Montag, 24. Juni 1935

Neueste Zeitung" Illustrierte Tageszeitung, Frankfurt a.M,

Nummer 144

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Die Reichs-Sportwcrbcwochc erreichte mit dem großen Wcrbcmnrsch der Turner und Sportler durch die Straßen Münchens ihren Höhepunkt und zugleich Ab­schluß.

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Der Driekmarkensammier W. 0. Henry aus Boston, U. 8. A hat sein Automobil mit 18 000 Briefmarken be­klebt. Unser Bild zeigt den stolzen Sammler mit seinem Auto. (Aufnahmen (3): Associated Praß.)

Bild zeigt ein (icschwndcr beim Ucbcrflicgcn der neu­eröffneten Brücke über den Kleinen Belt in Dänemark

Abgewimmelt

Zu Schiller kam eines Tapes ein junger Dichter, der in dem Rufe stand, nicht die besten Gedichte zu macken. Er bat Schiller, ein Einführungsgcdicht zu einem Buche, das er herausgeben wollte, zu schreiben.

Schreiben Sic, verehrter Meister, was Sie wollen", sagte der junge Dichter.Machen Sie sich kein Kopfzerbrechen deshalb. Es kann etwas ganz Gewöhnliches sein."

Etwas ganz Gewöhnliches?" fragte Schiller.

Jawohl, Meister, ganz gewöhnlich kann es sein."

Da meinte Schiller lächelnd:Lieber Freund, wenn es etwas ganz Gewöhnliches sein soll, dann können Sic es doch selbst machen?"

17 mal verlobt, dann geheiratet

Ein Weg, wie man zur Aussteuer kommt

Paris, 22. Juni.

In gewissen Gegenden in der Bretagne herrscht die Sitte, das; der Bräutigam bei der Verlobung eine Geldsumme zwischen 300 und 1000 Francs hintcrlcgen muh, gewisscrinahen als Bürg­schaft für die spätere Heirat, um zu verhindern, das; die Bräute verführt und dann sitzen gelassen werden. Die Kaution nimmt der Ortsgcivaltigc in Empfang, der sie erst am Tage der Hoch­zeit ansliefert. Diese Sitte hat sich ein schönes Mädchen zunutze gemacht, um zu einer anständigen Aussteuer zu kommen. Niemand wußte, das; ihr Herz dem armen Seemann Charles gehörte, denn dieser war viele Jahre auf See und niemand hatte ihn je mit dem Mädchen gesehen. Mancher junge Mann bewarb sich in-

Ä um die Dorfschöne und wurde erhört. 500 Francs wur- t erlegt und man Verlobte sich. Aber ein Bräutigam nach dem "anderen lieh die Kaution im Stich, nur um von der zänki­

schen und lieblosen Frau wieder befreit zu werden. Vorher sah sie so fromm und sanft aus, so daß immer wieder einer sein Glück versuchte. Auf 17 Verlobungen brachte es die geschäfts­tüchtige Jcannc auf diese Weise, gleichzeitig aber auf eine Aus­steuer von. 8000 Francs, die der Gcincindevorstand zur Aus­zahlung bcrctthielt. Jcanne hatte inzwischen den Titel einer ewigen Braut" erworben, und cs erregte deshalb nicht wenig Aussehen, als eines Tages ein unbekannter junger Mann tm Dorfe erschien und Jcannc heiratete. Früher gab' es stets eine Sensation, wenn die ewige Braut sich aufs neue verlobte, diesmal gab cs bei der Hochzeit eine Riescnkcllcrct, da sich die getäuschten Bräutigame an dem echten rächen wollten. Der Streit endete schließlich mit einer allgemeinen Versöhnung und einem Hochzcitsmahl, an dem das ganze Dorf tcllnahm.

Wohltätigkeit streng verboten!

Madrid, tm Juni.

