordnung. Stürmische Heiterkeit. Abg. S ch e i d e m a n n meint, der Präsident wiffe offenbar nicht, daß dieser Ausspruch einem konservativen Blatte entnommen sei. Der Präsident nimmt daraufhin den Ordnungsruf zurück.) Was- gedenkt nun der Reichskanzler zu antworten? Ich muß diese Anfrage jetzt an den leeren Stuhl richten. Es wird ihm schwer werden, jetzt eine Antwort zu geben. Charakteristisch ist, daß gerade das, was in den Worten des Kaisers gesagt worden ist, einige Tage vorher in einem Artikel derP o st" empfohlen worden ist. (Hört! Hört!) Drei Tage nach diesem Artikel hat Herr v. Zedlitz den Reichskanzler einen Partei, genossen der Reichspartei und derPost" genannt. (Hört! Hört!) Wir lvollett diesen unhaltbarem Zuständen ein Ende machen durch die Stärkung des Parlaments. Wir wollen nicht, daß Preußen das deutsche Sibirien bleibt! (Der Präsident ruft den Redner zur Ordnung.) Wir wollen aus Preußen ein freies Land machen. Nicht in Elsaß zurück, sondern in Preußen vorwärts! Das ist die Losung. Die stürmischen Szenen im Abgeordneten­hause sind doch nichts anderes als der Ausdruck eines unhalt­baren Zustandes. (Der Präsident erinnert den Redner daran, daß die preußischen Angelegenheiten jetzt nicht zur Debatte stehen.)

Scheidema«« gegen ven Präfiventen.

Ich schätze den Herrn Präsidenten, mit dem ich, wenn auch nur kurze Zeit, im Präsidium gesessen habe, aber ich muß ^och mein Erstaunen aussprechen über diese Art der Geschäfts« grung. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) sandeln wir denn die preußischen Angelegenheiten hier zum ersten Male im Reichstag, und hat nicht auch der Reichskanzler oft genug darüber Auskunft gegeben? Wir wollen doch den : Reichstag nicht zum preußischen Abgeordnetenhaus machen. | (Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Was die Lage in : Preußen kennzeichnet, das ist, daß eine Versammlung, die 1 keine Volksvertretung ist, durch Polizeibeamte Abgeordnete des : Volkes aus dem Saale hat schleppen lassen. Das war ein ^symbolischer Akt, das ist das Preußen, wie es leibt und lebt, von dem mit Recht ein Zentrumsabgeodnetcr gesagt hat: Man mutz sich schämen, ein Preuße zu sein. (Lebhafte Zu- srimmung bei den Sozialdemokraten.) Tas geschieht auf Grund einer Autorität, die allen Boden unter den Füßen

verloren hat. Aber das Eindringen der Polizei in das Ab- ! geordnetenhaus hat gewirkt wie ein Signalschutz. Man fragt !sich vergeblich, wie das in Einklang zu bringen ist mit § 105 des Strafgesetzbuches. Glaubt die Mehrheit wirklich, sie könnte tauf dem Wege der Geschäftsordnung ein Reichsgesetz außer stKraft setzen? Auf Grund welches Gesetzes sind denn diese Leute im Abgeordnetenhaus? Sie sind auf Grund einer Ver- Iordnung da, die unter Bruch eines königlichen Wor­tes erlassen worden ist. (Pfuirufe rechts. Ordnungsruf des i Präsidenten.) Haben sich solche Szenen in den Parlamenten der anderen Bundesstaaten abgespielt oder in den Äemeinde- Versammlungen, wo hunderte von Sozialdemokraten sitzen, > tote sie sich in Preußen abgespielt haben? Sie sind nur er­klärlich auf dem Boden dieses Hauses. (Sehr richtig! cutis.) >Der Redner geht, während die Rechte ihm zuruft, daß dies : nicht zur Sache gehöre, auf die Vorgänge, di- zur Enlfer - nung des Abg. Borchardt geführt haben, ein. Dir s Zwischenrufe sind von allen Seiten gemacht worden, sie wer­den überall gemacht. Aus der Linken werden vielleicht mehr j Zwischenrufe gemacht, als auf der Rechten. Das kommt wohl 'daher, daß auf der Linken mehr Witz und Verstand ist. Jetzt |fol[ nun eine Klage wegen Hausfriedensbruches und Wider- i itanbes gegen die Staatsgewalt kommen. Treiben Sie (nach Brechts) die Dinge nicht auf die Spitze. Sperren Sie sich nicht gegen die notwendige Entwicklung. Geben Sie dem Volk die ! Rechte, die ihm zustehen, und die cs verlangt. Der Reichs­kanzler ist ein Fanatiker der Zahlen, wenn cs sich um Wehr- Vorlagen handelt. Sie rechnen mit der Zahl der aufgeklär- jten Köpfe. Die Zukunft wird entscheiden, wer weiter rech, net. Sie oder wir. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemo­kraten.)

Der Präsident Kaempf teilt aus dem Stenogrsmm die Aeußerungen mit, die zu lebhaften Protesten Anlaß gegeben haben und erklärt, daß, wenn der Abg. Scheidemann mit der Verurteilung zum Zuchthaus die Einverleibung in Preußen meint, so müsse er ihn zur Ordnung rufen. (Zurufe: Wahl­recht!)

