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In Frankreich ist die Frage, ob die dreijährige Dienstzeit wieder cingeführt werden soll, noch immer nicht entschieden. Während der „Tempo" jeden Tag versichert, die Verlängerung der Dienstzeit sei beschlossene Sache und das Volk werde die neue Last gern auf sich nehmen, kann der „Cri de Paris" mittcilen, daß im Kabinett mit der Kriegsminister Etienne entschieden für die drei Aahre sei, während die anderen Minister und besonders der Ministerpräsident Briand mit ihrer Meinung zurückhalten. Bemerkenswert ist, daß die dem Ministerpräsidenten nahestehende „Petite Rc- publiquc" heute der Meinung Ausdruck gibt, cs wäre übertrieben, in einer Maßregel, die Deutschland mit Recht nur als eine. Verstärkung seiner Sicherheit betrachten könne, eine Be
daunt sie sich zur Geltung brächten. Aber cs ist doch ein riesiger Unterschied, ob man diese politische Neugründung will, oder ob man gleichzeitig um sie herum einen dogmatischen Wall errichtet/der sie ewig von allem anderen trennen soll. Diese Dogmatik ist die Crux der deutschen Politik; sie ist cd heute noch, obgleich sie schon sehr gemildert ist. Lassalle war ein viel zu politischer Kopf, als daß er sich die Wege so ver- pcrrt oder doch erschwert hätte. Und wäre er etwa in der -eutigen Sozialdemokratie, so wäre er der eifrigste Revisionist.
Mitglieder. Nach seinem Tode fehlte es an einem geeigneten Führer; bei den ersten Reichstagswahlen zählten die Lasial- leaner nicht viel mehr als 60 000 Stimmen. Mit ihnen konkurrierten die Eisenacher, d. h. die Marxisten, die damals allerdings noch weniger Stimmen aufwicsen. Marx war bekanntlich mit der Richtung Lassalles und seiner Anhänger keineswegs einverstanden und konnte es seiner ganzen Anschauung nach gar nicht sein. In marxistischem Sinne wirkte in Deutschland Liebknecht, dem es gelang, Bebel zu gewinnen. Diesen beiden war keiner der Führer gewachsen, die Lassalles Erbe angetreten hatten, und als sich dann die zwei Richtungen 1875 in Gotha einigten, errang der Marxismus den Sieg. Seither gibt cs in Deutschland nur mehr eine marxistische Sozialdemokratie. Laffalle hatte ihr durch die Erweckung der Arbeiter zu selbständiger politischer Organisation den Weg gebahnt, und insofernc kann die Sozialdemokratie allerdings Laffalle zu ihren Ahnen rechnen und das Datum des „Offenen Antwortschreibens" als ihren Geburtstag ansehen. Ob aber Laffalle diese Entwicklung mitgemacht hatte, das ist eine andere Frage.
Praktisch ist es natürlich müßig, sich darüber Gedanken zu machen, denn eine Probe aufs Exempel ist ja nicht möglich, und was geschehen ist, läßt sich nicht ändern. Aber man kann sich von Lassalle kein richtiges Bild machen, wenn man jene Frage ganz beiseite läßt. Was Laffalle politisch leistete, waren nur allererste Anfänge, und erst in der Fortsetzung der Linien, die er damals zeichnete, hätte sich sein Bild vollendet. Wenn man aber jene Linien zur Grundlage nimmt, so kann man eigentlich nur unter einer Voraussetzung annehmen, daß er Führer einer ausgesprochen marxistischen Sozialdemokratie geworden wäre, nämlich dann, wenn sein Ehrgeiz^ihn veranlaßt hätte, ein Opfer des Intellekts zu bringen. Sein Ehr- geiz war groß. Bisnmrck, der sich mit Laffalle einige Male unterhalten, manche sagen sogar: mit ihm verhandelt hatte, sagte einmal im Reichstag von ihm: „Er war ehrgeizig im hohen Stil, und ob das deutsche Kaisertum mit der Dynastie Hohenzollcrn oder mit der Dynastie Lassalle abschlicßen sollte, das war ihn: vielleicht zweifelhaft." Man braucht dies launige Wort natürlich nicht wörtlich zu nehmen, aber daß Lassalle von brennendem Ehrgeiz erfüllt war, ist Tatsache, und so wäre es wohl möglich gewesen, daß er marxistischer Führer geworden wäre, wenn er etwa gesehen hätte, daß er sonst nicht an der Spitze der Arbeiterbewegung bleiben könnte. Seinem Innern aber hätte das nicht entsprochen. Er war kein Marxist. Er hat zwar marxistische Elemente in seinen Schriften und