Der Kampf gegen das Mettlorunwesen hat in Madrid kuriose Blüten getrieben. Hier muh neuerdings jeder Strafe zahlen, der dabei ertappt wird, wenn er einem Bettler ein Almosen gibt! Neberall wacht das Auge des Gesetzes linb wehe, wenn irgendwo ein Scherflci» In clnc auSgestrecktc Hand gleitet. Da alle Mittel, der Bettlerplage cntgegcnznarbcitcn, versagten, sah sich die Polizei zu dieser kategorischen Maßnahme gezwungen.

M>DM£ön,(OjChnwirmai!

Sei doch mal still! Wie soll denn da der Fisch an­heißen?"

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Von der praktischen Seite geschc».

Ein Dramatiker, der erst vor kurzem geheiratet hat, wird in einer Gesellschaft gefragt, lute cs ihm in der Ehe gefalle und ob er mit seiner Fra» zufrieden ist.

Lächelnd antwortete er:Sehr. Ich habe aus Ihrer Vergangen­heit schon drei Stücke gemacht." >

MihvcrständniS.

In einem Abteil der irischen Eisenbahn hat eine Dame sämt­liche Sitze mit ihrem Gepäck belegt. Als sich andere Mitreisende darüber beschweren, erklärt sie dem Schaffner:Ich bin eine von den Direktorsfrauen."Das hilft alles nichts," erwidert der Beamte.Sic mühten Ihr Gepäck auch wegnchmen, wenn Sie die einzige Frau des Direktors wären."

Vielleicht hilft daS!

Ich habe schon alles unter der Sonne versucht, um bei ihr Liebe für mich zu erwecken! Was soll ich bloß noch tun?"

Versuch's doch mal unter dem Mond!"

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Rösselsprung:

Q)ai> tägliche RÄTSEL

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Besuchskarten-Rätsel;

G. St. P o ek o

Turin.

Was ist der Horr?

Anschluß Milte:

In die Figur sind Wörter so eln- . . ... zusotzen, daß in jeder waagerechten

. . _ .... Reihe zwei Wörter (1 und la usw.)

_ entstehen, wobei der Endbuchstabe des

ersten Wortes gleichzeitig der An- ' fangsbuchstaho des zweiten Wortes

... ist. Die den beiden Wörtern in jeder

. . .... Reihe gemeinsamen Buchstaben

Reihe der Stricho ergeben von oben nach unten den Namen einer Oper: 1. Italien. Badestrand, la. Gnsthausangostelltor, 2. innerer Drang, 2a. Beruf, 3. Feld­blume, 3a. Haustier, 4. Antriebsmaschine. 4a. Grünfläche, 5. ehern, deutsche Kolonie, 5a. Fluß in Ostdeutschland, 6. Stadt in der Tschechoslowakei, 6a. Beamter.

Lösung zuSchnell vergänglich:

Augen, Blick. Augenblick.

Lösung des Silbenrätsels:

1. Gelee, 2. Usedom, 3. Tornado, 4. Euterpe, 5. Rivale, 6. Le­thargie, 7. Orgel, 8. Hangar, 9. Nubien, 10. Mantua, 11. Amor­tisation, 12. Cherusker, 13. Truhe. Guter Lohn macht hurtige Hncndo.

Lösung zuMagisches Kreuz:

1. Mauer, 2. Lunte, 3. Peter.

Lösung zum Drehscheibenrätsel:

Scheibe Kmal drohen: Uoberfluß hat erst dann Wert, wenn wir ihn zum Wo hie anderer benutzen!

Roman, ixrru Cferfrtcd v. ßrockdofff

Copyright I,y Köhler & Co., Zehlendorf.

