Samstag / Sonntag, S./S. NovemBer 1938 ..

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Deutsche Soldaten marschieren aus Rußland nach Hause

Generalprobe zur Parlaments-Eröffnung

Im Naditzug über die Grenze

) IWo NapoleonsGroße Armee" sich einst auflöste, marschierten deutsche Truppen

im November 1918 noch in Reih' und Glied

Von Karl Brammer

6. (Schluß)

Einen Tag später. Die Herrlichkeit von Sawischino ist gewesen. Im Morgengrauen geht's weiter. Die Witterung ist umgcschlagen, der Westwind bringt Schnee und Regen, so daß Mütze und Mantel bald von einer dicken Eiskruste überzogen sind. Die Wege sind mit einer Eisschicht bedeckt und glatt; nur mit scharfen Stollen können die Pferde vorwärts tonnnen Von schlechter Laune ist indessen nichts zu merken. Wenn es nach Hause geht, nimmt man auch einmal schlechtes Wetter in Kauf. Den Mantelkragen hochgeschlagen, geht cS stundenlang durch Wetter und Wind. Nur der Koch auf der Feldküche ist ärgerlich geworden, weil ihm der Schnee seine Pfeife ausgclöscht bat. Endlos scheint der Weg zu sein; glaubt man von einem Hügel aus das Ziel zu sehen, so läuft der Weg immer wieder durch die Schnecwüstc und verliert sich fast in der weihen Weite. Aber endlich hat er doch ein Ende. Ein grosses Torf kommt in Sicht. 'Da sind die Qua ticrmacher schon eifrig an der Arbeit und schreiben mit Kreide an die Türen und Fenster, was wir so ost lasen: I. M.-G, K., 2 Mann 2 Pferde. Etwas weiter als die Maschinengewehr-Kompanie müssen wir »och, dafür werden wir aber durch das vornehme Quartier entschädigt. Was uns gestern Sawischino war, muss uns heute Bolgdanowitschc sein. Auch von hier sind die Besitzer geflohen, noch stehen Kisten und Körbe mit Sachen in den Gängen und Räumen. In dem grohcn Saal, in dem neben guten Arbeiten polnischer Künstler Kopien flämischer Maler hängen, liegt das Stroh für unser Nachtlager.

Um die wichtige Heerstraße wirksam zu verteidigen, findet sich im Walde zwischen Starinki und Sosscnka ein SlcllungS- s y st c m, das von den Russen seinerzeit außerordentlich geschickt angelegt war; aüe Arbeit war vergebens, jetzt liegen die Gräben und Unterstände verschneit und verlassen da, wie ein Ding ohne Sinn und Zweck. Vor dem Dorfe Sosscnke überschreiten wir die festgefrorcne W i l j a. Dann gcht'S noch eininal zum Panjc ins Quartier. In der Nacht wird plötzlich alarmiert. Ein Posten will Maschinengewehrgcknattcr vernommen haben, findet aber überall Ungläubige. DcS Rätsels Lösung wird wahrscheinlich in einem Kolonncnwagcn zu finden sein, der über die Balken der Wiljabrücke holperte. Aus dem Osten bläst der Eissturm. Ta läuft jeder wieder schnell, fluchend oder lachend in die warme Panjcbude aufs weiche Stroh. Am andern Morgen sammeln sich die Truppen und Kolonnen, um vereint zu marschicrcu. Das Ziel des letzten Marsches ist Wileika.

Napoleon verläßt seine Armee

Die ersten Dczembcrtage des Jahres 1812 waren voll von ungeheurem Leid. Die Flucht der napoleonischcn Armee auf der Straße nach Wileika war regellos geworden, nur noch ganz wenige Verbände hielten zusanimcn. Immer stärker drängten die Russen nach, immer hcstigcr wurden ihre Angrisfe. Am 2. Dezem­ber griffen sic unter Tsckia plitz die Franzosen erneut an, sie versuchten, sich in der waldigen Gegend zu verteidigen, wurden jedoch zurückgcschlagen. Am 3. Dezember nahm der russische Führer dem Gegner IN Geschütze ab. Hinter Tschaplitz marschierte die russische Hauptarmec, die sich an der Bcrcsina vcrsammctt hatte. F ü r st K u t o s o w eilte persönlich nach den schnell vorge- tricbencn russischen Truppen, um hier die Führung zu über­nehmen. Der Fcldmarjchall kam am <t, Dezember 1812, diesem für Rußland so denkwürdigen Tage, an dem Napoleon sich erst entschloß, das Mißlingen seines Feldzuges der ganzen Welt cin- zugcstchcn, zum Uebcrnachtcn in Kossino an. An diesem Tage erfolgte dann in der Gegend Wileika die Bereinigung des baye- rischcn Korps Wrcde mit derGroßen Armee". Di- deutschen Truppen befanden sich zwar noch in guter Ordnung, sic muß­ten deshalb als N a ch h u t t r u p p e n den Rückmarsch schützen, so gut cs eben ging, aber den Zusammenbruch aufzuhaltcn, dazu waren sie nicht in der Lage. Napoleon erkannte das auch und war ein stummer Zeuge des Unterganges seiner Truppen. Er überzeugte sich von der Unmöglichkeit seines Planes, die Armee auch nur einigermaßen in Ordnung zu bringen und halt zu machen. Die Armee hörte einfach auf, zu bestehen, sie löste sich mit unglaublicher Schnelligkeit auf, so daß Napoleon mit dem Plan, Rußland allein zu verlassen, umzugehen begann. Nur eine Schwierigkeit mußte beseitigt werden: Wi; sollte er sich in Paris zeigen, da alle Berichte fünf Monate hindurch unaushörlich seine Siege auSposaunt hatten? Die Völker waren -niederträchtig be­logen worden. Der 28. Heeresbericht stammt aus Smolensk, cs wird gemeldet, daß der Winter begonnen hat, und daß 3000

