Samstag / Sonntag, 2. / 3. Mai 1936
«Neueste Zeitung» Illustrierte Tageszeitung, Frankfurt a. M,
Nummer 102
Alle wollen „Kahfah“ trinken!
Der Siegeszug des Kaffees über die ganze Welt
— In der kleinen Hafenstadt Mokka, an der südwestlichen Küste Arabiens, lebte Anfang des 15. Jahrhunderts der gottes- siirchtige Derwisch Hadschi Scheich Schcdeli. Der fromme Scheich ging oft ans Reisen, ptlgcrte nach den heiligen Stötten des Islams und lernte eines Tages in Medina ein schmackhaftes, schwarzes Getränk kennen, das eine wunderbar erfrischende Wirkung hatte und den Namen „Kahfah" trug. Er brachte einen Posten dunkelbrauner Körner mit nach Hause, aus denen „Kahfah" gekocht wurde, und bot eines Tages feinen Gästen das gute Getränk an.
Oer neue Trunk setzt sich durch
Es dauerte nicht lauge, bis der neue Trunk wett über die Stadt Mokka hinaus bcrühnit und beliebt wurde. Die kleine Stube des Scheichs Schcdeli konnte bald die Durstigen nicht fassen, die sich am „Kahfah" laben wollten. So entstand die e r st c Kaffee- stubc der 2BcIt, und der fromme Scheich machte gute Geschäfte und dankte Allah, dem Allmächtige», für seinen Beistand.
Spekulanten und Händler stürzten sich auf die neue Gcuiinn- möglichkcit, und der arabische Kaffee begann seinen S i c g e s z u g durch die weite Welt, lieber Aegypten verbreitete sich das braune Getränk schnell in allen von Mohammedanern bewohnten Gebieten Nordafrikas. Scheich Schcdeli wurde in der ganzen Jslam- wclt als „Ehrcnvater" des „Kahfah" anerkannt. Sein Sarg ist heute noch in der Moschee von Mekka zu sehen. Tore und Brunnen trogen seine» Namen, der von allen Gläubigen nach dem heiligen Namen des Propheten mit gröstter Ehrfurcht ausgesprochen wird.
Bald aber erhielt die Stadt Mokka einen gefährlichen Konkurrenten in der etwas südlicher gelegenen Stadt Hodejda, die gleichfalls Kaffee anszuführen begann und sich mit den Händlern von Mokka in die grasten Gewinne dieser Ausfuhr teilte.
Zweifellos war „Kahfah" in Arabien schon viele Jahrzehnte vor seiner Entdeckung durch den Scheich Schcdeli bekannt. Die Kaffcekullur wurde im 15. Jahrhundert aus Abessinien verpflanzt. Dort, in den tropischen Gegenden Mittelafrikns, in den abessini- schen Provinzen Schon, Euara und Kaffa war die Urheimat des des Kaffeebaumcs.
Der erste geschichtlich authentische Bericht über den Kaffcegenust stammt aus dem Jahre 1587. In der vom arabischen Würdenträger Imam Abd-el-Kader zu jener Zeit verfaßten Schrift wurde erwähnt, daß die arabische» Theologen während ihrer Diskussionen sich mit Kaffee zu stärken pflegten. „Dieses Getränk", behauptete der Imam, „hält die Sinuc frisch, bezwingt die Müdigkeit und hilft den Gläubigen mit noch größerem Eifer und Begeisterung de» Ruhm Allahs zu verkünden".
Nach der Stadt Mokka führt die beste Kaffcesortc ihren Namen. Die arabische Kaffecproduktion ist so unbedeutend, daß sie kaum für die Belieferung des mohammedanischcii Orients ausrcicht. Die Ladungen gehen aus Pemcn nach Damaskus, von wo sic den weiteren Weg nach Basra, Kairo und Konstaniinopel antrete».