Abg. Spahn (Z.) (schwer verständlich): Ich will auf alles nicht eingehen, was der Vorredner ausgeführt hat. Auf die Vorgänge im preußischen Abgeordnetenhause will ich nicht ein­gehen, zumal darüber noch gerichtliche Entscheidung erfolgen wird. Etwas anderes ist es mit den Vorgängen in Elsaß- ^Lothringen. Dadurch wird nicht nur Elsaß-Lothringen berührt, sondern auch das Reich. Wir erwarten, daß der Reichs­kanzler unS den Wortlaut der Aeußerung des Kaisers mit­teilen wird. Vielleicht wird es auch nicht möglich sein, weil

es schwer sein wird, solche Aeußerungen noch nachträglich fest- zustellen. Ich bedaure, daß solche Aeutzerungen haben fallen können. (Sehr richtig.) Die Wahl­rechtsreform in Preußen gehört auch nicht hierher, aber ich möchte die Aufmerksamkeit lenken auf die Vorbereitung der Handelsverträge, liebet: diese Frage macht der Redner Ausführungen, die auf der Tribüne vollständig unverständlich bleiben. Der Redner scheint auch über das Jesuiten» gesetz zu sprechen, bleibt aber im einzelnen vollständig un­verständlich.

- Graf Schwerin-Löwitz (ionfA: Ich halte es nickt für angs- zeigt, Mitteilungen in der Presse über angebliche Aeußerungen Sr. Majeftät des Kaisers hier im Hause zu erörtern, solange der Wortlaut dieser Aeußerungen nicht festfteht. (Sehr richtig! rechts.) Ich will deshalb auf die Aeußerungen des Kaisers |

nicht eingehen. Es wird sich vielleicht später Gelegenheit dazu geben. Was die sacke aber selbst angeht, so muß ich sagen, daß uns die innere politische Entwicklung und die neueren Vorgänge nickt gefallen, und datz uns btefe Dinge bestärkt haben in der Ueberzeugung, die uns seinerzeit zur Ablehnung der Verfassung gebracht hat. (Zustimmung rechts.) Wir waren damals der Ansicht, datz die Gewährung der Verfassung ein Fehler war und darin sind wir jetzt bestärkt worden. Wie dieser Fehler in Zukunft wieder gut zu machen ist, das mutz der Zukunft überlassen bleiben. Ich gehe aber auf diese Angelegenheit nicht weiter ein, ebenso auch nicht auf die Handhabung der Geschäftsordnung im preußischen Abge- ordnetenhause, die mir auch nicht recht hierher zu gehören scheint. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, um einen Ueberblick zu geben über die gesamte wirt­schaftliche Entwicklung seit der Einführung der letzten Han­delsverträge (während der nun folgenden Ausführungen bilden sich zunächst bei den Sozialdemokraten große Gruppen.)

Die Sozialdemokraten verlassen den Saal, um sich draußen zu beraten. Auch bei den anderen Parteien herrscht große Unruhe, sodaß der Redner nur äußerst schwer zu verstehen ist. Als der Redner etwa eine Stunde ge­sprochen hat, erscheint der hanseatische Bundesratsbevollmäch­tigte Klügmann am Bundesratstisch, von einem sozial­demokratischen Zuruf empfangen, woraus er sofort wieder verschwindet. (Große Heiterkeit.)

Präsident Kaempf: Wegen der während der Rede des Ab­geordneten Sch eidemann herrschenden Unruhe ist es mir nicht möglich gewesen, den Redner hinreichend zu verstehen. Nach dem Stenogramm, das ich mir habe gehen lassen, habe ich bereits eine Stelle gerügt. Es findet sich aber noch eine Stelle darin:Wir meinen aber, datz man mit folchenDrohungen der Versetzung sozusagen in die zweite Klassedes Sol­dat enst a nd es, in die Versetzung der untersten Klasse der deutschen Reichsangehörigkeit durch Einverleibung in Preußen etwas vorsichtiger sein sollte." Wegen dieser Preußen aufs schärfste verletzenden Ausführungen an dieser Stelle rufe ich Herrn Scheidemann nachträglich zur Ordnung. (Leb­hafter Beifall.)

Abg. Ban Galier (natl.): Als ich mich zckm Worte meldete, freute ich mich als Altpreuße und Neuelsässer über Vorgänge hier zu sprechen, die uns alle lebhaft berühren. Aber die Ausführungen: des ersten Redners haben mich ganz ver­gessen lassen, daß ich Elsässer bin. Da kommt mir die Erin­nerung an meine Jugendzeit, wo ich das Lied gelernt habe: Ich bin ein Preuße. (Stürmische Zustimmung rechts, Lachen bei den Sozialdemokraten.) Es ist traurig, ^ Sie herüber lachen, daß ich von ganzem Herzen ein Deutscher bin und zu­gleich ein Preuße, und als solcher fühle ich mich (mit der Faust auffchlagend) auch in diesem Hause. (Erneute Zustimmung.) Ich habe immer dieses Gefühl gehabt, daß wir die heilige Ver­pflichtung haben, uns dessen bewußt zu bleiben, was Preußen für bas Deutsche Reich geleistet hat. (Lebhaftes Bravo! rechts, Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen hier nicht wie auf schützenfesten in nationaler Begeisterung machen, aber gegen die Rede des Abgeordneten scheidemann muß hier protestiert werden. Erneutes Bravo! Lachen und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich bin ein deutscher Volksvertreter, wenn ich die Ehre Preußens aus vollem Herzen verteidige. Ich habe seinerzeit bei der Reform des Strafgesetzbuches das Referat über die Maiestätsbelei- digungen gehabt, und es fiel mir auf, daß es in England keine Verurteilungen wegen Majestätsbeleidigung gibt (Zuruf Ledebours: Weil niemand angeklagt wird!) Ich habe mich daher an einen englischen Anwalt gewandt und er hat mir geschrieben: Wir haben eine etwas andere Auffassung von der Beleidigung des Königs und des Staates. Ein Engländer beleidigt seinen König nicht (Hört! Hört!), weil er meint, daß er der Repräsentant seines Staates ist, und es gilt nicht als gentlemenlike. (Stürmisches Bravo! rechts, Lachen und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Und wenn nun doch ein Engländer den König beleidigt und sich gegen den Staat wendet, bann ist die allgemeine Auffassung die, daß sich ein solches Verhalten selber richtet und eine Strafver­folgung nicht notwendig ist. (Zuruf Ledebours: Sie haben ja gar keine Ahnung! Große Heiterkeit.) Jeder, der seine Pflicht als Volksvertreter ernst nimmt, der muh jeder Ent­wicklung, die für sein Vaterland nachteilig ist, kritisch gegen» übertreten. Die Konsequenz ist auch, daß die nationalliberale Partei in der wichtigen Frage der Wahlreform den Weg der Entwicklung gehen will. Tas hat sie gezeigt auch bei der Durch­führung der Gesetze. Wir treten gegen jede Mißdeutung der Gesetze ein. (Während der Rede des Abg. van Calkev'er­scheint zunächst der preußische Eisenbahnminister von Brei- tenbach und dann sämtliche y