Reden verwendet, aber zwischen seiner und der marxistischen Sozialtheorie liegt gar viel, und dem entsprach das kühle Verhältnis, das zwischen ihm und Marx bestand. Aber das ist noch das Geringere, denn wichtiger ist, daß Lassalle nicht bloß aus theoretischen Gründen, sondern seiner ganzen Natur nach kein Marxist war. Er hatte soviel konser-. vativen Einschlag, wie jeder, auch der Radikalst^ hat, der eine Besserung der Verhältnisse nicht von einer Katastrophe, einem gänzlichen Umschwung aller Dinge erwartet, sondern von einem Weiterbau ayf dem, was da ist. In welchen Tönen 'hat er immer wieder vom Staat, seiner Allmacht und seinem sittlichen Zweck gesprochen, nicht vom Zukunftsstaat, sondern vom preußischen Staat, in dem die Arbeiter eine Macht werden sollten, „mit welcher jeder rechnen muß". Zwischen dieser Auffassung und der orthodox-marxistischen liegt eine Welt. Man mag darüber streiten, ob der monarchische Gedanke bei ihm wirklich die Rolle gespielt hat, wie es manche behaupten. Aber im übrigen ist die Richtung seines Wesens kaum zu verkennen, und so darf man sagen, daß man Laffalle etwa als einen Sozialliberalen bezeichnen könnte. Für einen solchen war im damaligen Liberalismus kein Platz, und so gründete er eine eigene Partei. Denn diese Partei, das war c r, und tvenn er sich dem törichten Duell versagt hätte und am Leben geblieben wäre, so wäre vielleicht doch manches anders gekoimnen. Bei allem Respekt vor Liebknecht und Bebel darf man vielleicht doch sagen, daß er der Genialere war; ihm hätte es gelingen können, die Teilung des Volkes in die zwei Nationen, in eine bürgerliche und eine sozialdemokratische, zu verhindern. In seiner Absicht lag diese Spaltung nicht. Er war ein Gegner der Fortschrittspartei, und er wollte, daß sich die Arbeiter politisch selbständig machten,
„Me Kälte."
Von Henri Laveda«.
Autorisierte Uetersetzuvg von ®. Katz.
, Rio r gen reise ich ab", sagte Herr X., ein wohlkonser- «üerter Fünfziger, und setzte seine Teetasse fort.
„Oh, Sie Glücklicher! Wie ich Sie beneide! Nach dem Süden! Nach dem sonnigen Süden, ohne Kälte, ohne Schnee, ohne Nebel!"
„Sie irren, meine Damen, ich fahre durchaus nicht nach dem Süden, sondern im Gegenteil dem Schnee und der Kälte entgegen!"
„Immer paradox, dieser gute X!"
„Aber, meine Damen! Sehen Sie 'mal, die Eltern hatten kn mir die Illusion grohgezogen, daß es vier verschiedene Jahreszeiten gibt, und meine gute Mutier hat mich sogar sie nennen gelehrt: Winter, Frübling, Sommer und Herbst. Deg alten Kalender, auf dem ich. ein sechsjähriger, diese vier Worte zuerst las, bewahre ich noch als Reliquie auf. Dieser Kalender stammte aus der Jugendzeit meiner Mutter und war schon stark mitgenommen, verblaßt und an den Ecken abgestoßen. Ebenso verblaßt auch das altrosa Bändchen, an dem er ding. Obenauf prangten vier Bilder, die vier Jahreszeiten. Diese vier Bilder haben sich mir unauslöschlich eingeprägt.
Winter: Ein festgefrorener See, auf dem, mit unwahrscheinlicher Anmut, Herren in Zylinder und Capes auf unglaublich emporgekrümmten Schlittschuhen liefen. Indolente Damen liehen sich von ihnen im Scklitten fahren und fegten mit ihrem Pelzwerk das Eis. An dem Ufer stand frierend ein altes Mütterchen, fast erdrückt unter einer Last Holz. Und hinten, ganz hinten, sah man ein verschneites Dach, dem em kräftiger Rauch entquoll. Ich sage Ihnen, meine Damen, der Rauch roch ordentlich nach Glühwein und gebratenen Aepfeln ...
Der Frühling wurde von zwei inngen Damen darge- ftellt. die in Ballkleidern im grasgrünen Grafe saßen; hinter ihnen zwei schnäbelnde Tauben auf einem gotischen Turme . .
Ter Sommer von schmausenden Kleinbürgern auf der Wiese und einem Kind in Perkaihöschen, das nach einem Riesenschmetterling jagte. Der Herbst endlich von tätigen Winzern zwischen orangefarbigen Trauben, einem untätigen, aber desto nachdenklicheren Spaziergänger mit geöffnetem Buche, reifenschlagenden Kindern und einem Papierdrachen in der Größe eines Aeroplans.
