Sin jVIärcben.
© Seit der Zusammenkunft Kaiser Wilhelms mit dem Zaren in Potsdam, auf die die Erklärung der russischen Regierung folgte, daß fich Deutschland und Rußland verständigt hätten, keine der beiden Mächte wolle feindlich gegen die andre arbeiten, ist man in gewissen Kreisen Frankreichs aufs höchste beunruhigt. Dieser Unmhe hat vor einigen Tagen auch Deschauel, der Präsident der Kammer - Kommission für die auswärtigen Angelegenheiten, Ausdruck verliehen, indem er darauf hinwies, daß niemals daS Zusammenhalten der Diplomatie Frankreichs, Englands und Rußlands notwendiger gewesen sei, als gerade jetzt, wo (durch Österreichs große Flottenrüstungen) der Dreibund einen neuen gewaltigen Machtzuwachs erhalte.
Tripel-Grrtertte gegen de« Dreibund,
(d. h. das Abkommen zwilchen Frankreich. Rußland und England gegen das Bündnis von Deutschland, Österreich-Ungarn' und Italien), das ist die Formel, auf die, in dürren Warten auSgedrückt, Herr Deschanel seine politische Weisheit brachte. Daß er dabei Eng- land und Rußland zur Sicherung (soll heißen Verstärkung) ihrer Rüstungen ermahnte, ist selbstverständlich. Aber Herr DeSchanel mußte eine böse Enttäuschung erleben. Die.Daily News' fertigen seine Politik in einem eingehenden Artikel folgendermaßen ab: „Bon unserm englischen Standpunkt auS gibt es überhaupt keine „Tripel-Entente", nämlich eine Gruppe von drei Mächten mit einer gemeinsamen auswärtigen Politik. Wir haben uns mit Frankreich über gewisse Angelegenheiten verständigt, und uns mit Rußland über gewisse andre Dinge geeinigt. In beiden Fällen sind enge und bestimmte Grenzen gezogen. Wir haben unS Frankreich gegenüber zu einer gewissen
Politik i« Afrika
verpflichtet und erwarten von ihm eine Gegenleistung (Marokko gegen Ägypten?) Wir haben ein gewisses Geschäft mit Rußland (Persien und T'bet) und ein andres-Geschäft mit Frankreich abgeschlossen, aber das will nicht heißen, daß wir mit einer der beiden Mächte eine allgemeine PartnerschM eingegangen sind oder uns gar mit beiden zu einer Partnerschaft von dreien geeinigt haben. Was immer für Beziehungen zwischen Rußland und Frankreich bestehen, von den unsrigen sind sie ganz unabhängig. Wir haben nichts mit diesen Bezieh, mgen zu tun. Von einem mit R ßland und Frankreich zu einem Dreibund vereinigten England zu sprechen, ist also eine
willkürliche Erttstellrrrrg der Tatsache»,
und zu behaupten, daß diese drei Mächte gemeinsam eine auswärtige Politik verfolgen, ist ein doppelter Fehler. Außerhalb der Dinge, über die wir uns mit Rußland geeinigt haben, ist es möglich, daß unsre Interessen — und sie tun es in der Tat in der Türkei und der Mandschurei — in Konflikt geraten. Außerhalb der Angelegenheiten, über die wir uns mit Frankreich geeinigt haben, mögen unsre Interessen von denen Frankreichs bedeutend abwetchen. Folglich gibt es keine Tripel-Entente und keine gemeinsame englisch »russisch- französische Politik, und deshalb ist auch kein Grund vorhanden, weshalb wir nicht auf dem freundlichsten Fuße mit den
Mitglieder« deS Dreibünde-
stehen sollten. Die Politiker, die das Märchen der Tripel-Entente so eifrig verbreiteten, möchten England mit aller Gewalt in .einen Kampf mit Deutschland verwickeln. Gerade jetzt, wo die Aussichten auf eine vollständige und intime Verständigung mit Deutschland so günstig sind, ist es unsre ernsteste Aufgabe, das Märchen von der Tripel-Entente zu zerstören." Es ist, seitdem König Eduard die Leitung der diplomatischen Geschäfte seines Landes in die Hand genommen hatte, nicht oft vorgekommen, daß ein englisches Blatt mit solchem Wohlwollen von Deutschland spricht. Man wird in
Frankreichs Redaktionen gut tun, diesen Artikel de? .Daily News', die viel gelesen sind und Beziehungen zur Regierung unterhalten, aufzubewahren und vor allem, ihn zu beherzigen.
politische Kuncifcbau.