Inhalt des bisher erschienenen Romans für neu hinzu­tretende Leser:

Ccnc flalofjrc ist $au0aitacfientc fiel loTtor Sollfort. Da» Mädchen, das ganz alletn ans sich angewiefen Ist und lediglich verwandte In Polen dal, lernt eines Tages Hern, wizoref feinie». einen nicht mehr ganz iniigen Mann, der im seiden Hanfe wolml. sie Ist froh, dag fle endlich einen Menfchen fenneiigeleml dal, der sich allem l'lnfchcin »ach für Ile jnlereffierl. Wizoref iiidi Lene |ch»c|>Iich ein, mit Ihm nach Polen zn ihren Perwandlcii zn fahre». SineS Morgens cnlfhlm» sich bei cscifferlS zwilchen den tkbegalfe» ein eriistlichcr DiSdnt. Dollar Sciffcrl hat SlcfchSflSforgcii. die er feiner 8ran verheimliche» will, füllt Siachmillag des Tage« vcrlüfst er das Hans, am angcdiich in die ftabrlf zn gehen. Doch Ara» Seiften und Lene warten am Abend vergeblich auf feine Rilckfchr. Seifferl bat Sclbfimord begangen: Der HanShail wird anfgeiiist and Lene ntub fich »ach einer neuen stelle nmfehen. Wizoref verabrede! mit Leneein c giahrl nach Polen. Die ffahrl bcnnhl Wizoref dazu, durch daS Mädchen werlvvlic Bilder Ins Anstand z» fchmnggcln.

(5. Fortsetzung)

Ja... aber... was soll ich denn... wie kommen wir denn nach Rostarzcwo?"

Es bleibt nichts übrig, als daß Sie mit dem Zug fahren. Ste haben etwa anderthalb Stunden Zeit bis dahin."

Mit dem Zug? Und ganz allein?"

Ich sage Ihnen genau Bescheid. Dan» können Sic nichts versäumen."

Lene fleht bestürzt und unglücklich aus. Wizorck wird un­geduldig.

Sie sehen doch, daß es nicht anders geht. Wir könne» froh sein, daß Sie den Zug noch erreichen können."

Aber ich habe doch kein... ich bin doch gar nicht auf eine Bahnfahrt eingerichtet/ Und cs kostet gewiß eine ganze Menge...."

Nicht so schlimm, wie cs aussicht. Ich löse Ihnen die Fahrkarte. Dann haben Sie flch um nichts mehr zn kümmer». Und in Bcntschcn steigen Sic aus und gehe» ruhig in den Wartesaal. Ich komme dann und hole Sie ab ..."

Sic... kommen ...?"

Herrgott, machen Sic mich doch nicht verrückt mit Ihrer Fragerei. .Natürlich komme ich, selbstverständlich. Ich denke, daß fle mir den Wagen wieder in Ordnung bringen werde», und wenn ich ein flottes Tempo nehme, dann schaffe ich schon. Schlimmstensfalls komme ich mit dem nächsten Zuge."

Ja... aber... könntcn wir dann nicht lieber zu- sammcn..."

Wizorck bekommt plötzlich eine weiße Nasenspitze. Augen­scheinlich hat ihn der Zwischenfall mit dem Wagen nervös gemacht.

Nein," sagte er grob.Wir könntcn nicht. Es ist besser, wenn Sie vorausfahren."

Lene fleht ihn stumm an. Wizorck versucht zu lächeln, aber seine Lippen bleiben verzerrt.

Jetzt sehen Sie wahrhaftig aus, als hätten Sie Angst vor mir, Fräulein Lene. Ich meine es doch gut. Ich kann Ihnen das nicht erklären. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie flchcr zu Ihren Verwandten bringen werde."

Lene klettert schweigend aus dem Wagen und betrachtet aus großen Augen die Häuser der fremden Stadt. Es ist stiller geworden; der Wind hat flch gelegt. Sonne brennt mit­täglich warm auf holpriges Pflaster nieder. Am Ende dev

Straße drehen sich zwei' Kinder unaufhörlich im Kreise und singen dazu.

Wizorck bastelt noch eine Zeitlang am Auto herum. Schließlich bringt er aus dem Innern ein Lacklederköffcrchcn zum Vorschein.

Ich habe hier einigen Proviant für Sie; auch eine Tüte mit Aepsclu."

Lene ist gerührt und beschämt/

Es ist doch meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß Sic unterwegs nicht verhungern," fügt Wizorck hastig hinzu.Ich denke, daß wir Ihr Paket mit den iBcttschuhen ruhig zu den ander» Sachen ins Köfferchcn legen könne», Fräulein Lene. Sie werde» cs an der- Grenze natürlich öffnen müssen ..."