Sehen Sie, meine Damen, diese Bilder bewiesen mir klar uud zweifelsohne, daß es wirklich vier Jahreszeiten gegeben habe, irgend einmal, vor langer Zeit. Mciiie Großmutter, (a sogar meine Mutter noch hatte sie durchlebt und erzählte Mir häufig von festgefrorenen Flüffen int Januar, von durch-, örochencn Kleidern im Mai und der unerträglichen Hitze des
3fr. 60. XbntÖbtatL
Frankfurt, I. März.
Die deutsche Sozialdemokratie wird heute fünfzig Jahre ast, beim das „Offene Antwortschreiben" Lassalles, das den Anstoß zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und zu einer organisierten sozialistischen Be- mtgung in Deutschland gegeben hat, datiert vom 1. März 1K63. Laffalle war damals in Berlin politisch tätig und in einen Gegensatz zum Liberalismus gekommen. In seinen Tendenzen traf er mit einem Arbeiterkomitee zusammen, das in Leipzig bestand und sich von dem liberalen Rationalvcrein ftei machen wollte. Die Schuld daran, daß die Arbeiter, die bis dahin liberal waren, anfingen, ihre Gesinnung zu ändern, lag zum Teil am Liberalismus selber, in den: nur wenige die Zeichen der Zeit sahen. Bezeichnend ist die Antwort, die «ine Abordnung des Leipziger Arbeiterkomitecs erhielt, als sie in Berlin den Beitritt der Arbeiter zum Nationalvercin anregte. Man sagte ihr, die Arbeiter mögen sich als die geborenen Ehrenmitglieder des Vereins betrachten. Das klang wie eine Ehrung und war doch etwas anderes. Run traten die Leipziger, denen Lassalle durch seine Vorträge schon bekannt war, mit ihm in Verbindung, und es wurde verabredet, das Komitee solle Laffalle in einem öffentlichen Schreiben ersuchen, seine Ansichten über die Arbeiterbewegung und ihre Mittel darzulegcn. Das geschah, und die Erwiderung ist das „Offene Antwortschreiben", das eine historische Bedeutung gewinnen sollte. ~
Dieses Antwortschreiben führte aus, daß die Selbsthilfe, die die Liberalen den Arbeitern empfahlen, wenig Wert für die Gesamtheit der Arbeiter habe, und daß das Assoziationswesen die normale Lage des Ärbeiterstandes nicht heben könne. Das liege am „ehernen Lohngesetz", das nicht von Laffalle stammt, sondern von der sogenannten klassischen Nationalökonomie formuliert worden ist und besagt, daß der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen Lebensunterhalt beschränkt bleibe, der zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich sei. Von der Fcffel dieses Gesches könnten die Arbeiter nur dann erlöst werden, wenn sie selbst Unternehmer würden, damit ihnen der volle Arbeitsertrag zusließe. Dazu muffe der Staat helfen, indem er ihnen das zu Produktivaffoziationen nötige Kapital zur Verfügung stelle., Da aber die herrschenden Klaffen, die im Be- sitzp der politischen Macht sind, das nie tun würden, müßten die Arbeiter den Weg der politischen Aktion betreten, das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht fordern und eine selbständige politische Partei ins Leben rufen, weshalb er die Gründung eines Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Vorschläge.
Man ist längst darüber im tforen, daß Laffalle national- ökonomisch nicht auf dem richtigen Wege war. Das eherne Lohngesetz ist von der wissenschaftlichen Nationalökonomie aufgegeben worden, und auch der Sozialismus hat es in den Debatten über den Revisionismus preisgegeben. Praktisch haben dazu gerade die freien Organisationen geführt, die nach Laffalles Meinung nicht imstande sein sollten, die Lage der Arbeiter zu heben, die aber tatsächlich in der Form der Gewerkschaften und Genossenschaften den Arbeitersiand so gehoben haben, daß die Fiktion des ehernen Lohngesetzes nicht standhalten konnte. Dagegen haben sich gerade diejenigen Genoffenschaften, die Lassalle int Auge hatte, die Produktivaffoziationen, nur in seltenen Fällen bewährt, und es wäre ihnen auch nicht anders ergangen, wenn sie, wie es Laffalle wollte, chr Kapital vom Staat erhalten hätten. Man hat die Erfahrung machen müssen, daß das Gedeihen solcher Pro- dukttvgenossenschaften auf Voraussetzungen beruht, die in der Regel nicht vorhanden sind, aber es haben sich andere Formen herausgebildet und bewährt, so die Eigenproduktion der Konsumvereine, die nur auf Genoffenschaften basiert, aber selber kapitalistisch betrieben wird. So ist von der Nationalökonomie Lassalles nichts übrig geblieben und alles anders gekommen als er dachte.
