Kr. 333. Drittes Morgrnblatt.
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(Geeellschfltt rn.Hput.hr Haftangti
Deutscher Mcichstag.
Las Schicksal ves Mißtrauensvotums. — Nautische Vorschriften. — Frankreich als Borvilv. — Das
Postscheckgesetz.
E Berlin, 30. Novbr. Der Reichstag hat sich heute in namentlicher Abstimmung mit 40 Stimmen Mehrheit für die Haltung bes R e i ch § k a n z 1 e r s in der T e u e r u n g s- frage ausgesprochen und das ist sinnfällig auch für die, di« aus dem Gang der Debatte noch nicht erkannt baden sollten, itog auch die Mehrheit dieses Reichstags auf dem Boden der bestehenden Wirtschaftspolitik steht; nur die Polen, die in früheren Jahren die Hochschnhzollpolitik unterstützten, haben sich diesmal von der Mehrheit abgesondert und haben zusammen mit der Sozialdemokratie und der V o l k s- p art er durch ihre Abstimmung zu,erkennen gegeben, daß die Haltung des Reichskanzlers, gewiß nicht nur in dieser Fv»ge, ihrer Anschauung nicht entspricht.
Von dieser rein innerpolitischen, Wirtschastsfrage, nach deren Erledigung die Zahl der anwesenden Abgeordneten beträchtlich fiel, wandte man sich einer internationalen Vereinbarung über bte Behandlung von^ S ch i f fszu lamme n st äßen und über Bergung und Hilfeleistung in Seenot zu Alle Partciredner begrüßten diese Vereinbarung als einen internationalen Kulturfortschritt und stimmten freudig iu daß die deutsche Gesetzgebung in Einklang mit ihr gebracht Derbe. Wenn die Regierung mit ähnlichen internationalen Vereinbarungen vor den Reichstag treten wird, wird sie immer eine 'freudige Aufnahme damit finden, und heute hatte k»er Staatssekretär 8 i s c o, der die Vorlage mit einem kurzen Geleitwort bin Reichstag unterbreitete, die Genugtuung, daß nach knapp einer halben Stunde die Vorlage in erster und «weiter Lesung die Billigung aller Parteien gefunden hatte.
Wie vielseitig ein Reichstagsabgeordneter unserer Zeit sein muß und wie kehr ins Spezielle und ins Einzelne gehend die Aufgaben des heutigen Re^stags geworden sind, illustrierte die nachfolgende Beratung eines Gesetzes über Kinde r sa u gs la s ch'e n. Der moderne Gesetzgeber mutz stch rin Urteil' darüber bilden, ob die Kindcrsaugflaschen mit. Rohr »her Schlauch oder mit einer Verbindung beider unhygiensich sind oder nicht, ob ihr Gebrauch und ihr« Herstellung verboten werden muß oder nicht, und wer sich nicht als Familienvater hie nötige Kenntnis hierfür erworben hatte, dem suchte man sie heute im Reichstage am Objekte beizubringen. Drei Saugflaschen verschiedener Systeme standen auf dem Tssch des Hauses und von der kleinen Zahl der nach der namentlichen ilbstimmunq noch Zurückgebliebenen wurden sie auch nnt viel krnst und Ausdauer nach allen Selten hin kritisih betrachtet. So humorvoll diese Beschäftigung auch dem Unbeteiligten erscheinen mag, so ernst ist doch der Anlaß des Gesetzes. Die immer noch' ungeheuer starke Söugl in g s sterb 11 ch k et t in Deutschland erheischt dringend Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung und nachdem die Mehrheit des RerchRages, zuletzt bei der' Reichsversicherungsordnung, durchgreifendere Matz- nabmen wie sie in der Frage des Wöchnerinnen, chutzcs von 6er Volkspartei und der Sozialdemokratie angestrebt wurden, abgelehnt hat., ist es immerhin erfreulich, dass die Verbündeten Regierungen wenigstens die Herstellung und vor allem den Vertrieb 'unhygienifcher Saugflafchen innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches unmöglich machen wollen. . Rieht un- intercssant ist, daß die deutsche Gesetzgebung dabei eure An- leihe macht bei unserem großen westlichen R ach - b ar: ein der Begründung der Regierungsvorlage im Urtert beigegebener von den Herren A. Fall.iö.res und Llristide B r i a n d unterzeichneter Gesetzentwurf soll sinngemäß auf Deutschland übertragen werden. Die Tendenz der Vorlage fand Billigung bei allen Parteien