Deutschland.
* K a i s e r W i l b e l m hat aus Anlaß der NeujahrS- feier die General-Obersten Graf v. Sch lieffen, v. B o ck u n d P o l a ch und v. d. Goltz zu Gene- ral-Feldmarschällen ernannt. Den General - Obersten v. Lindequist und v. Plessen wurde der Rang eines General-Feldmarschalls verliehen.
"Kaiser Wilhelm wird im Monat Januar eine Reste nach Süddeutschland unternehmen. Welche Fürstenböfe der Monarch auf dieser Fahrt besuchen wird, ist noch nicht bekannt.
* Englische Blätter berichten aus angeblich gut unterrichteter Quelle, daß der R e i ch s t a g bereits vor den Sommerferien seine Tagung beendet werde und daß die Neuwahlen bereits im Oktober stattfinden sollen. Für eine solche Maßnahme liegt durchaus kein Anlaß vor. Ebenso ist das Gerücht natürlich erfunden, daß der Reichskanzler v. Bethmann-Holl- weg bis zu den Neuwahlen nicht im Amte bleiben werde.
Q Für die Arbeiter an den kaiserlichen Werften ist eine allgemeine Neuregelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse geplant. Aus der kaiserlichen Werft in Kiel werden nach dieser Richtung hin vom 1. Januar ab zur Probe verschisdene Neuerungen eingeführt. Von diesem Tage ab beträgt die wöchentliche Arbeitszeit nur 56 Stunden gegen bis- ber 60 bis 65 Stunden. Für die Arbeiter über 21 Jahre sind Mindest-Einstellungslöhne vorgesehen, der Stundenlohn wurde für alle Arbesterklassen durchweg um 2 Pfennige erhöht. Auch soll auf allgemeinen Wunsch der Arbeiter versuchsweise die Auszahlung der Löhne bereits am Freitag abend erfolgen. Bewähren stch diese Neuerungen einige Zeit hindurch an der Kieler Werft, dann sollen sie auch an dm andern kaiserlichen Werften zur Einführung gelangen.
Portugal.
"Die verworrenen und Widersvruchsvollen Nachrichten, die aus Portugal kommm, lassen keinen Fernstehenden einen klaren Blick über die Lage gewinnm. Sicher ist jedenfalls, daß die Kreise des Volkes, die den S i e g der Revolution erfechten halfen, insofern bitter enttäuscht worden find, als die neue Regierung keine Anstalten getroffen hat, ihre Wünsche zu erfüllen. Besonders in der Arbeiterschaft herrscht infolgedessen eine gefährliche Gärung, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die gegenwärtige Regierung ihr zum Ovter fällt. Eine andre Frage ist freilich, ob durch dies» neue Bewegung das Königtum in Portugal neuen Boden in der Mehrheit des Volkes gewinnen kann. Das wird von allen Kennern der Verhältnisse verneint.
Balkanstaaten.
"In einer zehnstündigen Verteidigungsrede hat der mit dem Anklagezustand bedrohte ftühere Kriegsminister Sawoso vor der bulgarischen Sobranje die Etatsüberschreitungen gerechtfertigt, die er im Jahre 1903 begangen hatte und wegen deren man ihn dem Staatsgerichtshof ausliefern wollte. Ec wies nach, daß damals die Gefahr eines Balkankrieges nur vermieden worden sei, weil Bulgarien den türkischen Rüstungen gewachsen gewesen sei. Wenn er dabei den Rüstungs- Etat um eine Million überschritten hat^. so wolle er, falls man ihn strafbar finde, die Sühne auf fich nehmen. — Das Verfahren gegen den Minister aus jener Zeit wird wahrscheinlich niedergeschlagen werden.
Amerika.
"Der Besuch des nordamerikanischen
Geschwaders in Deutschland ist endgültig ab- i gesagt worden. Daß die in der Absage angegebene ! gegenwärtige rauhe Jahreszeit, die eine Bewhnmg der Nord- und Ostsee untunlich erscheinen lasse, nicht den wahren Grund für das Unterbleiben des Besuchs darstellt, liegt auf der Hand. Man wird nicht sebl gehen in der Annahme, daß in Wirklichkeit die disziplinlose Aufführung der Besatzungen der amerikanischen Schiffe in dem französischen Hafen Cherbourg und der drohende Aufstand auf Kuba der Regierung der Ver. Staaten den vorzeitigen Abbruch der Fahrt ihrer Flotte nach den europäischen Gewässern hat als im eigensten Interesse liegend erscheinen lassen.