Nur in einem hat er recht behalten, aber freilich gerade in dem, was Geschichte gemacht hat. Er wollte, daß die Arbeiter eine selbständige politische Partei gründeten, und aak ist geschehen. Anfangs ging es sehr langsam. Als Laffalle starb (1864), hatte der Arbeiterverein etwa 4600
Kleines Feuilleton.
— )Die Hühner der Madame Fallivreö.) Ein recht lustiger Streit ist zwischen der französifchen Domänenvcrwal- tung und Madame Fallier es ausgebrochen. Als nämlich vor nunmehr sieben Jahren die republikanische Landesmama sich mit ihrem Gatten zum ersten Mate in dem Schlosse Rambouillet für den Spätfommer einquartierte, war sie als umsichtige Gutsbesitzerin darüber erstaunt, baß der Hühnerhof des Schlaffes fast leer war. Sie ließ daher aus ihrem Lonpillon prächtiges Federvieh kommen, darunter auch Raffehühner, denen die Domäncnverlvaltung zwei stolze Houdanhähne zugesellte.. Als nun vor kurzem die Präsidentenschaft des Herrn Fallieres liquidiert wurde, erhielt feine Gattin genau soviel Stück Geflügel zurück, als sie seinerzeit nach Rambouillet hatte kommen laffen. Darüber geriet Madame in große Aufregung: die Zahl der Hübner habe seit sieben Jahren zugenommen und sie beanspruche die ganze Nachkommenschaft. Davon wollten aber die Herren Beamten der Tomänenverwaltung nichts wissen; sie hielten den Anforderungen der Erpräsidentin entgegen, daß die beiden Hahne dem Staate gehörten und daß ohne sie keine Kücken herausgekommen wären. Aber Madame Fallieres als redegewandte und rechthaberische Südländerin ließ sich nicht einschüchtern; sie erwiderte, die beiden Hähne des Staates seien schon vor mehreren Jahren der Altersschwäche erlegen und die jetzigen Paschas des Hübnerboses von Rambouillet seien von ihren .Hennen ausgevrutet 'worden. „Sehr richtig," replizierten die Beamten, „aber diese Hähne sind Hähne unserer Hahne." Der Streit ist noch nicht geschlichtet. Vielleicht benützt die Academie Francaise den Anlaß, das Problem vom Anteil der Geschlechter an Schuld und Verdienst, das alt ist wie die Erbsünde selbst, zur Lösung auszuschreiben. —P. K.
— I Wundbehandlung mit Zucker. I Bereits im Altertum hatte die Eigenschaft des Zuckers, dem Eintritt von Fäulnis entgegenzuwirken, Aufmerksamkeit erregt, uno schon von Galenus war sie ausdrücklich erwähnt worden, dennoch hat sie bis in ■ die neueste Ze,t m der Heilkunde feine eigentliche Anwendung gesunden. Tr. Georg Magnus bat jetzt in der „Münchner Medizinischen Wochenschrift seine Er- sabrungen über Wundbehandlungen mit Zmker veröffentlicht. Unter den großen Aerzten der letzten Jahrzehnte hat namentlich Billroth bereits Versuche mit der etniDirfung von Zucker auf vereiterte Wunden angestellt. Weitere Beobachtungen sind nun an der chirurgischen Klinik in M a r bürg niedrere Monate lang gesammelt worden. Nach der Prüfung verschiedener Proben von Rohr--, Trauben- und Ruven- zucker wurde letzterer in Benutzung genommen, da er sich als stets frei voisi kranklseitserregenden Bakterien cr_toie;eu hat. Schon früher war ermittelt worden, daß Zuckerlosungen dem Körper nickt schaden. Dr. Magnus wollte mdes die Richtigkeit dieser' Beobachtung äm eignen Leibe erproben und spritzte sick- selbst eine zehnvrozentige Rohrzuckcrlo;ung in den
Iie frartzöstscherr Wüstungen.