Packwagenpfcrde gefallen und gegen 100 Munitionskastcn zurück- gelassen seien. Von dem weiteren Rückzug der Armee ist darin mit keinem Wort die Rede.

DasLeidien-Bulletin"

Doch auf die Dauer konnte auch Napoleon die Wahrheit nicht verheimlichen. So entschloß er sich denn endlich zur Ausgabe des 29. und letzten Berichts, des sogenannten L e i ch e n b u l l.'. t i n r, in dem er zwar noch immer behauptete, allerorten den Sieg davon- gctragen zu haben, jedoch in scharfen Zügen da« erlittene Unge­mach darstcllte und lediglich den russischen Winter -für den Zusammenbruch als Grund angab. Der Schluß dieses sehr merk­würdigen Berichtes enthält die Bemerkung, daß die Gesundheit Napoleons nie besser gewesen sei. Das war leicht erklärlich, da Napoleon in einem Wagen fuhr, jede Nacht im Bett schlief, gewohntcrweise ein nahrhafter Mittagsmahl zu sich nahm und seinen beliebten Burgunder trank. Aber die Bemerkung war ein blutiger Hohn für die armen Menschen, die sich im jämmer­lichsten Zustande durch die russische Schncewüste schleppen mußten. Der letzte Bericht Napoleons wurde am 1. Dezember 1812 aus- gegcbcn, an diesem Tag befand sich der Kaiser auf der Fahrt von Molodctschno, wo er 24 Stunden geblieben war, nach Smor- gon. Schon tag§ zuvor war eine Meldung des Marschalls Viktor ringelaufen, wonach der Anführer der Nachhut nicht mehr für die Sicherheit der Hauptarmec hasten zu können glaubte. Zwischen Borissow und Smorgon hatte sich das traurige Schicksal der Großen Armee endgültig erfüllt. Zu retten war nichts mehr, so entschloß sich Napoleon denn, die Armee zu »erlassen. Am ü. Dezember eröffnete er den Marschällcn seinen Entschluß mit der Begründung, daß seine Anwesenheit in Frankreich unumgäng­lich notwendig sei, um den Westen Europas in Gehorsam zu erhalten und um eine neue Armee zu bilden. Gegen 8 Uhr abends fuhr Napoleon bei 28 Grad Kälte von Smorgon nach Paris ab. Er saß in einer Kutsche, die man einem Gutsbesitzer abge- nommcn hatte, neben ihm Caulaincourt, unter dessen Name der Korse heimlich durch Deutschland reisen wollte. Auf dem Bock saßen ein poinischer Offizier und Ru st an, der Mameluk, der Napoleon seit dem Feldzüge in Aegypten überall begleitete. Dem fliehenden Kaiser aber folgten die Flüche und Ver­wünschungen derer, die er in so grauenvolles Eiend hinein- gcführt hatte,