Staatssekretäre wieder hn Saal,

was von den Sozialdemokraten mit Oho-Rufen begleitet wird.) Wir treten all den Dingen entgegen, die einer gedeihlichen Entwicklung entgegenstehen. Sie werden uns immer finden auf dem Wege einer gerechten Kritik, unsere Kritik ist aber diktiert von einer heißen Liebe zum Vaterlande. Das gilt auch von den Dingen in Elsaß-Lothringen. Die An­schauungen über Elsaß-Lothringen gehen weit auseinander. Ich will Ihnen offen meine persönlich^ Meinung sagen. Ich stehe auf entgegen gefetztem Standpunkte wie die Konservativen. Ich freue mich, daß wir eine Ver­fassung in Elsaß-Lothringen haben. Vor allem deshalb, weil durch das allgemeine gleiche Wahlrecht für unser Land die Möglichkeit für die freie Entwicklung in fortschrittlichem Sinne gegeben ist. Daß zunächst sich Mißstände zeigen werden, das hat jeder erwartet. Ich mutz aber bestreiten, daß die Vorgänge andere gewesen wären, etwa unter der Herrschaft des Lqndes- ausschusses. Daran hat die Einführung der Verfassung nichts geändert. Als ich im vorigen Jahre hierherkam, da bestanden in meiner Fraktion Meinungsverschiedenheiten darüber, ob man auf den Boden der Verfassung treten solle. (Rufe bei den Sozialdemokraten: Einerseits, andererseits.) Haben Sie keineinerseits, andererseits?" (Heiterkeit.) Ich habe da­mals erklärt, man müsse sich auf den Boden der Verfassung stellen, und die nationalliberale Fraktion hat sich ja auch auf diesen Boden einmütig gestellt. (Der Reichskanzler er­

scheint im Saal. Die Sozialdemokraten rufen: Aha, Aha! Rufe Rechts: Politische Kinder.) Wir haben eS für richtig gehalten, Elsaß-Lothringen die Verfassung zu geben. Ob es 1870 richtig gewesen wäre, Elsaß-Lothringen in Preußen ein­zuverleiben, das haben wir nicht nachzuprüfen. Heute wäre eine Aenderung nicht mehr möglich. Wir müssen aus dem Weg weitergehen, den unS Fürst Bismarck gezeigt hat. Wir sind den Weg weitergegangen, dadurch, daß wir Elsatz-Lothrin. gen die Verfassung gegeben haben, und die Widerstände kennen Sie ja alle, die im Wege gestanden haben. Viele, die damals Widerstand leisteten, auch in Elsaß-Lothringen, sind dankbar, datz sie die Verfassung bekommen haben. Viele Elsässer denken heute ganz anders. Ich sage, eS war ein gutes Werk und wir wollen hoffen, daß die Entwicklung ruhig weiter geht. Wir bedauern, was in den letzten Wochen in Elsaß-Lothringen geschehen ist, namentlich auch im Landtag. Als ich nach Elsaß- Lothringen kam, kam ich herein als ein Fremder. Ich habe gehört, eS sei schwer, dort warm zu werden, und sich dort heimisch zu fühlen. Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Allerdings, ich hatte von vornherein den Willen, zu arbeiten für das Wohl und das Interesse des Landes. Aber bei vielen liegt wohl der Fehler da, daß sie bei ihren kritischen Aeuße­rungen sich nicht richtig auf den Standpunkt der Elsaß- Lothringer stellen. Wir müssen aber sagen, daß im Landtag manches behandelt worden ist, was außerhalb des Landes und im Lande zweifellos viel böses Blut gemacht hat. (Sehr richtig!)