Die Verfälschung von Nahrungsmitteln.
Veranlaßt durch die Vorkommnisse bei der Herstellung und dem Vertrieb von Nahrungsmitteln, wie sie in letzter Zeit häufig allgemeine Beunruhigung her- vorgerufen haben, Hai jetzt der preußische Justizminister eine allgemeine Verfügung über das Strafverfahren wegen Verfälschung von Nahrungs- und Genußmitteln erlassen, in der es u. a. beißt: „Die Kriminalistik läßt erkennen, daß die in der Öffentlichkeit häufig erhobenen Klagen über eine Zunahme der Verfälschung von Nahrungs- und Genuß nitteln nicht unbegründet find. Je mehr die Fälscher die
Fortschritte der Wissenschaft mißbrauchen, um die Arten und die Mittel der Ver- fässchungen zu vermehren, um so mehr erscheint es geboten, diesem gemeingefährlichen Treiben mit größtem Nachdruck entgegenzuwirken. Ich erwarte, daß die Strasverfolgungsbehörden nach wie vor in jedem Falle mit tunlichster Beschleunigung einichreiten und durch Stellung geeigneter Anträge bei Gericht darauf hinwirken werden, daß eine
strenge Bestrafung
namentlich der gesundheitsschädlichen und aus Gewinnsucht begangenen Verfälschungen eintritt. Die Straf- vrrfolgunasbehörden werden stch indessen vor Augen halten müssen, daß die Erhebung derartiger Anklagen und die öffentliche Gerichtsverhandlung für die Gewerbetreibenden auch dann mit großen wirtfchaftliLen Nachteilen verbunden zu sein pflegt, wenn das Strafverfahren schließlich mit einem Freispruch endigt. Zur
Brrmsidnng ««gerechtfertigter Härte« muß verlangt werden, daß schon die Anklagen wegen Verfälschung von Nahrungs- und Genußmitteln, wegen Feilhaltens verfälschter oder verdorbener Nahrungs- und Genußmittel, wegen Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze betr. den Verkehr mit Ersatzmitteln für Butter, den Verkehr mit Wein, künstlichen Süßstoffen, Bier usw. von vornherein auf eine möglichst sichere Grundlage gestellt werden. Die
Uutersuch«ng der Nahrung-- «nd Genrchmittel
ist daher von den Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nur solchen Sachverständigen zu übertragen, die eine ausreichende Erfahrung auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebiete der Chemie besitzen. Besteht der Verdacht, daß die verfälschten NahrungS- oder Genußmittel geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu schädigen, oder daß eine solche Gesundheitsschädigung bereits eingetreten ist, so wird in der Regel auch daS Gutachten ärztlicher Sachverständiger nicht zu entbehren sein. Kommen Fragen des Handelsbrauchs in Betracht, z. B. bei der Feststellung, ob eine Ware zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr hergestellt oder ob ihr eine zur Täuschung geeignete Bezeichnung gegeben ist usw., so werden hierüber Sachverständige zu hören sein, die mit den Bräuchen des betreffenden Industrie- oder Handelszweiges besonders vertraut sind. Stehen Sachverständige ber letztbezeichneten Art nicht ohne weiteres zur Verfügung, so empfiehlt es sich, die zuständigen Handelsvertretungen um die Benennung solcher Sachverständigen
U Vor die <Sabl gestellt.
9] Roman von M. L a u t n e r.
<Fortsetzimg.>
Hanna sprach ihre Freude darüber aus, daß der neuliche Unfall keine schlimmeren Folgen gehabt und ihre Cousine verhältnismäßig schnell wiederhergestellt sei.
„Ja," stimmte Kurt ihr bei, „ich war ganz überrascht, sie heute schon wohlauf und heiter zu finden. Ein ziemlich untrügliches Zeichen von dem Wohlbefinden eines Patienten ist immer die Stimmung desselben."
,O, Ema ist überhaupt eine sehr heitere Natur oder vielmehr war, freilich seit-*
„Seit dem Tode ihres Vaters ist das anders geworden," ergänzte Kurt, als sie in ihrer Rede innehielt. „Sie hat wohl mit großer Liebe an ihm gehangen?"
„Ja, gewiß. Das einzige, verwöhnte Kind, Sie können sich wohl denken. Sie wurde ganz schwermütig die erste Zeit, wir wurden ordentlich bange um sie, dazu noch die Sorge um die Zukunft —"
Erschrocken schwieg sie still und sah ihn ängstlich von der Seite an.