und wenn auch von anderen Parteien als der Sozialdemokratie bedauert wird, daß nicht einschneidendere wirtschafts- und soz,alpolitifche Maßnahmen zur Herabdrückung der Sterblich;-,tsziffer der Säuglinge ergriffen werden, so hat doch niemand von den bürgerlichen Parteien es gebilligt, daß der Sozialüemokrat R üb le ein früherer sächsischer Volksschullehrer, die Gelegen- beit benutzte, um eine große Agitationsrede gegen die „eine reaktionäre Masse" zu halten, deren Tun stärkere Gewalten zur Vergeltung Herbeirusen werde. Zwei Ordnungsrufe trugen'ihm seine agitatorischen Uebertreibungen em, daß Deutschland nur in der Welt voranmarschiere, wenn es sich um Tinge der Unkultur handle, und datz die Säuglingssterblichkeit eine deutfche Kulturschande sei. Emen dritten Ordnungsruf wird ihm das Internationale Sozialistifche Bureau erteilen müssen, denn er will zwar die unhygienischen Saugflaschen in Deutschland verboten haben, aber die Kinder im Auslände sollen ruhig weiter daran sterben, denn den Export der in Deutschland als unhygienisch und gesund- hests'chädlich verbotenen Saugflafchen will er auf keinen Fall
(Die belletristische Abteilung des Feuilletons erscheint reden Sonntag und Donnerstag.)
Dagaöunden.
Von Cito Pietsch (Heidelberg).
(Schlu ß.)
Ter Tote lag noch genau so, wie er ihn verlassen hatte, den Sackzipfel über dem Gesicht. Der Vagabund zog die Jacke ab. Sein durchschwitztes Hemd klebte ihm an der Haut. Er faltete die Jacke zusammen, legte sie zu yüjicn des Toten an die Holzwand und setzte sich darauf, den Rücken gegen die Wanv gelehnt. ,
In dem kleinen Raum herrschte ein dämmriges dunkel. Er hatte die Tür seft in den Rahmen gezogen Durch die Ritzen zwischen den Brettern drang etwas vom Tageslicht herein. Die Lust war dumps und stickig. Das Holz war von dem Sonnenschein der letzten Tage durchglüht. Das ■summen einer Wespe oder Biene, die vergeblich den AuSgang suchie, erfüllte den Raum.
Die Gedanken des Vagabunden waren, mit Bitterkeit durchdränkt und von der Hitze und der langen Schlafenthaltung verworren, in der Vergangenheit. Er dachte des ersten Zusammentreffens mit ihm, der hier tot neben ihm lag, und wie sie dann unzertrennlich wurden. Es war eine ganz simr-e Geschichte, wie sie sich auf den Landstraßen fast täglich ereignet. Sie strömten zu dreien ihre Straße dahin, durch den Zufall zusammengewürfelt, er, der Kleine und ein fuchshaariger, sommersprossiger Bursche mit einem Luchsgestcht. Dieser machte sich den Spaß, den Kleinen zu hänseln. Er peinigte ihn mit seinen Unflätigkeiten bis aufs Blut. Schließlich am dritten Tage des Zusammenwanderns wurde dem Großen die Sache widerlich. Er wurde plötzlich blaurot im Gesicht, packte ?»en Fuchshaarigen, schlug ihm eins gewaltig ins Antlitz und schleuderte ihn mit einem Fußtritt in den Cbaussergraben. Der Fuchshaarige hielt sich den Äermel vor die blutende Rase und hinkte zehn Schritt hinter den anderen her, mit böse funkelnden Augen. Sie waren dann gemeinsam zum Uebernachten in eine Scheuer mit trockenem Heu gekrochen. Ter Kleine hatte der Sache nicht getraut — später hatte er's dem andern erzählt. Der Große schlief und er, der Kleine, hatte sich schlafend gestellt. Der Fuchshaarige hatte sich fein Lager sehr hoch aus- geschichtet, dicht an der offenen Luke. Plötzlich hatte der Kleine das Anstreichen eines Zündholzes gehört. Im nächsten Augen- chlick flammte das Heu. Er hörte dann, wie der Fuchshaarige aus der Luke sprang. Shit mit Mühe hatte der Kleine seinen Kameraden aus dem tiefen Ermüdungsschlaf seiner 22 Jahre
untersagt haben. Der Gesetzentwurf wurde schließlich einer Kommission überwiesen, die noch einige _ technische Verbesserungen an ihm vornehmen soll, aber sonst ^var man sich im Prinzip darüber einig, daß die deutschen Säuglinge in Zukunft Saugflaschen bekommen sollen, die nicht mehr eine Sammelstätte von Mikroben verschiedener Art bilden können.