Kampf um den Kaffee
Wie jede Neuerung, mußte auch der Kaffee, bevor er sich allgemein Geltung verschaffen konnte, einen schweren Kampf .durchwachen. Die Vorgänger des kaffcefrcuudlichen Imams Abd-cl-Kadcr waren für das schivarze Getränk nicht zu haben. Im Gegenteil, die streng-gläubigen Kadis und Jiname der heiligen Städte Mekka und Medina gaben wiederholt ihrem Abscheu und ihrer B e r a ch t u n g für die dunkelbraune Flüssigkeit Ausdruck. Da der Kaffee im heilige» Koran nirgends erwähnt sei, verstehe es sich von selbst, so meinten die Kadis, daß die frouunc» Anhänger der Mohammed-Lehre ihn nicht genießen dürfen. J„ den theologischen Lehranstalten diskutierte inan leidenschaftlich über die Frage der Zulässigkeit des Kaffees.
Im Jahre 1511 erließ die theologische Hochschule in Medina eine Botschaft an das gläubige Volk, in der das Kaffee- trinken verdammt wurde, weil der Kaffee die Sinne auf- rcgt und die Leidenschaften aufpeitscht, oft schlimmer noch als der „Wein". Darauf wurde der Genuß von Kaffee durch eine Verordnung des Pascha Khair Mcj streng verboten. Die unverbesserlichen Kasseetrinker wurde» mit 85 Pcitschcnschlagen auf die nackten Sohlen bedroht.
„Seine Torheit bewiesen . .
Das Schicksal wollte es aber, daß der Sultan der Mameluken In Kairo eines Tages den Wunsch äußerte, von dem berüchtigten Getränk zu kosten. Es schmeckte ihm so gut, daß er die Verordnung des Paschas von Medina mit sofortiger Wirkung nufhob und den Pascha selbst, der durch „ein unsinniges Verbot seine Torheit bc- Ivicscu hatte," in die Verbannung schickte.
Trotz dieser Verfügung dauerte der Kaiupf der mohammcdani- scheu Geistlichen und Theologen um den Kaffeegennst »och viele Jahre. Es entstand sogar eine ganze theologische Literatur, die sich mit den nützlichen oder schädlichen Eigenschaften des Kaffees beschäftigte und letzten Sudes für den Kaffecgcbrauch auch die größte Propaganda machte.
Ani Anfang des 16. Jahrhunderts wurden in Kairo die ersten Kaffccstubcn eröffnet. Es dauerte aber noch einige Jahrzehnte, bis der Kaffee auch in der türkischen Hauptstadt Konstauttnopcl öffentlich genossen werden konnte, lieber 1000 Kaffecstuben entstanden in dieser Zeit.
Durch Vcrniiltluug eines deutschen Arztes, Rauivolf, gelaugte die Kunde vom „schwarzen Getränk" 1582 nach Europa. Aber erst 1621 brachten venezianische Kanflcute einen größeren Posten Kaffee auf den italienischen Markt. 1671 entstanden die ersten Kaffeehäuser in Marseille und Paris und zwei Jahre später in Wien, von >vo aus sic sich schnell in allen deutschen Ländern verbreiteten.
WAV
y - 1 d
Neue VerkehrsstraQen in Nord-Abessinien
Die Italiener sind mit allen Kräften bemüht, die katastrophalen Straßenvcrhiiltnisse in Abessinien zu verbessern. Unser Bild zeigt den Bau der neuen Straße von Bnlo nach Burti-Belct-Ucn.
(Aufn.: Associated Preß.)
Eilig)
„Dort kommt der Zug und ich kann nicht anhaltenl“ „Fahr nur drauilos, ich bezahle die Lokomotive!"
(„Tidens Tegn.")
Freundliches Angebot.
„Sehr geehrter Herr Direktor!" schreibt der Vater an den Leiter der Schule seines Sohnes, „falls mein Rudolf weiterhin so faul sein sollte, möchte ich Sie bitten, ihn in meinem Namen gründlich zu verprügeln. Zu Gegendiensten gern bereit, zeichne ich ergebcndst Max Krause."