y Paris, 1. März, 10.40 V. (Priv.-Tel.) Ein Mitarbeiten des „Echo de Paris", der mit dem Ministerpräsidenten Briand in persönlichen Beziehungen steht, versichert, daß die Mehrzahl der Minister für die uneingeschränkte Durchführung der dreijährigen Dienstzeit gewonnen fei. und daß schon der heutige Ministerrat die' Entscheidung für die Einbringung.der Vorlage im Parlament vollziehen dürste. Ter Marineminister Baudin läßt seinerseits im „Matin" versichern, daß er Maßregeln für die Verstärkung des Csfektiv- bestandes der Marine vorbereite, und daß auch die Dienstzeit für die Mannschaften der Flotte erhöht werde. Der ehemalige Minister des Aeußern Senator Stephen P i ch o n hat gestern in einer Bankettrede die Bewegung für die Armeeverstärkung unterstützt. Er führte aus, daß der Friede in Europa von der Erhaltung des deplomatischen Gleichgewichts abhänge und daß dieses diplomatische Gleichgewicht auf der Erhaltung des militärischen Gleichgewichts beruhe. Allen diesen. Versicherungen und Kundgebungen steht nur das^Manifest der fran- z ö s i s ch e n und der d e u t s ch e n S o z i a l i st e n gegenüber. (Vergl. an anderer Stelle in diesem Blatte. Dl Red.) Ohne
drohung Frankreichs zu erblicken. „Im Grunde,", fährt das Blatt fort, „ist" die'Lage Deutschlands im Falle eines Kow likts viel kritischer.als die unserige, da es zugleich im Osten und im Westen eine ausgedehnte Grenze verteidigen muß, de es weiß, daß Italien nicht sehr kampflustig ist, und voraus- icht, daß Oesterreich-Ungarn seine Kräfte gegen unruhige Nachbarn zusammcnhalten muß. Das ganze Mißverständnis kommt vielleicht daher, daß uns die Deutschen Angrifssplän« zuschreiben, während wir durchaus friedliebend sind. Vielleicht wird dieses Mißverständnis eines Tages aufhören, aber eine Aussprache wäre leider nur dann nützlich, wetin man jenfeite des Rheins überzeugt wäre, daß unser Versöhnungsbedürfnis nicht durch die Furcht diktiert wird." Bemerkenswert ist auch, daß die neugebilbete parlamentarische Grupve für republikanische und soziale Aktion, an deren' Spitze die Abgeordneten und ehemaligen Minister Paul - Bon c o u r und Augag- neur stehen, die Verlängerung der Dienstzeit für.unnötig et» klärt, da die zweijährige Dienstzeit zur militärischen Ausbildung völlig genüge. Auf eine andere Seite der Sache macht heute die „Humanitä" aufmerksam. Sie rügt es scharf, daß dem als Geschäftspolitiker bekannten Kriegsminister Etienne eine halbe Milliarde zur Verteilung an die Fabrikanten von Kanonen, Gewehren, Aeroplanen unb Automobilen zur Verfügung gestellt werben solle, und erinnert daran, daß im Spätjahr 1905, als derselbe Etienne Kriegsminister war, für die eilige Verbesserung der Rüstungen die Ausgabe von zweihundert Millionen beschlossen wurde, über deren Verwendung ebenfalls der Kriegsminister zu verfügen hatte., lieber biete Verwendung erstattete der Abgeordnete Messimy, Berichterstatter des Kriegsbudgets, im Jahr 1906 einen Bericht, in dem es heißt: „Ohne die Ehrlichkeit von irgend jcmanbjin- zweifeln zu wollen, können wir das Folgende nicht mit Stillschweigen übergehen. Da unsere staatlichen Artillerie-Werkstätten nicht in der Lage waren, in der vorgeschriebenen kurzen Zeit die verlangten Caissons für die schwere Artillerie zu liefern, mußte man sich an die Privat-Jndustrie wenden. Aber die Bestellung, ein durchaus unerwartetes und unrechtmäßiges Ergebnis, wurde von deu beiden offerierenden Firmen der- jenigen gegeben, die den höheren Preis gefordert hatte. Es schien uns unerläßlich, diese bedauerliche unb tabelnswerte Operation, bic glücklicher Weise' eine Ausnahme ist, zur Kenntnis des Parlaments zu bringen." Die .Humanitft" ergänzt diesen Bericht durch die Mitteilung, daß es sich um die Firmen Cail und Schneider (Creuzot) handelt; erstere forderte für das Stück 10 000, letztere 13 500 Franken; Schneider bekam bic Lieferung. Die „Humanitö" fügt dazu eine Stelle aus dein Bericht eines Angestellten der <yirma Schneider; es heißt darin: „Großenteils durch unsere Beziehungen zu .Herrn 3 haben wir 511111 Preise von 13 500 Franken die Lieferung von 500 Stück Caissons erhalten, während unser Konkurrent Cail nur 10 000 Franken gefordert hatte." Die Stelle nennt den Namen des betreffenden Herrn; die „Humanitä" setzt dafür i und fragt nur, ob es vielleicht Herr Etienne sei. „Wenn.es Herr Etienne ist," schließt, sie, „so werden die 500 Millionen, die das Ministerium der Geschäftspolitiker fordert, nicht verloren sein; sie werden, wie die Erfahrung lehrt, die. „aller- patriotischste" Verwendung finden." In diesen.Mitteilungen wird eine alte Erfahrung bestätigt: bic Leute, bic an Kanonen, Flinten, Panzerplatten usw. Gelb verbienen, sehen immer das Vaterlanb in Gefahr unb forbern immer größere Rüstungen. Unb die Zeitungen, die deren Interessen vertreten, sind immer die patriotischsten und lautesten. Das ist aber eine Erscheinung, die nicht bloß in Frankreich zu Tage tritt.