Den Schluß der kaum vierstündigen _ Samstagssitzung füllte die erste Lesung des Po st sch eck ge setzes aus, das für den Postscheckverkehr einige Erleichterungen Bringen soll und das dem Staatssekretär K r ä t k e Gelegenheit gab, die schnelle Einbürgerung des Postschecks in Deutschland zu rühmen. Im Jahre 1912 haben 151 Millionen Buchungen statt- gesunden mit 30 Milliarden Mark und davon sind 16 Milliarden ohne Geld ausgeglichen worden. Herrn Dr. Süde- k u m von der Sozialdemokratie ist das noch viel zu wenig und dafür macht cr den Fiskalismus der Postvcrwaltimg verantwortlich. Auch Herr Dove von der Volkspartei hält den neuen Gebührensatz noch für viel zu hoch. Dafür rühmt er die Postbeamten, die auch die durch den Postscheckverkehr ihnen zugewiesenen Aufgaben glänzend gelöst hätten.
Tas Gesetz wurde der Budgetkommission überwiesen und dann vertagte sich der Reichstag auf Montag. Tann wird er bei der Generaldebatte zum Etat aus dem Munde des Reichskanzlers die erwartete Aufklärung über die internationale Lage und Deutschlands auswärtige Politik bekommen.
Die infetnationale Lage.
Rom, 30. Novbr. (W. B.) Beim Schluß der heutigen Sitzung der Kammer fragte der Deputierte Co! ajanni an, wann die Interpellationen über bie äußere Politik verhandelt werden könnten.. Ministerpräsident Gioli11i erwiderte, es seien noch Ereignisse im Gange, deren Folgen man unmöglich übersehen könne. Das Parlament würde jetzt verhandeln müssen, ohne die Tatsachen zu kennen, die auf die Lösung der noch im Gange befindlichen Ereignisse Einfluß hoben könnten. Er bitte deshalb Colajanni, der Vertagung dieser Interpellationen zuzustimmen. Sobald diese Besprechung ohne Bedenken würde stattfinden können, werde er sich gern mit der notwendigen Ausführlichkeit vernehmen lassen.
Krakau, 30. Novbr. Die Nachricht, daß wäbrenb einer gestern abgehobenen nationalpolnischen Demonstration das Bild des russischen Kaisers verbrannt worden fei, ist unrichtig. Ein Teilnehmer der Demonstration versuchte im Dunkeln ein unerkennbares Bild anzuzünden, wurde jedoch daran von den Wachmannschaften gehindert. Die De- mo-stration nahm einen ruhigen Verlauf.
0 Bukarest, 30. Novbr., 11.50 N. (Priv.-Tel.) Der öfter- reichisch-ungarische Armeeinspekteur Freiherr Conrad von Hötzendorf reiste heute nach Wien zurück.
Zer Baltantrieg.
Die Verhandlungen.
Konstantinopel, 30. Novbr. (D. B.) Die Bevollmächtigten beider Parteien sind heute in Tschatalbscha nicht zusammengekommen. Der Handelsminister R e s ch i d Pascha ist nachts znruckaekehrt. Er nahm heute an dem Ministerrat teil, der über die letzte Phaft der Verhandlungen beraten und neue Weisungen vorbereitet haben soll. Die für morgen ange- setzte Sitzung scheint die entscheidende zu sein. Jnzwifchen tref- ten fortgesetzt anatolische Truppen ein. Torgut Schefket Pascha ist von Gallipoli ein getroffen.
'Z Konstantinopel, 30. Novbr., 10.20 N. (Priv.-Tel.) Die Bedingungen des morgen zur Zeichnung gelangenden W a f f e n st i l 1 st a n d e s mit dem Balkanbund sind Beibehaltung des „Uti possidetis" und tägliche freie Verproviantierung der Feldarmeen, sowie aller befestigten Plätze.