Was für ein hübscher Koffer! Und ganz neu!"

Ja. Ich habe ihn gestern erst gekauft. Er ist recht bequem für Kleinigkeiten."

Sie habe» das Auto stehen lasse» und durchqueren die Stadt in der Richtung zum Bahnhof. Ein Glück, daß Wizorck hier bekannt ist. Auf dem Rückweg wird er gleich in der Garage vorsprechen und das Nötige veranlassen. Lene trägt das schwarze Köfferchcn in der Hand und schlenkert es genuß­voll hin und her.

Geben Sic nur acht auf den Koffer, Fräulein Lene. Lassen Sic ihn ja nicht im Zuge liegen!"

Lene lacht. Was denkt Wizorck von ihr? Hat er sie Im Verdacht, daß sie mit fremden Sachen schlecht umginge?

Nein, nein, ich weiß ja: Sie sind zuverlässig," sagt Wizorck mit seinem verzerrten Lächeln. Es scheint Wizorck körperlich nicht gut zu gehen. Er fleht auffallend blaß aus. und seine Stirn ist mit Schweißtropfen bedeckt. Aber er weist Lenes teilnehmende Fragen schroff zurück und meint, daß cs nichts wäre. Er hätte sich vor ein paar Tagen erkältet.

Lene rät altklug zu Lindenblütentee mit Aspirin. Wizorck ist der Ansicht, daß Grog i» solchen Fällen bessere Dienste leistet. Heute mittag schon wird er sich auf seine Weise kurieren.

Aber erst, wen» ich Sic sicher bei Ihren Verwandten abgclicfert habe," sagt er mit einem verstohlenen Blick auf den schwarzen Koffer.

Die Luft summt von laugen, hallenden Tönen. Soun- täglich gekleidete Mensche» kommen aus der Kirche.

Hören Sic die Glocken, Herr Wizorck? In Berlin hört man sie kaum ..."

Wizorck sicht schon wieder auf die Uhr.

Wir wolle» uns beeile», damit Sie den Zug nicht ver­säumen."

Am Bahnhof kauft er eine Tafel Schokolade für Lene und bestellt außerdem noch Kasfce. Denn sie sind zuletzt so schnell gegangen, daß bis zur Ankunft des Zuges noch eine gute Viertelstunde übrigbleibt.

Hier Ist die Fahrkarte, Lene. Verwahren Sie sie gut."

Er sieht aufmerksam zu, wie die Karte in Lenes brauner Handtasche verschwindet. Seine Augen stehen wieder sehr All und gelbgrün unter den schwarzen Brauen.

Zwei Gepäckstücke haben Sie. Vergessen Sie das nicht..."

Der Kaffee wärmt und belebt.

Und in Bentschen rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis ich Sie abhole. Versprechen Sie mir das!"

Lene verspricht es. Sie ist niemals aus solche Weise um­sorgt worden. Es tut ihr wohl.

Wizorck trägt ihr den Koffer durch die Sperre und geht mit ihr auf und nieder, bis der Zug hcranbraust. Er hilft ihr ins Abteil und bringt Koffer und Handtasche tm Gepäck­netz unter.

Das Abteil ist fast leer. Nur eine junge Frau mit einem Kind auf dem Schoß sitzt in der gegenüberliegenden Fensterecke.

Auf Wiedersehen, Lene! Und denken Sic an Ihr Gepäck!"

Wizorck hat «ine charakteristische, scheue und huschende Art, einem die Hand zu reichen.

Auf Wiedersehen," sagt Lene und winkt mit dem Taschen­tuch, als der Zug sich in Bewegung seht.

Im Borbetfahren liest ste zum ersten Male den Namen der Station.Schwiebus", steht da in schwarzen Lettern aus weißem Grunde. Sie erinnert sich nicht, den Namen je zuvor gehört zu haben. Dennoch scheint er ihr wunderbar vertraut. Die ganze Gegend ist ihr vertraut, die flachen braunen Hügelketten, die blauen Wälder am Horizont, die Wasser­lachen, die die treibende» Wolken widerspicgcln.