(Vera Nüjcn)
(dmfäalicfieRÄTSEL
Aus den Alpen:
Wenn ein Komponist aus Norden wird vermengt mit Alponfluß, iet’s ein Alpent.al geworden, das zu schaiton ein Genuß.
»■“ 1 *■ 'iifij Mi
GM
!v;
ff Jü
Englands Radfahrer trainieren für die Olympiade
Start des englischen Rennfahrers C. T. King zu einem 10(10 in Rennen, dns als Wertung zur Olympia-Ausscheidung auf der Londoner Herne-liill-Bahn gefahren wurde
Magische Figur:
AAAAAAAAA 13 I3DD EEEEEEEEE 15 E E KKKKK LLLLLLL1 M NN 00 11 RllliR SS T T T T T T V.
Diese Buchstaben trage man derart in die Figur ein, daß waagerecht und senkrecht gleichlautende Wörter von nachstehender Bedeutung entstehen.
1. Feingefühl, 2. Büsscr, 3. Eßgeriit, 4. Gradeinteilung, 5. italienische Stadt, 6. WUstcutier, 7. Geschäftsbuch, 8. Schüler, 9. Kohlenwagen, 10. alte Münze, 11. Nebenfluß der Maas.
Kreuz und quer:
.- Worden auf die Striche die Silben a — ar —
— . — bru — dor — graf — in — kn — kof — lei — lio -. — o — raf — rnnt — stak richtig verteilt, und
— . — wird an Stelle der Punkto eine und stets die gleiche
.-zu erratende Silbe eingetragen, dann sind in den
— . — waagerechten Reihen Wörter von folgender Bedou-
-. tung zu lesen: 1. russ. Miinncrnamo, 2. Malgerät,
3. Flasche, 4. Gift, 5. Monat, 6. kaufmiinn. Ausdruck, 7. Spange,
Zwischenschaltung:
Füll — gel, Hu — sei, Ba — gcl, Pri — den, Ra — nor, Kot — tc, Spi — kcl. Es sind passende Zwischensilben zu suchen, die als Vor- oder Nachsilbe zu den gegebenen Silbenpaaren jo ein Wort ergeben. Die Anfangsbuchstaben dieser Zwischcnsilben nennen eine ital. Nationalspeise.
Visitenkarte:
Lydia M o p e.
- ^
An welchen internationalen Spielen nimmt diese Dame teil?
Lösung des Silbenrätsels:
1. Weide, 2. Ornat, 3. Gedicht, 4. Email, 5. lila, 6. Dolde, 7. vierzehn, 8. Oswald, 9. Riesa, 10. Auge, 11. Niete, 12. Globus, 13. Eifel, 14. Hafer, 15. Treppe, 16. Sonne. — Wo Geld vorangeht, sind alle Wege offen.
Lösung des Rösselsprungs:
Wenn der Frühling auf die Berge steigt / und im Sonnenstrahl der Schnee zerfließt, / wenn das erste Grün am Baum sich zeigt / und im Gras das erste Bliltnlein sprießt — / Wenn vorbei im Tal / nun mit einem Mal / alle Regenzeit und Wintcrqual: / Schallt es von den Höh’n / bis zum Tale weit: / 0 wie wunderschön / ist die Frühlingszeit! Bodenstedt.
Lösung der Verschmelzungsaufgabe:
1. Mandarine, 2. Alphorn, 3. Goldregen, 4. Donnerstag, 5. Eulengebirge, 6. Berolina, 7. Usedom, 8. Ruhrgebiet, 9. Getreide. — Magdeburg.
■ J •# I
L
(11. Fortsetzung.)
Wenn ich das doch auch so könnte! — dachte Uioc und fragte sich im stillen, wie er es anfangen solle, ebenfalls solche wunderbare Sonimersprossen zu bekommen, wie sie Oskar besäst. Wahrscheinlich taugten bloß Knaben mit Somuiersprosseu etwas! Er stand neben dem älteren Jungen und schaute bald bewundernd auf den Papierdrachen, bald ehrfurchtsvoll auf Oskar, bald verächtlich auf Bärbels Vater, der noch immer mit seinem verletzten Knie beschäftigt war — er hatte sich eben an eine Kunst herangewagt, die er nicht beherrschte und die einen ganzen Knaben erforderte.