Tas gilt auch bezüglich der Grafen stader Affäre. Ich will nicht unlersuchen, ob auch seitens der Regierung alles richtig gemacht worden ist, cs hätte aber etwas geschickter ver­fahren werden können. Aber ich muß doch sagen, daß eine Volksvertretung auf ihre Autorität halten muß, und deshalb bin ich der Meinung, daß dieses Parlament sich seiner Ver­antwortlichkeit in hohem Maße bewußt sein muß, auch dann, wenn es in der Opposition steht. Das Parlament muß auch an die Wirkung denken, die ein Beschluß haben kann. Die Wir­kung des Beschlusses in der Grafenstader Sache war be­dauerlich. In der französischen Presse wurde so­fort die Auffassung vertreten, daß in Elsaß-Lothringen ein Volk in Fesseln schmachte, das nur daraus wartet, baldmöglichst wieder in die Arme Frankreichs zu fallen. Ist das so oder ist das nicht so? Tie Auffassung tritt in der französischen Presse zu Tage, und darin liegt das Bedenkliche. (Abg. Ricklin ruft: Daran sind wir nicht schuld!) Gewiß, Herr Präsident der elsaß-lothringischen Kammer, Sie sind nicht schuld daran, und Sie wollen auch nicht französisch werden. Mir hat vor kurzem ein Elsässer gesagt:Sie wissen es so gut wie ich, daß es nur einige Narren sind, die wieder französisch werden wollen." (Zustimmung und Heiterkeit.) Ich bin der festen Ueberzeugung, daß deren, ine heute in französischen Besitz zurückkehren wollen, ganz außerordentlich wenige sind. Ich würde sehr dankbar sein, im Interesse der Sache, wenn von elsässischer Seite das einmal ausdrücklich gesagt Hürde. Wenn ich das sage, so legt man dem nicht das Gewicht bei, wie von elsässischer Seite. Es wäre außerordentlich wertvoll, wenn man in Frankreich aus ihrem Munde einmal hören würde, daß sic nicht französisch werden wollen. Gewiß herrschen im El­saß Wünsche nach manchen Aenberungen, aber in

dem Sinne ist die Kritik nicht auf auf aff en, daß man das Unglück fühlen würde, daß man nicht zu Frankreich gehört. Ich muß natürlich offene Kritik üben an der Ver - waltung. Es werden da Fehler gemacht, die vermieden werden könnten und müßten, auch im Interesse einer gefunden Entwicklung. Ich bin in diesem Frühjahr in Neustadt- Landau gewesen, und diese Teile sind länger französisch gewesen. Einen französischen Einschlag habe ich hier mehr gemerkt als im Elsaß. Es wurde hier an französischen Traditionen mehr festgehalten als anderswo. Aber' das hin­dert niemanden daran, datz die Mehrheit dieser Kreise sich vollkommen als Bayern und als Deutsche sühlen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Aber nicht als Preußen! Ruf rechts: Dummer Kerl!) Das muß doch einen Grund haben. Ich hatte einmal ein Gespräch mit dem Fürsten Bülow und brachte ihm Wünfche vor, die wir in Elsaß-Lothringen haben, worauf er erwiderte:Ja, die Jacke, die für Ofielbien sehr gut patzt, ist Euch im Elsaß etwas zu eng." So ist es auch jetzt. Es wirken bei uns Kleinigkeiten oft viel stärker, als sie eigentlich wirken sollten. Ich kam einmal zurück aus Paris, und auf der Grenze kam ein deutscher Gendarm auf mich zu und fragte in barschem Ton:Wo kommen Sie her?" Ich sagte:Ich komme aus Frankreich."Wer sind Sie?"Ich bin Professor an der Universität Straßburg." Darauf erwiderte er mir:Sie sehen mit aus wie ein französischer Offizier." (Große Heiterkeit.) Ich sagte:Jawohl, ich bin deutscher Offizier." Darauf sagte er:Ja, Sie kommen mir so vor, als ob Sie einen deutschen Offizier vortauschten". (Große Heiterkeit.) Da bin ich denn sehr grob geworden, und ich habe Ausdrücke gebraucht, die jedem Exerzierplatz zur Zierde gereichen würden. (Große Heiterkeit.) Der Mann hat bann schließlich zu mir gesagt:Zu Befehl, Herr Hauptmann" und bamit war die Sache erledigt. Der Mann hat seine Pflicht getan, aber sie war an unrechter Stelle. Es wird von der Schneidigkeit zuviel Gebrauch gemacht, und es fehlt an dem Verständnis für süddeutsches Wesen. (Lebhafte Zustimmung.) ES gibt eben gewisse kleine Formalitäten, die unrichtig gehand­habt werden. So ist es auch mit der franzö si scheu Sprache. Man soll die französische Sprache nicht dulden, wenn sic absichtlich in oppositioneller Weise gebraucht wird. Man soll sie aber ruhig dulden, wenn sie zu bestimmten Zwecken benützt wird. Hier in Berlin sind französische Ausdrücke be­liebt, die man bei uns nicht duldet, und daS ärgert unsere Leute. Diese kleinen Momente muß man berücksichtigen, und man muß alles versuchen, das Volk zu gewinnen. Das Souve­nir ist ein schönes Moment, und man sollte eS nicht tadeln. Ich habe auch ein solches Souvenir in meinen Adern. Wir müssen uns bemühen, dckß wir diese Tradition richtig und gerecht betrachten. So sehr tolerant ich bin gegenüber dem Souvenir, so bin ick doch unbedingt gegen jede Maßnahme, die gegen eine Annäherung an das Deutsche Reich gerichtet ist. Wenn eine solche Aeußerung geschieht, so ist unsere Regierung in vollem Recht, sich dagegen zu toenäen. (Ruf: In Scherben zu schlagen!) Ich bin nicht der Meinung, daß man unver­bürgte Aeußerungen des Kaisers hier erivähnen sollte. Aber es ist geschehen, und ich muß darüber sprechen. |