' Ich bin also wohl zu entschuldigen, Wenn ich die schlechte Gewohnheit angenommen habe, eine gewisse klimatische Regel vorauszusetzen, die systematisch Hitze und Kälte, Regen unb Sonne, Hagel und Wind verteilt. Wird diese Regel zur Ausnahme, bann fühle ich mich unbehaglich; ver-
. rückt sich die Reihenfolge der Jahreszeiten, dann werde ich . nervös ...
Nun aber leidet der Himmel schon seit gut einem halb . Tutzcnb Jahren an Schwindel; die Jahreszeiten sind närrisch geworden, vertauschen ihren Platz wie beim „Pater leih' mir die Scher'" und spielen mit uns Versteckens. Kein Teufel kennt sich heute mehr aus! Die Bäume knospen im Januar, unb zu Pfingsten friert es Stein unb Bein! Tas macht mich krank, ich wehre mich mit Händen unb Füßen bagegen, ich suche, wenigstens für meine eigene Person, den früheren Zustand ber Dinge wieber herzustellen und fahre in andere .Länder, die noch eine der Jahreszeit entsprechende Temperatur aufzuweisen haben-
Hch halte auf Tradition unb will im Winter Schnee und Eis haben, im Frühling Knospen und junges Gras, im toommer Hitze unb Gewitter, ;m Herbst Nebel, Regen unb Wind. Diese physischen Empfindungen sind mir nötig unb ich verschaffe sie mir baher, wenn ich nur irgend kann. Mein Körper unb meine Vernunft verlangen sie ganz ebenso bestimmt unb drin- . genb, wie zum Beispiel, mein Geist, meine Augen unb Ohren die Wahrnehmung von Zeit unb Raum.
Würben Sie, meine Damen, eine Uhr bulben, bie auf 3 zeigt unb 11 schlägt? Einen Barometer, ber auf „Veränber- lich" stünde, wenn es „klar Wetter" ist unb auf „Schön", wenn es draußen donnert unb blitzt? Dann aber habe auch ich bas Recht, ein loyales Verhältnis zwischen Jahreszeit unb Tempe- ■ ratur zu verlangen.
Der heurige Januar zum Beispiel War nur ein maskierter April . . . Deshalb fahre ich morgen ins Hoch gebirg e, um den Winter nachzuholen.
Wie freue ich mich schon auf diesen ehrlichen Schnee, den man stundenlang durchkreuzen kann, ohne sich Schuhe unb Kleiber zu beschmutzen, ber bie Spur unserer Tritte festhält, * der unter unseren Füßen knistert wie starre Seide! Das Blut wird aufgepeitscht, die Gewebe ber Haut unb der Gebauten straffen sich. Wir werben seelisch unb körperlich reiner. Und erst bie Gletscher — doch ich will nicht banal werben!"
So schloß Herr X. seine Apologie der Kälte.
Wir saßen unb träumten von strengen Wintern unb Ihn- genben Frösten aus der Äinderzeit; von lustigem Gleiten auf eisiger Bahn, von Ohrenklappen unb Schals; die Steileren wohl auch von dem fürchterlichen, bem mörderischen Winter lb7$er eine sah sich als Knabe, im Schein der Hängelampe, den"„Kapitän Hatteras" über Eisbänke begleiten; die andere als Backfisch, gepudert, eine reizende Rokokomarquise, den Maskenball besuchen Im bequemen Fauteuil beim Kamin seufzte die Großmutter leise; melancholisch besah sie im Spiegel den. ‘ ewigen Scknee ihrer Haare; den Schnee, der auch im Sommer * nicht schmilzt.
mnksurter Ieilnna
(Frankftirter Handelszeitung.) 1 und Handelsblatt. (Neue Frankfurter Zeitung.)