Christian saß neben Herbert Fuger, betrachtete bald de» Riß im Hoscnknic seines Freundes, bald den Helden Oskar, der den Drachen mit Geschick lenkte, bald seinen Sohn Uwe — der eben wieder verdrossen hcrübcrsturrte. Was hatte der Junge bloß —?
„Uwe, komm her!" rief er.
Im gleichen AuWnblick rief auch der Kapellmeister: „Bärbel! . . . Bärbel! . . . schnell, schnell!" Er winkte.
Doch Bärbel tat so, als höre sie nicht. Sic wußte noch kaum, daß sie lebte, aber weibliche Eigenschaften zeigte sic schon. Eine Frau bcivundcrt unwillkürlich immer den Sieger. Oskar hatte heute gesiegt. Deshalb stand Bärbel jetzt neben Oskar. — Ihr Vater mochte nur immer rufen! Er war unterlegen! Und wie schmählich! Solche Väter haben gar nichts zu befehlen!
Und Uwe hörte nicht, weil Oskar eben sagte: „Nn steigt er noch höher!" Der Drachenlenker hatte bei diesen Worten die Schnur bis zum Ende abgcrollt.
Christian stieß seinen Freund an: „Na, mir schwant, daß wir beide cS mit diesem Oskar nicht aufnchmen können! Unsere Sprößlinge scheinen uns nicht kennen zn wollen!"
Der andere antivortete darauf nichts. Er bemühte sich ungeschickt, de» Hoscnriß mit einer Sicherheitsnadel notdürftig zusammcnzusteckcn.
Christian blickte aufwärts: Zwischen Himmel und Erde schwebten die Papicrdrachcn, leicht und manchmal auch träge; iver sie so sah, dem ward froh umS Herz. Ein Flimmern, gläsern und köstlich, ivar in der Luft. Und eine heidnische Heiterkeit lag über der Erde. Christian dachte an nichts — er war wunschlos.
Dachte er wirklich an nichts? War er wirklich wunschlos? War cs nicht vielmehr so, daß di« Wolken immer wieder das Antlitz Annagrcts zu formen suchten?
Ein gellender Aufschrei des Sommersprossigen riß ihn aus seinem Sinnen.
Er sprang hoch: Oskar hatte ausgeschrien, weil sich dort oben in den Lüften der Sck)weif seines Drachens mit der Quaste eines anderen Papicrungeheucrs verfitzt hatte. Die Knaben schauten ratlos und verzivcifelt himmelwärts. Bärbel heultc; so fühlte sie das Weh mit, das Oskars Drachen dort oben erduldete.
Das fremde Ungeheuer, das mit Oskars Luftseglcr zn- saniinengeraten war, gehörte einem großen, unleidlich aus-
Jungcn — der brüllte jetzt zu Oskar gewandt: „Ick ausc dir eene, bette keen Fahrschein zu Hause brauchst!" Dabei riß er in seiner Wut so kräftig an seinem Drachen, daß der oben einen Bogen machte, in eine Bö geriet, kopfüber abstürzte und Oskars Drachen mit sich rist.
Der Sommersprossige zog grimmig an seiner Leine. Vergebens.
Die beiden Drachen, einer an den anderen gefesselt, torkelten zur Erde nieder.
Aber alles Zerren an der Schnur half nichts mehr. Die zwei Drachen hatten sich am Rande des Feldes — in der Nähe, wo die Knabe» eben standen — in dem Wipfel einer Linde verfangen. Dadurch lvurde ein Schwarm von Staren aufgescheucht.