Sind Aeußerungen dieser Art gefallen, so ist natürlich bie Wirkung nach außen hin viel starker, als die Wirkung beah. sichtigt war, und das ist zu bedauern. Aber wir wollen uns doch sagen, auch der Kaiser hat das Recht, unmutig zu sein über eine Entwicklung, die allem dem entgegensteht, was wir alle erhofft haben, als die Verfassung cingesührt wurde. (Sehr richtig!) Tas Parlament hat gewisse Rechte, aber in der Aus. Übung von Rechten ^mutz man sich der Wirkung bewußt fein. Ich stehe auf dem Standpunkt: Souvenir ja, esperance nein, niemals, und diese Espcrancebestrcbungen müssen zurückge. drängt werden. Wir müssen alle miteinander arbeiten, in dem Bewußtsein, datz Elsaß-Lothringen ein deutsches Land ist und es wieder vollkommen werden wird, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Wir müssen arbeiten mit heißer Liebe für unser Vaterland. Wir müssen arbeiten für das Land unserer Kinder. (Lebhafter Beifall.)

Reichskanzler v. Bethmann Hollweg:

Auf die Vorgänge, die mich und die Mitglieder des Bundes« rats veranlaßt haben, eine Zeitlang den Saal zu verlassen, gehe ich selbstverständlich nicht ein, nachdem von Seiten des Präsidenten ein Ordnungsruf wegen der Aeußerung des ersten Vorredners erteilt worden ist. Ein Mann, der von seinem Lande so spricht, wie es geschehen ist (Zurufe bei den Sozial- demokraten: Sein Land?), verurteilt sich selbst. (Stürmischer Beifall rechts, große Unruhe links, Zwischenrufe.) Ihre Zwi» fchenrufe, meine Herren, machen mich nicht irre. In meinen Gefühlen als Preuße und guter Deutscher weiß ich, was Deutschland Preußen verdankt. (Beifall.) Ich will über die elsaß-lothringische Angelegenheit sprechen. Vor­her muß ich mit einigen Worten auf die Grafenstader Angelegenheit eingehen, da die Resolution, die zu ihr gefaßt worden ist, wie der Herr Abgeordnete van datier au5« geführt hat, eine gewisse Bedeutung erlangt hat. Der Sach­verhalt der Grafenstadener Angelegenheit ist kurz folgender: Grafenstaden gehört der Norddeutschen Lokomotivvereinigung an und hat deshalb Anteil an den Bestellungen für die Reichs- eifenbahnen und die preußischen Bahnen. Der Wert der Be­stellungen Bat in den letzten Jahren durchschnitllich 4 Mil- lionen Mark pro Jahr betragen. Im Januar dieses Jahres ist die preußische Eisenbahnverwaltung durch Zeitungs­artikel und durch eine mit Namensnennung versehene Zu­schrift darauf aufmerksam gemacht worden, daß von der Leitung deS Grafenstadener Werkes behauptet wurde, sie wirke in direkt deutschfeindlichem Sinne. Danach hat die Eifenbahnverwal­tung im Benehmen mit der Landesverwaltung eine Unter­suchung angestellt, deren Ergebnis der UnterftaatSsekrejsir Mandel in der elsaß-lothringischen Kammer mitgeteilt hat. Ich will aus dieser Mitteilung hier kurz folgendes anführen: Die eisatzlothringische Regierung erklärte, cs sei für sie no t o« risch, datz der leitende Direktor des Werke? die Seele aller deutschfeindlichen Bestrebungen fei, die sich in und um Grafen­staden bemerkbar machten. ADe persönlichen Beziehungen zwischen der Fabrik und den, Behörden hätten aufgehört, und daran habe dieser Direktor Schuld. Er benutze jede Gelegen­heit, um sich über deutsches Leben abfällig und hählich zu äußern. Er habe die gesellige Vereinigung des Personals in französi- sches Fahrwasser geleitet und bekämpfe auch in der ©emeirfbe alles, was deutsch fei. Auf Grund dieses Ergebnisses stellte die Eisenbahnverwaltung dem Werke die Entziehung weiterer Aufträge in Aussicht, falls nicht in bestimmter Frist dieser Direktor von seinem Posten entfernt würde. (Hört, hört! link?. Beifall rechts.) Und falls nicht bis zu seiner,Entfernung Ge- währ dafür geboten, würde, datz seine Tätigkeit in deutschfeindlichem Sinn in der Fabrik und in der Gemeinde aufhöre. (Zuruf von den Sozialdemokraten. Vize­präsident Dove bittet, die Zwischenrufe zu unterlassen.) Tas ist der Tatbestand. Es ist unbegreiflich, woraus man diese Vorwürfe gegen die Eisenbahnverwaltung herbeileiten kann. Für die Verwaltung der deutschen Reickseisenbahnen wie auch der preußischen Staatsbahnen ist es ein Ding der Unmöglichkeit, geschäftliche Beziehungen zu einem Werke auf­recht zu erhalten und ihm jährlich Millionenbestellungen zuzu« wenden, dessen Leitung die Verachtung deutschen Wesens zur Schau trägt und in die Tat umsetzt.. (Zurufe bei den Sozial­demokraten.) Die Herren kommen ja nachher zu Worte, und ich bitte deshalb, mich nicht zu stören. Die deutschen Eisen­bahnverwaltungen würden pflichtwidrig gehandelt, haben, wenn sie diese Vorgänge ignoriert hätten. Es ist nicht Ge­sinnungsschnüffelei gewesen dieser Ausdruck ist in der elsatz-lothringifchen Kammer gebraucht worden sondern e» war notwendig, daß die Verwaltungen durch Vermittlung der Landesbehörden die Untersuchung einleiteten. ES war ein Gebot staatlicher und nationaler Notwendigkeit. (Sehr richtig!) Niemand unterhält geschäftliche Beziehungen ohne zwingende Notwendigkeit, wenn der andere Teil sich fortgesetzt darin ergeht, wichtige In­teressen seines Auftraggebers zu schädigen. Und wie sollte es der Staat tun, wenn die nationalen In­teressen angegriffen iverden. Davon kann gar keine Rede fein. Der Staat ist dazu berufen, in allererster Linie diese staatlichen Interessen zu schützen. (Allgemeines Bravo! recht?.) Dann ist noch der Vorwurf gemacht worden, die Eifenbahnper- waliungen wären von der rheinisch-westfälischen Industrie als Vorspann benutzt worden, um die Konkurrenz von Gra< fenstaden auszuschalten. Man hat das daraus geschlossen, dckß zufällig auch dieRheinisch-Westfälische Zeitung" auf di« Quertreibereien in Grafenstaden aufmerksam gemacht hat, Dieser Vorwurf ist absolut hinfällig. Ich habe bereit? mitge teilt, in welchem Umfange nicht nur die Reichseisenbahnver. toaltung, sondern auch die preußische Grafenstaden mit Auf« trägen versehen hat. Preußen besitzt Fabriken genug, uni seinen Bedarf zu decken. Es würde nicht auf die reichslän­dischen Fabriken zurückzugreifen brauchen. Preußen sieht eS jedoch als seine Aufgabe an, die reichsländische Industrie viel als möglich zu fördern, und ich setze mich dafür ein, daß das dauernd geschehen werde. (Bravo.) Also meine Herren, da? Konkurrenzmotiv fällt wog für das Vorgehen der Eisen, bahnverwaltung. Es ist nicht bestimmend gewesen und bestehj nur in der Phantasie derjenigen Faktoren, welche die Ange­legenheit politisch auSbeuten wollen gegen Preußen. Gegen­wärtig hat Grafenstaden nur für das erste Halbjahr Maschinen im Werte von etwas über eine Million, zusammen 2J4 Mil«

