Mittwoch, 1. September 193?

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82. Jahrgang 443

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Kitkinettskrisv in Krüssel?

Scharfe Aftsriimudersetzirngert öder da« Uerhältni» van Zeelands Mr Belgischen Nationalbank.

(Drahtmcldung unseres Korrespondenten.)

F Brüssel, 31. August. Ter für heute einberufene Kabinetts- r a t wird sich mit einer höchst verworrenen Lage zu bc- schaftiqen haben. Tie Unstimmigkeiten im Kabinett scheinen sich zugcspitzt zu haben, denn die Besprechung van Zeclands mit den sozialistischen Ministern, über die gestern abend berichtet wurde, hat sich bis spät in die Nacht hingezogcn. Ist die politische Lage äußerst verworren und werden für den Bestand des Kabinetts, wenigstens in feiner jetzigen Zusammensetzung, Befürchtungen ge­äußert, so zeichnet sich doch der Hintergrund immer deutlicher ab, aus dem sich das politischClAeschehcn abspielt.

Nach den Erlärungcn, die van Zceland der ihm ergebenen Indepcndance Bclge" am Samstag gemacht hat, scheint kein Zweifel mehr daran erlaubt zu sein, daß er nach seiner Be­urlaubung von der Leitung der Nationalbank im Jahre 1931 und auch nach seinem Rücktritt von dem Posten eines Bizcgouvcrneurs im Jahre 1935 noch Gelder aus dem gemeinsamen Fonds bezogen bot, der für die Bezüge der Banklcitung in einem Gesamtbetrag für das Jahr ausgcworfen wird. Es handelt sich offenbar nur noch um einen Streit um Worte, ob nämlich die van Zceland aus- gezahltcn Beträge sein Gehalt darstclltcn oder Zuwendungen waren, die ihm den Uebergang von dem hochbezahlten Posten eines Direktors und Bizegouvcrneurs der Nationalbank auf den viel geringer dotierten Posten eines Finanzministers oder Minister­präsidenten erleichtern sollte. Die Bankleitung steht bekanntlich auf dem Standpunkt, daß der jährlich für die Leitung zur Verfügung

stehende Posten im Budget der Nationalbank nach ihrem freien Ermessen unter die Mitglieder der Leitung ausgeteilt werden könne, und die Statuten und Beschlüsse des Generalrats geben zweifellos dieser Auffassung eine feste Stütze.

Unglücklicherweise hat die Regierung und die Bankleitung in ihren Erklärungen niemals mit voller Klarheit ausgesprochen, was van Zceland während seines Urlaubs und nach Antritt der Ministerpräsidentschaft noch aus jenem gemeinsamen Fonds 6c zogen hat. Hätte man dies gleich getan, als eine Anfrage des Ab­geordneten Sap in der Kammer die Angelegenheit anschnitt, so hätte die Opposition sic nicht zu einem öffentlichen Skandal stempeln können. Selbst diejenigen Teile des Publikums, die ver muten, daß van Zceland aus politischen Motiven angegriffen wurde, sinden sich in den Einzelheiten der monatelangcn Ent­wicklung nicht mehr zusiecht.

Ter Kabinettsrat wird sich wohl hauptsächlich mit der Frage zu beschäftigen haben, ob eine unumwundene Klarlegung der ganzen Vorgänge überhaupt noch die Lage retten kann, oder ob man bei der bisherigen Methode der halben Erklärungen bleiben solle. Selbst wenn man sich zur völligen Offenheit entschließen sollte, muß es als fraglich erscheinen, ob der Bestand de s Kabinetts noch gerettet werden kann. Tie Anhänger van Zec- lands sind unter diesen Umständen in recht gedrückter Stimmung, während bei seinen Gegnern ein Gefühl des Triumphes unver­kennbar ist.

China bedauert.

Wiedergutmachung des Schadens auf derHoover".

Schanghai, 31. August. (DRB.) Tie Nanking-Regierung hat unverzüglich den chinesischen Botschafter in Washington ange­wiesen, ihr Bedauern für denPresidcnt-Hoovcr"-Zwischen- fall auszusprechen und Wiedergutmachung zuzusagen.