Wie nun der kleine Hein die Vögel auffliegen sah, vergaß er sogleich das andere — Drachen und Spielgefährten waren plötzlich unwichtig geivordcn. Er ließ keinen Blick von den Vögeln mehr, die auf den nächsten Baum zuflogen. Hein lief sofort dorthin. Bärbel folgte. „Sieh doch!" sagte er und wies auf den Baum. „Sich doch die Vögel!" Die Stare saßen auf den Zweigen und tuckten. Hoch oben, aut Stamm ivar ein Brnthäuschcn angebracht — ein Star schlüpfte gerade durch das runde Loch des Häuschens imb verschwand.
Da rief Bärbel aus: „Nu is er in die Garage gegangen!"
Aber Hein hörte gar nicht mehr hin. was seine kleine Freundin sagte; er sah nur die Stare! Und da mußte er an die Amseln denken, die er gemeinsam mit Uwe und Christian im Blockhof gefangen hatte. Und da er an dieses Abenteuer dachte, erinnerte er sich auch tviedcr jener Geschichte, die ihm Uwes Vater von den hungrigen Waldvögeln erzählt hatte:
Wie Christian, damals selbst noch ein Knabe, im Walde den hölzernen Mann uachgeahmt hatte — dns alles war jetzt Hein gegenwärtig. Versonnen stand er da, hörte nichts mehr von dem Trubel der anderen, nur auf die Vögel starrte er.
Plötzlich erhielt er einen Stoß — es war Uwe, der mit den anderen Knaben an Hein soeben vorübcrcilte. Die Horde rannte zu dem nächsten Baum, in dessen Wipfel sich die beiden Drachen gefangen hatten.
Jetzt wollte Christian eingreifen. Er rief dent Kapellmeister etwas zu und lief dann, gefolgt von seiner Schäfer- Hündin, ebenfalls hin. Die Kinder beratschlagten gerade, wer nun auf den Baum klettern sollte. Die beiden — die cs eigentlich anging — Oskar und der frcnide große Junge — waren in einen heftige» Wortwechsel geraten und hatten daher noch gar nicht erwogen, ob sie ihre Drachen vom Baum herunter» holen sollten.
„Du bist schuld! Du! Ick hau dir eene uff deine Aprikose!" schrie der fremde Junge.
„Neei Du bist schuldl Du hast woll lange »ich dein eijenet Jeschrei jehört — ?' brüllte Oskar schlagfertig zurück; Straßenworte hatte er stets mundgerecht.
Unterdessen kümmerte sich Christian nicht weiter um die zwei Kanipshähne, sondern kletterte unverzagt an dem Baum . _ empor, von Ast zu Ast, immer höher. So geschickt machte das Wegs einverstanden, weil er Sibyll auf diese Weise zu ver
der junge Vater, daß die beiden Drachenleukcr von ihrem Streit ablicsten und auf ihn gafften. Da nun alle mit bewundernden Blicken das Tun des Baumklctterers verfolgten, war Uwe auf einmal sehr zufrieden damit, daß gerade Christian sein Vater war.
Der löste jetzt die Drachen aus dem Gewirr der Zweige und warf sie auf die Erde. Der fremde Junge nahm seinen Drachen und trollte sich maulend.
Oskars Drachen war leider beschädigt — hatte einen Riß.
„Das werden wir auch gleich haben!" beschwichtigte Möll den Sommersprossigen und griff in die Tasche. Er zog einen Bogen Pauspapier hervor — dabei fiel etwas zu Boden. Schnell bückte er sich — cs war ein Lichtbild von Annagrct, das er rasch wieder cinstcckte.
Dann nahm er das Pauspapier, riß davon einen Streife» ab: „So!" . . . Und nun müssen wir das Ganze »och fcst- klebcn!" Er suchte in allen Taschen, fand aber nichts. Oskar suchte, fand ebenfalls nichts als Murmeln, ein Messer, Kreide, zwei Nägel, ein Stückchen Draht — das alles ivarcn kostbare Dinge, gewiß! Bloß kein .Klebstoff war dabei; und den brauchte man jetzt! Die anderen Knaben kramten ähnliche seltsame Dinge aus ihren Taschen.