läuft sich heute zweifellos auf mindestens 2 600 000 Menschen. Vor 13 Jahren betrug sie nicht mehr als 1 300 000. Sie hat sich also zum wenigsten verdopelt. Die neu hinzugekommene Bevölkerung besteht größtenteils aus Leuten, die chr bleiben­des Heim im Lande suchen. Die ländlichen Distrikte haben zum mindesten eine halbe Million Menschen angelockt. Die reichen Gebietsteile des San Joaguin-Tales strotzen förmlich von funkelnagelneuen Dörfern. Wohin man das Auge schwei­fen läßt, erblickt man Gruppen frisch geschindelter Häuser. , Kalifornien, welches jetzt erst zu wirklich neuem Leben er­wacht, ist an Erwerbsquellen reicher, als sich alle Goldsucher je träumen ließen. Trotz all der vielen Geschichten, die man von den Reizen und Schätzen des Landes erzählt hat, Geschich­ten, die so manchen Kalifornier bei der übrigen Welt in den Ruf eines Prahlhanses und Erzgauners gebracht haben, ist doch das Meiste ungesagt geblieben. Kalifornien ist wirklich für die. weitaus meisten noch ein unentdecktes Land, so wie es in der Tat fast noch unbewohnt ist. Sonst hätte das schönste Land, das sich der Mensch zum Wohnsitz auserwählen kann, gewiß mehr als 15 Einwohner auf die Ouadratmeilc, und Farmen von 10 000 Morgen Land, von welchen 10 für sich allein genommen eine zahlreiche Familie ernähren könnten, wären keine solch alltägliche Erscheinung. Der durchschnitt­liche Flächeninhalt einer kalifornischen Farm ist 318 JKorgen gegen 137 in den übrigen Gegenden der Vereinigten Staaten. Zieht man dabei noch die größere Fruchtbarkeit und das außerordentlich gesunde Klima in Betracht, so vergrößert dies noch den schon an und für sich beträchtlichen Unterschied.

Es muß wirklich als zweifelhaft gelten, ob viele Ameri­kaner von bar übrigen Menschheit ganz zu schweigen auch nur eine Vorstellung haben, ein welch gewaltiges Gebiet unter dem so alltäglichen NamenKalifornien" einbegriffen ist. Die zehn Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massachusetts, Rhode Island, Connektikut, New-Dork. New- ihersey, Delaware und Ohio könnten bequem auf den Flachen- Inhalt Kaliforniens verteilt werden. Und würde letzteres auf »iefelbe Breite an den Atlantischen Ozean verschoben, so würde !s sich ungefähr von Boston bis nach Charleston in Süd-Karo- lina erstrecken. Kalifornien hatte 1910 eine Bevölkerung von 2 377 549 Menschen. Ter Flächeninhalt des Staates beträgt 158 297 Ouadratmeilen. Wenn wir nun bie Halste davon als Gebirge und Wüstenstrecken in Abrechnung bringen und dann der anderen Hälfte eine Bevölkerung von der Dich­tigkeit Rhode Islands geben, eine Dichtigkeit, die Kalifornien von jedem Gesichtspunkt aus- weit bester auf sich nehmen könnte als Rhode Island, dann würde Kalifornien eine Bevölkerung von rund 40 Millionen besitzen. Japan zusammen mit For­mosa ist beträchtlich kleiner als Kalifornien, aber es ernährt eine Bevölkerung von. über 50 Millionen Menschen. Italien mit %. des Flächeninhalts von Kalifornien hat ungefähr 35 Millionen Einwohner. Solche Widersprüche können sich an­gesichts des modernen Schiffsverkehrs der Einsicht d.er Mensch­heit nicht mehr lange verschließen. Tie Eröffnung des Pa»