Tie chinesischen Stellen haben amtlich mitgetcilt, daß chinesi­sche Bombenflugzeuge für den Angriff auf denPresident Hoover" verantwortlich sind. Nach der Darstellung hatte ein chinesisches Aufklärungsflugzeug gemeldet, daß 10 japanische Transportschiffe 50 Meilen vor Schanghai gesichtet worden seien. Daraufhin woll­ten chinesische Flugzeuge die Transportschiffe mit Bomben belegen, doch fei eine von den sieben abgeworfenen Bomben zufällig auf den in der Nähe der japanischen Transportschiffe liegenden ameri­kanischen DampferPresident.Hoover" gefallen.

In Washington gab Außenminister Hüll bekannt, daß er den Botschafter in Nanking angewiesen habe, bei der chinesischen Regie­rung scharf gegen den Zwischenfall zu protestieren.

Endgültige Anweisungen, ob Schanghai von den amerikanischen Schiften gemieden werden soll oder nicht, .'seien noch nicht ergangen. In Verbindung mit der Frage, wie die noch in Schanghai weilen­den Amerikaner die Stadt verlassen könnten, falls keine Handels­schiffe Schanghai mehr anlaufen sollten, erklärte Hüll, daß hierfür möglicherweise K r i c g s s ch i f s e zur Verfügung gestellt würden, (jfine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen. Hüll fügte hinzu, daß 300 amerikanische Bürger bereit seien, Schanghai zu räumen.

Japanischer Luftangriff auf Kanton.

Nach einer Meldung der Agentur Tomei haben japanische Bomber einen Luftangriff auf den Flugplatz und die militärischen Anlagen von Kanton durchgcführt. Die in der Stadt lebenden japanischen Staatsangehörigen waren vor dem Angriff abtranspor­tiert worden. Politische Kreise messen der Bombardierung Kantons erhebliche Bedeutung bei, da auf diese Weise eine Ausdehnung des japanisch-chinesischen Konfliktes auf das britische Gin = Willst gebiet in Südchina zu befürchten fei.

Ue«e Spannnngen MoskauTokio".

Die japanische Presse zum Nichtangriffspakt.

Tokio, 31. August. (Europapreß.) Während die japanische Presse die englische Note mit wenigen Zeilen abtut, widmet sie dem Ab­schluß des sowjetrussisch-ehincsischen Nichtangriffspaktes ganze

Seiten, wobei beide Länder scharf angegriffen werden. So schreibt Kokomin Schimbin", das Organ der Armee:Es ist eine un­bestreitbare Tatsache, daß der chincsisch-fowjetrussischc Pakt Ge­he i m k l a u s e l n enthält, die praktisch ein offensives und deven- sives Militärbündnis zwischen den beiden Ländern bedeuten. Es ist daher unvermeidlich, daß die Beziehungen zwischen Japan und Sowjetrußland in Zukunft neue Spannungen bringen werden." Weiter melden die Blätter, feit dem 14. August hätten zwanzig fowjetrussifche Piloten die chinesische Front erreicht.

Im Auswärtigen Amt wurde am Montag erklärt, der Abschluß des Paktes beweise, daß die Nanking-Regierung zu einem Werkzeug der Komintern geworden sei und die Komintern auf die Bolsche- wisierung Ostasicns hinarbcitc.

England sekt das Höchftalter fiir Rekruten hinauf.

X London, 31. August. Tas englische Kriegsministerium hat das Höch st alter für Rekruten um drei Jahre auf 28 Jahre hinaufgesetzt. Dies gilt für alle aktiven Truppenteile, ausgenommen den Sanitätsdienst und einige wenige andere For- MS.twnei^ für. nie das Höebstalter jebon bisher dreißig Jahre :i. Für das Mindestalter bleibt es bei 18 Jahren. Tie Maßnahme, die überraschend kam, soll dem Zweck dienen, die noch immer nicht überwundenen Rckriitierungsschwierigkciten für das englische Landtier zu mildern. Tas gleiche Ziel batte Kriegsminister Hore- Belisha im Auge, als er kürzlich schon die Möglichkeit zuließ, daß Soldaten nach Ablauf des normalen zwölfjährigen Dienstver­trages bei der Truppe bleiben, und zwar bis zur Pensionsberech­tigung. Diese Bestimmung, ebenso wie die jetzige Hinaufsetzung des Höchstalters für neu cinzustcllendc Rekruten, sind nicht mehr als Notbehelfe, von denen fraglich ist, ob sie eine aus­reichende Wirkung erzielen werden. Eine weitergehende Heeres- refotm, die in der Ocffcntlichkcit manche Anhänger hat, ist noch nicht spruchreif.