Die junge Frau von gegenüber fragt, ob Lene zum ersten Male diese Strecke führe.

Ja, zum ersten Male.

Ob sie auch über die Grenze wollte.

Ja...

Und ob sie ihr vielleicht behilflich sein würde. Es wäre nicht leicht, mit dem Kinde und mit dem vielen Gepäck zu reisen. Und es würde für sic viel bedeuten, wen» Lene ihr bei der Kontrolle das Kind abnehmen würde, damit sic in Ruhe ihre Koffer öffnen könnte.

Gewiß. Lene ist sehr gern dazu bereit. Die junge Frau stammt aus der Gegend von Liffa und war mit dem Kinde bei ihren Eltern, die jetzt in Lübeck wohnen. Sie hat ein ent­schlossenes, starkknochiges Gesicht unter fahlblondem Haar, und ihren Händen sicht man an, daß sie das Arbeiten ge­wohnt sind.

Lene faßt Vertrauen und erzählt, daß sie Verwandte über der Grenze hätte. Sie erzählt auch, daß sic ans Berlin käme und niit dem Auto bis Schwiebus gefahren wäre.

Ach..."

Die junge Frau sieht von Lenes Händen auf Frau Seif- ferts Eidechscnschuhe.

Das Kind auf ihrem Schoß jauchzt und kräht und lacht aus blauen Augen in die Welt.

Lene nimmt den schwarzen Koffer aus dem Netz und bringt die Schokoladentafeln zum Vorschein. Sie will dem Kinde die Hälfte der Tafel schenke», aber die Mutter läßt nicht mehr zu als ein kleines Stück. Man sollte Kinder nicht verwöhne», sagt fle. Die Zeiten wären nicht danach, und cs wäre für Kinder besser, wenn sic zur Einfachheit erzogen würden. Sie selber hätte es hart genug kcnucngclernt, was cs hieße, sich Ansprüche abzugewöhnen.

Lene erfährt, daß der Mann der jungen Frau eine Land- stclle in der Gegend von Lissa besitzt. Es sind vier Kinder im Haus,- und cs hat in den verflossenen Jahren viel Schweiß gekostet, den Besitz zu halten.

Aber wir halten ihn schon," sagt sic. ,Mir beißen »nS durch..."

Sie hat eine ruhige, bestimmte, aber keineswegs schroffe Art. Ihre hellen Augen sind gut und zuverlässig.

Lene erzählt von Berlin und wickelt schließlich die grünen Bettschuhc aus.

Die blonde Frau lächelt. Sie wären sehr hübsch. Aber ob sic auch praktisch wäre»?

Etwas enttäuscht schiebt Lene die Schuhe wieder in den Koffer zurück. Dabei stellt fle fest, daß der Koffer von innen nicht mehr so neu aussieht wie von außen. Das blaue Moir6- futter scheint an den Ecken ein wenig abgenützt und weist Leimspuren auf, als hätte es jemand gelockert und wieder angcklebt. Und Wizorck hat de» Koffer doch erst gestern gekauft!

Ich denke, es ist Zeit, daß wir UNS fertigmachen," sagt ihre Reisegefährtin.Wir sind gleich in Neu-Bentschcn."

Der grünuniformierte deutsche Zollbeamte lächelt, als

Lene das geöffnete Köfferchcn vor ihn hinschiebt. Lene hält das Köfferchcn mit der linken Hand': auf ihrem rechten Arm sitzt daS Kind, artig und blauäugig, und sieht verwundert auf seine Mutter, die mit dem Entwirren vieler und seltsamer Gepäckstücke beschäftigt ist.

Sie machen einem die Arbeit leicht, Fräulein," sagt der gutmütige Beamte und schlägt ddn schwarzen Kosfer wieder zu. Lene muß ihren Paß zeigen; hinter dem Beamten taucht ein Herr in Zivil auf und notiert etwas in ein schmales, schwarzgebundeues Büchlein.