namakanals wird hinsichtlich der Einwanderung vollständig neue Verhältnisse schaffen. So, wie es jetzt steht, muß der Einwanderer sich zuerst von seinem binnenländischen Heimatsort etwa nach Triest bemühen, dort den Dampfer besteigen und dann eine lange Seereise durchkosten, bis et auf amerikanischen Boden gesetzt wird. Da wird ihm denn eine weitere sechstägige Eisenbahnfahrt, die ihn noch weiter in un­bekanntes Land hineinführt und ihn noch mehr von seiner Heimat trennt, sicherlich nicht verlockend erscheinen, zumal diese Fahrt und das ist das Schlimmste von allem ihn in er­neute, ganz erhebliche Kosten stürzt. Wenn der Einwanderer dagegen in Triest, Neapel oder Hamburg ein Schiff besteigen kann, das ihn statt für rund 165 Mark nach New-Jork "bei einer nur mäßigen Erhöhung des Fahrpreises, sagen wir von etwa 4045 Mark, direkt in ein Dock nach San Franzisko bringt, so wird sich der Haupteinwandererstrom sicherlich für eine zeitlang nach Kalifornien richten?) Bei den mannigfalti­gen gegenwärtigen Schwierigkeiten und Ausgaben, die der Ein­wanderer bei einer Reise nach Kalifornien auf sich nehmen muß, ist es wirklich ein Wunder, daß so viele ihr fernes Ziel erreicht haben. Sobald dies Land aber einmal besser zugäng­lich gemacht ist, werden der Reiz seiner unermeßlichen Felder, sowie die Pracht und Schönheit feiner Landschaften ihre Wir­kung auf den unternehmungslustigen und arbeitsfrohen Men­schen nicht verfehlen.

Es gab einst eine Zeit, wo es schien, als ob Kalifornien von einer vorherrschend orientalischen Bevölkerung besiedelt werden sollte. Tie zur Entwicklung des neuen Landes erfor­derliche Nachfrage nach Arbeit war ganz außerordentlich groß. Tas europäische, etwa in Frage kommende Angebot war zu weit entfernt und durch eine vierfache Schranke: die kalifor­nische Wüstenei, das Hochgebirge, die nordamerikanische Ebene und den Ozean abgeschlossen. Das reichste Arbeitsangebot, das man sich denken konnte, war dagegen jenseits des Stillen Ozcans, in den Küstenstädten Chinas und Japans zu finden. Kalifornien hat die Arbeit der Orientalen gebraucht und braucht sie heute noch notwendiger als je, aber die fpär- l'«che weiße Bevölkerung des Landes lief, solange sie dieser Notwendigkeit nachgeben mußte, Gefahr. Nunmehr liegt auf

*) Es fei noch beiläufig bemerkt: Der augenblickliche Preis der Fahrkarte für Eimvanderer beträgt von Hamburg über Nc1v-?)ork nach San Franzisko 440 Mark, wo- ton 165 Dkark auf die Seefahrt und 285 Mark auf die Bahn- fabrt quer durch den amerikanischen Kontinent entfallen. Der rvahrpreis über Galveston, die billigste Strecke, beträgt 325 Mark, wovon rund 175 Mark auf dir Eisenbahnfahrt von Gal- veston nach Kalifornien kommen. Die Eisenbahnverivaltung gewährt für bestimmte kurze Fristen einen ermäßigten soge­nanntenEinwander"-Preis von 204 Mark von New-Fork nach Kalifornien und 112.40 Mark von Galveston nach Kali­fornien; aber der Preis für die Seereise bleibt immer der gleiche. Tie direkte Fahrkarte nach Kalifornien durch den Panamakanal wird voraussichtlich etwa 212 Mark kosten.

Ter recht geromnbringeitiie Industriezweig der Zitr 0«

der Hand, daß der erforderliche Menschenersatz aus demSüden und Südosten Europas kommen muß. Wenn jemals die Ge­fahr einer Orientalisierung der Pazifischen Küste bestanden hat, was recht wahrscheinlich ist, so kann diese Gefahr wenigstens für die nächste Zukunft als beseitigt gelten.

Ein zweckdienliches Arbeitsangebot wird auf jeden Fall das industrielle Leben des Staates in ganz außerordentlicher Weise beschleunigen. Sowohl für den Ackerbau als die Obstzucht sind neue Arbeitskräfte erforderlich. Diese werden dann im Verein mit den neu entdeckten Oclquellen und den erst jüngst recht gewürdigten Wasserkräften und ihrer elektrischen Ueber- tragung die Räder der Fabriken, die das Land seither so schmerzlich entbehrt hat, in volle Bewegung setzen. Das Leben ist in Kalifornien nach allgemeiner Ansicht teurer als im Osten. Diese Annahme ist aber irrig, abgesehen von den hoben Löhnen und den hohen Preisen der fabrikmäßig herge- ftellten Waren, die meist aus dem Osten eingeführt werden müssen. Alle Nahrungsmiltel sind entschieden billiger als in den Städten an der nord atlantischen Küste. Die Leute leben freier, geben sich mehr den Genüssen des Lebens hin und scheuen die größeren Geldausgaben dafür nicht. In dieser Hinsicht mag das Leben freilich kostspieliger sein. Drückende Armut ist kaum bemerkbar. Die Masse des Volkes trägt in Kleidung und Gesichtsausdruck die Zeichen der W o h l h a b e n- heit und des Glückes. Der auf Den Kopf des einzelnen Mannes kommende Durchfchnittsbesitz beträgt in Kalifornien 11 900 Mark gegen 4780 Mark in den Vereinigten Staaten, 3193 Mark in Deutschland, 4866 Mark in Großbritannien und 5219 Mark in Frankreich.