91 Todesopfer der britischen Luftwaffe im Jahre 1937.

London, 31. August. (DRB.) In Cambridge stießen am Mon­tag zwei Kampfflugzeuge zusammen, wobei die eine Maschine in Ltückc brach und abstürzte. Ter Flugzeugführer wurde getötet. Dem zweiten Flugzeug gelang es zu landen. Mit diesem Unfall erhöht sich die Zahl der Unfälle der britischen Luftstreitkraft in diesem Jahre auf 57 und die der dabei ums Leben gekommenen Flieger auf 91.

Jedem Volk sein Recht.

Eine Rede Henleins.

(Trahtmeldung unseres Korrespondenten.)

Wien, 31. August. Bei einer Kundgebung auf dem Kreis- partcitag der Sudelendeutschen Partei in Böhmisch-Krumau hielt Konrad Henlein eine Rede. Er bekannte sich zu der neuen Weltanschauung, die sich in Europa überall Bahn brcdic und die im Nationalen und in einem neuen Sozialismus begründet sei. Tic Zeiten seien endgültig vorbei, da Völker von anderen aus- gcrottet oder ausgesogen werden konnten. Auch ließen sie sich nicht mehr wie Schachfiguren hin- und herfchicbcn. Es gehe heute darum, eine neue Ordnung in Europa zu finden, in der sich jedes Volk frei entwickeln könne, in der jedes Volk vor dem anderen Ächtung und Ehrfurcht empfinde. Ten Sudetendeutfchen gehe es ins­besondere darum, daß der gemcinsamc Staat eine wahrhafte Staats- iöcc erhalte, die von alten seinen Bürgern freudig bejaht ivcrden könne Tic Idee des Nationalstaates, wie sie auf tschechischer Seite acpflegt werde, fei falsch, weil sie das Dasein saft der Hälfte der Staatsbürger nicht berücksichtige; sie sei dazu zerstörend, weil sic alle nichttfchechischen Völker und Volksgruppen an der Mitgcftal tung hindere. So erwecke sie in ihnen nur zu leicht das Gefühl, Staatürger zweiten oder dritten Ranges zu sein.

Dic Partei kämpfe für das neue Denken, das jedem Volk die Selbstverwaltung seiner völkischen Angelegenheiten zugestehe.Wir wollen nicht über ein anderes Volk herrschen", so schloß Konrad Henlein feine Rede,aber wir wollen auch nicht, daß andere Völker über uns herrschen. Ich Herr Tu Herr! Wir hier in unserer deutschen Heimat, Ihr ° dort in Eurer tschechischen."

An bet Kundgebung nahmen 10 00g Sudetendeutsche teil. Ein Umzug durch die tirtabt war von der Polizei verboten worden. Ferner war jedes Singen und jode Musik während der Kund­gebung unter freiem Himmel untersagt. Tic Staatsbahndircktion Pilsen hatte die Stellung eines Sonderzuges öcrmcigert.

Die Neugestaltung Derlins.

Neuer Platz an der Technischen Hochschule.

Berlin, 31. August. sDNB) Nach einer Mitteilung des GencralbauinspektorS für die Reichshauptstadt ist mit der Neuge­staltung des Lst-West-Straßenzuges vom Brandenburger Tor bis zum Adolf-Hitler-Platz begonnen worden. Dom Jahre 1939 an stehen dem Verkehr zwei getrennte Fahrbahnen in ver­doppeltet Breite zur Verfügung.