Stadt-Telephon: Amt 1 5940. 5941, 5942, 594k gegründet von Leopold Sonncmann. f6r Auswärts: Amt 1 29’ ’54’ 26,61 4429’
Arm, ohne bie geringsten bedenklichen Folgen zu verspüren. Im ganzen Wurden dann etwa in hundert Fällen. Wunden mit Zucker behandelt, und zwar auch solche, die als sehr schwierig gelten mußten. Darunter waren große Wunden, die tnt Gefolge von Knochenmarkentzündung auftreten oder Unter« schenkelgeschwüre, die, Wie bekannt, außerordentlich schwer heilen. Namentlich bei ber letztgenannten Krankheit. hat cs überhaupt keinen Mißerfolg gegeben, .obgleich bic Heilung nicht immer gleich schnell vor sich ging. Nebenerscheinungen unangenehmer ober gar gefährlicher Art Waren niemals zu verzeichnen, insbesondere keine Wirkung des Zuckers auf das Blut und die Ausscheidungen des Körpers, selbst wenn bei großer Ausdehnung der Wundflächen recht ansehnliche Mengen von Zucker benutzt Worben, waren. Tr. Magnus vergleich: die Wirkung bcS Zuckers mit einer Serumspülung bet Wunden von innen nach außen.
= (Ein Tiouyfoofest im heutigen Thrazien.) Don einem eigentümlichen Volksfeste, das noch heute um bie;e Zeil jährlich in Thrazien gefeiert wird, berichtet Tr. Fraser in der „Westminster Gazette". Die Festlichkeiten finden in ben tllrazischcn Dörfern in ber Umgehung von Viza, etwa in der Mitte ztoischen Konstantinopel und Adrtanopel, statt. st-ie Idee des Festes und feine Ursache sind vollkommen vergessen, die Bevölkerung folgt nur noch einer alten überlcmmcnen Tradition. Den Hauptteil der Feier bildet ein großes mim 1- sches Schauspiel, bei dem die Darsteller eine Art.Altar errichten, vor dem bann int Spiel eine Ehe geschloffen wird. Aber ein Freund des Gatten inordet bann int Verlaufe Der Aufführung den Neuvermählten, unb nun beginnt ein allgemeines Wehklagen um den Toten, bis der.Leichnam plötzlich wieder auf er steht. Dann wirb er im Triumph um- hergetragen unb feierlich auf eine Pflugschar gesetzt, bic heim Altäre bereitsteht. Ein großer Umzug folgt, an beut dqs ganze Dorf tcüninimt unb bei Dem unausgesetzt Rufe erschallen: „Weizen zu 19 Piastern! Gerste zu 5 Piastern! Gib,« Herr, auf daß es wahr Werbe, bah bie Armen ihren Hunger fHilf11 können." Der Tag endet bann mit einem allgemeinen Fesi- trubel, ber manchmal den Charakter einer Orgie annimmt. Das Fest erinnert in seinen' Einzelheiten unb in seinen Umrissen an die großen D i 0 ny s 0 s f est e, die im Altertum tu jener Gegend Thraziens gefeiert wurden. Tie heutigen Fen c in Thrazien zeigen sogar noch dieselbe Art ber Bekleidung- stücke: ■ bic Mimen tragen Ziegenfelle. Tie Feiern um -.azo (in denen man auch ben Anklang •. an christliche Vorstellungen nicht verkennt) finb ein typisches Beispiel für-das Fortl.eben eines heidnischen Kultes inmitten einer christlichen Bevölkerung.
— »Brief aus Baden-Baden.) Man schreibt uns- au< Baden-Baden: Das war ein toller Februar: A/em zeit Karneval, dessen Regiment heuer nur wenige ? ‘ fi dauerte, nahm ein übermütig junger Lenzvorlauter. b ter aus der Hand unb zauberte fast über Nacht hellg>^-^>^ knospen an bic braunen Flteberzwetge und gelbe I < in bie noch matten Wiesen, Aber Äfe
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allzu frühen Wachstum Einhalt. Ter Mb'.uar ist .neu,±ojj
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Colonelzeile 50 cj, Abgndbl.75<£ Reklamen.,<2.— , Abendbl. *2.SC Familienanzeigen Jfl.—, Platz-it DatemVorschriften ohne Verbind lichkeit. — Anzeigen nehmen an' Unsere Expedition, in Frankfun a.NU Gr. Eschenh.Str.33/37, Mainz Schillerpl.3. Berlin: Leipz Platz3, Dresden.A : Waisenhausstraße 25 München: Perusastr. 5, Offenbach Biebererstr. 34. Stuttgart: Poststr. 7. ZUrich: Nordstr.62- Uns.uhr. Agentur, u. d. Annoncen-Exped Ferner in: London: 14/18 Queen Victoriastr, Paris: J. Patto, Rue Vivienne 51, John F Jones 4 Co.. New York: 20. Broad Street Verlag u. Druck der Frankfurter Societäts-Druekerei
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«r Russland Rbl. 4 60 Schweden Vl-. « Schweiz Fr. 13 11 Serbien »r 14 80 TU.-kei (D. P.l Piaster Jki’lber) 851». Ungarn Kr. 12 45. in, witoosbereln. in London Siegle. 129. S Jsdenhall Str„ Pans ölRueVi- !£nne?Sew York 20 B.oad Str.^< 18.