Da rief Christian zn dem Kapellmeister hinüber: „Herbert! . . . Wir brauchen was zum Kle—bc—»! . . . Hast du was???"
Der antwortete singend: „Ich habe nichts als ein zerrissenes Ho—se—n—kn—ie!"
Möll lachte und bekam dabei einen Einfall. Er holte aus seiner Brusttasche einige Briefmarken hervor, von denen viele noch gummierte Bogenründer hatten — er klebte damit das Pauspapier fest und heilte so den Riß. „So! . . . Nun wollen wir mal sehen, ob der Drachen steigt!"
Und er stellte sich auf. Oskar stieß den dicken Emil beiseite; er selbst ivollte Christian — gleichsam aus Dankbarkeit und Hochachtung — den Drachen halten.
Ein Ruck: Der Drachen stieg empor — höher und Immer höher.
Christian stand da und hielt mit sicherer Hand die Spule, ging einen halben Schritt zurück, dann wieder einen und tvicder einen. Kein Windstoß konnte dem Drachen mehr schaden.
Jetzt übergab er die Spule dem Sommersprossigen. Da er nun den Drachen viel höher getrieben hatte, als cs vorhin Oskar gelungen war, sagten sich die sachverständigen Knaben: Uwes Vater kann es sogar noch besser als Oskar! Das war ja geradezu schon ein Wunder! Christian hatte den Sonimcr- sprosstgcn gleichsam besiegt — anerkennend schauten die wachen Äugen der Jungen jetzt auf den Maler: Er hatte sein Ansehen bei den Knaben verstärkt; damit hatte auch die Würde aller Väter — deren Kaste vorhin der Kapellmeister durch sein Mißgeschick lächerlich gemacht hatte — wird hergcstcllt.
9. Kapitel.
Am Abend desselben Tages. Man saß zu dritt bei Tisch: Herbert Fuger, seine Frau Sibyll und Christian.
Der Maler war heute sehr zerstrcllt, da er noch keine Nachricht hatte, ob er den neuen begehrenswerten Posten bekäme, um den er sich beworben hatte.
Eben beobachtete er heimlich die Frau seines Freundes — eigentlich hatte sie sich nicht viel verändert. Gewiß, Sibyll sah gereifter aus als damals in Schwabing, wo sie ja nock ein weiches Mädchen gewesen war: Aber schon damals konme sie zuweileit etwas Entschlossenes zeigen, wenn cs sich um ihre Kunst handelt«. Ihre Sehnsucht nach der Bühne verdrängte dann schier alles, selbst di« Dinge des Herzens. Später, auch noch in den «rsten Jahren ihrer Ehe, hatte sie an verschiedenen Bühnen gesungen. Vor einigen Tagen hatte nun Sibyll einen Bühnenleiter kennengelernt, der sie auch als — Frau sehr zu verehren schien; der wollte sie gern verpflichten — er besaß in Zürich ein Theater. Ihr Mann war damit feines»
1 ' ' , weil - ' “ ' ”*■"
Tieren fürchtete: Deshalb war cs auch heute morgen zwischen den beiden zu einem erregten Auftritt gekommen.
Christian hatte — bevor sie mit den Kindern auf die Felder gelaufen waren — dem Freund versprochen, Sibyll ins Gewissen zu reden. Ein heikler Auftrag! Aber Herbert erhoffte sich davon viel, weil Sibyll früher — in der Münchner Zeit — stets auf Christian gehört hatte.
Eben stürmte Bärbel ins Zimmer und riß ihn aus seinen Gedanken. Sie beachtete ihren Vater gar nicht, sondern sttirzte auf den Maler zu und sah ihn geradezu verzückt an. Es hatte Bärbel sehr gefallen, wie Christian heute auf den Baum geklettert ivar, den Drache» hcruutergcholt und dann sogar besser als Oskar gelenkt hatte. Sic begrüßte den Gast mit der Frage: „Hast du einen Apfel für mich —?"