Im Rahmen dieser Arbeiten wird zur Zeit die Technische Hoch­schule, eines der repräsentativen Gebäude Berlins, das bisher non Bäumen verdeckt wurde, durch Beseitigung der Baumreihen vor dem Mittelbau freigelegt und damit zu der vom Erbauer beabsich­tigten Wirkung gebracht. Durch den Bau des Berliner Acrztc- baufeS an der gegenüberliegenden Seite und durch eine würdige Ausgestaltung des Platzes vor den beiden Gebäuden wird hier eine eindrucksvolle Anlage entstehen.

?(n diesem neuen Platz sollen, wie bereits im vergangenen Jahr, auch weiterhin die Paraden der Wehrmacht vor dem Führer und Reichskanzler statlfinden.

Verstaatlichung der fran;östschen Eisenbahnen.

Eine gtuildsätzlichc Einigung erzielt.

Paris, 31. August. (TNB.) In der Frage der Verstaatlichung der sranzösischen Eisenbahnen ist im Laufe des Montag? eine grundsätzliche Einigung zwischen der französischen Regierung und den Eisenbahngcfellschaflcn erzielt worden. In der Nacht zum Dienstag wurde ein Text ausgearbeitet, der heute dem Präsidenten der Republik und dem Ministerrat vorgelegt werden soll.

* München, 31. August. Tie Zahl der Besucher der Ausstellung Entartete Kunst" hat am Dienstag eine Million erreicht.

Polens innerer Weg.

DasRationale Lager" zwischen der Opposition non links und rechts.

(Von unserem

LV Der Ausbruch des Wawclkonflikts im Juni, der nega­tive Ausgang der Krakauer Lcgionärtagung Anfang August und der jetzt beendete Proteststreik der galizischen Bauern- Partci sind dic äußeren Auswirkungen der Spannungen, die heute innerhalb des polnischen Volkes um die Neuordnung des inncrpolitischen Lebens bestehen. Als mit dem Tode des Marschalls Pilsudski dic nach dem Maiaufstand im Jahre 1926 neu geschaffene Staatsform ihre Hauptstütze verloren hatte, war das Bestreben des Nachfolgers Rydz-Smigly daraus gerichtet, dic hishcr fast allein von der überragenden Persönlichkeit des toten Marschalls getragne Staatsidee in einer alle national gesinnten Volkstcile umfassenden Front fest zu verwurzeln. Die schwierige Äufgadc der Organisatwil eines solchen überparteilichen Lagers der nationalen Eini­gung wurde dem engsten Vertrauten des Marschalls Rydz- Smigly, Oberst Koc, übertragen. Der Oberst hat dabei keine glückliche Hand an den Tag gelegt. Was er bisher er­reicht hat, ist höchstens eine festere Bindung der vordem ohne­hin hinter der Regierung stehenden oder mit ihr sympathi­sierenden Parteigruppen in dem neuen Lager der nationalen Einigung. Der Einbruch in die Fronten der Opposition rechts und links ist ihm nicht gelungen. Aber auch innerhalb des geeinten Lagers selbst war es nicht immer möglich, die Span­nungen auszugleichcn. Das zeigte deutlich der Wawelkonflikt, wo die Rechte, die Konservativen und klerikalen Gruppen, im scharfen Gegensatz zu dem linken Flügel steht, der aus Anlaß des Konfliktes bis zu der Forderung nach Kündigung des Konkordates ging. Ebenso ist auch die alte polnische Elitctruppe, die polnischen Legionäre, in ihrer Haltung zu den Beiuühungcn des Obersten Koc in sich gcspaltcn. Der liberal-demokratische Flügel wirst dem Obersten Koc vor, die von dem toten Marschall gewiesene politische Linie verlassen zu haben. Auf der Krakauer Tagung der Legionäre am 8. August sollte durch das persönliche Eingreifen des Mar­schalls Rydz-Smigly der Zwiespalt im Lager der Legionäre

Korrespondenten.)

beseitigt werden; die Einigiing innerhalb dieser politischen Kampftruppe sollte dem großen innerpolitischen Erneuerungs­werk eine neue Stoßkraft geben. Tie Krakauer Tagung ist ausgeklungen, ohne daß die Verständigung gelungen wäre. Der innerhalb des Legionärverbandes entbrannte Kampf ist jetzt, wie der Streik der galizischen Bauern und der Sym­pathiestreik im Krakauer Elektrizitätswerk zeigt, auf die ge­samte innerpolitische Front übertragen worden.