Tages-Rundschau.
Die Ziffern, welch« jetzt als Kosten der M i l i t ä r v o r- l a g e genannt werden, wachsen von Tag zu Tag und nehmen nachgerade riesenhafte Dimensionen an. Nachdem zuerst CO bis 70 Millionen genannt waren, hörte man halb, daß cs doch wohl mehr als 100 Millionen sein würden. Und nun soll sogar das Doppelte dieser Summe nicht reichen, und während die einen tröstend und beruhigend — dabei klingt cs wie bittere Ironie — sagen, cs werde nicht mehr als eine Viertelmilliarde jährlicher Mehrausgaben werden, fügen andere noch ein paar ^Dutzend Millionen hinzu, zugleich mit einer weiteren Zukunfts- .Perspektive, indem sie dabei von einem „zunächst" sprechen. Das soll aber noch nicht alles sein. Einmal scheint es ungewiß zu fein, ob bei diesen Ziffern schon die Ausgaben für die Luftflotte mit inbegriffen sind, und dann sollen zu den laufenden Ausgaben sich noch einmalige gesellen, für welche zwar die Ziffer eine Milliarde^ als übertrieben
bezeichnet wird, aber doch die „bescheidenere" Zahl von 700 Millionen uns als phantastisch erscheint:
Wenn man solche Zahlen hört, so faßt man sich unwillkürlich an den Kopf unb fragt, ob denn das wirklich das Ergebnis einer ruhigen Uebcrlegung ist, die auch die finanziellen Möglichkeiten kühl prüft. Man hat eher den Eindruck eines förmlichen Rüstungstaumels, bei dem man rein suggestiv nur alles zusammenwirft, was irgendwie an militärischen Wünschen aufgetaucht ist und von Militärs vertreten wird, die sick um die Frage, wie die Mittel aufzubringen sind, nie den Kopf zerbrochen haben, die aber auch niemals sich ernstlich die Mühe gegeben haben, für bie enormen Mehrkosten, die dem Staat und den Einzelnen zugemutet werden, einen Ausgleich durch Entlastungen zu suchen. Solche-Entlastungen sind aber sehr wohl in größerem Umfange möglich, durch Beseitigung alles Ucberflüssigen und durch Verkürzungen der Dienstzeit, die sich recht gut durchführen lassen, wenn man auf manche unnötige Uebungen und auf den Paradodrill verzichtet und alles auf die cigentlichc Ausbildung für den Fclddienst konzentriert, stlbcr statt an irgendwelche Erleichterungen zu denken,, werden schon jetzt viele Stimmen laut, die weitere Belastungen durch Vermehrung der Uebungen für die Mannschaften des Beurlaubtenstandes fordern. Gegenüber dieser ins Ungcmessenc gehenden Entwickelung sei doch damn erinnert, daß schon jetzt fast zwei Drittel der Reichsausgaben solche für militärische Zwecke finb. Ter Militär- 'und Marineetat für 1913 beansprucht einschließlich der Quote an Bayern über 1500 Millionen. Rechnet man dazu die Aufwendungen für den Pensionsfonds, Schuldenzinsen, Ausgaben verschiedener Art für Berteidigungszweckc usw., so werden cs fast 2 Milliarden, mehr als die Einnahmen des Reichs aus Zöllen, Steuern und Bctriebsüberschüsscn betragen. Und diese Lasten sollen nun so enorm gesteigert werden, daß die Deckung mit einer neuen Steuer keinesfalls reichen, vielmehr wohl wieder an ein ganzes Steuerbukett gedacht wird. In welcher Zeit leben wir denn, daß man in solchem Tempo weiterrüstet, obgleich es doch klar ist, daß die Rüstungsschraube überall in gleichem Maße angezogen werden wird? Das Vcraiftwortlichkeitsgefühl soll doch auch nach der finanziellen Seite sich wieder, stärker regen, damit die Grenzen deS Erträglichen und, wie man hinzufügen darf, auch die Grenzen bet politischen Klugheit inncgehalten werben.'
Samstag, 1. ittäri 1913. '