W Sofia, 30. Novbr., 11 N. (Priv.-Tel.) lieber die Wahl des O r t es für die Friedens Verhandlungen bestehen Meinungsverschiedenheiten. Die Bulgaren schlagen Sofia, die Griechen Konstantinopel vor. Höchst wahrscheinlich wird man einen Ort außerhalb der kriegführenden Staaten wählen.
Griechen «nd Bulgaren.
Z Konstantinopel, 30. Novbr., 9.50 N. (Priv.-Tel.) Di- Sage in Mazedonien erhält durch folgenden absolut authentischen Zwischenfall eine charakteristische Beleuchtung. Bei Serres kam cs zwischen Griechen und Bulgaren wegen der Besetzung dieser Stadt zu einem heftigen Gefecht. Die Griechen mußten sich aus Serres nach Verlust von 200 Toten zurückziehen.
Sofia, 30. Novbr. (W. B.) Auf Verfügung des Gcnerak- stabs wurde der Hafen von Warna bis auf weiteres für den internationalen Handel geschlossen.
# Beirut, 30. Novbr., 5.30 N. (Priv.-Tel.) Der deutsche Kreuzer „®e;er“ und ein italienischer Kreuzer sind heute hier eingetroffen. Nunmehr ankern sechs Kriegsschiffe vor Beirut.
Der franMsch-spanische Warokkovertrag.
N Berlin, 30. Novbr. (Priv.-Tel.) Die Mitteilung des „F i g a r o" über die Stellung Deut sch l a n d s zum fron- zösisch-spanischen Marokkovertrag, die eine Pariser Depesche der „Frankfurter Zeitung" im 1. Morgenblatt vom Freitag wiedergegeben hat, entspricht den Tatsachen mehr als eine Meldung der „T i in e s", die von „Vorstellungen" spricht, die Deutschland in Madrid und Paris erhoben habe. Es ist richtig, daß Deutschland zu diesem Vertrage in zwei Punkten Bemerkungen gtmadt hat, die een Gegenstand auckläcendw Verhandlungen bilden sollen. Die erste betrifft den Bau der Bahn von Tanger über El Ksar nach Fez und bezieyt sich daraus, daß dös Uebercinkommen über die, Vergebung von Staatslieferungen durch die Bevorzugung einer französisch- spanischen Gesellschaft nicht gewahrt scheine; es besteht auch, so wird hier versichert, kein Zweifel mehr, daß diese Bestimmungen über bie Adfudikation Beachtung finben werden. Beim zweiten Punkte handelt es sich, wie schon in der erwähnten Depesche angedeutet, darum, daß im Jahre 1933 nach dem Erlöschen des Tabakmonopols Frankreich und Spanien die Freiheit besonderer Zollsysteme in ihren Ge- bieten erlangen werden. Dadurch wird die Möalichkcit geschaffen, daß in'beiden Zonen der Tabak einer sehr verschiedenen Behandlung unterworfen wird. Wenn das -uch mit Bezug auf Tabak'von nicht sehr großer Bedeutung s-ssn mag, so ist es doch prinzipiell bedenklich mit Bezug auf andere Artikel; es würde auch der Abmachung widersprechen, daß feine, verschiedene Zollbehandlung stattfinden sollte. Eine Aufklä'ung . über diese Anfrage ist in Aussicht gestellt. (Vgl. auch die Madrider Depesche im Zweiten Morgenblatt. D. Red.)
Die GtalsöeraLnng im Weichstag.
Sf Berlin, 30. RotBr. (Priv.-Tel.) Im Reichstage wird man die am Montag beginnende Etatberatung, wie das in den letzten Jahren schon einige Male geschehen ist, damit nicht über die heterogensten Dinge in einer Debatte durcheinander- gesprochen wird, nach Materien abgrenzen und höchstwahrscheinlich zunächst über die auswärtige Politik sprechen. Der Reichskanzler wird diese Debatte mit einem Expose eröffnen, das nach den halbamtlichen Kundgebungen der letzten Zeit über die Ziele unserer Politik gewiß nichts lleberraschendes bringen wird. Für die Fortschrittliche Volkspartei wird der Abgeordnete v. Payer sprechen. Wahrscheinlich wird man auch die unvermeidliche Erörterung des bayrischen Jesuiten« rlaysss und des Beschlusses des Bundesrats als eine besondere Materie in der Debatte abgrenzen. ___
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Die Landtagswahken in Württemberg.