„Aber ich bin doch kein Apfelbaum!" lachte Christian auf. „Nur der trägt Aepfel!"
„Du trägst doch auch Aepfel!" erklärte Bärbel schlau und blinzelte mit ihren dunkle» Aeuglein ... „in deiner Tasche!"
„Jetzt trage ich keine Aepfel, sich mal nach!" Möll krempelte vergnügt seine Taschen um.
Sibyll fuhr dazwischen: „Bärbel! . . . Ich hatte dir doch verboten ..."
Uebcrraschcnd gcivandt lenkte die Kleine mit der schnellen Frage ab: „Wo is 'n der Uwe —?... Ich möchte mit ihm spielen!"
„Uwe liegt schon längst im Bett!" antwortete der Vater.
„Hast du gehört, Bärbel?!" ermahnte die Mutter. „Uwe liegt bereits im Bett und schläft — und du?? ... Los! Sag sofort allen Gute Nacht!" Ohne sich um das Stirnrunzcln ihre» Töchterchcns weiter zu kümmern, wollte Sibyll die Kleine auf den Arm nehmen. Aber Bärbel war in allen Kniffen, die verschmitzte Kinder gebrauchen, erfahren: Bärbel machte sich also schwer; man konnte schon sagen, daß sic geradezu am Teppich klebte. Aber cs nutzte ihr nichts. Auch das Strampeln blieb erfolglos — die Mutter hatte diesmal kräftig zugepackt. Die Erwachsenen sind eben stärker — dachte Bärbel und nahm sich im gleichen Atemzug vor, von nun au schneller zu wachsen; seufzend ergab sie sich und ließ sich ins Bett tragen.
Nach einer Weile kam Sibyll zurück.
Unterdessen hatte Herbert seinem Freund Zeichen gegeben, ihn an seinen versprochenen Dienst erinnernd. Er setzte sich ans Klavier, seine Finger gingen über die Tasten hinweg, mit einem Mißklang brach er ab, stand hastig auf, zündete sich unstet eine Zigarette au, tat einen Zug. dann legte er sic in die Aschcn- schalc und verließ das Zimmer.
„Sibyll!" begann jetzt Christian, als sic allein waren, „Sibyll... ich will mich keineswegs in fremde Angelegenheiten mische», aber..." er ging zögernd auf sie zu.
Sibyll hatte sich in einen Lehnstuhl gesetzt — der in einer Ecke stand, mit dem Rücken zur Tür.
Erstaunt und fragend sah sic ihn au.
Christian beugte sich zu ihr: „Sibyll!" Endlich fand er die richtigen Worte. Er sagte ihr. daß er heute von ihrem Mann alles erfahren hätte — er sprach freimütig, entgcgnete klar und offen, wenn sie allzu heftig erwiderte, wußte alle ihre Einwändc zu entkräften. Ja noch mehr — er verstand cs, ihr alles, was sie gereizt vorbrachte, wieder auszuredcn. Möll war seinem Freund ein treuer Fürsprecher .Zudem schien die Stunde seinem Auftrag günstig zu sein. Als ihm Sibyll erzählte, wie unglücklich sie ohne die Bühne sei, lächelte er ungläubig und sah sie mit einem guten Blick an — er wies daraus hin, daß Sibyll doch ein Kind habe und daß manche kinderlose Mutter glücklich wäre, so ein drolliges Töchterchcn — wie Bärbel — zu besitzen. Endlich gab Sibyll nach. Christian wurde es in diesen» Augenblick erst so recht bewußt, was für ein Verhängnis er seinem Freund da abgeivehrt hatte! — Mit frohen Augen blickte er Sibyll an.
Da hörte man draußen Schritte, einen kurzen Wortwechsel, ein Klopfen: Und schon wurde die Tür aufgerissen, eine weibliche Stimme rief: „Sibyll!" Und stockte dann: „Si—bhll..."
(Fortsetzung folgt.)