Absdiiedl von Rußland

Uns lockt Wileika, Der Atem der Pferde dampft, aber nie­mand achtet der Kälte, niemand scheint sie zu spüren. Ach, du lieber Gott, cs ist doch nur ein Nest, wie eben alle russischen Nester, aber es ist doch eine Stadt, man kann Zigaretten kaufen, und auch ein Bahnhof ist da. Auf der Strecke kann man einen fahrenden Zug vielleicht sehen, vielleicht gibt cS auch Post und Zeitungen, Ihr in der Heimat dürft nicht lachen über solche Einfalt, cs ist uns tatsächlich ernst damit und ihr könnt euch auch nicht recht vorstcllcn, wie das ist, wenn man so wochenlang ohne Nachrichten, ohne Verbindung durch fremdes Land gelaufen ist. Wieviel mehr steigert sich die Sehnsucht danach, letzt wo es »ach Hause geht? Die Kameraden, die setzt noch unterwegs sind, wissen ja, daß alles nicht so schnell geschehen kann, wie sic wohl wünschen, sie wissen auch, daß nichts übereilt werden darf und daß alles in Ordnung geschehen muß. Die napolconische Rückzugsstraße war allen ein warnendes B e i s p i e l. Aber leicht ist in den letzten Stunden das Warten nicht gewesen und gerade jetzt ist die Ungeduld so verständlich, Ter deutsche Soldat denkt auch jetzt zuerst nicht an sich, sondern an die, die daheim auf ihn warten.

Als wir bei Malmvgi aus dem Walde herauskommen, leuchten in der Ferne die Kirchen Wileika? auf. Da geht? wie ein hörbarer Ruck durch die Knochen, Die Werstzahl wird immer kleiner und bald zeigt der Pfahl an der Straßenseite nur noch ihrer zwei an Wirklich die letzten? Man kann cs noch gar nicht glauben, daß das Marschieren durch das weite Rußland nun bald ein Ende haben soll. Durch welche Gegenden sind wir , in all den Jahren gezogen, ganz gleich zu welcher Jahresz'cit! Hungernd und dürstend, schwitzend und frierend, fröhlich und traurig, singend und fluchend! Und das soll nun aller bald au? und vordci sein? Da steht schon wieder der Pfahl und daraus steht eine Eins, Schon ziehen wir durch die Straßen der Vorstadt, Da ist auch der Bahnhof, der rote Waffcrturm und da fährt auch schon eine Lokomotive; ein Gefühl ungeheurer Leichtigkeit ist in

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Am nächsten Dienstag findet in London die feierliche Parlamentseröffnung mit einer Thronrede statt. Unser Bild zeigt die Generalprobefahrt der Staatskutsche des Königs vor dem Haus der Lords. (Presse-Photo)

allen; jegliche Müdigkeit ist auS den Gliedern gewichen. Da hält er einen nicht mehr länger, er stimmt ein altes trutziges Sol­datenlied an, andere singen mit, und so ziehen.svi^singend in Wileika ein, Die erste Phase des Rückmarsches für' vir'Trup- pen der Marschstraßc hat ihr Ende gesunden. Der Rückzug ist glücklich und ohne Zwischenfall verlausen. Das gibt die Hojsnung, daß auch alles Folgende gut vor sich gehen wird/denn in den Truppen, die jetzt von vorn kommen, ist das Bewußtsein von der Notvendigkeit de? Zusammenhalten? lebendig und dies Bewußt­sein wird hoffentlich auch bleiben, bis der letzte deutsche Soldat den russischen Boden verlassen und die Heimat glücklich erreicht hat.

Ter N a ch t z u g rollt durch das dunkle Land, der Heimat entgegen. Im Ahtcil, das von einer Kerze erhellt ist, sitzen auch ein paar Elsässer, die in die Heimat fahren. Jeder geht seinen Gedanken nach, nur einer mit flackernden Augen schaut in das

Licht, Und dann singt er zögernd: Allons onkants de la patrie... dir Marseillaise, Ich kann mir nicht helfen, aber da? haben wir anderen, die wir doch Kameraden des einen waren, nicht verdient. Ein weher Gefühl steigt in der Brust auf. Die Elsässer sehen einander an, sagen nichts. Als dann aber einer ein deutsches elsässischcS Volkslied ansttmmt, fallen alle übrigen wie mit einem Schlage ein. Der Mann in der Ecke ist ganz still geworden und hat kein Wort mehr jzesagt, Abschied von Rußland! Wie im Zaubcrfluge gleiten noch einmal die vier Kriegsjahre an uns vorüber und verschwinden im Dunkel, wie das Land da draußen. Die Räder rattern und dröhnen. . . weißt du noch , . . weißt du noch , , ,? Ja, ja, wir wissen c? noch, die vier Kriegsjahre sind ein Stück unseres Lebens, sie sind unauslöschlich. Tic schwere KricgSzeit im fremden Lande hat uns die Heimat nur noch teurer gemacht.

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Seitdem es12 Zigaretten zu 50 Pf "gibt,ist das Verlangen nach OVERSTOLZ dreimal so gross geworden wie die Nachfrage nach allen übrigen Marken ihrer Preislage zusammen.Das dürf­te der beste Beweis dafür sein,wie günstig sich die Frischhaltung der OVERSTOLZ auf die Qualität einer echt mazedonischen Tabakmischung auswirkt!

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