g Stuttgart, 30. Novbr. (Priv.-Tel.) Bon den Wahl- betradjtungen der rechtsstehenden Presse rst b^eichnen- devwcise die des ultramontanen „Deutschen ^>o I ks- blatte s", dessen Partei ja keine Gewinne erzielte, jubeln- der und siegestrunkener als die der bündlerisch-konservativen „Deutschen Reichspost". Während diese,mit Ruhe den Erfolg ihrer Partei registriert, ist das „Deutsche Volksblatt" ganz außer sich über den Ausgang der Nachwahl, den es als einen völligen Zusammenbruch der Herrschaft der „Haußmann-Partei" bezeichnet. Es gibt aber selbst zu, daß auch im neuen Landtag allerdings immer noch eine, wenn auch knappe Mehr- f>eit der Linken besteht, und es tröstet sich, daß Herr Haußmann selbst nicht glauben werde, daß er in der Zwelstimmenmehrhett eine in allen Fragen gefügige Mehrheit erhalten habe, über bie er nach Gutdünken verfügen könne; als ob das in einem Landtag mit größerer Mehrheit der Fall gewesen wäre. Das Zentrumsblatt setzt hinzu, daß es mit den seinen Planen der Volkspartei und der Sozialdemokratie in Bezug auf die Schulfrage und die Trennung von Klecks und Staat mchL sein werde, daß die beiden Parteien diese Plane in die Rau- cherkammer hängen könnten, wann |ie wollten. -MC Ursache beS Erfolges ber Rechten finbet bas Zentrumsblatt, insbeson- der- in den Plänen der Volkspartei zur „Entchristlichung der Schule und daraus von Staat und Kirche" und in den ungeheuren Schullasten, die dem Volke aufgebürdet worden feien. In dieser Formulierung gibt das Blatt selbst zu, mit welchen Entstellungen Zentrum und Bauernbund gegen die Volkspartei gearbeitet haben.
geweckt und sich mit ihm gerettet. Seitdem hatten sie sich nicht mehr getrennt.
Noch andere Bilder fliegen verworren auf, ganz belangloses Zeug: ein Einbruch in einen Hühnerstall, ein Bad in einem kleinen Fluß unter hängenden Weiden, wo ber Große mit einem Hm nur halb bewußten, aus Geringschätzung und Mitleid gemischten Gefühl die schmächtigen Glieder und bie enge Hühner- brüst des Kleinen gesehen hatte, feener eine falte, auf freiem Felo verbrachte Winternacht.
Die brückende, eingeschlossene Luft und bie lange Schlaf- cntbaltung gewannen die Oberhand über bie Sinne des Vagabunden. Das bohrende, beklemmende Gefühl in feiner Brust blieb, ohne baß cr noch das Bewußtsein von seiner Ursache hatte uyd steigerte sich zu einer dumpfen, schwerer und schwerer werdenden Last, zu einem Druck von Bergen, bie sich auf ihn legten. —
Der Vagabund erwachte jäh. Im Herzen saß ihm ein quälendes Stechen. Ein Gefühl bitteren Grimms beherrscht: ihn, ohne daß ihm sogleich bewußt war, warum. Um ihn war es stockfinster. Er taitete vor sich her. Seine Hände berührten ein paar Füße. Sofort kam ihm bie Erinnerung. Hastig sprang er auf. Er entzündete ein Streichholz und "zog eine silberne Uhr aus feiner abgegriffenen Weste, deren dickaufsitzen- ber Schmutz im Schein des Zündholzes blank schillerte. Es war genau Mitternacht.
_ Das Zündholz erlosch. Der Vagabund tastete nach dem Sack unter bem^Kopf bes Toten. — Er rollte ihn auf unb machte sich im Dunkel daran, den Toten, ber schon steif war, hineinzustecken, mit dem Kopf voran. Ter Sack war für ben Körper zu kurz unb reichte nur bis zur Mitte ber Waden. Der Vagabund setzte ein zweites Zündholz in Brand, riß von seinem Hemd einen Zeugstreifen ao und band damit ben Sack um bie Kniekehlen des To.ten zu. Dann legte er sich den Toten über bie Schulter unb trat in bie Nacht hinaus.
Ter Himmel war sternenklar. Der Mond staub als erster, feiner Strich einer Sichel dazwischen. Tie Erde lag schwarz.