Der bäuerliche Charakter des polnischen Volkes macht es für jede polnische Regierung zur wichtigsten Aufgabe, das Dorf für sich zu gewinnen. In dem Ringen um die Seele des Bauern war der Agrarreform eine wesentliche Rolle zugcdachl. Ihr Ziel sollte sein, den Kleinbauern, die den Hauvtteil des pol­nischen Bauerntums bilden, durch die Güteraufteilung und durch die Flurbereinigung eine bessere Existenzgrundlage zu geben und sie so enger an den Staat und seine Führung zu binden. Wenn es bisher nicht möglich war, das mit der Agrar­reform gesteckte Ziel zu erreichen, so liegt dies daran, daß in den Gebieten, die am dringendsten der Reform bedürfen, die praktische Möglichkeit dafür eng begrenzt ist. In diesen Teilen des Landes herrscht nämlich der Klcin-undZwergbesitz vor,sodaß die Wirtschaftlichkeit durch Landzuteilung nur in ganz geringem Umfange verbessert werden kann. Als zweite Schwierigkeit tritt hinzu, daß diese Gebiete zu den volkreichsten des Landes ge­hören. Es entsteht so ein Ucberschuß an Menschenkraft, für den in der engeren Heimat keine Verwendungsmöglichkeit vor­handen ist, dem aber auch der gegenwärtige Stand der polnischen industriellen Entwicklung kaum dic Möglichkeit der Abwande­rung in Jndustriebezirke offenläßt. Diese agrarischen Woiwod­schaften sind wirtschaftlich noch dadurch benachteiligt, daß sie über die schlechtesten Verkehrsverbindungen verfügen. Das hat zur Folge, daß die Marktferne den Erlös für die erzeugte Ware schmälert. So ist in diesen Bezirken ein wirtschaftlicher und sozialer Notstand vorhanden, der schließlich auch zu scharfen

Anekdoten.

Erzählt von denen, dic sie erlebten.

Meine Mutter lebte jetzt im württembcrgischen Flecken Weit­lingen im Besitz eines schönen Hauses und in ziemlichem Wohl­stand. Alles dieses hatte sie dem alten Mops einet Madame Metz zu danken, der Witwe eines verstorbenen Kricgskommissärs. Beide Ehclculc, aus Mömpelgard, wie mein mütterlicher Großvater, und noch dazu von Seiten dcs Mannes verschwägert mit demselben, batten sich längst schon nach Weitlingen zurückgezogen. Ich meine auch, in meinen jungen Jahren gehört zu haben, daß dic Tarnc die Geliebte eines württcmbcrgischcn Prinzen gewesen. Ter frühe Tod ihres Ehcgcrnahls fetzte sie in den ungeteilten Besitz des Vermögens und in die rechtliche Befugnis, dasselbe ausschließend ihren Verwandten hinterlassen zu können, die dann, wie cs in Schwaben überhaupt Sitte ist, zu Haufen hcrbeikamcn, um Dom lieben und Befinden der Frau Muhme in höflichster Weise Kund- ichaft cinzuzichen. Bei solch einer Aufwartung ereignete es sich nun, daß eine dieser Frau Muhmen und Erberspektantinnen unter ihren weitausgeholten Verbeugungen und Segenssprüchcn hen alten Mops so grausam auf die Pfoten trat, daß er vor schmerz heulte, wütend der Tarne ins Antlitz sprang und ein ganzes Stück ihres beblümten damastenen Reisrockcs hcrunterriß, dafür aber nicht minder von der Angegriffenen mit Schimpfwortcn und Schlägen zurückgcirieben worden war. Ter von seiner bei­nahe bis zur Ohnmacht erbosten und ergrimmten Gebieterin in ihre schützenden Arme genommene Mops keifte und murrte aber so in einem fort, daß der Frau Erbprätendcntin nichts übrig blieb, als unter den kürzesten Formalien des Bedauerns ihren Abzug zu nehmen. Als nun einige Tage darauf meine Mutter, von Haus äus eine große Freundin aller Tiere, dazu im schlichten Anzug imb ohne scheumachendcn Reifrockspopanz, zu einem Besuch kam, wußte der alte Mops gar nicht genug Krümmungen, Sätze und Schwenkungen zu erfinden, um seine Hcrzensfröhlichkcit auszu- drückcn; woraus die alte Frau Muhme die Stimme dcs Himmels zu erkennen glaubte, und meine Mutter, die eigentlich keine Hoff­nungen mehr dazu hatte, zu ihrer einzigen Erbin und künftigen Schoßhundverpslegerin erkieste, welches auch bald in Erfüllung ging. Tiefer glückbringende Mops machte aber bald darauf selbst noch fein eigenes Glück, indem sich ibn die Gemahlin des Herzogs Ludwig, der damals in Weitlingen wohnte, zu ihrem Schoßhund erbat.