Der Äauptursprung dieser weitverbreiteten, fast allge­meinen Wohlhabenheit ist zunächst in dem Mineralreichtum der Berge, dann aber weit mehr noch in der Fruchtbarkeit des Bodens und der Milde des Klimas zu suchen. Diese beiden letzten Umstände sind dem Gedeihen jeder Pflanze und jeder Frucht der gemäßigten Zone günssig, ja in den weitaus meisten Fällen mehr als irgendwo sonst. Sogar Reis ist kürzlich im Tal von Sakramente angebaut worden mit einem Ertrag von 2025 Säcken auf den Morgen gegenüber einem Durch­schnittsertrag von nur 15 Säcken in ben großen reisbauenden Ländern der Welt.

Und hoch ist die Leistungsfähigkeit des Landes erst der An­fang dessen, was sie einst werden wird, wenn einmal eine dichte Bevölkerung mit tausend fleißigen Händen ihre ganze Kraft aufwendet und ihr innerstes Interesse daran setzt, unter Heranziehung der von der Wissenschaft ausprobierten Metho­den mit vollem Eifer der Bebauung des Landes obzuliegen.

Aber zu den obengenannten Hilfsquellen werden in "kurzer Zeit noch folgende hinzutreten:" Durch die Eröffnung des Panamakanals und die dadurch bedingte Zunahme der Be­völkerung in den benachbarten Staaten, in Vritisch-Kolumbia und Alaska, wird für die Bodenprodukte Kaliforniens ein neue* und großes Absatzgebiet geschaffen. Dazu

kommt die Entwicklung des Handels im Stillen Ozean, der jetzt noch in feinen Anfängen steht. Und schließlich werden die reichlichen Wasserkräfte des Landes überall da in elektrische Kraft umgesetzt werden, wo sie der Fabrikation dienstbar gemacht werden können. Der Hochgebirgsschnee, den die milden Seewinde zur Schmelze bringen, entsendet immer­fort derartige Wassermengen, daß die in ihnen verborgen liegende, aber unbenutzte Kraft groß genug wäre, um, in Elektrizität verwandelt, wie man glaubt, alle Maschinen der Welt treiben zu können. Hier liegt eine Kraftquelle, die nicht wie Kohlenminen und Oelquellen versiegen kann.

Wenn nun einmal alle diese Wege zum Reichtum geebnet sind und lange wird es nicht mehr dauern, dann ver­spricht Kalifornien eine Bevölkerung von 20 Millionen Men­schen zu ernähren und zwar mit dem gleichen Ueberfluß, mit dem es auch heute seine Bewohner beglückt.

Daß dies kein leerer Traum ist, geht allein aus folgender Tatsache hervor: Prof. Samuel Fortier von der Ministerial- Abteilung für Ackerbau berichtet, daß ungefähr 1 375 000 Morgen reichen Landes bereits mit Gräben durchzogen zur Bewässerung bereit lägen, daß man aber aus Mangel an Arbeitern und Ansiedlern von einer Bewässerung vorläufig habe absehen müssen. Die bezeichnete Fläche Landes würde allein für 6000 Farmerfamilien eine Heimstätte mit reich­lichem Auskommen bieten.

Di« althergebrachte Vorstellung, daß Kaliforniens TÄer im Sommer nichts als ausgetrocknete Wüsten seien, war schuld daran, daß man weite Strecken Landes mit wenig ertragt« fähigem Winterweizen bebaut hat. Dasselbe Land aber läßt sich jetzt, wo man mittels des wunderbaren Bewässerungs­systems den Regen zu jeder Zeit und an jeder beliebigen Stelle wirken lassen kann, in fruchtbare Obstgärten verwandeln, in denen e i n Morgen ebenso viel wert ist wie fünf zuvor. Drei große Bewässerungsprojekte, die als die Klaworth-, 9)uma- und Orland-Prozekle bekannt sind, bezwecken zur Zeil, 85 OOP Morgen mit einer auf wissenschaftlichen Methoden beruhendes Bewässerung zu versehen. Sechs Bewässerungsbezirke, bie unter staatlicher Aussicht angelegt werden, sind bereits in An­griff genommen und werden nach ihrer Fertigstellung 561 745 Morgen Kulturland ergeben. Tas getarnte Land, welches in Kalifornien zur Zeit mit Gräben zum Zweck der Bewässe­rung durchzogen wird, beläuft sich beinahe au£ 4 Millionen Morgen; das ist fünfmal der Flächeninhalt des Staates Rhode Island. Tas gewaltigste Wasserprojekt indessen, das mit der Absicht, eine Wohnstätte für Menschen zu schaffen, in Angriff genommen wurde, ist das sogenannte Owens-River- Unternehmen von Los Angeles, wobei ein von der Ost- scite des Gebirges kommender Fluß bei seiner Wendung nach Norden einfachumgedreht" und seine Flut in Röhren aufge­fangen wird, die sie über das nach Süden sich erstreckende Land verteilen.