Unb der Vagabund begann mit feiner Last zu schreiten. Ueber ben Graben hinweg auf bie Chaussee. Niemand begegnete ihm. Er ging durch den in Schlaf versunkenen Villenvorort, die Lichtkreise ber spärlichen Laternen meibenb, in ber Richtung gegen den Fluß, dessen Uwr hier nur von wenig Häusern, ausschließlich Speichern unb Schuppen, bestanden war, unb den Fluß hinab. Manchmal legte er den Toten von d-r einen Schulter auf die andere. Plötzlich sah er fern in ber Schwarz: ein kleines rotes Licht. Er langte an. Es war bas Schiff, daz hei der Boje 2 verankert lag. Eben begann bie Nacht, bem ersten Ergrauen des Morgens zu weichen. Der Steg war auf das Schiff gezogen; er konnte nicht hinüber. Er legte feine
Bürde hinter ein Gebüsch, bas am Wege stand, setzte sich daneben ins taufeuchte Gras und wartete.
Als bie Sonne über den Horizont stieg, trat er an ben Uferrand vor gegen das Schiff und rief laut hinüber: „Ahoi! Er rief in Pausen noch ein zweites und em drittes Mal. Da regte es sich in der kleinen, grün angeftrick-enen Wohnbube, bt: in ber Mitte des Decks ausgesetzt war. Erne Gardine wurde an dem kleinen Fenster zurückgefchoben, und das Anttitz des Mannes mit dem Gorillabart wurde einen Augenblick pchrdar.
Kurz darauf wurde die Tür ber Sube geöffnet.unb ber Mann erschien auf Teck. „Sie kommen aber reichlich früh rief er verfchlasen und mürrisch hinüber. „Es ist ja eben erst ^er Vagabund antwortete nicht. Der Schiffer beugte sich zum Stegbrett hinunter. „Fassen Sie an!" rief er unb fcyob bas Brett mit starkem Ruck vorwärts. Der Vagabund gri f an ben Rand des Bretts unb legte es auf die Userkante auf Tann ging er Hinter das Gebüsch, nahm den Toten auf und ^^„Nanu^was bnngen Sie denn da?" rief der Schiffer, der bie Seine des Toten aus dem Sack heransragen sah. „Das is ja'n Toodigerl"
Der Vagabund legte bie Leiche seines Kameraden auf das Schifftdecknee, bcr Schiffer breit. „Mit fo
was befaß' ich mir nich. Dann gehn Se man wieder los. Tann zahl' ich lieber nochmal fufzig Mark Konventiona.- ftrßtc" •
„Der da muß nach Küstrin", sagte der Vagabund und in seinem Gesicht war wieder der verbissene.Ausdruek. „Entweder nehmen Sie ihn mit. ober Sie fliegen ins Wasser.'
Der Schiffer fühlte, baß es bem herkulischen Kerl Ernst war. „Der is wohl nich auf natürliche Weife gestorben , faqte er. . m r . ,r ,
„Sehen Sie ihn sich an", sagte ber Vagabund. Er beugte sich nieder, band ben Zeugstreifen ab und zog den sack von dem Körper des Toten. ,
Der Schiffer erschrak, als er bas Blut sah. Dann beugte auch er sich nieber uns suchte nach ber Wunbe. Als et sie nicht fand unb statt dessen erkannte, daß bas Blut aus vorn Munoe des Toten geflossen war. und dazu das hohlwangige Gesicht und ben zerlumpten Anzug sah, ahnte cr ungefähr ben Zusammenhang.
.Kommen Sie mit!" sagte er mürrisch.
Dor Vagabund nahm ben Toten auf unb ging hinter bem Schisser her eine schmale Treppe hinab. Am Enbe eines engen, kaum mannshohen GanXs öffnete ber Schiffer eine kleine Türe. ^Legen. Sie ihn da hinein I" sagte er. ____
Der „Schwäbische Merkur" freut sich, daß der Gewinn der Sozialdemokratte hinter seinen Befürchtungen zurückgeblieben ist, unb über bas verhältnismäßige Wahlglück der deutschen Partei. Er charakterisiert den Tag der Nachwahlen als „ben Tag ber durchbrochenen Wahlparolen" und schließt:
Das liberal« Wahlabkommen hat an posittvem Gewinn den liberalen Mittelparteien wenig gebracht. Die teilweise Per- brüderung mit eer Sozialdemokratie hat der Volkspartei zwar einen Sitz gerettet, dafür aber dem gegnerischen Ansturm die Waffen geschärft und so am letzten Ende ihr selbst und dem Liberalismus Schaden gestiftet. Einem geschlossenen Auf. marich gegen Die Sozialdemokraten aber, der doch einmal kommen mutz, ist aufs neue der Weg verlegt. Ein gütlicher Ausgleich zwischen den bürgerlichen Parteien, wie ihn die Deutsche Partei vor dem zweiten Wahlgang erstrebte, hätte die Volkspartei so große Opfer wahrscheinlich nicht gekostet, wie sie diese jetzt in ihrer vielgerühmten Politik bringen muh.