Ein Höfling bat den Kaiser 1 Franz I.) um die Gunst, einen seiner Freunde zum Kamerherren zu ernennen, was aber der Kaiser, welchem die Person des Empfohlenen aus besonderen Gründen sehr unangenehm war, rund abschlug. Rach einiger Zeit, als der Kaiser mehrere Dekrete und Patente unterschrieben hatte, vermutlich auf Grund eines flüchtigen ihm früher vorgelegten Verzeichnisses, auf das er nicht so genau geachtet haben mochte, fand er bei wiederholtem Durchsetzen auch das von ihm bereits

unterjchricbene Kammerhcrrnpatent des ihm so widerlichen früher abgcroicfcncn Bewerbers. Ohne aber sein geschriebenes Wort zurück- zunehmcn, sagte er bloß:Kurios! jetzt ist crä halt doch geworden!"

Zu Schaffhausen, als ich schon die halbe Rhcinbrcitc passiert hatte, lief mir ein Torschrciberlcin nach mit dem Ruse:Herr! hier müsset Sn Ihre Paß visirc lasse!" Ich aber kehrte mich trotzig um mit den Worten:Was fällt denn Ihnen ein, ich hab ja gar keinen Paß" Iwas auch wirklich der Fall gewesen), worauf die Antwort dcs betroffenen Schrcibcrlcins war:Ja! das ist was anderst; reifet Sy glücklich!"

Weil man mir sagte, in Ulm würde ich nicht leicht ohne Paß durch das Tor gelangen, so griff ich schon vor der Stadt den nächsten besten Soldaten auf, gab ihm mein Bündel zu tragen und ging neben ihm her. Auf das Anrufen der Wache hieß es:Laßt ihn geben, 's ist a Landsmann". Nichts leichter, als mit solchen und ähnlichen Keckheiten einen armen Teufel von Posten zu überrumpeln. In Salzburg einmal, wo der Torschreibcr nicht Lust hatte, mich durchzulaffen, sagte ich:Hör er, Er ist ein Esel!" woraus der erschrockene Torschreibcr mit tiefem Bückling zurücktrat und demütig sagte:'s ist alles richtig, Ihr Gnaden."

(Aus: Karl Heinrich von LangsLebenserinnerungen.)

Bei Anlegung der Bescstigungswcrkc um Berlin 1813 spazierte der Buchhändler R. auf dem Platze in der Landwehruniform ein­her, wie die Leute behaupteten, um ihnen Lust zu machen, auch eine anzuziehcn. Ter Polizeipräsident Le Eog bestieg einen Erdbügcl und hielt an die Versammlung eine warme patriotische Ansprache. Als es etwas unruhig wurde, schrie einer:Silenee, Messieurs. Le Coq chante!

(Aus: Karl Friedrich von KlödensJugenderinnerungen.)

Aaktanoff als Jago.