Dann ist alles vorüber. Der Zug setzt flch wieder in Be­wegung; die blonde Frau ordnet einiges an ihrem Gepäck und fängt an, das Kind einzubündcln. Die Kontrolle wäre in letzter Zeit wieder schärfer geworden, erzählt ste dabei. ES wäre wohl mancherlei geschmuggelt worden.

Lene ist interessiert. Vor ein paar Monaten hat sie im Kino ein Stück gesehen, in dem es sich um Schmuggel drehte. Aber die Frau ist leider nicht in der Lage, nähere Auskunft zu geben.

Der Zug hält wieder; Lene steigt zuerst aus und bekommt dann das Kind in den Arm gedrückt. Die Frau folgt mit dem Gepäck. Männer in schwarzgrauen Uniformen tauchen auf; das Kind auf Lenes Arm wird unruhig und muß leise geschaukelt werden.

Es geht treppauf und treppab, ein riesiger Schuppen öffnet sich. Das Kind fängt an zu weinen. Lene muß den schwarzen Koffer auf ddn Boden setzen, um es zu beruhigen.

Die Zollbeamten sind ruhig und höflich. Lenes Köfferchcn findet kaum Beachtung. Auch das Gepäck ihrer Gefährtin ist rasch erledigt.

Dann steht Lene nach kurzem Abschied von Mutter und Kind einsam auf dem fremden Bahnhof. An den Wänden auf der Treppe sind Worte, die man nicht lesen kann, Buch­staben, deren Sinn nian nicht versteht. Frauen, die vorübcr- gehcn, sprechen in unverständlichen, zischenden Lauten.

Lenes Herz krampst sich zusammen. Sie steht einen Mann in einer schwarzgrauen Uniform und findet den unbegreif­lichen Mut, ihn anzusprechcn und »ach dem Wartesäal zu fragen.

Der Mann antwortet auf Deutsch und gibt ihr freundlich Bescheid. Ms Lene ihm dankt, hat er ein Keines blinzelndes Lachen in den Augenwinkel».

Lene hat etwa anderthalb Stunden auf Wizorck zu warten. Die Zeit wird nicht lang; cs gibt viel zu hören und zu sehen. Sie hat einen Platz dicht am Fenster gefunden; an den Tischen ringsum sitzen festtäglich gekleidete Leute. Sie haben magere, gebräunte Gesichter, und es besteht irgendeine Aehnlichkcit zwischen ihnen und der blonden Frau aus dem Zuge. Ein weißhaariger Man» hat die Ellbogen aufgestüht, den Kopf in die knotigen braunen Hände gelegt und ist ein- gcschlafen. Sie lachen über ihn und müssen ihn wachrütteln; denn es ist Zeit zur Abfahrt.

Lene wird schläfrig. Es Ist warm im Wartcsaal, das zischelnde Geschwätz der Bauersfrauen dringt als einförmiges Geräusch an ihr Ohr und läßt die Lider schwer werden. Und man hat in den letzten Nächten wenig Schlaf bekommen und war heute morgen vor Aufregung schon mit der ersten Hellig­keit wach.

Ein Schatten fällt über die buntgewürfclte Tischdecke, und Lene taumelt erschrocken in die Höhe.

Ist es wirklich Wizorck, der da neben ihr steht und sich an dem schwarzen Koffer zu schaffen macht?

Sie ist so schlaftrunken, daß sie ihn nicht gleich erkennt. Und W'äorrt» Gesicht will ihr im ersten Augenblicke des Er- wachent wunderlich fremd Vorkommen. Es Ist fahl und wie von tödlicher Angst verzerrt.

Lene fleckt mechanisch die Hand nach dem Koffer aus und will ihn au sich reißen.

Wizorck wendet den Kopf zu ihr hin und lacht kurz und heiser.

Sie haben geschlafen...," sagt er mit einer fremden und erregten Stimme.Sie haben ganz fest geschlafen, ohne auf Ihr Gepäck acht zu geben?"

(Fortsetzung folgt.)

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