Tie sozialdemokratische „Schwäbische Tagwacht" ergeht sich in Anklagen gegen bie Volkspartei, deren Hilfe voll- ständig versagt habe. Daß auch die Einzelergebnissc von Oberndorf und Backnang nicht für eine geschlossene Unterstützung bcr Volkspartei durch die Sozialdemokratie sprechen, das verschweigt sie und verleugnet die eigene Schuld der sozialdemokratischen Agitationsmethode, wenn sie lagt, daß nach der Art, wie die Volkspartei gegen bie Sozialdemokratie ben Kampf geführt habe, es ben volksparteilicheu Wählern nicht übelgenommen werden könne, wenn sie im zweiten Gang lieber dündlerisch als sozialdemokratisch wählten. Für die politische Entwicklung des Landes zieht das sozialdemokratische Blatt aus dem Wahlergebnis die Folgerung, daß das roürt- tembergische Volk von diesem Landtag nicht allzuviel zu erwarten habe. Der Fortschritt werde in empfindlichster Weise gehemmt werden.
Der volkspatteiliche „Beobachte t", der besonders bie Art ber gegenseitigen Bekämpfung ber Linken hervorhebt, verlangt von dieser einschließlich ber Sozialdemokratie unb der nationalliberalen Partei die Einhaltung einer anderen Taktik. Man werde in weiten Kreisen jetzt die Meinung revidieren müssen, als ob die roürttembergifcben Verhältnisse ganz anders gestalwt seien als in Boden und Bayern, unb er stellt ähnlich wie bie „Tagwacht" für bie künftige politische Entwicklung bem neuen Landtag folgende Prognose:
Auch nach dem Ausfall ber Proporzwahl wird ber neue Lanbtag ein Lanbiag ber fehIenben Mehrheiten und bemgemätz ber Zufälligkeiten unb beständigen Schwankungen sein. Die Regierung wird sich auf keine einzige Parteikonstellation verlassen unb stützen können; es mutz von Fall zn Fall regiert werben. Darum scheineO auch alle größeren Re. formen für bie nächsten secks Jahre ausgeschlossen zu sein. Gerabe dieser Umstand wird für die Volkspartei ein Ansporn zu erneuter kräftiger Arbeit fein.
Zu ber Frage eines Abkommens zwischen Sozial- demokratie unb nationalliberaler Partei für die Nachwahlen gibt heute die nationallliberale Parteileitung eine Erklärung, in ber sie konstatiert, baß nicht ein Mitglied ber Deutschen Partei, sondern der Sozialdemokratie das Anerbieten zu einem Abkommen gemacht und einen ablehnenden Bescheid erhalten habe. Ein Abkommen mit dem Bauernbund sei an dem ungenügenden Anerbieten ge- schrntert Die Deutsche ° Partei erklärt dann weiter:
In bcr Folge liefen aus Brackenheim und Sulz Klagen über gehässige Agitation unb persönliche Angriffe gegen unsere Kandidaten durch den Bund ber Landwirte ein, und aus Geislingen kam die Nachricht, datz der Abgeordnete Rübling eine starke agitatorische Tätigkeit zu Gunsten des 'Zentrumis entfalte. Zugleich fragten unsere Freunde in Geislingen und Brackenheim bei uns an, ob auf eine frei.