Seit über dreißig Jahren ist der russische Bariton Georg Baklanoff einer der ausgeprägtesten Charaktere unter den singenden Darstellern der Opernbühne. Auf seinen ausgedehnten Gastipiel- rciscn hat der in Italien ausgebildete, aus Rußland emigrierte Künstler im Abstand von einigen Jahren auch immer wieder in Deutschland gastiert und viel Bewunderung erregt. Fast gleichgültig, welche seiner Licblingspartien er singt, er beherrscht im ganzen an die sechzig Rollen in russischer, italienischer, französischer und deutscher Sprache immer darf man schon bei der Ankündigung seiner Gastabende einen bedeutenden Eindruck erwarten, nie wird man von ihm enttäuscht. Es ist klar, daß auch ein von Haus aus io reich begabter und vorzüglich geschulter Sänger auf die Tauer jenen kcrnhaftcn und glänzenden Klang der Stimme nicht erhalten kann, der in jungen Jahren feinem Auftreten den Stempel dcs Ungewöhnlichen aufdrückt. Um so mehr aber imponiert gerade bei Baklanoff die Fähigkeit, bu*? was er rein stimmlich heute nicht mehr zu geben vermag, durch eine übernormale Kunst des deklamatorifch- niusikalifchcn Vortrages und der mimischen Gebärde zu ersetzen.

Tas Deutsche Theater in Wiesbaden gab uns in

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diesen Tagen Gelegenheit, Baklanoff als Jago in Verdis Othello" zu sehen und zu hören; zu hören und zu sehen. Tas kostbare Alterswcrk des italienischen Meisters, diese Schöpfung letzter pcrfönlicher und kunsthandwerklicher Reife, Bekenntnis einer Genialität des Herzens, dic man an dcm viel gescholtenen 19. Jahr­hundert nicht übersehen sollte, ist von der genannten Bühne in der vorletzten Spielzeit neu einftuöiert und damals an dieser Stelle ausführlich befproeben worden. Tic Ausführung hat inzwischen natürlich an Genauigkeit und Spannkraft etwas eingebüßt, zumal, da der Dirigent wechselte und einige Partien umbesetzt werden mußten. Desto klarer, desto geschlossener und überlegener hob sich Baklanofss Leistung aus der des übrigen Ensembles heraus. Da­bei ist es eine seiner Haupttugenden, sich auch in einer solchen Glanzrolle nicht vvrzudeängen, sondern erst recht als Organ des meisterlichen Ausdruckswillens zu fühlen und nur nach 0cm Gesetz des Werkes zu bcwährcn. Es ist längst bekannt, wie einzigartig er das gesungene Wort musikalisch profiliert, wie sparsam und logisch er mit seiner sehr reich gestuften Mimik des Gesichts und der Hände einen Typus entwickelt und allmählich zu stärkster Plastik verdichtet. Ter fchleichcndc, trockene, nur in den Momenten des vollen Triumphes dämonifch ausbrechende Böfewicht Shake- fpearefcher und Verdifcher Prägung ist ein besonders dankbares Objekt seiner Tarstellungskunst, gerade in ihrem jetzt erreichten Stadium. Hier gibt es gar nicht viel zu fingen. Hier darf, ja muß die Deklamation der in Musik gefaßten Rede das rein Klangliche überwiegen und eine letzte Svnthefe di cf er Ausdrucksmittel mit bewußtem Schau-Spiel gefunden werden. Sie ist Baklanoff in einem Grade gelungen, der die Besucher der Aufführung manch­mal fast vergessen liefe, daß sie einen Opcrnfänger vor sich hatten. Selbst in dem berühmten satanischenCredo" ober im Rache-Duett am Ende des zweiten Aktes, wo mehr Wucht und Glanz des Bari­tons zu wünschen wären und der Gast die Stimme wohlweislich zügelte, wurde durch die Intensität und Klugheit der Formung im Gcsamteffekt der unerläßliche packende Eindruck erreicht.

Musikalischer Leiter des WiesbadenerOthello" ist jetzt Karl Fischer. Er betont die ausgesprochen theatralischen und leidenschaftlichen Partien. Die Feinheiten der melodifchcn Zeich­nung und des oft geradezu redenden Orchesters, die für Verdis Spätstil so bezeichnend sind, könnten noch klarer und dabei zu- rücktzaltender ausgeformt werden. Zwischen dem heftigen ..Brio her dramatisch bewegten und der starken Dehnung der ausgesprochen lyrischen Teile dürften noch mehr Zwischenstufen der Dynamik und des Tempos eingcfcbaltet werden, um das Hell-Dunkel und den meisterlichen dramatischen Fluß gerade dieser Partitur vollends zu erweisen. Als Othello zeigt Thomas S a l eh e r, als Eassio Julius E a t o n a jetzt eine ausgcwogcncrc Form der Gcsamihaltung. Die Tcrdcmona spielt neuerdings Ilse Habicht; mehr auf deutsche Art empfindsam als im Sinne der italienischen Auffassung verklärt lyrisch, doch mit gut gebildetem Sopran und mit sorgsamer Anlage des musikalischen Vortrages wie des Spiels. Mit Baklanoff konnten auch seine Partner den sehr starken Beifall entgegennchmen. Karl Holl,