„Die Sorge um die Zukunft," wiederholte er, ihren Blick bemerkend, „wie soll ich daS verstehen?"
„Ach, ich — ich meinte eigentlich nichts Besonderes damit." sprach fie mit gut gespielter Verlegenheit.
„Nein, so entkommen Sie mir nicht, Fräulein Hanna. Sie hegten Sorgen um Ernas Zukunft, da muß ich weiter fragen und Sie bitten, mir das näher zu erklären."
„Bitte, bitte, fragen Sie nicht," rief sie, ihre Hand leicht auf seinen Arm lehnend, mit großen flehenden'' Augen: 7 7 °
„Sollten Onkels Verhältnisse keine geregelten gewesen sein?" fuhr er jedoch unbeirrt fort, „aber das wäre sa undenkbar. Also was meinten Sie?"
„Wenn Sie mir Ihr Wort geben, niemand etwas davon zu verraten, will ich's Ihnen ein gestehen, da ich nun mal so ungeschickt gewesen bin, mich zu verplappem; aber Sie müssen mir fest versprechen —"
„Mein Wort darauf."
„Nun denn — so hören Sie — es ist mir wirklich fatal, daß ich Ihnen das sagen soll. Sie wissen ohne Zweifel, daß Onkel Bernhard eine Verbindung zwischen Ihnen und Erna wünschte."
Er nickte bejahend.
Zögemd fuhr Hanna fort:
„Nun, und Erna, das verwöhnte Kind, das stets um seine kleinsten Wünsche beftaqt worden, — ach, Sie dürfen es mir nicht Übel nehmen. Ich bin überzeugt, fie wird auch ihren Widerwillen gegen — gegen diese Bestimmung noch überwinden. — Sie müssen ein wenig Geduld mit ihr haben. Sie ist ja noch so jung, und eS kam ihr so überraschend. Sie wird es sicher noch zur rechten Zeit einsehen, wie töricht es wäre, ihren ganzen Besitz zu opfem — bloß um ihr Trotzköpfchen durchzuführen."
Kurt war sehr ernst geworden, und eine tiefe Falte hatte sich zwischen seine Brauen gelagert.
„Ach, jetzt verstehe ich Siel" sprach er und sah düster vor sich hin. —
Schweigend gingen ste nebeneinander, denn auch Hanna war mit ihren Gedanken beschäftigt, die freilich ganz andrer Natur waren, als die ihres Begleiters, trotzdem ste sich um denselben Punkt drehten.
„Eine Frage noch," fing dieser nach einer Weile wieder an: „Hat Erna irgend eine Neigung — ich meine — ist ihr Herz nicht mehr frei?"
„Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht verraten, sie hat mich nicht darin zu ihrer Vertrauten gemacht."
„Aber Sie find doch lange hier im Hause und haben vielleicht Ihre eigenen Beobachtungen gemacht."
„Sehen Sie, sie hat stch die Cour machen lassen; es ist ihr gehuldigt worden, wie jedem hübschen Mädchen, das zufällig auch Erbin ist. Vergangenen Winter, als ste in die Gesellschaft trat, wurde sie überall sehr gefeiert. Möglich, daß es dabei einem oder dem andern gelungen ist, ihr Herz zu wecken. Es haben auch öfter Herren hier verkehrt. Offiziere aus B. kamen heraus."
Sie schwieg, und er fragte nicht weiter.
Inzwischen hatten ste das Schloß beinahe erreicht und Erna erblickend, lief Hanna auf sie zu, faßte ihren Kopf mit beiden Händen und sah ihr lachend in die Augen.
„Waren wir zu lange, bist du böse, Herz?" stagte fie.
„Wie kannst du das denken?" wehrte Erna sich gegen einen solchen Verdacht und machte stch mit einer ungeduldigen Bewegung ftei.
„Es war so schön im Park, daß wir gar nicht an die Zeit dachten, nicht wahr?" fuhr Hanna mit einem Blick auf Kurt fort. „Ich glaube wahrhaftig, wir find schon lange sortgewesen."
„Der Park ist wirklich sehr schön, und ich beneide dich um den prächtigen Wildstand darin!" wandte dieser fich an Erna, seine innere Bewegung gewaltsam nieder- kämpfend.
„Ja, denke dir," fiel Hanna ein, „wir sahen ein ganzes Rudel Rehe und sie liefen gar nicht davon, die herzigen Tierchen: wir waren ziemlich nahe heran."
„Und von Fasanen wimmelt's ja förmlich. Ich