ge Unterstützung Oer Sozialdemokratie vielleicht zu rechnen sei, unb es wendete sich.dann eine Deputation aus Brackenheim, in der der Volkspartei zugehörende Wähler vertreten waren, an ben Abgeordneten Havtzmann mit der Bitte, ob er eine Aussprache Über die Lage herbeizuführen in Der Lage sei, was dieser getan hat. Er lud eines unserer Aus- schutzmitglisder zu einer Besprechung ein, bei bet auch zwei Vertreter ber Sozialdemokratie zugegen waren. Dabei erklärten sich diese, bereit, angesichts der politischen Situation die sozialdemokratischen Wähler in Brackenheim dem national- liberalen Kandidaten zuzuführen. Dagegen beanspruchten sie zuerst unsere Unterstützung in Waiblingen. Unser Ausschussmitglied wies auf die dort bereits ausgegebene Wahlparole hin und erklärte, dass, sv wie die Verhältnisse liegen, in Anbetracht insbesondere des Vorgehens der bündlerischen Agitatoren in Brackenheim, Sulz und Geislingen bei unseren Waiblinger Parteifreunden eine Mihstimmung herrsche, die eine allgemeine Befolgung der Wahlparole nicht erwarten lasse. Es fei selbstverständlich für uns ausgeschlossen, dass wir eine Parole zu Gunsten der Sozialdemokratie ausgeben, könnten Die Vertreter ber Sozialdemokratie sahen baraushin von der Forderung einer Paroleausgabe zu ihren Gunsten in Weidlingen ab.
Die Leitung ber Deutschen
Partei fügt dieser Darstellung
Der Vagabund legte die Leiche auf die Diele des nicht ttefen, völlig leeren Raumes nieder und bettete den Kops bes Toten wiederum auf den zusammengewickelten Sack, dessen einen Zipfel er über das G-sicht zog, ganz rote er es in bcr Scheuer getan hatte. Der kleine Raum befand sich augenfchetn. lich am Bug des Schiffes und nahm wohl dessen Hälfte ein; denn die reajte Scitenwand war gebogen und lief in fpitzem Winkel mit der linken Seitenwand zusammen. Aus einer runden Fensterluke der gebogenen Wand drang das Licht ein. Der Schiffer trat zu dieser Luke und zog einen Leinwandfetzen, Der zusammengcfaltet seitlich herabhing, über die Scheibe. „Angenehm iS so was niemals", sagte cr verdrossen.
Der Vagabund antwortete nicht. Die beiden verließen _beii Raum und gingen zurück auf Deck. Der Schiffer begab sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, wieder in feine grüne Bude. Der Andere hörte, wie er den Schlüssel von innen im Schloß drehte.
Nach ungefähr zwei Stunden erschien der Schiffer wieder,' ging an dem Vagabunden, bcr auf einem Bündel Tau saß, vorbei, ohne zu ihm hinzusehen unb flieg die Treppe hinab in. ben Schiffsraum. Ter Vagabund hörte ihn unten laut rufen. Einige Augenblicke später tauchte sein Gorillakopf wieder aus ber Luke hervor. Inzwischen war ein Weib aus der Bude gekommen, offenbar bie Frau des Schissers, unb hatte sich an einem Tisch, bcr in bcr Längsrichtung des Schiffs bei ber Bube stand, mit zwei Bänken an den Langseiten, zu schaffen gemacht. Sie hatte eine Holzschüssel mit einem Brotlaib auf den Tisch gestellt, einen Topf mit Schmalz, Teller und Tassen aus rohem Steingut und brachte zuletzt eine große Kaffekanne, deren Schnauze Dampf entströmte.
Der Vagabund hörte Schritte auf der Treppe poltern. Zwei Männer entstiegen bcr Luke, mit verschlafenen Augen. In ihren Haaren, unterhalb bet schmierigen Mützen, hing trockenes Heu.
Der Schisser kam vom Vorderteil des Schnfes, wo f. sich ,u schassen gemacht hatte, über das Teck. „Kommt zum Frül^ stück!" sagte er knurrig und verdrossen und setzte sich selbst auf die eine der Bänke vor den Tisch.
Die beiden Männer warfen, während sie zum Tisch gingen,, neugierige Blicke auf ben Neuhinzugekommenen. Sie setzten sich .auf die andere Bank. Der Vagabund schritt Langsam auf den Ti'ch zu und fetzte sich auf die Bank zu dem Schiffer. Di<z Frau blieb in ber Kajüte.
Der Schisser ergriff das Brot, schnitt sich ein Stück herunter unb reichte es feinem Gegenüber.
„Sie scheinen schlechter Saune zu fein, Herr Matthes." versuchte dieser zu scherzen. „Sind Se doch froh, bat S? noch so'n sttammen Kerl für Ihr Seil gekriegt hab^." Er--