Adele Sandrock f

So viel Szenen hat sie gemacht, nun hat sie die Szene verlassen und überläßt den Zeilen hier das Tribunal. Adele Sandrock hat sich verabschiedet. Die Strenge, die sie über jeden Auftritt zu breiten wußte, gebietet Furchtsamkeit und Hal­tung, und wer ihr etwa mit wehen Tönen käme, dein würde sie mit dem Stocke drohen. Tic Hand knapp über dem silber­nen Griff, würde sie der Rührung hart entgegentreten und ihre, Weisheit in den Boden stampfen. Junger Mann, würde sie sagen und bei diesen Worten hätten wir sie schon er­kannt, denken Sie mal ein wenig zurück, mit den Meinin­gern habe ich es schon gehabt, und später kam das Burg- theater: eine Sieben zu scheu, wie das Rampenlicht sie da­mals umstrahlte, das haben Sic nun versäumt. Ihnen ist eine Erscheinung vertraut, die mit altem Gehängsel von Hüten und Reisetaschen im Bilde erscheint, der Nichte versagt/ was sie dem Reffen nicht nachsieht, und in einer Festigkeit, die mit fich nicht rütteln läßt, -cnnnsprüche einer etwas barocken ars amandi verkündet. Mit solchen Gestalten, ist anzunehmen, habe ich wohl eine gute Figur gemacht. Tas Schmunzeln und die ein wenig betroffene Heiterkeit, die meinen Sentenzen int Hause durch die Reihen des Parketts nachlief, haben mit gezeigt, wie sehr eine Zeit eines Gegenspielers'bedarf. Ihr alle hättet geringere Freude gehabt an den Mädchen, die nur verliebt und lustig und zu Streichen aufgelegt zu sein brauch­ten, um Euch zu gefallen, wäre nicht im Hintergründe jene ^androck durch die verlassenen Räume des Landhauses ge­geistert, mit tiefen Falten und mit tiefer Stimme: an ihr erst konnte sich der Mut entzünden, mit einem Mädel über alle Berge zu gehen. Man entführt nicht, was ohnehin entlaufen darf; wenn cs also noch Butschen gab, die etwas wagten, so vergeßt nicht, wem Ihr das zu danken habt. Und noch eines: zurückzublickcn, meint Ihr, sei ^lcberlegenheit, und herrlich habe sich alles entwickelt, und Schmieren gebe es überhaupt nicht mehr. Erinnert Euch, mit wieviel Wehmut ich zu kämpfen hatte (auf dcr Leinewand mit jener Neuberin), und mit welchem Ernste man hängen kann an den alten zerlesenen Schulheften, in denen die Tragödien ausgezeichnet stehen, die solch eine Truppe durch die kleinen Städte trug: Freude war da, Erregung und Festlichkeit, Ucbermut und Bangen, das gleiche Fieber vor und hinter den Kulissen. Und wenn ich jefct oon der Bühne abtrete, bann sehen Sie nicht nur jene sschärfe des Blickes unter den Brauen, die mir eine Rolle sv häufig aufgegeben hat, sehen Sie auch das Suchen und die Sorge und den Ratschlag, den ich in jedem Winkel um Euch hinterlassen will: um Theater zu spielen, muß man besessen sein. Ich habe es hinter mich gebracht, siebzig Jahre lang, und wenn es Euch gleich köstlich sein soll, dann müht Euch und arbeitet, an Euch und an der Kunst.

Adele Sandrock war besessen vom Theater, darum ist sie sein Besitz geworden.